Hitlers Rede vor dem deutschen Reichstag am 23. März 1933
Die Rede Adolf Hitlers als Reichskanzler vor dem deutschen Reichstag am 23. März 1933 ist auch als Rede zum Ermächtigungsgesetz bekannt. Die Rede war nach dem Tag von Potsdam Hitlers zweiter Auftritt vor dem Reichstag und führte zu einer Abstimmung im Parlament, die für zunächst vier Jahre die Gewaltenteilung der Weimarer Verfassung und damit de facto die Demokratie in Deutschland abschaffte. Als vom Reichspräsidenten ernannter Reichskanzler beantragte Hitler an jenem Tag die parlamentarische Zustimmung zu diesem verfassungsdurchbrechenden Gesetz. Drei Stunden nach seiner Rede bekam er sie. Das Ermächtigungsgesetz trat einen Tag später in Kraft. Die Rede glich einer programmatischen Regierungserklärung; in ihr steckten bereits wesentliche Züge der NS-Politik.
Ablauf der Rede
Für die meisten Abgeordneten im Parlament war dies die erste Gelegenheit, Hitler zu sehen und leibhaftig sprechen zu hören. Einige Kernfiguren der Linken wie Rudolf Breitscheid (SPD) waren entweder in Urlaub oder, wie Ernst Torgler (KPD), bereits in Haft. Hitler trat im Braunhemd auf und begann seine knapp 50-minütige Rede sehr ruhig mit der angeblichen Lüge, Deutschland sei allein am Ersten Weltkrieg schuld gewesen. Die „Kriegsschuldlüge“ und der massive Einfluss der Marxisten auf die deutsche Politik seien für die Not und Missstände im Reich verantwortlich. Er versprach, sich für die Hinrichtung der in Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand verhafteten „Marxisten“ einzusetzen, und weitete die Drohungen auf alle Gruppen aus, die „Landes- und Volksverrat“ betrieben. Hier wurde die Rede feurig, und die Abgeordneten der NSDAP klatschten euphorischen Beifall.
Hitler kündigte an, die Föderalstruktur des Reichs zu schwächen. Er sprach von gemeinsamen Grundwerten der Nationalsozialisten mit beiden christlichen Kirchen, sagte den Kirchen Schutz unter der neuen Regierung zu, wies sie aber darauf hin, dass auch sie sich nicht gegen sie stellen dürften. Die Medien (Rundfunk, Zeitungen) müssten künftig der Regierung dienen, und die Kunst habe sich an „Blut und Rasse“ zu orientieren. Es war die einzige Stelle der Rede, wo die „Rasse“ vorkommt. Die antisemitische Politik und damit der Holocaust fehlten als einziges zentrales Thema bei diesem Auftritt. Hitler kündigte an, die Justiz umzubauen. Die Richter müssten eine „Elastizität der Urteilsfindung zum Zweck der Erhaltung der Gesellschaft“ aufweisen und „mit barbarischer Rücksichtslosigkeit“ vorgehen.
In der zweiten Hälfte der Rede sprach Hitler die Wirtschaft an: Die Not leidenden Bauern seien unbedingt vor dem Bankrott zu bewahren, auch weil sie als einzige große Arbeiter-Gruppe dem Marxismus widerstanden. Arbeit müsse wieder Sinn machen und dem völkischen Ganzen dienen. Er kündigte an, den Mittelstand zu stärken und die Industrie ihren eigenen Marktgesetzen folgen zu lassen. Das Privateigentum sei die Säule der Wirtschaft.
Mit der Äußerung, die Reichswehr stärken zu wollen, kam Hitler zum außenpolitischen Teil der Rede. Er sprach die Nähe zum faschistischen Italien an, das Mitleid mit Österreich und den deutschstämmigen Personengruppen im Umland des Reichs. Deutschland wolle exportieren, aber nur als gleichberechtigter Partner mit anderen Ländern. Er lehnte die Unterscheidung von Siegern und Besiegten und damit den Versailler Vertrag ab. Wer dies infrage stelle, müsse mit einer selbstbewussten Reaktion der neuen Regierung rechnen. Die Aussage wurde mit Begeisterung der Rechten im Saal quittiert.
