Fürstentum Bulgarien
Das Fürstentum Bulgarien (bulgarisch Княжество България Knjaschestwo Balgaria) war ein Staat, der von 1878 bis 1908 existierte. Er wurde nach dem Berliner Kongress von 1878 durch Herauslösung aus dem Osmanischen Reich gegründet. Das Fürstentum unterlag jedoch nominell der Souveränität des Osmanischen Reiches und blieb diesem als Vasallenstaat tributpflichtig. Die Hauptstadt des Fürstentums war Sofia.
Fürstentum Bulgarien Княжество България Knjaschestwo Balgarija 1878–1908 | |||||
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Verfassung | Verfassung von Tarnowo 1881–1883 Verfassungssistierung | ||||
Amtssprache | Bulgarisch | ||||
Hauptstadt | Sofia | ||||
Herrschaftsform | Fürstentum | ||||
Regierungssystem | Konstitutionelle Monarchie | ||||
Staatsoberhaupt | Knjaz | ||||
Regierungschef | Ministerpräsident | ||||
Fläche – 1880 – 1908 |
63.752 km² 95.223 km² | ||||
Einwohnerzahl – 1880 – 1908 |
2.007.919 4.215.000 | ||||
Währung | Lew (1 Lew = 100 Stotinki) | ||||
Gründung | 3. März 1878 Frieden von San Stefano (De-facto-Unabhängigkeit) 13. Juli 1878 Berliner Kongress (Internationale Anerkennung) | ||||
Auflösung | 5. Oktober 1908 Umwandlung in Zarentum Bulgarien | ||||
Nationalhymne | Schumi Maritza | ||||
Karte | |||||
Lage
Das Fürstentum Bulgarien umfasste bis zur Vereinigung mit Ostrumelien 1886 ungefähr die Gebiete der ehemaligen osmanischen Donau-Provinz: das heutige Nord-Bulgarien (nördlich des Balkangebirges und südlich der Donau mit der Süddobrudscha) sowie die Sofiaebene.
Vorgeschichte
Am Ende des 14. Jahrhunderts musste sich das Zweite Bulgarische Reich dem Osmanischen Reich unterwerfen.
Nach Jahrhunderten der Besetzung, die aufgrund ihrer Länge und der Brutalität besonders im letzten Jahrhundert der osmanischen Oberheit als 500 Jahre andauerndes Joch bezeichnet werden, setzte die Epoche der Bulgarischen Nationalen Wiedergeburt und die Lösung der „Bulgarischen Frage“ ein. Ähnlich wie in Westeuropa knüpfte sie an antike und frühere bulgarische und byzantinische Traditionen an. Sie führte in kultureller Hinsicht zur Durchsetzung der bulgarischen Sprache in Kirche und Schule, welche die bis dahin dominierende Griechische Sprache ablöste. Die kirchliche Unabhängigkeit wurde durch das Dekret von Sultan Abdülaziz vom 28. Februar 1870 erreicht. Dadurch erlangte die Bulgarisch-Orthodoxe Kirche nach der Jahrhunderte andauernden osmanischen Herrschaft erneut eine begrenzte Unabhängigkeit. Unter dem Namen Bulgarisches Exarchat wurde die Kircheninstitution nun dem Sultan unterstellt. Um 1800 erhob sich der geistig-nationale Widerstand mit der Forderung nach Unabhängigkeit, dessen spätere Ausprägung von den Ideen der Ideologen Georgi Rakowski und Wassil Lewski gezeichnet war.
Infolge der blutigen Niederschlagung der Aufstände von 1875 (Stara-Sagora-Aufstand in Stara Sagora) und 1876 (Aprilaufstand) und dem Bestreben der Großmächte, vor allem jedoch Russlands, zur Lösung der Bulgarischen Frage, berief der damalige britische Premierminister Benjamin Disraeli die internationale Konferenz von Konstantinopel ein. Diese fand vom 23. Dezember 1876 bis zum 20. Januar 1877 statt und beschrieb zwar mit ein oder zwei – teilweise unabhängigen – Autonomiegebieten innerhalb des Osmanischen Reiches erstmals die Grenzen eines bulgarischen Staates in der Neuzeit, blieb jedoch ohne nennenswerte Resultate. Daraufhin erklärte das Russische Reich dem Osmanischen Reich den Krieg (Russisch-Osmanischer Krieg von 1877 bis 1878).
Geschichte
Der Russisch-Osmanische Krieg von 1877 bis 1878 endete mit dem Sieg des Russischen Reiches, der im Frieden von San Stefano vom 3. März 1878 von den Osmanen anerkannt wurde. In diesem Friedensvertrag wurde die Gründung eines größeren Bulgariens vereinbart, das gemäß der im Vorjahr in Konstantinopel gescheiterten Konferenz alle von Bulgaren bevölkerten Gebiete der Balkanhalbinsel umfassen sollte. Das Russische Reich strebte ein großes slawisches Fürstentum auf dem Balkan an, was jedoch von den anderen europäischen Großmächten abgelehnt wurde. Gemäß dem Friedensvertrag von San Stefano sollte der neue Staat Bulgarien zunächst für zwei Jahre unter russischer Verwaltung stehen.
