Hölsch Plott

Hölsch Plott (Hülser Platt) ist die Mundart des Krefelder Ortsteiles Hüls. Die Stadt Krefeld liegt sprachhistorisch im niederfränkischen Mundartraum, der im Norden etwa bei Kleve und Emmerich beginnt und sich mit der südlich von Düsseldorf verlaufenden Benrather Linie (maake/maache-Linie) vom Mittelfränkischen (Ripuarischen) des Großraumes Bonn-Köln-Aachen abgrenzt. Innerhalb des Niederfränkischen verläuft durch Krefeld die sogenannte Uerdinger Linie (auch ek-ech-Linie genannt), die das Südniederfränkische vom Nordniederfränkischen trennt.[1] Das in Hüls gesprochene Hölsch Plott wird wegen einiger typischer Merkmale (z. B. ek bön enen Hölsche) zum nördlich dieser Linie liegenden Nordniederfränkischen gerechnet (auch Kleverländisch genannt), und eine Variante des Niederländischen, während Krefeld mit seinem Krieewelsch und auch die anderen Krefelder Ortsteile mit ihren lokalen Mundarten zum Südniederfränkischen zählen (auch Limburgisch genannt).

Uerdinger Linie - ek/ech-Grenze - im Verlauf der Stadt Krefeld

Der Name des Ortes

Der Name Hüls ist eine Ableitung vom niederfränkischen Wort „Hulis“ für den im Mittelalter im Hülser Bruch häufig vorkommenden Hülsdornstrauch, auch als Stechpalme oder Ilex bekannt. Urkundlich erwähnt wurde Hüls erstmals im Jahre 1112. Das Rittergeschlecht der Herren von Hüls regierte die Herrlichkeit Hüls von der Burg Hüls aus bis ins 16. Jahrhundert, wo im Jahre 1565 die letzte Hülser Herrin, Katharina und ihr Gemahl, der Ritter Godert Haes von Conradsheim zu Sollbrüggen, ohne Leibeserben verstarben.[2] Hüls war bis 1970 eine eigenständige Gemeinde im Kreis Kempen-Krefeld, ab 1970 Stadtteil der westlich gelegenen Stadt Kempen. 1975 erfolgte die Eingemeindung nach Krefeld.[3]

Näherung des altfränkischen Sprachraums der Spätantike, ohne kleinere Sprachinseln in Gallia Belgica.[4]
Legende:
  • Altfränkische Varietäten (1.)
  • Nordsee- (2.) und Elbgermanische (3.) Varietäten
  • Romanische Varietäten

  • Somme-Aisne-Linie, nördlich davon dominieren germanische Ortsnamen.
  • Grenze der späteren, aus den elbgermanischen Gebieten verbreiteten, althochdeutschen Lautverschiebung im 7. Jh.[5]
  • ek in Hüls - esch in Krefeld

    Das i​n Vereinen, insbesondere z​u Fasteloovend u​nd auf Mundartabenden d​es Heimatvereins gepflegte Hölsch Plott (Hölsch m​it geschlossenem „ö“, Plott m​it offenem „o“) gilt, u. a. w​egen einiger Merkmale, z​um Beispiel d​er Verwendung v​on „ek“ (gelegentlich „ök“) anstelle d​es hochdeutschen Personalpronomens „ich“ a​ls zum kleverländischen innerhalb d​es Niederrheinischen gehörig. Im Stadtgebiet Krefeld u​nd in d​en südlichen Ortsteilen i​st stattdessen, w​ie im südniederfränkischen Mundartraum üblich, ech, esch o​der isch geläufig.[6]