Gegen Ende kam er auf das Ermächtigungsgesetz zu sprechen. Es sei unbedingt erforderlich, um die neue Politik durchzusetzen. Den Reichstag werde man nicht abschaffen, aber in der bisherigen Form nicht mehr benötigen. Erst am Ende seiner Rede drohte Hitler, die Regierung sei auch bereit, Ablehnung und Widerstand entgegenzutreten. Er schloss mit den Worten:
„Mögen Sie, meine Herren Abgeordneten, nunmehr selbst die Entscheidung treffen über Frieden oder Krieg.“
Es folgten Ovationen und der stehend angestimmte Gesang des Deutschlandliedes.
Hitlers späterer Propagandaminister Joseph Goebbels schrieb einen Tag später über die Rede in seinem Tagebuch: „Der Führer spricht zum Deutschen Reichstag. Er ist fabelhaft in Form. Seine ganze Rede ist die Rechenschaftslegung eines überlegenen klugen Staatmannes. Viele im Hause sehen ihn zum ersten Male und sind ganz benommen von der Größe seines Auftretens.“[1]
Quellen
- Reichstags Stenografieprotokoll, Volltext bei der Bayerischen Staatsbibliothek
- Deutsches Rundfunkarchiv, Archivnummer 2590218, Tonträger 01-A-001[2]
Einzelnachweise
- Tagebücher 1924-1945. Abgerufen am 6. August 2017.
- Erschließungstext im Deutschen Rundfunkarchiv dazu: "Adolf Hitler (Reichskanzler): Zum Antrag für das Ermächtigungsgesetz / Der "durch die marxistische Irrlehre systematisch herbeigeführte Zerfall der Nation" soll verhindert werden / Wiederaufbau von Volk und Nation durch die "Regierung der nationalen Revolution" / Kampf gegen die "marxistische Irrlehre" / Propagierung der permanenten Revolution gegen alle Grundlagen unseres Gemeinschaftslebens / Zum Reichstagsbrand / Restlose Ausrottung des Kommunismus / Für die Herstellung einer wirklichen Volksgemeinschaft / Erringung einer weltanschaulichen Geschlossenheit des deutschen Volkskörpers / Die "geistigen Führer" der Vernichtungstendenz zur Verantwortung ziehen * Gegen eine moralische Restauration / Theater, Film, Literatur, Presse, Rundfunk haben der "Erhaltung der im Wesen unseres Volkstums liegenden Ewigkeitswerte zu dienen" / "Blut und Rasse" als "Quelle der künstlerischen Intuition" / Die Regierung ist entschlossen, die "politische und moralische Entgiftung unseres öffentlichen Lebens durchzuführen / "Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren; ihre Rechte sollen nicht angetastet werden." / Kampf gegen die materialistische Weltanschauung / "Unser Rechtswesen muß in erster Linie der Erhaltung dieser Volksgemeinschaft dienen. Der Unabsetzbarkeit der Richter auf der einen Seite muß die Elastizität der Urteilsfindung zum Zweck der Erhaltung der Gesellschaft entsprechen. Nicht das Individuum kann der Mittelpunkt der gesetzlichen Sorge sein, sondern das Volk!" (Bravo!) / "Grundsätzlich wird die Regierung die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen des deutschen Volkes nicht über den Umwegen einer staatlich zu organisierenden Wirtschaftsbürokratie betreiben, sondern durch stärkste Förderung der privaten Initiative unter Anerkennung des Privateigentums" (Bravo!) / Rettung der deutschen Bauern / Eingliederung der Arbeitslosen in den Produktionsprozeß / Verbundenheit mit den Arbeitern, den "Gefährten meiner Jugend" / Stolz auf die Reichswehr / Einseitige deutsche Abrüstung / Genfer Verhandlungen blieben ohne Ergebnis / Für eine friedliche Zusammenarbeit der vier Mächte zur Sicherung Europas / "Ebenso legt die Reichsregierung, die im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes sieht, den größten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhle weiter zu pflegen und auszugestalten." / Maßvolle Anwendung der Ermächtigungsgesetze / "Der Bestand der Länder wird nicht beseitigt, die Rechte der Kirchen werden nicht geschmälert, ihre Stellung zum Staate nicht geändert." / Möglichkeit der Verständigung mit den anderen Parteien, die Regierung verfügt in jedem Fall über eine ausreichende Mehrheit / "Mögen Sie, meine Herren, nunmehr selbst die Entscheidung treffen über den Krieg und Frieden" (Dauer 48'50)