Gedenkstätte Bullenhuser Damm
In der gleichnamigen Straße im damaligen Hamburger Stadtteil Billwerder Ausschlag (heute Teil von Rothenburgsort) liegt das ehemalige Schulgebäude Bullenhuser Damm, in dem in der Nacht zum 21. April 1945 die SS ein besonders grausames Kriegsendphasenverbrechen verübte: zwanzig Kinder wurden zusammen mit ihren Betreuern, vier politischen Häftlingen, im Keller des Gebäudes, das während des Krieges als Nebenlager des KZ Neuengamme gedient hatte, erhängt. Die Opfer stammten aus fünf europäischen Ländern außerhalb Deutschlands. In derselben Nacht wurden auch 24 sowjetische Kriegsgefangene dort erhängt. Die Schule wurde 1948 wiedereröffnet und im Jahre 1980 nach dem ebenfalls vom NS-Staat ermordeten polnischen Kinderarzt Janusz Korczak benannt. Seitdem besteht dort eine Gedenkstätte. Seit 1987 wird das Gebäude nicht mehr als Schule genutzt. Heute dient es als Kindergarten der Stiftung Kindergärten Finkenau.
Außenlager des KZ Neuengamme
Das ehemalige Schulgebäude wurde von der Stadt Hamburg dem SS-eigenen Betrieb „Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH“ zur Unterbringung von KZ-Häftlingen zur Verfügung gestellt. Wahrscheinlich gegen Ende November 1944 wurde das Gebäude zum Außenlager umgebaut und anschließend in Betrieb genommen. Mindestens 592 überwiegend aus Polen und der Sowjetunion stammende Häftlinge wurden zur Herstellung von Steinplatten aus dem Trümmerschutt sowie Bau- und Aufräumarbeiten eingesetzt. Lagerleiter war der SS-Oberscharführer Ewald Jauch, sein Stellvertreter SS-Unterscharführer Johann Frahm. Zwischen dem 9. und 11. April 1945 wurde dieses Außenlager aufgelöst und die Häftlinge in das KZ-Auffanglager Sandbostel evakuiert.
Verbrechen an jüdischen Kindern
Josef Mengele, berüchtigter Lagerarzt im KZ Auschwitz, hatte aus Berlin die Weisung erhalten, zwanzig jüdische Kinder für medizinische Experimente ins KZ Neuengamme zu schicken. Dort sollten sie dem SS-Arzt Kurt Heißmeyer für Menschenversuche zur Entwicklung von Impfstoffen gegen Tuberkulose zur Verfügung gestellt werden.
KZ Neuengamme
Am 27. November 1944 wurden die Kinder aus dem Konzentrationslager Auschwitz zum Bahnhof gebracht, begleitet von drei polnischen Krankenschwestern und einer Ärztin. Nach der zwei Tage später erfolgten Ankunft im KZ Neuengamme kümmerten sich zwei holländische Häftlingspfleger, Dirk Deutekom und Anton Hölzel, und die französischen Professoren Ren Quenouille und Gabriel Florence um die Kinder. Die drei polnischen Krankenschwestern, die die Kinder begleitet hatten, wurden fünf Tage nach ihrer Ankunft von dem Rapportführer Wilhelm Dreimann im Bunker des KZ Neuengamme erhängt. Die belgische Ärztin Paulina Trocki wurde ins Neuengammer Außenlager Beendorf überstellt.