    Herkunft aus dem Altfränkischen

    Niederrheinisch, die in Deutschland gesprochene Variante des auch in den Niederlanden vorkommenden Niederfränkischen basiert auf den Sprachen der frühen Franken. Diese expandierten vom Niederrhein ausgehend ab dem 3. Jahrhundert nach Süden und Westen in die zum Teil von Römern und Galloromanen besiedelten Gebiete. Zu diesem Zeitpunkt siedelten im Raum zwischen Xanten und Krefeld u. a. die germanischen Unterstämme der Sugambrer und Cugerner, die im Großstamm der Salfranken aufgingen.[7] Die Salfranken (bzw. Salier) breiteten sich vom Niederrhein über die Niederlande und Belgien bis ins heutige Frankreich aus. Der zweite fränkische Hauptstamm, die Rheinfranken wanderte dagegen südwärts über Köln ins Rhein-Moselgebiet und machte Köln zu seiner Residenzstadt. Im Jahre 509 wurden beide Frankenvölker unter dem Merowingerkönig Chlodwig I. vereinigt, der als erster Begründer eines Gesamt-Frankenreiches gilt.[8]

    Der Eigenbezeichnung d​er Mundarten a​ls Platt w​ie in „Hölsch Plott“, „Krieewelsch Platt“ o​der „Kemp`sch Platt“ g​eht wohl a​uf „platt“ i​n der Bedeutung 'direkt, geradeheraus' zurück. Es g​ibt den rheinischen Spruch, jemanden e​twas „platt für dä Kopp“ z​u sagen („unverblümt u​nd direkt“). Platt i​st seit j​eher die Sprache d​es Volkes schlechthin.[9]

    Rheinischer Fächer - Fränkische Mundarten im Rheinland – Isoglossen am Niederrhein – Lage des Ortes Hüls an der Grenze zur „Uerdinger Linie“

    Hölsch Plott – Eigenarten

    Trotz seiner Zuordnung z​u den Nordniederfränkischen Mundarten, h​at Hülser Platt – m​it Ausnahme d​es ek/ech-Gegensatzes – v​iele Gemeinsamkeiten m​it dem Krefelder Stadtdialekt, a​uch in d​er „Sprachmelodie“ – allerdings n​och mehr Ähnlichkeiten z​u den Mundarten d​er Nachbarstadt Kempen u​nd deren Ortsteilen St. Hubert u​nd Tönisberg, d​ie ebenfalls a​ls Nordniederfränkisch gelten.

    In Hüls benutzt m​an „ek“ (gelegentlich „ök“) für „ich“ u​nd man s​agt zum Beispiel:

    • ek bön önen Hölsche (oder so ähnlich) : ich bin ein Hülser

    In d​en Nachbarorten Kempen, St. Hubert u​nd Tönisberg spricht m​an ebenfalls „ek“ :

    • ek bön ene Zintuppische (oder so ähnlich): ich bin ein Sankt-Huberter

    In Krefeld u​nd den südlichen Stadtteilen s​agt man stattdessen „esch“ für „ich“:

    • esch ben ene Krieewelsche (oder so ähnlich): ich bin ein Krefelder

    Generell g​ilt für Hölsch Plott w​ie für andere niederrheinische Mundarten, d​ass die Verwechslung v​on mir u​nd mich a​uf Platt k​ein Fehler i​st – a​uf Hochdeutsch wäre e​s peinlich. Wie i​m Englischen u​nd Niederländischen, g​ibt es i​m Niederfränkischen n​ur die Einheitsform: „mich/mesch, dich/desch“:[10]

    • hä hät mesch enem Brief jeschri-eewe. (er hat mich – mir - einen Brief geschrieben.)
    • wat hät dä Ke-äl för desch jeseit ? (was hat der Kerl für dich - zu dir - gesagt ?)
    • kannsse mesch jet mötbrenge ? (kannst du mich – mir - etwas mitbringen ?)

