Friedrich Christoph Schlosser
Friedrich Christoph Schlosser (* 17. November 1776 in Jever; † 23. September 1861 in Heidelberg, Großherzogtum Baden) war ein deutscher Historiker.
Leben und Wirken
Ausbildung und frühe Jahre
Schlosser wurde 1776 in der Herrschaft Jever als jüngstes von zwölf Kindern des Advokaten Carl Wilhelm Schlosser (1727–1783) und der Kaufmannstochter Weike Maria geb. Mehrings (1735–1794) geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters besuchte er zunächst die Lateinschule seiner Heimatstadt und entschied sich dann zunächst für das Pfarramt. Folgerichtig studierte er von 1794 bis 1797 in Göttingen Theologie, daneben aber auch klassische Philologie und Geschichtswissenschaft, wobei er durch die spätaufklärerische Geschichtsschreibung August Ludwig von Schlözers und Ludwig Timotheus Spittlers beeinflusst wurde. Nach dem Studium war er zunächst zehn Jahre als Hauslehrer tätig, zunächst ab 1797 bei der Familie des Grafen Bentinck in Varel, ab 1798 bei einem Kaufmann in Othmarschen und ab 1800 schließlich bei dem angesehenen Kaufmann Georg Meyer in Frankfurt am Main. In Frankfurt blieb Schlosser acht Jahre und nutzte diese Zeit für umfassende Studien zur philosophischen, theologisch-pädagogischen und historischen Literatur der Aufklärung. Um sich für den Lehrerberuf zu qualifizieren, veröffentlichte er 1807 seine erste Schrift, eine religions- und kirchengeschichtliche Untersuchung, die von der Fachwelt wohlwollend aufgenommen wurde. Ostern 1808 nahm Schlosser die Stelle eines Konrektors an der Provinzialschule in Jever an.
Tätigkeit in Frankfurt
Bereits im Herbst 1809 verließ Schlosser Jever, ging nach Frankfurt am Main zurück und verfasste hier erste historische Schriften. Zwischenzeitlich wurde ihm von der Universität Gießen der Grad eines Dr. phil. verliehen. Unterstützt von seinem ehemaligen Arbeitgeber Meyer wurde Schlosser von 1810 bis 1819 Collaborator am Städtischen Gymnasium. Seine Tätigkeit ermöglichte Schlosser umfangreiche wissenschaftliche Arbeit und so konnte er 1812 seine Geschichte der bilderstürmenden Kaiser des oströmischen Reiches, eine Fortführung und Korrektur von Edward Gibbons Hauptwerk The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, veröffentlichen. Dieses Werk erregte die Aufmerksamkeit des Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg, des Landesherrn des 1810 neugeschaffenen Großherzogtums Frankfurt. Im Zuge einer Reorganisation des Unterrichtswesens gründete Dalberg in seiner Residenzstadt Frankfurt 1812 als Universitätsersatz das Lyceum Carolinum. An dieser Anstalt erhielt Schlosser eine Professur für Geschichte und Philosophie und lehnte den fast gleichzeitig erfolgten Ruf an die Universität Heidelberg ab.
Tätigkeit in Heidelberg
Nach dem Sturz Napoleons und der Wiederherstellung der Freien Stadt Frankfurt wurde das Lyceum geschlossen und Schlosser wurde stattdessen 1814 Stadtbibliothekar. Im August 1817 ging er schließlich doch als Professor für Geschichte an die Universität Heidelberg, wo er bis 1825 zusätzlich die Universitätsbibliothek leitete. In Heidelberg, wo Schlosser bis zum Sommersemester 1852 lehrte, entwickelte er eine im Sinne des Liberalismus äußerst wirkungsvolle Tätigkeit und schrieb mehrere Geschichtswerke. Seine zwei bekanntesten Werke sind die teils von ihm verfasste, teils auf der Grundlage seiner Veröffentlichungen von Georg Ludwig Kriegk zusammengestellte Weltgeschichte für das deutsche Volk und die mehrfach überarbeitete Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts und des neunzehnten bis zum Sturz des französischen Kaiserreichs, die bis 1865 fünf Auflagen erlebte.