Heißmeyer, der im Sanatorium Hohenlychen tätig war, hatte bereits seit Juni 1944 zusammen mit dem Pathologen Hans Klein im KZ Neuengamme Menschenversuche zu Tuberkulose an sowjetischen Kriegsgefangenen vorgenommen. Es kam zu keiner Bildung von Antikörpern. Dies war bereits bekannt, da über erfolglose Versuche bereits Veröffentlichungen existierten, die Heißmeyer entweder nicht gelesen oder ignoriert hatte. Schon im Oktober 1944 musste er das Scheitern seiner Experimente an den sowjetischen Kriegsgefangenen erkennen; trotzdem forderte er die zwanzig Kinder für seine Versuche an, die Mitte Januar 1945 begannen. Der Gefangene Herbert Kirst musste den zehn Jungen und zehn Mädchen – neben vierzehn Polinnen und Polen ein niederländisches Brüderpaar, zwei Franzosen, ein Jugoslawe und ein Italiener – in die Brust schneiden und die Bakterienlösung in die Wunde einreiben. Nach zwei Tagen brach bei den Kindern hohes Fieber aus. Die durch die Verletzungen und den Einfluss der Bakterien körperlich stark geschwächten Kinder wurden einer zweiten sehr schmerzhaften Versuchsreihe unterzogen, dabei schob Heißmeyer einen Gummischlauch durch die Luftröhre in die Lungenflügel, um eine Lösung mit Tuberkulosebakterien direkt in die Lungen mit einem Becher einzugießen. Dabei kam es häufig zu Verletzungen und Blutungen der Lungen der Kinder. Zur Vervollständigung der Versuche musste der tschechische Häftlingsarzt Bogumil Doclik den Kindern die Lymphdrüsen herausoperieren. Die Kinder bekamen lediglich eine örtliche Betäubung mit Novocain und nach zwei Wochen wurden ihnen die Lymphdrüsen auf der anderen Körperseite herausoperiert. Hans Klein stellte erneut fest, dass sich auch bei diesen Versuchen keine Antikörper gebildet hatten.
Schule Bullenhuser Damm
Als britische Truppen bereits das Hamburger Stadtgebiet erreicht hatten, kam der Befehl aus Berlin, die Kinder zu beseitigen, um die Spuren dieser Untat zu verwischen. Dazu wurden die Kinder mitsamt ihren Pflegern am späten Abend des 20. April 1945 in die Keller der leerstehenden Schule Bullenhuser Damm verbracht. Der SS-Arzt Alfred Trzebinski gab den Kindern eine Morphinspritze, woraufhin der SS-Unterscharführer Johann Frahm ihnen Stricke um den Hals legte und sie an zwei Haken im Heizungskeller der Schule erhängte. In derselben Nacht wurden dort noch die vier Betreuer der Kinder – zwei französische Ärzte und zwei niederländische Pfleger – sowie 24 sowjetische Kriegsgefangene ermordet.[1][2]
„Frahm nahm den 12-jährigen Jungen auf den Arm und sagte zu den anderen: Er wird jetzt ins Bett gebracht. Er ging mit ihm in einen Raum, der vielleicht sechs bis acht Meter von dem Aufenthaltsraum entfernt war, und dort sah ich schon eine Schlinge an einem Haken. In diese Schlinge hängte Frahm den schlafenden Jungen ein und hängte sich mit seinem ganzen Körpergewicht an den Körper des Jungen, damit die Schlinge sich zuzog. Ich habe in meiner KZ-Zeit schon viel menschliches Leid gesehen und war auch gewissermaßen abgestumpft, aber Kinder erhängt habe ich noch nie gesehen.“ (Alfred Trzebinski)[3]
Was mit den Leichnamen der Mordopfer geschah, konnte nicht abschließend aufgeklärt werden: Wahrscheinlich wurden die Leichen nach Neuengamme zurückgebracht und dort verbrannt.[4]
Die ermordeten zwanzig jüdischen Kinder
1 Altmann, Mania, (* 7. April 1938 in Radom, Polen)[6] sieben Jahre alt. Sie ist die Tochter von Shir Altman, einem Schuhmacher, und Pola Altman. Im Frühjahr 1941 zwangen die Deutschen die jüdische Bevölkerung, im Ghetto der Stadt zu leben. Die Familie Altman wurde im Sommer 1944 in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Shir Altman wird in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert, wo er in den letzten Kriegswochen ermordet wird. Pola Altman wurde in Auschwitz von ihrer Tochter getrennt und im Oktober 1944 in das Konzentrationslager Groß-Rosen deportiert. Sie wurde im Mai 1945 freigelassen. 1951 wanderte sie mit ihrem Schwager Chaim Altman in die Vereinigten Staaten aus. Mania Altman wurde am 20. November 1944 in das KZ Neuengamme deportiert. Pola Altman hat nie Informationen über das Schicksal ihrer Tochter erhalten. Sie starb 1971 in Chicago. Chaim Altman, der in New York lebte, erfuhr vom Schicksal seiner Nichte, als er einen Artikel in Voice of Radom las, der 1982 von Marc-Alain Grumelin, dem Bruder von Eleonora und Roman Witonski, verfasst wurde.[7]
2 Birnbaum, Lelka, zwölf Jahre alt, Polin
3 De Simone, Sergio, (* 29. November 1937), sieben Jahre alt Sergio De Simone lebte mit seinen Eltern in Neapel. Sein Vater Edoardo De Simone, ein Schiffsoffizier, war katholisch. Seine Mutter Gisella, geborene Perlow, war Jüdin. Edoardo De Simone wurde als Zwangsarbeiter nach Dortmund verschleppt. Gisella und Sergio De Simone zogen im Sommer 1943 zu Verwandten nach Fiume in Norditalien. In Fiume wurden der sechsjährige Sergio, seine Mutter und sieben weitere Familienmitglieder – darunter auch seine Cousinen Alessandra und Tatiana – am 21. März 1944 verhaftet, in das Sammellager San Sabba bei Triest gebracht und am 4. April 1944 in das KZ Auschwitz deportiert. Sergio musste dort als Läufer arbeiten, bis er für die Menschenversuche in das KZ Neuengamme verbracht wurde.