Drei Monate später wurde auf dem Berliner Kongress der Friedensvertrag von San Stefano teilweise wieder zugunsten des Osmanischen Reiches revidiert. Die Fläche des bulgarischen Staates umfasste nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen 172.000 km², sondern nur noch 63.750 km² für das Fürstentum Bulgarien. Der bulgarische Staat wurde schließlich nur auf das Territorium zwischen der Donau um dem Balkangebirge (entspricht grob dem heutigen Nordbulgarien), sowie die Hochfläche von Sofia und die Süddobrudscha begrenzt. In Nordbulgarien liegt auch die alte bulgarische Hauptstadt Weliko Tarnowo. Während die neu errichtete Provinz Ostrumelien (entspricht grob dem heutigen Südbulgarien) über einen autonomen Status verfügte, verblieben andere von den Bulgaren beanspruchte Gebiete wie Makedonien und Ostthrakien innerhalb des Osmanischen Reiches und ohne einen solchen Autonomiestatus. Die Gebiete um die Südliche Morava (jenseits der Südwestgrenze des heutigen Bulgarien) und Pirot (jenseits der Nordwestgrenze des heutigen Bulgarien) wurden dem Fürstentum Serbien überlassen, die Norddobrudscha (jenseits der Nordostgrenze des heutigen Bulgariens) dem Königreich Rumänien.
Für die Bulgaren war der Berliner Friedensvertrag eine große Enttäuschung.[1] Sie waren erwartungsgemäß mit den gezogenen engen Grenzen unzufrieden. Als Reaktion gegen die Entscheidungen des Berliner Kongresses brach im Herbst 1878 im Nordosten Makedoniens der Kresna-Raslog-Aufstand (1878) aus, der allerdings von regulären osmanischen Truppen niedergeschlagen wurde.[1]
1885 erfolgte gegen den Willen Russlands und der europäischen Großmächte die Vereinigung Ostrumeliens mit dem Fürstentum Bulgarien. Diese Vereinigung kam durch einen Putsch in Plowdiw im September 1885 zustande. Die Großmächte intervenierten nicht, da sie sich wegen Machtkämpfen untereinander nicht einigen konnten. Die bulgarische Besetzung Ostrumeliens dauerte nicht lange und die Provinz wurde am 17. April 1886 wieder nominell der osmanischen Souveränität unterstellt. Ostrumelien blieb jedoch unter bulgarischer Kontrolle. Die Hohe Pforte machte dabei mit dem Tophane-Vertrag vom 24. Märzjul. / 5. April 1886greg. große Zugeständnisse, indem sie den Fürsten von Bulgarien als General-Gouverneur der osmanischen Provinz Ostrumelien anerkannte.
Kurz nach der Vereinigung mit Ostrumelien erklärte Serbien Bulgarien mit der Hoffnung auf leichte Gebietsgewinne den Krieg, da die Aufmerksamkeit und Kräfte in Bulgarien ganz auf Ostrumelien gerichtet waren. Der Serbisch-Bulgarische Krieg dauerte vom 14. bis zum 28. November 1885. Die Bulgaren besiegten im November 1885 die Serben in der Schlacht bei Sliwniza und in der von Pirot. Die dabei erzielten Gebietsgewinne wurden allerdings durch eine diplomatische Intervention Österreich-Ungarns im Frieden von Bukarest vom 2. März 1886 wieder rückgängig gemacht und der Status quo ante wiederhergestellt.
1902 brach in Makedonien der Gorna-Dschumaja-Aufstand aus, der logistisch und durch Waffenlieferungen von Bulgarien unterstützt wurde.
1903 brach in Makedonien und Thrakien der Ilinden-Preobraschenie-Aufstand aus. Die Folge waren mehr als 5000 Todesopfer, 200 Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, 12.000 Häuser verbrannt, 70.000 Menschen wurden obdachlos, Zehntausende flohen in die benachbarten Länder, unter anderem 30.000 nach Bulgarien.
Am 5. Oktober 1908 wurde schließlich die Unabhängigkeit des Fürstentums Bulgarien durch das Osmanische Reich anerkannt und das Fürstentum in ein Zarentum umgewandelt.
Die Verfassung des Fürstentums Bulgarien war die Verfassung von Tarnowo (16. April 1879), sie wurde auch auf das Königreich übertragen.
Herrscher
Auf dem Berliner Kongress wurde vereinbart, dass das Fürstentum Bulgarien von einem Fürsten regiert wird, der von einer Versammlung, bestehend aus prominenten bulgarischen Vertretern, gewählt werden soll und von den Großmächten bestätigt werden muss. Der Fürst sollte kein Russe sein. Man einigte sich dann jedoch auf Alexander I. von Battenberg als Kompromiss, obwohl er ein Neffe des russischen Zaren Alexander II. war.
Die Große Volksversammlung (bulgarisch Велико народно събрание) wählte 1879 Alexander I. von Battenberg zum Fürsten. Er hatte als Freiwilliger auf russischer Seite am Russisch-Osmanischen Krieg teilgenommen. Alexander I. war von 1879 bis 1886 Fürst Bulgariens.