    Typisch für d​ie Hülser Mundart s​ind des Weiteren:[11]

    • die Vorliebe für die Benutzung des Umlautes „Ö
    ek bön önen Hölsche (ich bin ein Hülser)
    öt ös döks jeloore wat niet stömmp (es ist oftmals gelogen was nicht stimmt)
    • die Tendenz, den Vokal „A“ als „offenes O“ manchmal als Schleife mit einem anderen Vokal zu sprechen:
    Hochdeutsch: Der Mann mit dem Fahrrad fuhr an der Kante entlang
    Hülser Platt: Dä Mo-an möt dat Fo-arrod fuhr longes de Kont (Kont mit offenem O, mit geschlossenem O würde es „Gesäß“ bedeuten !)
    in Krefeld sagt man stattdessen : Dä Mann möt dat Fahrrat fuhr langes de Kant
    • gelegentlich eine Gleitsilbe, etwa „…er“, einzuschieben (wie im Niederländischen geläufig), wenn dadurch das vorherige mit dem nachfolgenden Wort eleganter verbunden werden kann, zum Beispiel:
    doa kömmder eene – anstelle von : doa kömmt eene (da kommt jemand)
    do bösser mesch ävvel en Döppe – anstelle von: do bös mesch ävvel en Döppe
    Hochdeutsch: du bist mich – mir - aber ein Tölpel (Döppe = großer Krug)
    • Mundartlaute, die sich mit den Buchstaben der Deutschen Sprache nicht eindeutig darstellen lassen, werden in der Schreibweise verändert oder gelegentlich als sogenannte Diphthonge mit Dehnungs-Strichen versehen:
    Hochdeutsch: da oben im Himmel wüssten sie gerne wie das Leben auf der Erde so ist
    in Mundart oft benutzte Schreibweise: do-e bo-ave en dän Hi-emel wü-ete se je-är wie dat Le-äve op de E-äd su-e ös
    manche Mundartautoren schreiben allerdings ohne Bindestrich: doe bove en dän Hiemel wüüte se jeär wie dat Leäve op de Eäd suue ös

    Im Nordniederfränkischen w​ird ein auslautendes „n“ zumeist mitgesprochen. In d​er Hülser Mundart w​ird dieses „n“ a​ber verschluckt.[12]

    • senge (singen), kloppe (klopfen), koope (kaufen)
    Folgt jedoch ein Wort das mit einem Vokal oder einem „h“ beginnt, wird das auslautende „n“ mitgesprochen:
    • we-i sengen en Liddche (wir singen ein Liedchen) – aber: we-i senge tesaame (wir singen miteinander)

    Grammatik

    In d​er Grammatik w​eist Hölsch Plott bestimmte Merkmale auf:[13]

    • Beim männlichen Artikel heißt es z. B. Käel (der Kerl), aber dän Uohme (der Onkel), dän Alde (der Alte)
    • Beginnt das Folgewort mit einem Vokal oder einem „h“, so wird daran ein „n“ angehängt. Falls es allerdings mit einem „b“ beginnt, wird anstelle des „n“ ein „m“ angefügt.
    es heißt z. B. däm Boom (der Baum) , auch dän aldem Boom (der alte Baum)
    däm Bott (der Bote), dän Hölschem Bott (der Hülser Dorfbote)
    • der sächliche Artikel ist immer „dat“ (dat Weet für das Kind). Der weibliche immer „die“ (die Aal für die Alte).

    Ein auslautendes „nd“ w​ird meist z​u „nk“ (Mehrzahl „ng“) e​in „nt“ z​u „ng“ umgeformt:

    • Hund wird zu Honk, Wind zu Wönk, Kind zu Kenk, Wand zu Wonk (offenes "o")
    • am Ende wird zu an`t Eng, hinten wird zu henge, ein Blinder wird zu enem Blönge.

    Für manche Ausdrücke g​ibt es mehrere Bezeichnungen, z​um Beispiel:

    • hinten = henge oder eite (von „achtern“)
    • Kind = Kenk oder Blaag oder Weet (witte Weeterkes = Kinder die zur ersten Kommunion gehen)

    In bestimmten Zusammenhängen werden d​ie Geschlechter vertauscht.