Seine Mutter Gisella De Simone kam im Frühjahr 1945 in das KZ Ravensbrück. Hier erlebte sie die Befreiung. Erst im November 1945 kehrte sie nach Italien zurück. Dort traf sie ihren Mann wieder. Die Eltern suchten nach ihrem Sohn Sergio. Sie wussten ab Ende der 1940er-Jahre, dass er vom KZ Auschwitz in ein Konzentrationslager im Westen gekommen war. Edoardo De Simone starb 1964, ohne etwas über das Schicksal seines Sohnes erfahren zu haben. Gisella De Simone erfuhr 1983 von dem Verbrechen und nahm am 20. April 1984 an der Gedenkfeier in Hamburg teil. Die Cousinen Alessandra und Tatiana überlebten und wirkten als Zeitzeugen in der ARD-Dokumentation mit.[8]
4 Goldinger, Surcis, zehn bis zwölf Jahre alt, Polin
5 Herszberg, Riwka, sechs Jahre alt, Polin
6 Hornemann, Alexander, acht Jahre alt, Niederländer
7 Hornemann, Eduard, zwölf Jahre alt, Niederländer
8 James, Marek, sechs Jahre alt Vor dem Krieg lebte die Familie James in Radom, Polen. Der Vater, Adam James, war Mitglied der polnischen Kavallerie. Die Mutter, Zela James, arbeitet in einer Schießpulverfabrik. Adam James gerät beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen in Kriegsgefangenschaft. Er wurde bis zu seiner Befreiung durch die alliierten Armeen in das Konzentrationslager Oranienburg-Sachsenhausen verbracht. Zela James und Marek James wurden im Sommer 1944 nach Auschwitz deportiert. Zela James verdankt ihr Überleben vielleicht der Tatsache, dass sie mehrere Sprachen sprach: Deutsch, Jiddisch, Hebräisch, Französisch und Polnisch. Im Herbst 1944 wurde Zela James in das Konzentrationslager Groß-Rosen verlegt. Kurz darauf gehörte Marek James zu der Gruppe von zwanzig Kindern, die von Josef Mengele ausgewählt wurden, um in das Konzentrationslager Neuengamme gebracht zu werden, um dort für Menschenversuche missbraucht zu werden.
Mark James aus San Diego, Kalifornien, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 in Süddeutschland geboren. Er trägt den Vornamen seines ermordeten Bruders. Adam James starb 1973, ohne vom Schicksal seines Sohnes Marek James erfahren zu haben.
