Georgisch-Südossetischer Konflikt (1918–1920)
Der Georgisch-Südossetische Konflikt von 1918–1920 war eine Serie von Aufständen in Südossetien, die sich gegen die Demokratische Republik Georgien richteten. Nach dem Zerfall des Russischen Reichs beanspruchte das nun unabhängige, von Menschewiken regierte Georgien die Region Südossetien, früher ein Teil Kartliens. Vor der russischen Annexion Georgiens war das Gebiet jahrhundertelang mehrheitlich von Georgiern bewohnt und von georgischen Fürsten regiert. Im 18. Jahrhundert kam es jedoch zu Auswanderungswellen im Nordkaukasus. Viele Osseten wurden durch die Kabardiner vertrieben und ließen sich in Georgien nieder. Unter russischer Herrschaft nahm die Migration zu und die Region wurde schließlich mehrheitlich von Osseten bewohnt. Nach Georgiens Unabhängigkeit sympathisierten die Osseten mit Sowjetrussland und den Bolschewiken, weil sie im Russischen Reich mehr Autonomie genossen und sich weigerten Tiflis Steuern zu zahlen. Anfang 1918 gab es zunächst einen kleineren Aufstand der Osseten gegen Georgien, der jedoch militärisch durch georgische Truppen niedergeschlagen wurde. Die Osseten entledigten sich zunächst der örtlichen Verwaltung und gingen anschließend gegen die georgische Bevölkerung vor. Es kam angeblich zu gezielten „Bestrafungsoperationen“ durch die georgische Armee, wodurch sich die ohnehin angespannte Stimmung in der Region weiter zuspitzte. Daraufhin gab es zwei weitere, große Rebellionen gegen die georgische Regierung, die von Sowjetrussland unterstützt wurden, jedoch nach langanhaltenden Kämpfen ebenfalls niedergeschlagen wurden. Im Laufe des Konfliktes sollen laut offiziellen südossetischen Angaben insgesamt bis zu 5279 Osseten ums Leben gekommen sein,[2] etwa 20.000 flohen.[3] Die meisten Todesopfer, etwa 4143 Menschen, sollen während der Flucht und Auswanderung nach Nordossetien gestorben sein, hauptsächlich durch Hunger und Krankheiten, während 669 Menschen durch Kampfhandlungen ums Leben kamen. Ossetische und russische Angaben und Darstellung der Konfliktes, insbesondere in Bezug auf angebliche "Bestrafungsmaßnahmen", werden von georgischer Seite jedoch nicht anerkannt und als Verzerrung von Ereignissen verworfen, die ohnehin von Sowjetrussland angestiftet worden seien. Viele Georgier ließen sich anschließend in den von Osseten verlassenen Gebieten nieder.[4]
Einige ossetische und russische Autoren und Politiker[5] sowie die Regierung des heute de facto unabhängigen Südossetiens betrachten die Ereignisse des Konflikts als Genozid an den Osseten[6], eine Sicht die zunehmend auch von Russland[7] und der Regierung unter Wladimir Putin geteilt wird. Im Jahr 2006 fasste auch die Regierung Abchasiens einen Beschluss, den Konflikt als solchen anzuerkennen.[8] Georgische Politiker und Historiker weisen diese Angaben als übertrieben zurück und sehen den Konflikt als Versuch Sowjetrusslands, die damalige Demokratische Republik Georgien zu destabilisieren, die schließlich 1921 von der Sowjetunion annektiert wurde. In der westlichen Geschichtsforschung ist der Konflikt bislang weitgehend in Fachliteratur beschrieben. Die Erinnerungen an die Ereignisse von 1918 bis 1920 spielten eine maßgebliche Rolle beim Unabhängigkeitskampf Südossetiens 1991–1992.[9]
Verlauf des Konflikts
Nach der Februarrevolution 1917 errichtete die südossetische Bevölkerung in Dsau einen Nationalrat, der schließlich beschloss, eine Selbstverwaltung ossetisch bewohnter Gebiete zu errichten. Viele forderten auch die Vereinigung mit Nordossetien, das zu Sowjetrussland gehörte. Ein Anschluss an Sowjetrussland wurde daher von vielen Osseten befürwortet. Die Bolschewiken entwickelten sich seit März 1918 zu einer wichtigen politischen Kraft in der Region. Anfang 1918 wurde jedoch die Transkaukasische Demokratisch-Föderative Republik mit der Hauptstadt Tiflis gegründet, welche Südossetien beanspruchte.
Schon im Frühjahr 1918 kam es daher zu ersten Aufständen in Südossetien, da sich viele Bauern weigerten, Steuern an Tiflis zu zahlen. Die Lage spitzte sich immer weiter zu, auch wegen einer noch immer mangelhaft umgesetzten Agrarreform. Für einige Tage besetzten ossetische Rebellen auch die spätere Hauptstadt der Region, Zchinwali, wodurch tausende Georgier vertrieben wurden, bevor georgische Truppen am 22. März 1918 die Rebellion niederschlugen. Es kam angeblich zu harten Bestrafungsmaßnahmen, die zur Radikalisierung der südossetischen Bevölkerung beitrugen. Im Mai 1918 brach die kurzlebige Transkaukasische Föderation zusammen, die Demokratische Republik Georgien, in der die Menschewiken die Regierung stellten, wurde daraufhin gegründet. Diese beanspruchte ebenfalls auch Südossetien, wohingegen die Bolschewiken auf immer größere öffentliche Zustimmung stießen.