Bewertung
Schlossers Geschichtsschreibung prägte der universalhistorische Ansatz sowie die enge Verbindung von politischer Geschichte und Geistesgeschichte. Durch Literatur und Philosophie glaubte Schlosser, den Zeitgeist der jeweiligen Epoche erfassen zu können. Er rezipierte große Stoffmengen und brachte sie direkt in seine Darstellungen ein, wobei er den Schwerpunkt nicht, wie andere Historiker seiner Zeit, auf die Form, sondern auf den Inhalt lenkte. Seine Arbeitsweise war, beispielsweise im Gegensatz zu der des etwas jüngeren Leopold von Ranke, der die Grundlagen der modernen, kritischen Geschichtswissenschaft erarbeitete, in Methode und Zielsetzung noch vom vor-wissenschaftlichen, vor-historistischen 18. Jahrhundert geprägt. Von der Aufklärung beeinflusst und in scharfer Form gegen Ungleichheit und Gebundenheit, gegen Absolutismus und Aristokratie, gegen ständische Ordnungen und ihre Nutznießer eingestellt, hatte Schlosser mit seinen Veröffentlichungen neben der klassischen auch die sittliche, moralische und staatsbürgerliche Bildung im Blick, wobei er den Blick auf die eigene Gegenwart richtete. Bei Schlosser rückte, orientiert am Humanitätsbild der Aufklärung, die Selbstentfaltung des freien Individuums gegenüber der „verstehenden“, objektiven Darstellung historischer Abläufe bewusst in den Vordergrund, wobei er seine Schilderungen bewusst subjektiv und moralisch wertend gestaltete. Mit seinen Veröffentlichungen erzielte Schlosser seine höchste Wirkung im Vormärz und im Jahrzehnt nach dem Scheitern der Revolution von 1848, u. a. auch in Russland, wo seine„ Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts“ von Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski übersetzt wurde.
Schlosser ging nicht darauf aus, durch schöne Form zu wirken, stand vielmehr in ausgesprochenem Gegensatz zu der kritischen, so auch der künstlerischen Geschichtsschreibung. Der wissenschaftliche Gehalt seiner Werke steht hinter der moralischen Wirkung weit zurück, aber der für seine Zeit charakteristische Liberalismus seiner Auffassung hat seine Werke dem Verständnis des Volkes nähergebracht als die irgendeines andern Geschichtsschreibers. (Meyers Großes Konversationslexikon, 1905) Schlosser wirkte stark auf die politischen Anschauungen des Mittelstands und des aufstrebenden Bürgertums. Er war selbst nie politisch tätig.
Schlosser verstarb am 23. September 1861 in Heidelberg. Seine sterblichen Überreste ruhen auf dem Bergfriedhof in Heidelberg. Schlossers neugotische Grabstele mit Architekturaufsatz, eine Arbeit des Bildhauers Heinrich Greif, befindet sich in der Abteilung H. Sein Grab lag ursprünglich unweit der Ruhestätte von Charles de Graimberg auf Lit. C.[1]
Familie
Im Alter von 50 Jahren heiratete Schlosser am 28. März 1827 die aus Bendorf stammende Louise Henriette Hoffmann (1791–1862), die Ehe blieb kinderlos.
Ehrungen
- 1852 wurde Friedrich Christoph Schlosser die Ehrenbürgerwürde der Stadt Heidelberg verliehen.
- 1853 erhielt er den Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst.[2]
- 1860 erhielt Friedrich Christoph Schlosser den Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste.[3]
- 1876 wurde ihm zur Ehre in Jever auf dem Schlosserplatz ein Denkmal errichtet.
Veröffentlichungen
- Abälard und Dulcin. Gotha, 1807.
- Leben des Theodor de Beza und des Peter Martyr Vermili. Heidelberg, 1809.
- Geschichte der bilderstürmenden Kaiser des oströmischen Reiches. Frankfurt am Main, 1812.
