Hiltrud Kier
Hiltrud Kier geborene Arnetzl (* 30. Juni 1937 in Graz) ist eine österreichische Kunsthistorikerin, Hochschullehrerin, ehemalige Kölner Stadtkonservatorin (Denkmalpflegerin) und ehemalige Generaldirektorin der Museen der Stadt Köln. Sie machte die Denkmalpflege weit über die Grenzen der Stadt Köln populär und setzte sich engagiert für die Bauten der 1950er Jahre ein. Zu den wichtigsten Leistungen ihrer Amtszeit zählten außerdem Erhalt und Wiederaufbau der großen romanischen Kirchen in Köln zum Jahr der Romanischen Kirchen 1985.
Leben
Nach Hiltrud Arnetzls Abitur 1955 in Graz und einem anschließenden Studienaufenthalt in London folgte ein Studium der Kunstgeschichte mit den Nebenfächern Musikwissenschaft und Klassische Archäologie in Wien 1956 bis 1959 und Köln 1959 bis 1968, das sie 1968 mit der Promotion zum Dr. phil. und der Dissertation Der mittelalterliche Schmuckfußboden[1] bei Heinz Ladendorf mit Summa cum laude abschloss. Im selben Jahr war Hiltrud Klier, die 1959 geheiratet hatte, Gründungsmitglied des Ulmer Vereins, einer Vereinigung junger Kunsthistoriker, die sich vom etablierten Verband Deutscher Kunsthistoriker abgespaltet hatte.
Nach einem Volontariat beim Landeskonservator Rheinland in Bonn folgten ein Stipendium der Fritz Thyssen Stiftung zur Bearbeitung der Kölner Neustadt (1973–1976), ein Forschungsauftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie ein Werkvertrag mit der Stadt Köln (1976–1978) zur Erstellung des Verzeichnisses erhaltenswerter Bausubstanz, der späteren Kölner Denkmalliste. Im Jahr 1975 organisierte sie mit dem Verband Deutscher Kunsthistoriker die Tagung „Die Kunst, unsere Städte zu erhalten“ in Köln.
Kier war zwölf Jahre lang – vom 1. August 1978 bis 30. November 1990 – Stadtkonservatorin in Köln, in der Nachfolge von Fried Mühlberg. Parallel war sie 1980 bis 1993 Vorsitzende des Arbeitskreises Denkmalschutz beim Städtetag Nordrhein-Westfalen. Ende 1990 übernahm sie von Hugo Borger die Generaldirektion der Museen der Stadt Köln sowie die Leitung der Kölner Bodendenkmalpflege, die dazu aus ihrer bisherigen Einordnung in das Römisch-Germanische Museum gelöst wurde. Nach Konflikten mit Museumsdirektoren entließ sie der Oberstadtdirektor 1993 aus ihrer Funktion, doch wurde ihr ein neuer Posten als "Leiterin des Wissenschaftliche Forschungsreferats der Kölner Museen" geschaffen, den Kier bis 1997 innehatte.[2][1] Bereits seit 1988 ist Hiltrud Kier Honorarprofessorin am Kunsthistorischen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, eine Tätigkeit, die sie seit 1997 intensivierte. Darüber hinaus wirkte sie 1988 bis 1997 als aktives Vorstandsmitglied des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker, als Vorstandsmitglied des Architekturforum Rheinland (2002–2008) sowie erneut als Vorstandsmitglied des Fördervereins Romanische Kirchen Köln.
Hiltrud Kier ist verheiratet mit dem Musikwissenschaftler Herfrid Kier, Mutter von vier Kindern und lebt heute in Zülpich.
Inhaltliche Schwerpunkte
Hiltrud Kier hat in ihrer Zeit als Denkmalkonservatorin das Bewusstsein für Denkmalpflege in breiten Bevölkerungsschichten geschärft und zahlreiche Maßnahmen und Projekte angestoßen, die weit bis in die Gegenwart Wirkung entfalten. Neben der alltäglichen denkmalpflegerischen Arbeit wie etwa der Überwachung denkmalpflegerischer Maßnahmen war sie von Beginn an an der Entwicklung des Denkmalschutzgesetzes für Nordrhein-Westfalen beteiligt. Zahlreiche Entwicklungen in Köln tragen ihre Handschrift, so etwa die Erhöhung der „Frauenquote“ und das Sponsoring der 120 Figuren des wiedererrichteten Kölner Rathausturms. Auch die Restaurierung des ehemaligen Kölner Gestapogefängnisses (EL-DE-Haus) und die Errichtung einer Gedenkstätte dort fallen in ihre Amtszeit.