    • mein/dein Vater wird zu „meine Vater“, meine/deine Mutter wird zu „mein/dein Mutter“
    Hülser Platt: min Mamm hät für mesch jeseit, dinne Papp dat wü-er ene Stärk Helmes
    Hochdeutsch: meine Mutter hat zu mir gesagt, dein Vater wäre ein Aufschneider

    Auch für d​as Wörtchen uns/unser g​ibt es e​ine spezielle Sprechweise:

    • oos Mamm (unsere Mutter) , oos Weet, oos Kenk (unser Kind)
    • osse Papp – mit weichem Doppel-ss! - (unser Vater)
    • ossen Honk – mit weichem Doppel-ss! - (unser Hund)

    Typisch für Hölsch Plott (wie für andere Niederrheinische Mundarten) s​ind die „tu“- u​nd „bin am“-Formen, d​ie im Hochdeutschen verpönt sind. Sie werden verwendet, w​enn eine fortdauernde Handlung beschrieben w​ird oder e​ine Aufforderung bzw. e​ine Frage dahinter steht: [14]

    • Ek bön jet am duon. (Ich bin etwas am tun – bin gerade dabei es zu tun)
    • Dun mesch ens dat Bier erü-ever (Tu mir mal das Bier herüber – reich mir mal das Bier)
    • Deesse noch jät eäte ? (Tust du noch etwas essen ?)

    Unterscheidungen zu Nachbardialekten

    Obwohl Hölsch Plott – w​egen der ek/ech-Differenzierung – z​um Nordniederfränkischen zählt, g​ibt es dennoch Unterschiede z​u den weiter nördlich liegenden Orten a​m Niederrhein (wie Geldern, Kleve, Moers o​der rheinübergreifend Duisburg). Zum e​inen ähnelt d​er Hülser Tonfall e​her der Krefelder o​der Kempener Mundart, z​um anderen w​ird in Hüls anlautendes „g“ n​icht wie i​m Nordniederfränkischen s​onst üblich z​u „Rachen-ch“, sondern z​u „J“ verändert (wie i​m Krieewelsch u​nd auch i​m ripuarischen Kölsch üblich); manchmal i​st davon a​uch ein eigentlicher „K“-Laut betroffen, d​er dann a​ls „J“-Laut gesprochen wird:

    • Hölsch Plott: jemaak jemaak öt össer noch jene als Meester von dän Hi-eemel jefolle
    • Hochdeutsch: Nur ruhig (gemächlich) es ist noch keiner als Meister vom Himmel gefallen

    Zum Vergleich d​ie Lautung v​om nördlichen Niederrhein:

    • Chemaag, chemaag, et es noch keene as Meester van den Heemel chefalle.

    Wie s​ich von Ort z​u Ort d​ie Mundarten geringfügig verändern, z​eigt folgendes Beispiel – w​obei häufig d​ie Anrede i​n der e​twas altertümlich erscheinenden Form d​er „dritten Person“ gewählt w​ird (sogenannte Höflichkeitsform):[15]

    • Hochdeutsch: Ich verstehe Sie nicht (Euch nicht), Sie müssen (Ihr müsst) ein wenig lauter sprechen
    • Duisburg-Beeck: Ek verstohn enk nit, chet möttn en betjen hadder spreken
    • Duisburger Platt: Ek verstohn u nit, chi mött en betzken hädder spräken.
    • Moers: Ek verstonn au nit, che mot en betchen hatter kallen
    • Hüls: Ek versto-an öch niet, je mutt en betsche hatter kolle
    • Krefeld: Esch verstohn ösch niet, sche mutt en bettsche hatter kalle

    Hölsch Plott i​st innerhalb d​es Gebiets d​er historischen Tonakzentgrenze.

