Highland Clearances
Highland Clearances (etwa „Räumung des Hochlandes“, gälisch: Fuadach nan Gàidheal, „Vertreibung der Gälischsprachigen“) bezeichnet die Vertreibung der ansässigen Bevölkerung im schottischen Hochland zugunsten der flächendeckenden Einführung der Schafzucht, beginnend im späten 18. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Sie geschah zeitlich parallel zu der in ganz Europa die Industrialisierung begleitenden Landflucht. Im Unterschied zur Landflucht initiierten die Gutsherren die Clearance wie beim feudalen Bauernlegen. Die Landflucht wurde teils mit Gewalt und in relativ kurzer Zeit durchgeführt. Die Gutsherren waren in einer vergleichsweise bequemen rechtlichen Situation, und die Räumungen trafen eine sehr traditionelle Gesellschaft. Zunächst sprach man zumeist von removals, der Begriff clearances setzte sich erst im 19. Jahrhundert durch.
Die Beteiligten
Zugezogene englische, aber auch alteingesessene schottische Gutsherren aus den Lowlands beauftragten die Räumung durch ihre Verwalter (englisch bailiff). Vertrieben wurden einheimische, landlose Kleinbauern und Pächter (crofter), die häufig seit Generationen dort gelebt hatten. Oft wurden ganze Dorfgemeinschaften aufgelöst und ihre Hütten zerstört. Teilweise wurden die Vertriebenen mit Gewalt auf Auswandererschiffe gebracht und nach Nordamerika oder Australien verschifft. Das Land fiel anschließend an wenige Schafzüchter aus dem schottischen Flachland oder aus England. Die Schafzucht wird noch heute teilweise als die „Geißel Schottlands“ bezeichnet.
Die Highland Clearances endeten mit dem Crofters’ Holdings (Scotland) Act 1886.[1]
Das Jahr der Schafe (Bliadhna nan Caorach)
Eine Welle der Massenauswanderung gab es im Jahr 1792, den gälischsprachigen Hochländern auch bekannt als Bliadhna nan Caorach (Das Jahr der Schafe). Gutsherren (englisch landlords) hatten Ländereien räumen lassen, um dort Schafzucht zu ermöglichen. 1792 trieben landlose Kleinpächter aus Strathrusdale rund 6000 Schafe aus Protest von diesen Ländereien um Ardross. Diese Aktion wird gewöhnlich als der „Ross-shire Schaf-Aufstand“ (Ross-shire Sheep Riot) bezeichnet, mit dem sich auch die höheren Regierungsstellen beschäftigten. Staatssekretär Henry Dundas ließ darauf Militär wie die Black Watch einsetzen. Es verhinderte weitere Aktionen und sorgte dafür, dass die Rädelsführer verurteilt wurden. Allerdings gelang diesen später die Flucht aus der Haft und sie verschwanden spurlos.[2]
Die vertriebenen Kleinbauern wurden entweder auf minderwertiges Land umgesiedelt oder ihnen wurden kleinere Bauernhöfe an der Küste zugewiesen, wo der Landbau die wachsende Bevölkerung allerdings nicht ernähren konnte. Von den Menschen wurde erwartet, dass sie sich dem Fischfang als neuer Erwerbsquelle zuwenden sollten. Im Dorf Badbea in Caithness waren die Wetterbedingungen dafür aber so erbärmlich, dass die Frauen während der Arbeit gezwungen waren, ihre Kinder und das Vieh an Felsen oder Pflöcke zu binden, damit sie nicht über die Klippen geweht wurden.[3] Andere Kleinbauern wurden direkt auf Auswandererschiffe verladen, die nach Amerika oder Australien segelten.
