Gertrud Woker
Gertrud Johanna Woker (* 16. Dezember 1878 in Bern; † 13. September 1968 in Marin) war eine Schweizer Frauenrechtlerin, Chemikerin und Friedensaktivistin.[1]
Leben
Gertrud Woker war die Tochter des altkatholischen Theologie- und Geschichtsprofessors Philipp Woker. Sie studierte ab 1900 Organische Chemie an der Universität Bern und schloss das Studium 1903 mit der Doktorpromotion ab. Anschliessend studierte sie Physikalische Chemie in Berlin. 1907 erhielt sie in Bern die venia legendi und war damit die erste Privatdozentin für Chemie an einer Schweizer Hochschule. Ihre Antrittsvorlesung über die katalytische Forschung umriss ihr Forschungsthema der nächsten Jahre. Ab 1911 leitete sie in Bern das Institut für physikalisch-chemische Biologie. 1917 wies sie auf die Giftigkeit von bleihaltigem Benzin hin und gab Vorschläge zur Herstellung von bleifreiem Motorenbenzin. Nach Vorliegen ihrer bahnbrechenden Arbeiten – und trotz ihres pazifistisch-wissenschaftskritischen politischen Standpunktes – erhielt sie 1933 eine ausserordentliche Professur, welche sie bis 1953 innehatte. Sie wurde zu einer der Wegbereiterinnen der Biochemie.
Seit dem Ersten Weltkrieg engagierte sie sich gegen den Krieg, schon mit Flugblättern gegen den Giftgaskrieg, ein Thema, das sie nach und nach ausbaute und in mannigfachen Formen und Auflagen darbot. Zudem arbeitete sie für die Rechte von Frauen und forderte das Frauenstimmrecht ein. 1915 war sie Mitbegründerin der „Internationalen Frauenvereinigung für den dauernden Frieden“, die später in Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) umbenannt wurde. Zusammen mit Clara Ragaz unter anderem baute sie den Schweizer Zweig der IFFF auf und leitete ihn nach dem Tod von Clara Ragaz. Sie setzte sich sehr für Verbote von Chemie- und Gaswaffen ein.
Sie engagierte sich in der christkatholischen Kirche und war auch künstlerisch tätig. In Bern und in Düsseldorf sind nach ihr Strassen benannt.
2021 wurde ein ihr gewidmeter Dokumentarfilm veröffentlicht: Die Pazifistin – Gertrud Woker: Eine vergessene Heldin.[2][3] Der Film begibt sich auf eine Spurensuche und erzählt in animierten Collagen. Die Historikerin Franziska Rogger gibt Auskunft.
Zitate
„Innerhalb weniger Jahre hat eine junge Schweizerin, Fräulein Gertrud Woker, an der Universität in Bern, folgende Examina bestanden: Abiturienten-, Sekundarlehrer-, Doktor- und Gymnasiallehrerexamen.“
„Die Universität Bern hat mit dem beginnenden Sommersemester ihren zweiten weiblichen Dozenten erhalten, nachdem vor etwa 7 Jahren die Russin Fräulein Dr. Tumarkin (inzwischen schon zur Professorin ernannt) einen kühnen Anfang gemacht mit ihren auch von dem stärkeren Geschlecht gern besuchten Vorlesungen philosophischen, speziell ethischen und ästhetischen Inhalts. Die neue, noch sehr junge Privatdozentin Fräulein Dr. Gertrud Woker beendete vor mehreren Jahren ihre chemischen Studien in Bern und wird nun ihre neue Karriere eröffnen mit der Antrittsvorlesung über das Thema: „Probleme der katalytischen Forschung“. Sie ist die Tochter des bekannten Geschichtsprofessors Philipp Woker, der selbst noch in jugendlicher Rüstigkeit seinem Berufe obliegt, und Bern erlebt also den gewiß seltenen Fall, Vater und Tochter nebeneinander an seiner Alma Mater als Lehrer wirken zu sehen.“
Werke
- Skizzen. Bern: Sturzenegger 1902
- Synthese des 3,4 Dioxyflavons. Diss. Bern 1903
- Probleme der katalytischen Forschung. Antrittsvorlesung, 1907
- Die Katalyse. Die Rolle der Katalyse in der analytischen Chemie, in 4 Bänden, 1910–1931. (Teilbände 11/12, 21/22, 23/24 und 27/28 der 51-bändigen Serie Die Chemische Analyse. Sammlung von Einzeldarstellungen auf dem Gebiete der chemischen, technisch-chemischen und physikalisch-chemischen Analyse, Enke, Stuttgart, 1907–1962)
- Band 1: Allgemeiner Teil, iv, 646 Seiten, 1910
- Band 2: Anorganische Katalysatoren, xxii, 790 Seiten, 13 Abbildungen (Teil 2, Spezieller Teil. Abteilung 1), 1916
- Band 3: Biologische Katalysatoren, Hälfte 1: Hydrolysierende Fermente, xvi, 583 Seiten, 4 Abbildungen (Teil 2, Spezieller Teil. Abteilung 2), 1924
- Band 4: Biologische Katalysatoren, Hälfte 2: Atmungsfermente, xix, 592 Seiten, 2 Abbildungen (Teil 2, Spezieller Teil. Abteilung 2), 1931
- Über Giftgase (Vortrag, gehalten beim Kongress der I.F.F.F. in Washington), Mai 1924
- Wissenschaft und wissenschaftlicher Krieg. Zürich: Schweizerische Zentralstelle für Friedensarbeit, [1925]
- Der kommende Giftgaskrieg. Stuttgart: Glaser u. Sulz, 1925. 5. Auflage 1927
- Selbstbiografie in: Führende Frauen Europas. In sechzehn Selbstschilderungen, hrsg. von Elga Kern, München : E. Reinhardt, 1928, S. 138–169
- Giftgas und Tiere. Zürich: Zentralstelle für Friedensarbeit. 1928 (7S) auch: als Hidigeigeis Ende. Eine kleine Erzählung zum Nachdenken für Katzenfreunde, Schweizerischer Frauenkalender, Zürich 1929
- Gas!. In: Das Tagebuch 10. Jg. 1929, Heft 1 vom 5. Januar 1929, S. 12–16.