Kölner Neustadt
Zu Beginn ihres denkmalpflegerischen Werdegangs und in der ersten Zeit ihrer Tätigkeit als Denkmalkonservatorin engagierte sich Hiltrud Kier für den Erhalt der Kölner Neustadt, vor allem der bis dahin nicht als denkmalwerte Objekte wahrgenommenen Gründerzeithäuser. In diesem Zusammenhang stehen ihre grundlegenden Publikationen zur Kölner Neustadt, mit denen sie eine kontroverse Diskussion um eine grundsätzliche Neubewertung historistischer Architektur anstieß. In diesen Themenkreis gehören auch die Veranstaltung der Tagung „Die Kunst, unsere Städte zu erhalten“, 1975 in Köln sowie die erstmalige Inventarisierung der Baudenkmäler auf Denkmallisten.
Wiederaufbau der Romanischen Kirchen
Zum Ende der 1970er Jahre stagnierte der Wiederaufbau der kriegszerstörten romanischen Kirchen in Köln: Groß St. Martin war ohne Langhaus, der Kleeblattchor von St. Maria im Kapitol hinter einer Baustellenwand verborgen, das Dekagon von St. Gereon unzugänglich, das Westquerhaus von St. Kunibert eine Ruine. Um hier Bewegung in die Entwicklung zu bringen, initiierte Kier 1981 die Gründung des Fördervereins Romanische Kirchen Köln und proklamierte zusammen mit dem ehemaligen Diözesanbaumeister Wilhelm Schlombs das Jahr 1985 zum „Jahr der Romanischen Kirchen“ – als Zielsetzung für die Beseitigung der meisten Kriegsschäden. Dieses Engagement stieß auf großes positives Echo in weiten Teilen der Bevölkerung; der Verein gewann bereits innerhalb eines Jahres 4000 Mitglieder.[3] Die ersten vier Bände der von Kier ins Leben gerufenen wissenschaftlichen Buchreihe Stadtspuren – Denkmäler in Köln beschäftigen sich mit den romanischen Kirchen.
Neubewertung der Nachkriegsarchitektur
Anfang der 1980er Jahre schrieb Kiers Behörde die Kölner Denkmalliste mit den ungeliebten, teilweise vom Abriss bedrohten Nachkriegsobjekten fort und warb um ein neues Bewusstsein für diese nun abgeschlossene Bauepoche. In der von ihr herausgegebenen Stadtspuren-Publikation von 1986 wurden rund 900 „qualitätsvolle“ Bauten und Ensembles beschrieben, erbaut zum Teil von namhaften Architekten wie Wilhelm Riphahn, Fritz Schaller, Karl Band oder Rudolf Schwarz.
Patenschaftssystem für den Melaten-Friedhof
1981 führte sie als Stadtkonservatorin ein Patenschaftssystem für den Melaten-Friedhof ein, das inzwischen von vielen Städten übernommen wurde. Paten sorgen nun für die Restaurierung und den Erhalt vieler historischer Grabmale und erhalten als Gegenleistung ein Anwartsrecht auf die Grabstelle. Nutzungsgebühren fallen erst bei einer tatsächlichen neuen Bestattung an.
Öffentlichkeitsarbeit
Ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit von Hiltrud Kier ist die Bewusstseinsbildung für die Denkmalpflege. In ihrer Amtszeit nutzte sie alle zur Verfügung stehenden Kanäle und Mittel, um ihr Anliegen an die Öffentlichkeit zu bringen. Zahlreiche populärwissenschaftliche Publikationen, Vortragsveranstaltungen und Führungen gehörten ebenso dazu wie ein Kirchenführer für Kinder sowie niedrigschwellige Ausstellungen etwa in den Räumen der Stadtsparkasse Köln. Pressearbeit lief oftmals nicht über das Presseamt, sondern direkt durch sie, was gelegentlich zu „unverblümteren“ Schlagzeilen und lebhaften Diskussionen über die Stellung der Denkmalpflege führte.[4]
Ehrungen
- Ehrenplakette des Architekten- und Ingenieur-Vereins Köln für Verdienste um die gebaute Umwelt (1982)
- Bundesverdienstkreuz am Bande (31. August 1983),[5] für Verdienste in der Denkmalpflege
- Rheinlandtaler des Landschaftsverbandes Rheinland (2013)[6]
Veröffentlichungen (Auswahl)
- Der mittelalterliche Schmuckfußboden (= Die Kunstdenkmäler des Rheinlands. Beiheft 14). Düsseldorf 1970.