Wahrnehmung
Die Räumungen waren legal, galten aber schon damals als illegitim, da das Recht (wie schon zweihundert Jahre vorher in England) zugunsten der Landbesitzer verändert worden war, indem feudale Herrschaftsrechte in privaten Grundbesitz umgewandelt worden waren. Dennoch gab es wenig Gegenwehr seitens der vertriebenen Hochländer. Die zeitgenössische Presse zeigte zum größten Teil nur Verachtung für die „minderwertige Rasse“ der gälischsprachigen Hochländer, teilweise in Kombination mit verklärten romantischen Bildern der Highlands der Vergangenheit. Nur wenige bekundeten Interesse für die Problematik und Sympathie für die Betroffenen.[4] Das Trauma der Vertreibung verschmolz zunehmend mit dem schottischen Nationalgefühl und führte seit Ende des 19. Jahrhunderts zu erbitterten Kontroversen. Forderungen nach Entschädigung wurden laut; ebenso wie Vorwürfe an die Gutsherren, Völkermord begangen zu haben. Für Karl Marx waren die Räumungen der „letzte große Expropriationsprozeß“[5] im Rahmen der ursprünglichen Akkumulation.
Motive
Das vordringlichste Motiv der Gutsherren war es, den Ertrag ihrer Ländereien zu steigern. Im beginnenden Industriezeitalter stiegen die Preise für Wolle derart, dass die Pacht der Kleinbauern mit dem Ertrag der Schafzüchter nicht mehr mithalten konnte. Doch ist auch belegt, dass das Interesse der Nobilitäten an ungestörter Jagd auf Rotwild und an der Fischerei sowie die landschaftliche Schönheit der Highlands ein Motiv für viele Räumungen war.
Eine Bevölkerungsexplosion und ungewisse Ernteerträge verschärften die Situation; immer wieder brachen regional begrenzte Hungersnöte aus. Auch dadurch stiegen die Ausgaben der Gutsherren, die zur Versorgung von Verarmten (englisch paupers) auf ihrem Land verpflichtet waren. Landbesitzer, die auf die Räumungen verzichteten, gingen teilweise bankrott, was die Situation ihrer Pächter ebenfalls verschlechterte.
Auswirkungen
Zum Ende der Räumungen war das schottische Clanwesen zerstört und die gälische Sprache in Schottland weitgehend ausgestorben. Sie blieb lediglich auf den Hebriden sowie an der Westküste der Highlands (im Wesentlichen in Sutherland und in Ross-shire) erhalten. Die betroffenen Kleinbauern und Pächter wurden, soweit sie die Vertreibung überlebten, in die kargen Küstenregionen Schottlands, in die aufstrebenden britischen Industriestädte oder nach Nordamerika, vor allem nach Nova Scotia umgesiedelt. Cape Breton Island, wo allein 50.000 Schotten angesiedelt wurden, ist bis heute dadurch kulturell geprägt; hier wurde lange Zeit noch schottisches Gälisch gesprochen.
In manchen Regionen der Highlands lebt auch heute noch nur ein Zehntel der ursprünglichen Bevölkerung.
Bewertung und juristische Aufarbeitung
Die Wertung als „ethnische Säuberung“ ist nicht abwegig, da die gälischsprachigen Hochländer von den Gutsherren durchaus als „fremd“ wahrgenommen wurden. Belege für den Vorsatz, eine kulturelle Gemeinschaft zu zerstören, finden sich allerdings nicht.[6] Vielmehr sind die Umsiedlungen ein Zeugnis des europäischen Wandels von einer feudalen Agrar- zu einer kapitalistischen Industriegesellschaft. Für die Vorstellung, die Hochland-Clans hätten auf landwirtschaftlicher Basis ihren Lebensstandard halten und ihre Lebensart erhalten können, spricht wenig.[7] Das Leid der Vertriebenen wird dadurch freilich nicht gemildert.