Die Vereinigung mit Ostrumelien machte Fürst Alexander I. sehr populär unter den Bulgaren. Das Russische Reich wurde jedoch zunehmend unzufriedener mit seinen liberalen Tendenzen. Fürst Alexander I. hatte zu Amtsantritt noch konservative Ansichten und stand in Opposition zu Stefan Stambolow, der ab 1886 als Ministerpräsident mit seiner liberal-demokratischen Partei die Macht hatte. Ab 1885 entwickelte der Fürst jedoch zunehmend Sympathien für seine neue Heimat, seine Einstellung änderte sich und er wurde zunehmend liberaler. Der Fürst unterstützte auch die Vereinigung mit Ostrumelien. Die Russen brachten 1886 eine Gruppe bulgarischer Militärs dazu, einen Putsch gegen Fürst Alexander durchzuführen und ihn zu stürzen. Der Fürst wurde zur Abdankung gezwungen und ging nach Russland ins Exil.
Diese Militärs blieben jedoch nicht lange an der Macht, sondern wurden ihrerseits durch einen Gegenputsch unter Leitung von Stefan Stambolow gestürzt.
Stambolows Gegenputsch führte dazu, dass die putschenden Militärs ihrerseits ins Ausland fliehen mussten. Stefan Stambolow war vom 28. August 1886 bis 3. September 1886 Staatsoberhaupt des Fürstentums Bulgarien. Während des ersten Exils von Alexander I. setzte Stambolow diesen wieder als Fürsten ein. Der umgehend folgende Einspruch des russischen Zaren führte dazu, dass Alexander I. erneut gezwungen war abzudanken.
Es wurde ein Regentenrat eingesetzt, der unter der Leitung von Stefan Stambolow stand und die Regierungsgeschäfte bis zur Wahl eines neuen Fürsten führte. In dieser Zeit – vom 28. August 1886 bis zum 3. September 1886 – war Stefan Stambolow wieder Staatsoberhaupt des Fürstentums Bulgarien, solange der Fürstenthron vakant war.
Der neue Fürst war ab dem 7. Juli 1887 (gregorianischer Kalender) ebenfalls ein Deutscher: Ferdinand I. von Sachsen-Coburg. Ferdinand I. war der Kandidat der Habsburgermonarchie, weshalb die Russen ihn ablehnten. Seine Anerkennung durch die Osmanen und die europäischen Großmächte erlangte er allerdings erst 1896. Anfangs arbeitete Ferdinand I. mit Stambolow zusammen, ihre Beziehung verschlechterte sich 1894 jedoch merklich. Stambolow trat zurück und wurde im Juli 1895 bei einem Attentat getötet. Ferdinand beschloss danach, wieder Beziehungen mit den Russen aufzunehmen, weswegen er zu einer konservativen Politik zurückkehrte.
Ferdinand I. heiratete 1893 seine erste Frau Marie Louise von Bourbon-Parma, mit der er vier Kinder hatte. Seine Frau war Italienerin. Ihre Familie war streng römisch-katholisch und stellte dem protestantischen Ferdinand noch vor der Hochzeit die Bedingung, dass seine Kinder, insbesondere der Thronfolger, den römisch-katholischen Glauben annehmen. Deshalb musste auch die Verfassung von Tarnowo geändert werden.
Auf Druck des russischen Zaren musste ihr erstgeborener Sohn Boris III. (1894–1943) jedoch am 2. Februar 1896 vom Katholizismus zum Orthodoxen Glauben wechseln. Dies war Bedingung der Russen, bevor sie einer Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Fürstentum Bulgarien und dem Russischen Reich zustimmten.
Drittes Bulgarisches Reich
Mit dem Fürstentum Bulgarien, genauer mit dem im Frieden von San Stefano vereinbarten Staat Bulgarien, begann das Dritte Bulgarische Reich (bulgarisch Трета българска държава; Transkription: Treta balgarska darzhawa), als Nachfolger des Ersten und Zweiten Bulgarischen Reiches. Das ist jedoch nicht im Sinne eines Großreiches zu verstehen, wie die vorherigen Bulgarischen Reiche, sondern eher als dritte Etappe im Bestehen der bulgarischen Staatlichkeit. Die wörtliche Übersetzung aus dem Bulgarischen „Dritter Bulgarischer Staat“ sagt es treffender oder auch „Drittes Bulgarisches Königreich“, wie es auf Russisch genannt wird.
Das Fürstentum Bulgarien war der Name des ersten bulgarischen Staates der Neuzeit. Das heutige Bulgarien sieht sich als Teil dieses Dritten Bulgarischen Reiches bzw. Staates.
Siehe auch
Einzelnachweise
- Mehmet Hacisalihoglu: Die Jungtürken und die Mazedonische Frage (1890–1918), R. Oldenbourg Verlag, München, 2003, ISBN 3-486-56745-4, S. 48
Weblinks
- Herrscher Bulgariens (englisch)