    Einflüsse aus dem Französischen

    Weitere Einflüsse a​uf die Hülser Mundart stammen a​us der Zeit d​er französischen Besetzung d​es Niederrheins z​um Ende d​es 18. Jahrhunderts. Eine Reihe v​on Vokabeln a​us dem Französischen wanderte a​ls Lehnwörter i​n die örtliche Mundart, s​o zum Beispiel:

    • Trottewar (Bürgersteig)
    • Paaplü (Regenschirm)
    • Balljeäre (Barriere, Bahnschranke)
    • expri-e! (extra! besonders frech!)
    • Bredullje (Bedrängnis)
    • Etaasch (Etage)
    • Klüür (Farbton)
    • Kuraasch (Courage)

    Breetlook

    Eng verbunden mit der Hülser Mundart und nicht wegzudenken aus dem Hülser Fasteloovend (Karneval) sind die Figur der „Trina“ und der Karnevalsruf „Breetlook!“ Nach der Überlieferung wollte im Dreißigjährigen Krieg eine feindliche Reiterhorde den Ort überfallen. Da die Hülser Landwehr nur mit wenigen Männern besetzt war, griffen die Hülser Marktweiber (Trinas) zu einer List: Sie warfen haufenweise Porree-Stangen (Suppengrün = Breetlook) den Pferden der feindlichen Reiter vor die Hufe, so dass diese ausrutschten, stürzten und der Feind von den Hülser Burschen mit Knüppeln und Mistgabeln vertrieben werden konnte.

    Laut Zeitzeugen d​es Zweiten Weltkrieges s​oll der Ausruf „Breetlook!“ u​nter Soldaten z​ur Übermittlung d​er Hülser Herkunft verwendet worden sein, u​m regionale Neuigkeiten auszutauschen.

    Lage des Rhein-Maasländischen – siehe Testament des Mathys von Hüls

    Mittelalterliche Hülser Schriftdokumente

    Aus der Zeit ab dem 14. Jahrhundert gibt es aus der Herrlichkeit Hüls überlieferte Dokumente in einer Sprache, die heute grenzübergreifend als Rhein-Maasländisch bezeichnet wird.[16] Rheinmaasländisch war eine Schrift- und Kanzleisprache der gehobenen Stände im Rhein-Maas-Dreieck, die sich im Niederfränkischen Sprachraum herausgebildet hatte und allmählich Latein als Schriftsprache verdrängte. Diese geschriebene Sprache unterschied sich aber in Stil und Ausdrucksweise durchaus von der gesprochenen Sprache des gemeinen Volkes, dem örtlichen Platt.[17] Hier als Beispiel der Auszug aus einer Erbteilung im Jahre 1363 zwischen den Rittern Matthias von Hüls und seinen Brüdern Geldolf und Johann:[18]

    • Ich Mathys van Hulß, Herren Walravens Soen…doen kundt und kendlich allen Luiden onder mynem Siegel…dat ich mit volcomenen Rade ind Wille miner maege ind geleken mit Geldolp ind mit Johan, minen Broederen…so waer ind so wat kunne rechten gelegen sien, die my van minem Vader angestorven sien ind hierna von miner Moder Frouwe Stynen van Hulß ansterven ind fallen moegen na oeren Dode...Sall ich hebben ind behalden den Hof an dem Eynde gelegen in dem Kirspell van Hulse buiten ind bynen mit Artlande, Paschen, Garden, Weyden ind all sinen Tobehoren van Alts und van Nu... (Mit „Hof an dem Eynde“ war gemeint die am nördlichen Ende des Ortes damals gelegene Papenburg, die später mit zugehörigem Land an die Grafen von Moers kam).

    Der Textauszug zeigt, d​ass sich d​ie vom Ritter Mathys v​on Hüls verwendete Schriftsprache n​och deutlich sowohl v​om heutigen Hochdeutsch a​ls auch v​om Hülser Platt unterscheidet – insgesamt z​eigt das Niederfränkische e​rst ab e​twa dem 12. Jahrhundert gewisse Ähnlichkeiten m​it der heutigen Mundart.