In der georgischen Politik stießen diese Sympathien auf Befremdung, einige georgische Politiker sprachen offen von den Osseten als „Verräter“, die „hart bestraft werden müssen“.[10] In Südossetien forderte man zudem Autonomierechte, die jedoch nicht gewährt wurden.
Im Oktober 1919 kam es daher erneut zu Rebellionen der Osseten gegen die georgische Verwaltung. Südossetische Politiker in der Nähe von Roki riefen eine sowjetische Regierung aus, Rebellen marschierten in Richtung Zchinwali. Erneut konnte der Aufstand aber geschlagen werden.
1920 kam es zur bislang größten Rebellion in Südossetien. Am 8. Mai 1920 wurde erneut eine sowjetische Regierung ausgerufen, große Rebellenarmeen formierten sich, die durch Freiwillige aus dem zu Sowjetrussland gehörenden Nordossetien verstärkt wurden. Es kam zu schweren Kämpfen zwischen georgischen und ossetischen Truppen. Die sowjetische Regierung forderte Georgien auf, seine Truppen aus Südossetien zurückzuziehen.[4] Nach anfänglichen Siegen und der Besetzung Zchinwalis, wurden die ossetischen Rebellen jedoch erneut geschlagen. Der georgischen Armee gelang es unter Waliko Dschugeli noch im Juni 1920 schließlich endgültig, den Widerstand zu brechen. Das Parlament von Südossetien gab am 27. April 2007 eine politische Bewertung der Ereignisse von 1918–1920; "Die Zahl der Toten Osseten im Jahr 1920 belief sich auf 6–8 % der Bevölkerung von Südossetien". 4812–5279 Menschen kamen um, davon 4143 Flüchtlinge durch Hunger und Krankheiten.[11][12] Etwa 20.000 Osseten wurden vertrieben[3] und flohen überwiegend in das von Russland kontrollierte Nordossetien. Südossetien unterstand nun endgültig der Kontrolle Georgiens.
Nachwirkung
Weniger als ein Jahr später wurde ganz Georgien von der Sowjetunion annektiert, darunter auch das heutige Südossetien.[13] Die Region Samatschablo wurde unter sowjetische Anordnung als Zeichen des Dankes für den Aufstand gegen die georgische Regierung und Unterstützung der Annexion Georgiens, entsprechend zu Südossetisches Autonomes Gebiet umbenannt. Südossetien wurde 1922 Teil der Georgischen SSR innerhalb der Sowjetunion, erhielt jedoch zahlreiche Autonomierechte[14]. Als die Sowjetunion 1991 zerfiel, erklärten sowohl Georgien als auch Südossetien ihre Unabhängigkeit. Georgien beanspruchte jedoch Südossetien als Teil seines Staatsgebiets. Es kam zu einem blutigen Bürgerkrieg, der durch russische Einmischung in der De-facto-Unabhängigkeit Südossetiens endete. Der Konflikt von 1918 bis 1920 wird besonders in den letzten Jahren von russischen und ossetischen Historikern als von Georgiern verübter Völkermord an den Osseten betrachtet.
In 2008 kam es nach einer Reihe von Provokationen und zunehmenden Scharmützel zu einem weiteren Konflikt. Georgien antwortete auf willkürliche ossetische Angriffe gegen örtliche georgische Siedlungen, mit einer Großoffensive der Armee gegen Zchinwali, wurde jedoch nach einer Intervention Russlands samt Zivilbevölkerung fast vollständig aus der Region vertrieben. Die Ereignisse des Kriegs führten dazu, dass schließlich einige Staaten, darunter etwa Russland und Venezuela, die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannten, während der Großteil der internationalen Gemeinschaft die Region weiterhin als Teil Georgiens betrachtet.
Literatur
- Arsène Saparov: From Conflict to Autonomy: The Making of the South Ossetian Autonomous Region 1918–1922, in: Europe-Asia Studies, Jg. 62 (2010), Nr. 1, S. 99–123. Hier abrufbar.
Einzelnachweise
- http://iratta.com/2007/04/27/1920.html
- http://iratta.com/2007/04/27/1920.html
- Lang, David Marshall (1962) A Modern History of Georgia, S. 234–236. London: Weidenfeld and Nicolson.
- Cornell, Svante E, Autonomy and Conflict: Ethnoterritoriality and Separatism in the South Caucasus – Case in Georgia. Department of Peace and Conflict Research, Report No. 61. 258 pp. Uppsala. ISBN 91-506-1600-5.
- http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article936951/Historisch-hat-Suedossetien-nie-zu-Georgien-gehoert.html
- http://iratta.com/2007/04/27/1920.html
- http://iratta.com/2007/05/18/fakty_genocida_1920g_v_juzhnojj_osetii_tradicii_nacizma_v_gruzii.html
- http://www.newsru.com/world/02nov2006/genozid.html
- http://www.kas.de/zentralasien/de/publications/14356/
- Waal, Thomas De. The Caucasus: An Introduction
- http://iratta.com/2007/04/27/1920.html
- http://www.abkhaziya.org/server-articles/article-80dd0dda4fe90f28c09b514290a22ef6.html
- http://www.georgianweb.com/history/avtandil/ossetia.html
- http://www.kas.de/zentralasien/de/publications/14356/