- Der kommende Gift- und Brandkrieg und seine Auswirkungen gegenüber der Zivilbevölkerung. [Das Vorwort ist von 1925, das Vorwort zur sechsten Auflage von 1932.] Leipzig: Ernst Oldenburg Verlag, 1932
- Bericht über biologischen Krieg. 1949
- Massenvernichtungs-Waffen. o .O., 1952
- Rettet die Menschheit! Ansprache an dem am 6. Mai 1962 im „Hirschen“ in Lörrach stattgefundenen Deutsch-Französisch-Schweizerischen Friedenstreffen. 1962
- Wie steht es mit der Achtung vor dem menschlichen Leben? 1963
- An die Ewiggestrigen. Zürich (Genossenschaftsdruck), um 1956
- Atomic Energy and alternative sources of power. Genf: Women’s International League for Peace and Freedom, 1957
- Atomaufrüstung auch in der Schweiz? Zürich: Pazifistische Bücherstube, 1958
- Die Katalyse. Die Rolle der Katalyse in der analytischen Chemie. Stuttgart : F. Enke
- Die Chemie der natürlichen Alkaloide. Stuttgart: Enke 1953
Literatur
- Rogger Franziska: Gertrud Woker, in: Der Doktorhut im Besenschrank – das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen – am Beispiel der Universität Bern, Bern 1999, ISBN 3-905561-32-8, S. 178–198.
- Majken Larsen: „Der Kampf der Frauen gegen die Hölle von Gift und Feuer“. Die IFFF, Gertrud Woker und die Giftgasdiskussion in der Schweiz der Zwischenkriegszeit. Lizentiatsarbeit, Universität Zürich, 1995.
- Gerit von Leitner: Wollen wir unsere Hände in Unschuld waschen? Gertrud Woker (1878–1968), Chemikerin & Internationale Frauenliga 1915–1968. Weidler, Berlin 1998.
- Lexikon der Frau. 2 Bände. Encyclios, Zürich 1953/1954, Bd. 2, Sp. 1653 f.
- Schweizerischer Verband für Frauenrechte (Hrsg.): Der Kampf um gleiche Rechte – Le combat pour les droits égaux. Schwabe, Basel 2009.
- Gudrun Wedel (Hrsg.): Autobiographien von Frauen: Ein Lexikon. Böhlau, Köln 2010, ISBN 978-3-412-20585-0, S. 944 (Google Books).
- Bettina Vincenz: Biederfrauen oder Vorkämpferinnen? Der Schweizerische Verband der Akademikerinnen (SVA) in der Zwischenkriegszeit. Baden 2011, ISBN 978-3-03919-198-7
Film
- Fabian Chiquet, Die Pazifistin, Premiere 56. Solothurner Filmtage Januar 2021.
Weblinks
- Regula Ludi: Gertrud Woker. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Publikationen von und über Gertrud Woker im Katalog Helveticat der Schweizerischen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Gertrud Woker im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biographischer Hinweis auf Gertrud Woker
- Eine Wissenschaftlerin für den Frieden. Serie zu 40 Jahre Frauenstimmrecht: Die Berner Biochemikerin Gertrud Woker (1878–1968), in: Der Sonntag, Nr. 6 v. 13. Februar 2011, PDF
- Frauen der Geschichte - Das Berner Chemie-Genie Gertrud wollte die Welt vor Giftgas- und Atomkriegen retten In: Watson (Nachrichtenportal) vom 3. September 2021
Einzelnachweise
- In der Schweiz nannten sie sie «Gas-Trudi» – die beinahe vergessene Geschichte der Gertrud Woker In: Neue Zürcher Zeitung vom 9. September 2021
- SWISS FILMS: Die Pazifistin – Gertrud Woker: Eine vergessene Heldin. Abgerufen am 30. Januar 2021.
- Fabian Chiquet: Die Pazifistin - Gertrud Woker - Eine vergessene Heldin. In: fabianchiquet.net. Abgerufen am 30. Januar 2021.
- Personalnachrichten. In: Neues Wiener Tagblatt. 17. Januar 1904, S. 30 (ANNO – AustriaN Newspapers Online [abgerufen am 5. Mai 2020]).
- Frau Hadwig: Weibliche Dozentin [sic!] In: Wiener Hausfrau. 16. Juni 1907, S. 11 (ANNO – AustriaN Newspapers Online [abgerufen am 5. Mai 2020]).