9 Jungleib, Walter, zwölf Jahre alt, Tschechoslowake[9] Nach dem Krieg versucht die Familie Jungleib erfolglos, Informationen über das Schicksal von Walter zu erfahren. Seine Familie geht davon aus, dass er während des Evakuierungsmarsches aus Auschwitz gestorben ist. Die einzige Information, die jahrelang aus Hamburg kam, war, dass eines der Opfer von Bullenhuser Damm ein 12-jähriger Junge namens W. Jungleib aus Jugoslawien ist. Dank der Recherchen von Bella Reichenbaum aus Haifa erhielt die KZ-Gedenkstätte Neuengamme im Juli 2015 einen Brief aus Israel mit den Hinweisen, dass auf einer Liste eines Häftlingstransportes von Auschwitz nach Lippstadt der Name Jungleib festgehalten worden war; dass über die Webseite der Gedenkstätte Yad Vashem Kontakt mit dieser Familie nahe Tel Aviv aufgenommen werden konnte; dass dort die 85-jährige Grete Hamburg, geboren in Hlohovec / Slowakei bestätigen konnte, dass es sich um ihren Bruder handelt – um Walter Jacob Jungleib.
2015 las Bella Reichenbaum, die Ehefrau von Yitzhak Reichenbaum, dessen Bruder Eduard Reichenbaum im Bullenhuser Damm ermordet worden war, Dokumente ihrer Familie. Dort findet sie die Liste der von Auschwitz nach Lippstadt transportierten Häftlinge mit den Namen der Frauen, deren Kinder am Bullenhuser Damm ermordet wurden, darunter zwei Frauen mit dem Namen Jungleib. Es gelang ihr, die Familie Jungleib über die Website von Yad Vashem in Israel zu kontaktieren, wodurch W. Jungleib als Walter Jungleib identifiziert werden konnte. Grete Hamburg, geb. Jungleib, die Schwester von Walter Jungleib, erfuhr erst 2015 von seinem Schicksal. 2016 nimmt Grete Hamburg erstmals an der Gedenkfeier teil. Sie vermacht der Gedenkstätte die Briefmarkensammlung ihres Bruders.[10]
10 Klygermann, Lea, sieben Jahre alt, Polin
11 Kohn, Georges-André (*23. April 1932) zwölf Jahre alt Georges-André Kohn war mit seinen Geschwistern und seiner Mutter 1942 zu Katholizismus konvertiert. Sein Vater, Armand Kohn, war seit Kriegsbeginn Direktor des jüdischen Krankenhauses in Paris. Aufgrund seiner Stellung war die Familie Kohn zunächst vor den Deportationen geschützt. Kurz vor der Befreiung von Paris durch alliierte Truppen im August 1944 wurde sie jedoch verhaftet. Georges-André Kohn, seine Eltern Armand und Suzanne, seine älteren Geschwister Antoinette, Philippe und Rose-Marie sowie die Großmutter Marie-Jeanne wurden am 28. Juli 1944 in das Sammellager Drancy bei Paris gebracht.
Am 17. August 1944 erfolgte die Deportation in das Reichsinnere. Am dritten Tag der Fahrt gelang Philippe und Rose-Marie – gemeinsam mit etwa 30 anderen Gefangenen – die Flucht aus dem Zug. Die anderen Familienmitglieder kamen in Konzentrationslager: Georges-André Kohns Vater Armand wurde ins KZ Buchenwald deportiert und überlebte die Haft. Seine Mutter und seine Schwester Antoinette wurden in das KZ Bergen-Belsen deportiert, Georges-André kam mit seiner Großmutter in das KZ Auschwitz. Vom Tod seines Bruders erfuhr Philippe Kohn 1978 von Günther Schwarberg, der die Familie in Paris fand.[11]
12 Mekler, Blumel, zehn oder elf Jahre alt, Polin
13 Morgenstern, Jacqueline, zwölf Jahre alt, Französin
14 Reichenbaum, Eduard, zehn Jahre alt, Pole
15 Steinbaum, Marek, sieben Jahre alt, Pole
16 Wassermann, H., sieben oder acht Jahre alt, Polin Ein Park, Wassermannpark; ist nach dem achtjährigen polnischen Opfer benannt, das nur als H. Wassermann bekannt ist. Der Wassermannpark wurde 1995 fertiggestellt und umfasst 28 Hektar Wasserspiele, Radwege, Picknickplätze und Spielplätze.