Besonders grausam verliefen die Räumungen auf den umfangreichen Ländereien des Earl Gower und späteren Ersten Duke of Sutherland, der um den Preis der Vertreibung von 15.000 Einwohnern von fast 800.000 Acres, also etwa 3200 Quadratkilometer Land zum reichsten Briten des 19. Jahrhunderts wurde, wovon das für seinen Nachfolger prunkvoll ausgebaute Dunrobin Castle noch heute zeugt. Im Tal der River Naver, der historischen Region Strathnaver, ließ Earl Gowers Verwalter Patrick Sellar im Jahr 1814 zahlreiche Farmhäuser in verschiedenen Orten nicht nur durch seine Helfer abreißen, sondern auch anzünden, wodurch mehrere Familien zu Tode kamen. 1816 wurde er in Inverness des Mordes, der Brandstiftung und der unrechtmäßigen Zerstörung von fremdem Eigentum angeklagt. Zahlreiche Nobilitäten und Sheriffs bürgten für seinen Charakter und entwerteten dadurch die vorliegenden Zeugenaussagen, was zu seinem Freispruch führte. Unter seinem Nachfolger Francis Suther wiederholten sich 1819 ähnliche Vorfälle. Zur „Kompensation“ erhielten die Vertriebenen 6000 Acres schlechten Boden, also etwa 24 Quadratkilometer und damit nicht einmal ein Prozent der von ihnen früher (wenn auch extensiv) bewirtschafteten Fläche. Als Sellar starb, feierte die Presse ihn als Wohltäter. Erst 1883 wurde eine Kommission zur Untersuchung der Clearances in der Region eingerichtet. 1919 wurde schließlich konstatiert, dass man sie nicht hätte zulassen dürfen. Freilich waren zu dieser Zeit die Erträge aus der Schafzucht längst wieder gesunken.[8]
Ähnliche Umsiedlungen haben in England und auf dem Kontinent viel früher stattgefunden. Dass die Vorgänge in Schottland Resonanz in der zeitgenössischen Presse gefunden haben, mag auch daran liegen, dass sich gleichzeitig in der städtischen Gesellschaft Englands der moderne Rechtsstaat herausbildete.
Auf dem europäischen Festland war die Landbevölkerung gegen Vertreibungen derartigen Ausmaßes auch dadurch geschützt, dass entvölkerte Gebiete die Begehrlichkeit von Nachbarstaaten wecken konnten. Hier lockten die Landesherren eher Kolonisten mithilfe von Privilegien in verödete Grenzgebiete, etwa die Habsburger die Banater Schwaben in den Süden ihres Reiches.
Gegenwart
Heute bietet sich an vielen Orten ein Bild aus Steinruinen und Schafherden auf baumlosen Weiden. Besonders anschaulich sind die Reste der Siedlung von Badbea in Caithness: Dort haben vertriebene Hochlandbewohner noch ein paar Jahre lang direkt an der Steilküste versucht, ihr Leben zu fristen. In der Ferne sieht man eine Monumentalstatue des Herzogs von Sutherland, der sich bei der Vertreibung der Hochländer besonders hervorgetan hat. Die Auswirkungen der Clearances auf den Landbesitz in Schottland zeigen die von Whighman zusammengetragenen Zahlen: 1998 besaßen 66 Landbesitzer ein Viertel der Landfläche Schottlands, weiteren 1252 gehörten 66 Prozent des Landes.