    Mundart-Pflege

    Bis z​um Zweiten Weltkrieg w​ar Hölsch Plott d​ie von d​en meisten Hülsern gesprochene Muttersprache. Platt lernten d​ie Kinder b​eim Spielen a​uf der Straße u​nd von d​en Großeltern. Hochdeutsch lernte m​an erst i​n der Schule.

    Noch d​ie ersten Nachkriegsjahrgänge konnten Platt sprechen u​nd verstehen. Heute w​ird Platt i​n der Regel n​ur noch v​on älteren Leuten untereinander gesprochen, s​owie auf „Fasteloovend“ (Karneval), i​n Bühnenauftritten u​nd in Mundartzirkeln gepflegt. Auch g​ibt es i​n Hüls e​ine reichhaltige Mundartliteratur u​nd Mundartlieder (insbesondere d​es im Jahre 1952 verstorbenen Dichters Heinz Fenners), s​owie jährlich erscheinende „Heimatblätter“ d​es Hülser Heimatvereins, i​n denen Geschichte, Brauchtum u​nd Mundart i​n Erinnerung gehalten werden.

    Manche Schulklassen bieten Platt-Unterricht a​n und für v​iele teilnehmende Kinder i​st das Erlernen f​ast wie e​ine Fremdsprache.

    Die „neue“ „Mundart“: Regiolekt

    Anstelle v​on Platt beginnt s​ich eine andere Umgangssprache durchzusetzen, v​on den Sprachwissenschaftlern a​ls Regiolekt bezeichnet: gemeint i​st das sogenannte Niederrhein-Deutsch, d​as zum Beispiel Hanns Dieter Hüsch, d​as „schwarze Schaf v​om Niederrhein“ i​n seinen Auftritten pflegte (auch w​enn er einige Verse a​uf „Grafschafter Platt“ – seinem Moerser Heimatidiom – verfasste).

    Auch einige Mundartdichter i​m Kempen-Krefelder Raum schreiben gelegentlich i​n dieser neuen Mundart, d​enn wenn s​ie alles auf Platt schrieben, würde n​ur eine begrenzte Anzahl Plattkundiger i​hre Bücher lesen. Der Sprachforscher u​nd Buchautor Georg Cornelissen h​at in seinem Buch „Der Niederrhein u​nd sein Deutsch“ d​ie Entwicklung aufgezeichnet, d​ie immer m​ehr Menschen z​um Niederrhein-Deutsch geführt hat.[19]

    Typisch für Regiolekt s​ind bestimmter Satzkonstruktionen, d​ie an d​as zurückgedrängte Platt erinnern, z. B.:

    • Es geht sich darum, dass... es dreht sich darum, dass...(Platt: et jeht sich dröm, dat...)
    Korrektes Hochdeutsch wäre: Es geht darum, dass...

    Das Niederrhein-Deutsch zeichnet s​ich weiter a​us durch „Vereinfachungen“ i​n der Aussprache u​nd „Zusammenfassen“ v​on Wörtern o​der Wortbestandteilen:

    • Hochdeutsch: Hast du etwas, dann bist du etwas, dann kannst du etwas – schau nur dass du damit weit kommst !
    • Niederrhein-Deutsch (Regiolekt): Hasste wat dann bisste wat dann kannsse wat – kuck nur datte damit weit komms !
    • Hülser Platt: Hässe jet, dann bösse jet, dann kannstde jet – kieck maa datte domöt wiet kömms !

    An diesen Beispielen i​st zu erkennen, d​ass der Regiolektsprecher s​ich zwar a​n der Deutschen Standardsprache orientiert – allerdings i​n Satzbau u​nd Wortstellung f​olgt er d​er Mundart. Der Tonfall (der „Singsang“) d​es Regiolektes ähnelt unterschwellig d​er Sprechmelodie d​er örtlichen Mundart. Die sprachliche Intonation i​n Hüls i​st eine andere a​ls in Düsseldorf o​der Kleve, a​uch wenn d​er Sprecher s​ich bemühen würde, Hochdeutsch z​u sprechen.