17 Witońska, Eleonora, fünf Jahre alt, Polin Eleonora (Lenka) Witonska wurde am 6. September 1939 in Radom, Polen, geboren. Ihr Vater, Seweryn Witonski, ist Kinderarzt in Radom. Ihre Mutter ist Rucza Witonska. Die Familie muss im Ghetto von Radom leben. An Purim, dem 21. März 1943, wurde die Familie Witonski und 150 weitere Juden (Männer, Frauen und Kinder) auf den alten jüdischen Friedhof in Szydlowice verbracht. Die Mitglieder der SS erschießen die Männer. Seweryn Witonski wird vor den Augen seiner Familie ermordet. Die Mutter versteckt sich mit ihren beiden Kindern Eleonora Witonska und Roman Witonski hinter einem Grabstein. Sie werden entdeckt und ins Ghetto Radom zurückgebracht. Ende Juli 1944 wurden sie über das Konzentrationslager Pionki nach Auschwitz deportiert. Rucza Witonska überlebt Auschwitz und wandert nach Frankreich aus. Sie heiratete erneut und wurde Rose Grumelin.
18 Witoński, Roman, sechs Jahre alt, (* 8. Juni 1938 in Radom, Polen)
19 Zeller, Roman, zwölf Jahre alt, Pole. Der Roman-Zeller-Platz in Hamburg-Schnelsen ist nach ihm genannt.
20 Zylberberg, Ruchla, acht Jahre alt, Polin[12]
Die ermordeten Betreuer, vier politische Häftlinge
- Der Arzt René Quenouille (1884–1945) aus Sarlat-la-Caneda, Frankreich
- Der Chemiker Gabriel Florence (1886–1945) aus Lyon, Frankreich
- Dirk Deutekom aus Amsterdam, Niederlande
- Antonie Hölzel aus Den Haag, Niederlande
Strafverfolgung
Während einige Mittäter, unter ihnen Trzebinski und Dreimann, bereits kurz nach Kriegsende gefasst und am 3. Mai 1946 im Neuengamme-Hauptprozess zum Tode verurteilt wurden, konnte Heißmeyer unbehelligt unter seinem richtigen Namen weiter praktizieren, bis im Jahre 1963 die Ermittlungen aufgrund einer Veröffentlichung im Stern von 1959 zu seiner Verhaftung in Magdeburg (DDR) führten. Er wurde 1966 zu lebenslanger Haft verurteilt und verstarb dort 1967. Heißmeyers Komplize Hans Klein wurde als Professor an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg berufen und starb 1984. Der während der Curiohaus-Prozesse belastete SS-Hauptsturmführer Arnold Strippel, der wegen anderer Verbrechen inhaftiert gewesen war, wurde im Jahre 1979 im Stern der Mittäterschaft beschuldigt. Er klagte erfolgreich dagegen und erstritt ein Ordnungsgeld. Mehrfach stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. 1983 wies die Justizsenatorin die Staatsanwaltschaft an, Anklage gegen Arnold Strippel zu erheben. Das Verfahren wurde 1987 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt.
Vom Tatort zur Gedenkstätte
Nach kurzer Zwischennutzung als Seewetterwarte wurde das Gebäude ab 1948 wieder als Schule betrieben. Nachweisbar seit 1950 legen Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zum Gedenken Blumen im Kellerraum ab. 1963 wurde im Treppenhaus eine Gedenktafel angebracht, auf der jedoch die sowjetischen Opfer nicht erwähnt wurden.
Am 20. April 1979 versammelten sich 2000 Menschen vor der Schule; Überlebende der Familien gründeten die Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm, im Kellerraum wurden Schautafeln angebracht. Dem Journalisten Günther Schwarberg ist es durch seine Recherchen, seine Zeitschriftenartikel im Nachrichtenmagazin Stern im Jahre 1979 und sein Buch Der SS-Arzt und die Kinder vom Bullenhuser Damm gelungen, die Namen der Kinder vor dem Vergessen zu bewahren, die Täter anzuprangern und die Erinnerung an das Verbrechen mahnend wach zu halten. Schwarberg war lange Jahre Vorsitzender der Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm.[13] 1980 wurde die Schule vom Hamburger Senat zur Gedenkstätte erklärt und nach Janusz Korczak benannt.