Bericht
Der schottische Geologe Archibald Geikie beschreibt in seinen Erinnerungen Jahrzehnte später die Räumung von Suishnish auf Skye im Jahre 1854:
- „It was a miscellaneous gathering of at least three generations of crofters. There were old men and women, too feeble to walk, who were placed in carts; the younger members of the community on foot were carrying their bundles of clothes and household effects, while the children, with looks of alarm, walked alongside. […] When they set forth once more, a cry of grief went up to heaven, the long plaintive wail, like a funeral coronach, was resumed, and after the last emigrants had disappeared behind the hill, the sound seemed to re-echo through the whole wide valley of Strath in one prolonged note of desolation. The people were on their way to be shipped to Canada. I have often wandered since then over the solitary ground of Suishnish. Not a soul is to be seen there now, but the greener patches of field and the crumbling walls mark [a place] where an active and happy community once lived.“ (Zitiert nach Richards)
- „Es war eine bunt gemischte Ansammlung mindestens dreier Generationen von Kleinbauern. Da waren alte Männer und Frauen, zu schwach, um zu gehen, die in Karren gesetzt wurden, die jüngeren Mitglieder der Gemeinde zu Fuß trugen ihre Kleiderbündel und ihre Haushaltsgegenstände. Neben ihnen liefen Kinder mit ängstlichem Blick. […] Als sie sich wieder in Bewegung setzten, hallte ein Wehgeschrei zum Himmel empor, das lange wehklagende Jammern, wie das der Totenklage bei einer Beerdigung, und wurde weiterfortgeführt und als die letzten Vertriebenen hinter dem Hügel verschwanden, schien es, als würde das Echo im ganzen weiten Tal von Strath als Verzweiflungsschrei widerhallen. Die Menschen sollten nach Kanada verschifft werden! Ich bin seitdem oft über den verlassenen Boden Suishnishs gewandert. Nicht eine Seele ist dort noch zu sehen, außer den grüneren Stellen auf den Feldern und den eingestürzten Mauern, die auf einen [Ort] deuten, an dem einst eine lebendige und glückliche Gemeinschaft wohnte.“
(frei übersetzt)
Denkmäler
Am 23. Juli 2007 enthüllte der schottische erste Minister Alex Salmond eine drei Meter hohe Bronzestatue mit dem Titel Exiles in Helmsdale, Sutherland, die an die Menschen erinnert, die von Landbesitzern aus der Gegend vertrieben wurden und ihre Heimat zwangsweise verlassen mussten, um ein neues Leben in Übersee zu beginnen. Die Statue, die eine Familie zeigt, die ihr Zuhause verlässt, steht an der Mündung des Strath of Kildonan und wurde gesponsert von Dennis Macleod, einem schottisch-kanadischen Bergbaumillionär, welcher der Zeremonie ebenfalls beiwohnte.[9]
Eine identische Bronzestatue mit dem Titel Exiles steht am Ufer des Red River in Winnipeg, Manitoba, Kanada.[10]
Literatur
- Tom M. Devine: Clanship to Crofters’ War. The social transformation of the Scottish Highlands. Manchester University Press, Manchester u. a. 1994, ISBN 0-7190-3481-7.
- Tom M. Devine: The Scottish Clearances. A History of the Dispossessed, 1600–1900. Allen Lane, London 2018, ISBN 978-0-241-30410-5.
- Eric Richards: The Highland Clearances. People, Landlords and Rural Turmoil. Birlinn, Edinburgh 2000, ISBN 1-84158-040-6.
Weblinks
Einzelnachweise
- Derick S. Thomson (Hrsg.): The Companion to Gaelic Scotland. Blackwater, Oxford 1983, ISBN 0-631-12502-7, S. 237.
- John Prebble: The Highland Clearances. Penguin Books, London u. a. 1969, ISBN 0-14-002837-4, S. 60–61.
- James Campbell: Invisible Country. A Journey through Scotland. Weidenfeld and Nicolson, London 1984, ISBN 0-297-78371-8, S. 81.
- Krisztina Fenyő: Contempt, Sympathy and Romance. Lowland Perceptions of the Highlands and the Clearances During the Famine Years, 1845–1855. Tuckwell Press, East Linton 2000, ISBN 1-86232-089-6.
- Karl Marx: Das Kapital, Bd. I, Siebenter Abschnitt, 24. Kapitel, in: Marx-Engels-Werke, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1968, S. 756ff. (online)
- Eric Richards: The Highland Clearances. 2000, S. 312.
- Eric Richards: The Highland Clearances. 2000, S. 314 ff.
- J. G. Leith: The Man Who Went to Farr: Patrick Sellar and the Sutherland Experiment. Baseline Research, Aberdeen 2010, ISBN 978-0-9565985-0-9.
- Memorial statue marks clearances. BBC. Gelesen am 5. Oktober 2008.
- The Scotsman. 7. Juli 2007, Gelesen 5. Oktober 2008