Heinrich J. Dingeldein
Heinrich Jakob Dingeldein (* 9. Mai 1953 in Würzberg im Odenwald, heute Stadtteil von Michelstadt) ist ein deutscher Sprach- und Kulturwissenschaftler, der an der Philipps-Universität Marburg forschte und lehrte, sowie Honorarprofessor („profesor onorific“) und Doktorandenbetreuer („conducător de doctorat“) im Fach Philologie an der Lucian-Blaga-Universität Sibiu/Hermannstadt in Rumänien.
Studium und Examina
Nach der Reifeprüfung 1971 am Gymnasium Michelstadt studierte Dingeldein an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Philipps-Universität Marburg die Fächer Deutsche Sprache und Literatur, Politikwissenschaft, Pädagogik, Evangelische Theologie und Europäische Ethnologie. Er legte 1977 das Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien ab. Nach einem Magisterexamen in Linguistik 1987 in San Marino wurde er 1990 in Marburg zum Dr. phil. promoviert. 1997 habilitierte er sich an der Marburger Universität im Fach Germanistische Sprachwissenschaft; im gleichen Jahr erfolgte die Ernennung zum Privatdozenten, im Jahr 2003 die zum außerplanmäßigen Professor im Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaften.
Berufliche Laufbahn
Dingeldein arbeitete ab 1977 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am heutigen Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas der Marburger Universität in der von Hans Friebertshäuser geleiteten Arbeitsstelle des Hessen-Nassauischen Wörterbuchs. 1994 wurde ihm die Leitung der Arbeitsstelle Sprache in Hessen und Hessen-Nassauisches Wörterbuch übertragen. Im Herbstsemester 1992 war er Gastprofessor an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest.
Nachdem Dingeldein seit 1994 Blockseminare im Fach Germanistische Sprachwissenschaften in Sibiu/Hermannstadt abgehalten hatte und in Zusammenarbeit mit rumänischen Kollegen und weiteren Lehrenden der Marburger Universität einen Master-Studiengang an der Lucian-Blaga-Universität einrichten konnte, ernannte ihn diese 1997 zum Honorarprofessor für Germanistische Linguistik; 2007 erfolgte die Ernennung zum vollberechtigten Doktorandenbetreuer im Fach Philologie durch den rumänischen Unterrichtsminister.[1]
Im Jahr 1998 übernahm Dingeldein die Leitung des 1896 von Eduard Koschwitz begründeten Internationalen Sommerkurses der Philipps-Universität, aus dem er die jetzige Internationale Sommeruniversität (ISU) entwickelte; dieser stand er von 1999 bis 2009 als wissenschaftlicher Leiter vor.
Zwischen 2000 und 2003 gehörte er als Vizepräsident für Studium und Lehre dem Präsidium der Philipps-Universität Marburg an.[2]
Krankheitsbedingt ist Dingeldein im Jahr 2016 vorzeitig in den Ruhestand getreten.
Ehrenämter
Dingeldein war Prüfer für das Staatsexamen im Fach Deutsch am Wissenschaftlichen Prüfungsamt für das Lehramt an Gymnasien in Marburg. Er ist ordentliches Mitglied der Hessischen Akademie für Forschung und Planung im ländlichen Raum; von 2003 bis 2008 war er deren Erster stellvertretender Vorsitzender. Von 1988 bis 2007 arbeitete er ehrenamtlich als assoziierter Dozent bzw. Professor bei der Internationalen Akademie der Wissenschaften (AIS) San Marino und gab Kurse in deren Unterrichtsprogramm.[3] Er ist bzw. war Mitglied der Wissenschaftlichen Beiräte des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen und des Niedersächsischen Wörterbuchs in Göttingen sowie des Gesamtvorstandes der Gesellschaft für deutsche Sprache. Außerdem wurde er als Fachgutachter in die Rumänische Agentur für Qualitätssicherung in der Höheren Bildung ARACIS[4] und in die Auswahlkommission des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD)[5] berufen.