- Bürgerbauten der Gründerzeit in der Kölner Neustadt. Köln 1973.
- Die Kölner Neustadt (= Arbeitshefte des Landeskonservators Rheinland. Nr. 8). Bonn 1974.
- Schmuckfußböden in Renaissance und Barock. 1976.
- als Hrsg.: Die Kunst, unsere Städte zu erhalten. 1976.
- Die Kölner Neustadt(= Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland. Band 23). Düsseldorf 1978.
- Denkmälerverzeichnis Köln-Altstadt und Deutz (= Arbeitshefte des Landeskonservators Rheinland. Nr. 12.1). Köln 1979.
- als Hrsg.: Reclam-Führer Köln. 1980.
- mit Ulrich Krings: Der Kranz der romanischen Kirchen in Köln. Köln 1980; 2. Auflage ebenda 1982.
- Köln entdecken. Die großen romanischen Kirchen. 1983; 5., komplett überarbeitete Auflage 1993.
- als Hrsg. mit Ulrich Krings: Die romanischen Kirchen. Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg (= Stadtspuren. Denkmäler in Köln. Band 1). Köln 1984.
- mit Wolfram Hagspiel und Ulrich Krings: Köln. Architektur der 50er Jahre. 1986.
- mit Werner Schäfke: Die Kölner Ringe. Geschichte und Glanz einer Straße. 1987; 2. Auflage 1994.
- Stadtspuren. Köln: Dörfer im linksrheinischen Süden. 1990.
- als Hrsg. mit C. Körber-Leupold und Sven Schütte: Archäologie in Köln. Das archäologische Jahr 1991 (= Archäologie in Köln. Band 1). Greven Verlag, Köln 1992, ISSN 0943-3635.
- Architektur der 50er Jahre. Bauten des Gerling-Konzerns in Köln. 1994.
- Gotik in Köln. 1997.
- als Hrsg.: Architektur der 30er/40er Jahre in Köln. Köln 1999.
- Kirchen in Köln. 2000.
- Kleine Kunstgeschichte Kölns. 2001.
- mit Ute Chibidziura: Romanische Kirchen in Köln und ihr historisches Umfeld. J. P. Bachem, Köln 2004. Mit Fotografien von Georg Esch.
- Rezension von Wolfgang Rosen in: Geschichte in Köln. Band 53, Dezember 2006, S. 183–186.
- als Hrsg. mit Marianne Gechter: Frauenklöster im Rheinland und in Westfalen. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2004, ISBN 3-7954-1676-0.
- mit Hermann-Josef Reither: St. Georg, Köln (= Schnell Kunstführer. Nr. 2573). Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2005, ISBN 3-7954-6551-6.
- St. Maria vom Frieden, Köln (= Schnell Kunstführer. Nr. 2601). Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2005, ISBN 3-7954-6567-2.
- Rekonstruktionen – ein neuer Baustil? Das Komische in der Kunstgeschichte und Denkmalpflege. In: Roland Kanz (Hrsg.): Das Komische in der Kunst. Böhlau-Verlag, Köln / Weimar / Wien 2007, ISBN 978-3-412-07206-3, S. 281 ff.
- Reclams Städteführer Köln. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-018564-3; 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage ebenda 2011.
- Die romanische Kirchen in Köln. Führer zu Geschichte und Ausstattung. J. P. Bachem Verlag, Köln 2014, ISBN 978-3-7616-2842-3.
- Die kleinen romanischen Kirchen. Führer zur Geschichte und Entwicklung Kölner Vororte. J. P. Bachem, Köln 2015, ISBN 978-3-7616-2944-4.
Literatur
- Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2007. Bio-bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart. 21. Ausgabe, K. G. Saur Verlag, München 2007, ISBN 978-3-598-23616-7 / ISBN 3-598-23616-6, Band II: I–Sche, S. 1751.