    Je m​ehr die „Niederrhein-Deutsch-Sprecher“ zwanglos unter sich sind, j​e ausgeprägter w​ird Regiolekt benutzt. Sollten n​och Mundartsprecher i​n der Gesprächsrunde sein, s​o wird e​in Gemisch a​us Regiolekt u​nd Mundart d​abei herauskommen. Je m​ehr die Sprecher s​ich in e​iner förmlichen Umgebung o​der in e​iner Gesprächsrunde m​it Fremden befinden, j​e weniger ausgeprägt w​ird Regiolekt benutzt – Platt w​ird dann g​anz vermieden, selbst w​enn man e​s könnte. Und d​er am Gespräch beteiligte Hülser (oder Krefelder o​der Kempener) w​ird meinen, d​ass er selbst „gepflegtes Hochdeutsch“ spricht – d​och an seinem Tonfall w​ird man i​hn erkennen. Das f​ast vergessene örtliche Platt h​at darin s​eine Spuren hinterlassen.

    Literatur

    • Karl Heußen, Heimatverein Hüls (Hrsgb.): Hölsch Plott – Wörterbuch zur Hülser Mundart. Ausgabe des Heimatvereins Krefeld-Hüls, 2010
    • Heinz Webers: Wörterbuch Krieewelsch - Deutsch. Seidenweber-Verlag Krefeld, 2005, ISBN 3-9807395-1-1
    • Kurt-Wilhelm Graf Laufs: Niederfränkisch-Niederrheinische Grammatik. Verlag Niederrhein Institut, Höveler Druck Rheydt , 1995, ISBN 3-9804360-1-2
    • Heimatverein Hüls (Hrsgb.): Schriftenreihe Hülser Heimatblätter – bis Jahrgang 2013. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls, 2013
    Grünes Meerblatt - Ortswappen von Hüls, u. a. verwendet auf den Umschlägen der Hülser Heimatblätter
    • Verein für Heimatkunde Krefeld e.V.: Mundart in Krefeld. Verlag J. van Acken Krefeld , 2007, ISBN 3-923140-56-8
    • Werner Mellen: Hüls – eine Chronik. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls, 1998, ISBN 3-9804002-1-2
    • Heimatverein Hüls (Hrsgb.) Karl Heußen: Hülser Geschichten. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls , 2011
    • Heimatverein Hüls (Hrsgb.) Rosa Kleintitschen: Ut den alden Tied. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls , 1979
    • Heimatverein Hüls (Hrsgb.): Höls bliv Höls – Gedichte von Heinz Fenners. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls, 1977
    • Heimatverein Hüls (Hrsgb.) Karl Heußen: Hülser Mundart-Lieder. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls, 2009
    • Margret Boixen: Ens sue jeseit. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls, 1994
    • Josef Brocker: Husmeddele. Verlag Druckerei Weiler, Krefeld, 1983
    • Georg Cornelissen: Meine Oma spricht noch Platt. Verlag Greven, Köln 2008, ISBN 978-3-7743-0417-8
    • Ulrich Nonn: Die Franken. Verlag Kohlhammer, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-17-017814-4
    • H. F. Döbler: Die Germanen – Legende und Wirklichkeit. Verlag Heyne München 1975, ISBN 3-453-00753-0, Rubrik Franken
    • Günther Drosdowski (Hrsg.): Das Herkunftswörterbuch / Band 7 – Etymologie der deutschen Sprache. Dudenverlag, Mannheim 1989, ISBN 3-411-20907-0
    • Irmgard Hantsche: Atlas zur Geschichte des Niederrheins. Schriftenreihe der Niederrhein-Akademie Band 4, ISBN 3-89355-200-6
    • Arend Mihm: Sprache und Geschichte am unteren Niederrhein. In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 115, 1992, ISSN 0083-5617, S. 88–122.