Wissenschaftliche Schwerpunkte
Der Arbeitsschwerpunkte Dingeldeins liegen in der empirischen Erforschung der gesprochenen Sprache, insbesondere der Dialekte und Nonstandardvarietäten in Hessen, der Beschäftigung mit der Lexikologie und Lexikographie und der Beschreibung der Rolle und Struktur des Deutschen als Verkehrs- und Minderheitensprache, besonders in Südosteuropa. In Zusammenarbeit mit Kollegen des benachbarten Fachgebiets versuchte er vor allem auch in der Lehre, Fragestellungen der Sprachwissenschaft und der Kulturanthropologie bzw. Europäischen Ethnologie zu verknüpfen. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus seinen Arbeitsfeldern vermittelt er regelmäßig in Beiträgen zu Programmen des Hessischen Rundfunks und anderer Medien.[6][7][8]
Dingeldein spricht neben Deutsch (auch in der Ausprägung eines rheinfränkischen Dialekts) als Fremdsprachen Englisch, Französisch, Rumänisch, Afrikaans und Esperanto; er liest und korrespondiert in Jiddisch, außerdem übersetzt er aus den „alten Sprachen“ Latein, Griechisch und Hebräisch.
Publikationen (in Auswahl)
- Hessen-Nassauisches Volkswörterbuch. Aus den für ein Hessen-Nassauisches Wörterbuch von F. Wrede angelegten und verwalteten Sammlungen. Begonnen v. Luise Berthold, fortgesetzt von Hans Friebertshäuser und Heinrich J. Dingeldein. Elwert, Marburg 1927 ff. (Digitaler Zugang über LAGIS)
- Materialien zur Volkskultur. [Hrsg. zus. mit Rosemarie Schanze]. Schmitz, Gießen 1982/83 (Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung 14/15).
- Wortgeographie der städtischen Alltagssprache in Hessen. [Zus. mit Hans Friebertshäuser]. Francke, Tübingen 1988 (Hessische Sprachatlanten. Kleine Reihe 1).
- Fremdsein. Minderheiten und Gruppen in Hessen. [Hrsg. zus. mit Andreas C. Bimmer]. Jonas, Marburg 1988 (Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung 23).
- Hessischer Dialektzensus. Statistischer Atlas zum Sprachgebrauch. [Zus. mit Hans Friebertshäuser]. Francke, Tübingen 1989 (Hessische Sprachatlanten. Kleine Reihe 3).
- Studien zur Wortgeographie der städtischen Alltagssprache in Hessen. Areale, stratische und diachron-kontrastive Analysen. Francke, Tübingen 1991 (Hessische Sprachatlanten. Kleine Reihe 2).
- Die deutsche Sprache und ihre Erscheinungsformen in Rumänien. Historische Grundlegung und aktuelle Entwicklungstendenzen. In: Sprachinselwelten – The World of Language Islands. Entwicklung und Beschreibung der deutschen Sprachinseln am Anfang des 21. Jahrhunderts. Hrsg. v. Nina Berend und Elisabeth Knipf-Komlósi. Lang, Frankfurt am Main 2006 (VarioLingua 27), S. 57–75.
- Fester Grund oder verlorenes Terrain? Zur Rolle der deutschen Sprache im mittleren und südöstlichen Europa. In: Deutsch im interkulturellen Begegnungsraum Ostmitteleuropa. Hrsg. v. Ernest W. B. Hess-Lüttich, Anita Czeglédy, Ulrich Langanke. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2010 (Cross Cultural Communication 19 = Publikationen der GiG 14), S. 63–79.
- Wortatlas zur Alltagssprache der ländlichen Räume Hessens. [Unter Mitarb. v. Christoph Hallerstede, Michael Kusch, Marisé Vidal]. Francke, Tübingen 2010 (Hessische Sprachatlanten. Kleine Reihe 4).