Kurz darauf, am 27. April 1980, ließen Neonazis der Deutschen Aktionsgruppen eine Rohrbombe vor dem Eingang explodieren.[14] 1985 wurde der schon 1982 geplante Rosengarten eingeweiht. In Sichtweite zum Gebäude wurden von Besuchern Rosen gepflanzt; Tafeln erinnern an einzelne Kinder und auch den sowjetischen Opfern ist hier ein Denkmal gesetzt.
1986 tagte im Gebäude ein so genanntes „Internationales Tribunal“, um die Verzögerung des Prozesses gegen den Mittäter Strippel anzuprangern. Bis 1996 versuchte ein Staatsanwalt, die Beschriftung einer Ausstellungstafel entfernen zu lassen, die Versäumnisse bei der Aufarbeitung darstellt und aus einer Einstellungsverfügung zitiert.
1987 wurde aufgrund gesunkener Schülerzahlen im Einzugsgebiet der Janusz-Korczak-Schule der Schulbetrieb eingestellt.
Im Jahr 1999 wurde das Gebäude zur Außenstelle der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erklärt, im Jahr 2011 umgebaut und als Gedenkstätte den Besuchern zugänglich gemacht. Im ersten Raum wird über das KZ-Außenlager, die „medizinischen Experimente“ an den Kindern, die Täter sowie die ermordeten 20 Kinder und 4 Betreuer berichtet. Im zweiten Raum werden historische Dokumente, Erinnerungen von Zeitzeugen und die Strafverfolgung dokumentiert. Dann folgen die Kellerräume, wo die Kinder ermordet wurden. Mindestens 24 unbekannte sowjetische Häftlinge wurden ebenfalls hier ermordet.[15]
Weitere Formen des Andenkens an die Opfer
Am 20. April 1995 wurden im Hamburger Stadtteil Schnelsen-Burgwedel mehrere Straßen im großen Neubaugebiet nach den ermordeten Kindern benannt. Am Roman-Zeller-Platz wurde 2001 eine von Bürgern gestiftete Gedenkstele errichtet. 2003 wurde sie beschmiert. Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Ermordung finden nicht nur am Tatort, sondern auch im Stadtteil Burgwedel unter Beteiligung der benachbarten Grundschulen statt.[16]
1996 wurde in Verona ein Spielplatz nach einem der Opfer benannt.
Zum Andenken an die Kinder vom Bullenhuser Damm veröffentlichte der Sänger und Liedermacher Hannes Wader 1989 auf seinem Album Nach Hamburg ein gleichnamiges Lied. Im November 2018 wurde „Pamietamy“ (Erinnerung) für die Kinder vom Bullenhuser Damm, ein Stück für gemischten Chor, Violine, Violoncello und Klavier von Christine K. Brückner, erstmals aufgeführt.
Im Mai 2005 veröffentlichte Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) eine „Prüfliste“ zum Verkauf von 243 städtischen Immobilien, in der auch das Gebäude Bullenhuser Damm 92/94 genannt wurde. Nach Protesten dementierte der zuständige Pressesprecher die Verkaufsabsicht.
Bilder vom Rosengarten
- Platz der Kinder vom Bullenhuser Damm
- Denkmal für die sowjetischen Opfer
- Gedenktafel
- Persönliche Gedenktafeln
Literatur
- Willi Bredel: Das Kinder-KZ Bullenhuser Damm oder Wer eigentlich beschmutzt sein eigenes Nest? In: Willi Bredel: Unter Türmen und Masten. Geschichte einer Stadt in Geschichten. Petermänken-Verlag, Schwerin 1960, Weltkreis-Verlag, Dortmund 1977, ISBN 3-88142-254-4.
- Fritz Bringmann: Kindermord am Bullenhuserdamm. SS-Verbrechen in Hamburg 1945, Menschenversuche an Kindern. Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme für d. BRD e.V., Hamburg. Röderberg-Verlag, Frankfurt am Main 1978, ISBN 3-87682-591-1.
- Iris Groschek, Kristina Vagt: „… dass du weißt, was hier passiert ist“ – Medizinische Experimente im KZ Neuengamme und die Morde am Bullenhuser Damm Bremen, Edition Temmen 2012, ISBN 978-3-8378-2022-5.
- Günther Schwarberg: Meine zwanzig Kinder (= stb 77). Göttingen, Steidl 1996, ISBN 3-88243-431-7.