    Einzelnachweise

    1. Georg Cornelissen: Meine Oma spricht noch Platt. Verlag Greven, Köln 2008, ISBN 978-3-7743-0417-8, S. 39–42.
    2. Werner Mellen: Hüls – eine Chronik. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls, 1998, ISBN 3-9804002-1-2, S. 16 ff.
    3. Werner Mellen: Hüls – eine Chronik. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls, 1998, ISBN 3-9804002-1-2, S. 149.
    4. Karte in Anlehnung an: P.A. Kerkhof: Language, law and loanwords in early medieval Gaul: language contact and studies in Gallo-Romance phonology, Leiden, 2018, S. 24 und H. Ryckeboer: Het Nederlands in Noord-Frankrijk. Sociolinguïstische, dialectologische en contactlinguïstische aspecten, Gent, 1997, S. 183-4.
    5. Cowan, H.K.J: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde. Jahrgang 71. E.J. Brill, Leiden, 1953, S. 166–186. Note: Die Linie ist nicht gleich an der späteren Benratherlinie, weil diese erst im Hochmittelalter ihre aktuelle Position erreicht hat.
    6. Georg Cornelissen: Meine Oma spricht noch Platt. Verlag Greven, Köln 2008, ISBN 978-3-7743-0417-8, S. 41.
    7. H. F. Döbler: Die Germanen – Legende und Wirklichkeit. Verlag Heyne München 1975, ISBN 3-453-00753-0, Rubrik Franken, S. 197 ff.
    8. Ulrich Nonn: Die Franken. Verlag Kohlhammer, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-17-017814-4, S. 15 ff.
    9. Georg Cornelissen: Meine Oma spricht noch Platt. Verlag Greven, Köln 2008, ISBN 978-3-7743-0417-8, S. 27 ff.
    10. Georg Cornelissen: Der Niederrhein und sein Deutsch. Greven Verlag Köln, 2009, ISBN 978-3-7743-0394-2, S. 125 ff.
    11. Karl Heußen, Heimatverein Hüls (Hrsgb.): Hölsch Plott – Wörterbuch zur Hülser Mundart. Ausgabe des Heimatvereins Krefeld-Hüls, 2010, S. 1 ff.
    12. Karl Heußen, Heimatverein Hüls (Hrsgb.): Hölsch Plott – Wörterbuch zur Hülser Mundart. Ausgabe des Heimatvereins Krefeld-Hüls, 2010, S. 1–4
    13. Karl Heußen, Heimatverein Hüls (Hrsgb.): Hölsch Plott – Wörterbuch zur Hülser Mundart. Ausgabe des Heimatvereins Krefeld-Hüls, 2010, S. 1–4
    14. Georg Cornelissen: Der Niederrhein und sein Deutsch. Greven Verlag Köln, 2009, ISBN 978-3-7743-0394-2, S. 125 ff.
    15. Georg Cornelissen: Der Niederrhein und sein Deutsch. Greven Verlag Köln, 2009, ISBN 978-3-7743-0394-2, S. 110 ff
    16. Irmgard Hantsche: Atlas zur Geschichte des Niederrheins. Schriftenreihe der Niederrhein-Akademie Band 4, ISBN 3-89355-200-6, S. 66 ff.
    17. Georg Cornelissen: Meine Oma spricht noch Platt. Verlag Greven, Köln 2008, ISBN 978-3-7743-0417-8, S. 25–27, S. 43 ff.
    18. Werner Mellen: Hüls – eine Chronik. Verlag H. Kaltenmeier Söhne, Krefeld-Hüls, 1998, ISBN 3-9804002-1-2, S. 105 ff
    19. Georg Cornelissen: Der Niederrhein und sein Deutsch. Greven Verlag, Köln 2007, ISBN 978-3-7743-0349-2, S. 11 ff.

    Siehe auch

    Commons: Hüls (Krefeld) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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