- Ungarndeutscher Sprachatlas (UDSA). Südungarn. Erster Halbband. Hrsg. v. Koloman Brenner, Maria Erb, Karl Manherz in Zusammenarb. mit Heinrich J. Dingeldein. ELTE, Budapest 2008. – Zweiter Halbband. Hrsg. v. Maria Erb in Zusammenarb. mit Heinrich J. Dingeldein. ELTE, Budapest 2012. – Register. Bearb. v. Heinrich J. Dingeldein, Maria Erb, Bernadett Unger. ELTE, Budapest 2013.
- Gräflich-Erbacher Familienzweige „zur linken Hand“. Illegitime Kinder und morganatische Ehen im Grafenhaus Erbach bis zum Ende der Monarchie. Gendi-Verlag, Otzberg 2020, ISBN 978-3-946295-19-8.
Ehrungen
- Promotionspreis der Philipps-Universität Marburg 1992
- Schmeller-Preis der Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft 1994[9]
- Diplom für außerordentliche akademische Leistungen der Lucian-Blaga-Universität Sibiu/Hermannstadt 1999
- Lucian-Blaga-Medaille in Silber der Lucian-Blaga-Universität Sibiu/Hermannstadt 2005
- Festakt zum 60. Geburtstag am Germanistischen Institut der Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) Budapest am 24. Mai 2013[10]
Gesellschaftliches Engagement
Dingeldein war mehrere Jahre Vorsitzender des Stadtverbands Marburg und des Kreisverbands Marburg-Biedenkopf sowie Mitglied des Bezirksvorstands Mittelhessen der FDP. Im Jahr 2005 bewarb er sich als Direktkandidat im Bundestagswahlkreis Marburg um ein Mandat, 2009 war er Direktkandidat im Wahlkreis Marburg-Biedenkopf II für den Hessischen Landtag (8,6 % Erststimmen). Von 2006 bis 2011 war er Stadtverordneter in Marburg und Kreistagsabgeordneter des Landkreises Marburg-Biedenkopf. 2015 wurde ihm „für besondere Verdienste“ die Theodor-Heuss-Plakette verliehen. – Er ist Mitglied im Bund der Freimaurer.[11]
Literatur
- Wer ist wer? Das deutsche Who’s Who. 48. Ausg., Lübeck: Schmidt-Römhildt 2009/2010.
- Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender. Band 1, Berlin: de Gruyter 2007.
- Wilfried Kürschner: Linguisten-Handbuch. Band 1, Tübingen: Narr 1997, S. 165.
- Siegfried Becker: Heinrich J. Dingeldein 60 Jahre. In: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, Neue Folge 49 (2013), S. 188–190.
Einzelnachweise
- Liste der Promotionen an der Lucian-Blaga-Universität (abgerufen am 23. Januar 2018)
- Leitung der Philipps-Universität (abgerufen am 29. August 2018)
- Internacia Sciencista Dokumentaro 2004–2007. 5-a eldodno. Red.: Reinhard Fössmeier, Liana I. Tuhvatullina, München 2005, p. 60. ― Kursverzeichnis der AIS
- Eintrag in der Evaluatorenliste der ARACIS
- DAAD-Jahresbericht 2008, S. 247. – Vom Vorstand berufene Mitglieder der Auswahlkommissionen des DAAD im Jahr 2016 (PDF; 323 kB)
- Beiträge im Programm hr2-kultur
- Beiträge im Programm hr4
- Beitrag Das aktuelle Kulturgespräch zum Kulturcafé des hr-2 kultur (Podcast)
- Preisträger des Schmeller-Preises
- Maria Wolfart-Stang: Ein Hesse bei den Schwaben in Ungarn. Festakt für Professor Heinrich J. Dingeldein an der ELTE. In: Neue Zeitung (Budapest) 57. Jg., Nr. 23, 7. Juni 2013
- Bericht über die Festansprache Dingeldeins zum 50-jährigen Bestehen der Freimaurerloge Jacob de Molay zum flammenden Stern in Marburg (Oberhessische Presse, 146. Jahrgang Nr. 241 vom 14. Oktober 2012)