- Günther Schwarberg: Der SS-Arzt und die Kinder vom Bullenhuser Damm Göttingen, Steidl 1988, ISBN 3-88243-095-8 (1988 ausgezeichnet mit der Anne-Frank-Medaille).
- Maria Pia Bernicchia: If you want to see your mother step forward. The 20 children of Bullenhuser Damm. A hug for the memory, Proedi Editore, Milano 2012, Kindle-Edition Auszug.
- Lea Wohl von Haselberg: „Gegen das Vergessen“ – Filmische Erinnerung in „Der Rosengarten“. In: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 20. Juli 2018, doi:10.23691/jgo:article-164.de.v1.
- Dokument VEJ 11/215 Tagebucheintrag am 10. April 1945. In: Lisa Hauff (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (Quellensammlung), Band 11: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren April 1943–1945. Berlin/Boston 2020, ISBN 978-3-11-036499-6, S. 562–564.
Weblinks
- Gedenkstätte Bullenhuser Damm Webseite der KZ-Gedenkstätte Neuengamme
- Offenes Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Ausstellungstexte vom Bullenhuser Damm unter Menüpunkt „Weitere Ausstellungen“
- Außenlager Hamburg-Rothenburgsort
- Stumme Zeugen schoah.org
- Fotos von der Gedenkstätte Bullenhuser Damm auf bildarchiv-hamburg.de
- Günther Schwarberg: Inferno und Befreiung – Zwanzig Kinder erhängen dauert lange. In: Die Zeit. Nr. 15, 6. April 2005
- Dierk Strothmann: Die Kinder vom Bullenhuser Damm. In: Hamburger Abendblatt, vom 20. April 2005
- Hans Canjé: Aber grausam war der Mord nicht … In: Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft. Bd. 10, Nr. 23, 17. November 2007, ISSN 1434-7474, S. 924–925.
- Rose Garden for the Children of Bullenhuser Damm A Teacher’s Guide to the Holocaust, College of Education, University of South Florida
Einzelnachweise
- Günther Schwarberg: Inferno und Befreiung – Zwanzig Kinder erhängen dauert lange. In: Die Zeit. Nr. 15, 6. April 2005.
- Gedenkfeier für die Kinder vom Bullenhuser Damm. In: Hamburger Abendblatt, 20. April 2019, S. 12. Quelle dpa.
- Aussage Trzebinskis, zitiert nach: Günther Schwarberg: Inferno und Befreiung – Zwanzig Kinder erhängen dauert lange. In: Die Zeit. Nr. 15, vom 6. April 2005.
- Dierk Strothmann: Die Kinder vom Bullenhuser Damm. In: Hamburger Abendblatt, vom 20. April 2005.
- "Kunst im öffentlichen Raum" in Schnelsen. www.schnelsenarchiv.de.
- Thomas Schattner: Strippels Blutspur durch Europas KZs – Sie begann vor 70 Jahren hier in Unshausen. (Memento vom 23. Juli 2007 im Internet Archive) In: Verein zur Förderung der Gedenkstätte und des Archives Breitenau e. V. Rundbrief. Nr. 24, 2005, ZDB-ID 917090-x, S. 57–62, hier S. 60, (PDF; 107 kB) mit Foto von Strippel.
- Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm e.V., abgerufen am 19. Januar 2022
- Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm e.V.
- Identifizierung nach 70 Jahren www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de
- Walter Jungleib bei kulturkarte.de
- Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm e.V.
- Die am 13. Juni 2013 geänderten Altersangaben und der Vorname Blumel wurden aus dem Buch „Straße der Erinnerung“ (herausgegeben von der Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm e.V.) entnommen.
- Homepage der Vereinigung (Memento vom 3. November 2011 im Internet Archive)
- Michael Schwelien: Erst mußte einer sterben. In: Die Zeit. 29. August 1980, abgerufen am 30. Dezember 2020.
- KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): Gedenkstätte Bullenhuser Damm. Außenstelle der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Faltblatt vom April 2011.
- Deliah Cavalli-Ritterhoff: Stadtteil erinnert an Kinder vom Bullenhuser Damm kirche-hamburg.de, 16. April 2015, abgerufen am 17. Juni 2019.