- Hiltrud Kier: Wenn es kritisch wird, zünde ich eine Kerze an. In: Gerd Courts: Kölner Tischgespräche 1976–1989. (mit Fotoporträts von Alfred Koch) Wienand Verlag, Köln 1989, ISBN 3-87909-235-4, S. 152–159.
- Marie Hüllenkremer: Nicht bequem, sondern gut. Kier, der einzige Mann in der Verwaltung. In: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 95 (Samstag/Sonntag, 23./24. April 1988), S. 37 (Rubrik Kultur).
- Werner Strodthoff: „Ich möchte neunzig Jahre alt werden“. Dynamische Amtsführung der Konservatorin. In: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 95 (Samstag/Sonntag, 23./24. April 1988), S. 37 (Rubrik Kultur).
- Werner Strodthoff: Hiltrud Kier verläßt Kölns Denkmalamt. Bald selbst am Rathausturm? Sie machte die Denkmalpflege populär. In: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 281 (Samstag/Sonntag 1./2. Dezember 1990), (Rubrik Kultur).
- Birgit Aldenhoff, Martin Bredenbeck et al. (Hrsg.): Denkmalpflege – Städtebau. Beiträge zum 70. Geburtstag von Hiltrud Kier. J. P. Bachem, Köln 2008, ISBN 978-3-7616-2216-2.
- Martin Bredenbeck, Constanze Moneke und Martin Neubacher (Hrsg.): Spuren. Eine Suche nach dem kunsthistorischen Lustgewinn. Festschrift zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Hiltrud Kier. Edition Kritische Ausgabe im Weidle Verlag, Bonn 2012, ISBN 978-3-938803-51-6.
- Bernward Althoff: Kunsthistorikerin Hiltrud Kier. Statt Floskeln klare Kante. In: Bonner Rundschau vom 4. September 2013 (online, abgerufen am 7. September 2013)
Weblinks
- Literatur von und über Hiltrud Kier im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Schriftenverzeichnis auf der Homepage der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn
- Westdeutscher Rundfunk, WDR 5, Erlebte Geschichten vom 14. September 2008 (Autorin: Ursula Deutschendorf):Balance zwischen Tradition und Moderne. Hiltrud Kier, ehemalige Stadtkonservatorin. (abgerufen am 26. Juni 2017)
- Kölner Stadt-Anzeiger vom 27. Juni 2017: "Man muss schon Biss haben in Köln", von Martin Oehlen
- Kölnische Rundschau vom 29. Juni 2017: Interview Hiltrud Kier, frühere Generaldirektorin der Museen, wird 80 Jahre alt, im Gespräch mit Martina Windrath
- "Wir hatten den Mund zu halten", von Martin Oehlen, in: Kölner Stadt-Anzeiger Nr. 67 vom 20. März 2018 Seite 21 Kultur
Einzelnachweise
- Birgit Aldenhoff, Martin Bredenbeck et al. (Hrsg.): Denkmalpflege – Städtebau. Beiträge zum 70. Geburtstag von Hiltrud Kier. J. P. Bachem, Köln 2008, ISBN 978-3-7616-2216-2, S. 137–138.
- Weg mit Schaden. Köln sinkt weiter: Aus für Generaldirektorin Hiltrud Kier, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. August 1993. Thomas Fechner-Smarsly: Das Portrait: Hiltrud Kier, in: taz, 27. August 1993. Jürgen Raap: Köln ohne Kier, Kunstforum international 124, 1993, S. 508.
- Helmut Haumann: Der Förderverein Romanische Kirchen. Eine Erfolgsgeschichte. In: Denkmalpflege – Städtebau. Beiträge zum 70. Geburtstag von Hiltrud Kier. J. P. Bachem, Köln 2008, ISBN 978-3-7616-2216-2, S. 62.
- Henriette Meynen: Laudatio zu Ehren von Hiltrud Kier. In: Denkmalpflege – Städtebau. Beiträge zum 70. Geburtstag von Hiltrud Kier. J. P. Bachem, Köln 2008, ISBN 978-3-7616-2216-2, S. 24
- Bundespräsidialamt
- Westdeutscher Rundfunk, WDR 3, Kulturnachrichten vom 28. August 2013: Rheinlandtaler für ehemalige Kölner Stadtkonservatorin. (Memento vom 9. Januar 2014 im Internet Archive)