- Weltgeschichte in zusammenhängender Erzählung. 9 Bände. Frankfurt am Main, 1815–1824.
- Geschichte des 18. Jahrhunderts und des 19. bis zum Sturz des französischen Kaiserreichs. 2 Bände. Heidelberg 1823; 4. Auflage: 8 Bände. Heidelberg, 1853–1860.
- Universalhistorische Übersicht der Geschichte der Alten Welt und ihrer Kultur. 9 Teile. Frankfurt am Main, 1826–1834.
- Zur Beurteilung Napoleons und seiner neuesten Tadler und Lobredner. 3 Bände. Frankfurt am Main, 1832–1835.
- Dante. Leipzig, 1855.
- Weltgeschichte für das deutsche Volk. 18 Bände und 1 Registerband. Frankfurt am Main, 1844–1857; später von Oskar Jäger und Franz Wolff fortgesetzt, zuletzt: 20 Bände. Stuttgart 1901–1904.
Literatur
- Dagmar Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803–1932. Springer, Berlin, Heidelberg, Tokio 2012, ISBN 978-3-642-70761-2.
- [Bernhard] Erdmannsdörfer: Gedächtnisrede zu der Feier von Schlossers 100jährigem Geburtstag. Heidelberg 1876.
- Georg Gottfried Gervinus: Friedrich Christoph Schlosser, ein Nekrolog. Leipzig 1860.
- Georg Gölter: Die Geschichtsauffassung Friedrich Christoph Schlossers, phil. Diss., Heidelberg 1966.
- Michael Gottlob: Geschichtsschreibung zwischen Aufklärung und Historismus. Johannes von Müller und Friedrich Christoph Schlosser. Lang, Frankfurt am Main 1989. ISBN 3-631-40739-4.
- Michael Gottlob: Schlosser, Friedrich Christoph. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-11204-3, S. 104 (Digitalisat).
- Ellen-Charlotte Sellier-Bauer: Friedrich Christoph Schlosser. Ein deutsches Gelehrtenleben im 19. Jahrhundert. V & R unipress, Göttingen 2004, ISBN 3-89971-175-0.
- Franz Xaver von Wegele: Schlosser, Friedrich Christoph. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 31, Duncker & Humblot, Leipzig 1890, S. 533–541.
- W. DILTHEY-O.LORENZ: I principi della storiografia di Friedrich Christoph Schlosser., traduzione, introduzione e cura di M. Martirano, Napoli, 1993.
- Maurizio Martirano: Storia della cultura e giudizio morale nella storiografia di Friedrich Christoph Schlosser. In: Archivio di storia della cultura, Band VII (1994), S. 35–114.
- Maurizio Martirano: Religion, Kulturgeschichte und moralisches Urteil in der Geschichtsauffassung Friedrich Christoph Schlossers. In: Geschichte und Gegenwart, Band 16,4 (1997), S. 211–229.
- Hans Friedl: Schlosser, Friedrich Christoph. In: Hans Friedl u. a. (Hrsg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg. Hrsg. im Auftrag der Oldenburgischen Landschaft. Isensee, Oldenburg 1992, ISBN 3-89442-135-5, S. 639 f. (online).
Weblinks
- Literatur von und über Friedrich Christoph Schlosser im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Friedrich Christoph Schlosser in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Friedrich Christoph Schlosser im Kulturportal Nordwest (Memento vom 18. August 2016 im Internet Archive)
- Jever: Bekannte Personen, abgerufen am 9. Oktober 2017.
Einzelnachweise
- Leena Ruuskanen: Der Heidelberger Bergfriedhof im Wandel der Zeit. Verlag Regionalkultur. 2008.
- Hans Körner: Der Bayerische Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst und seine Mitglieder. In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte Bd. 47, 1984, S. 299–398 (Digitalisat).
- Der Orden Pour le Merite für Wissenschaft und Künste. Die Mitglieder des Ordens. Band 1 (1842–1881), Gebr. Mann-Verlag, Berlin 1975, S. 220–221 (Digitalisat).