Erdschlusskompensation
Die Erdschlusskompensation, auch als Resonanzsternpunkterdung (RESPE) oder als gelöschtes Netz bezeichnet, dient in elektrischen Energieversorgungsnetzen dazu, den Fehlerstrom bei nicht beabsichtigten Erdschlüssen eines Außenleiters zu kompensieren.[1] Die Erdschlusskompensation ist auf Wechselspannungssysteme wie Dreiphasensysteme als eine Form der Sternpunktbehandlung und in abgewandelter Form auf Einphasen-Dreileiternetze, wie sie bei Bahnstromnetzen vorkommen, beschränkt.[2] Sie verwendet eine Spule, die in diesem Zusammenhang nach ihrem Erfinder auch als Petersenspule oder als Erdschlusslöschspule bezeichnet wird, die den kapazitiven Erdschlussstrom kompensiert und somit an der Fehlerstelle die Fehlerspannung reduziert. Das Verfahren wurde 1917 von Waldemar Petersen patentiert.[3]
Die Erdschlusskompensation wird typischerweise im Hochspannungsbereich bei Freileitungsnetzen bis zu 110 kV eingesetzt. Sie ist eine wirkungsvolle Methode, um die Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie zu erhöhen.
Motivation
Ein wesentlicher Anteil der Störungen in elektrischen Energieversorgungsnetzen ist auf einen Erdschluss zurückzuführen. Erdschluss kann durch Kabelbeschädigung, das Hineinwachsen eines Baumes in eine Freileitung, Windschäden oder durch fehlerhafte Isolation der Anlage ausgelöst werden.
Die Erdung des Sternpunktes könnte über einen niederohmigen Widerstand (niederohmige Sternpunkterdung – NOSPE; kurzzeitig niederohmige Sternpunkterdung – KNOSPE), wie bei TN-Systemen im Niederspannungsbereich, erfolgen. Der Nachteil dieser Methode in Mittel-/Hochspannungsnetzen zur großräumigen Energieversorgung ohne Redundanz in Form weiterer Leitungen besteht darin, dass bei einem Erdschluss die Leitung, ähnlich wie beim Fehlerstromschutzschalter im Niederspannungsbereich, abgeschaltet und erst nach der Fehlerbehebung wieder in Betrieb genommen werden kann. Da von diesen Ausfällen unter Umständen sehr viele Energiekunden betroffen sind, wird hingegen die Erdschlusskompensation genutzt, um das erdschlussbehaftete Netz weiter betreiben zu können. Dem Netzbetreiber bleibt dadurch Zeit, die Fehlerstelle zu ermitteln und diese durch Netzumschaltungen ohne Versorgungsausfall freizuschalten.
Die Erdschlusskompensation verhindert somit bei einpoligen Erdschlüssen einen hohen Fehlerstrom und die Notwendigkeit zum sofortigen Abschalten der betroffenen Leitung.
Funktion
Bei der Durchführung der Erdschlusskompensation werden die Sternpunkte eines oder mehrerer Leistungstransformatoren über die Erdschlusslöschspule LE mit dem Erdpotential verbunden, wie in nebenstehender Schaltskizze bei Transformator 1 dargestellt. An der Erdschlusslöschspule liegt im fehlerfreien Fall praktisch keine Spannung an. Im vereinfachten Fall können Wirkwiderstände der Leitung vernachlässigt werden. Bei realen, großräumigen Systemen kann es nötig sein, die Erdschlussspule zur Minimierung der ohmschen Anteile auf getrennte Orte aufzuteilen.
Kommt es zu einem niederohmigen Erdschluss, wie in der Skizze an dem Außenleiter L3 angedeutet, gerät der Leiter L3 auf Erdpotential. Der Sternpunkt ist um die Sternspannung verschoben und auf den beiden restlichen Außenleitern L1 und L2 tritt die um den Faktor größere Dreieckspannung gegen Erde auf. Diese Spannungsüberhöhung ist bei Auslegung der Isolation zu beachten.
Die Erdschlusslöschspule bildet mit den drei Leiterkapazitäten (im Fehlerfall mit den beiden noch wirksamen, im Bild schwarz dargestellten Erdkapazitäten) der Übertragungsleitung einen Parallelschwingkreis. Die Induktivität der Spule wird dabei so eingestellt, dass der Blindstrom durch die Spule betragsmäßig gleich der vektoriellen Summe der beiden Blindströme durch die Kapazitäten der Außenleiter L1 und L2 gegen Erde ist. Die drei Leiterkapazitäten sind nahezu identisch, was unter anderem durch den Einsatz von Verdrillmasten entlang der Freileitung gewährleistet wird. Damit wird die erforderliche Induktivität zu[4]
mit
Da der induktive Blindstrom der Spule nun den über die Fehlerstelle fließenden kapazitiven Blindstrom der Außenleiter kompensiert, fließt er nicht mehr über die Erdschlussstelle und wird im Idealfall Null. Dadurch kann dort der Lichtbogen verlöschen, es wird keine weitere thermische Leistung umgesetzt und möglicherweise verschwindet der Fehler sogar, wenn er beispielsweise durch einen Blitzschlag oder durch einen Vogel verursacht worden war. Die Induktivität der Spule wird unter Berücksichtigung der Transformatoren auf die Leiterkapazität abgestimmt. Damit die Erdschlusslöschspule an verschiedene Leitungskapazitäten angepasst werden kann – je nach Schaltzustand und Länge der Leitungen sind diese Werte unterschiedlich – verfügt sie typischerweise über Einrichtungen zur Abstimmung, zum Beispiel ein Schrittschaltwerk oder die Veränderung des Luftspaltes mittels Tauchkern. Die Verstellung des Tauchkernes erfolgt durch einen Motor.
In realen Anlagen fließt aufgrund der Dämpfung durch Spule und Leitung ein geringer Wirkreststrom durch die Erdschlussstelle. Dieser Wirkstromanteil kann aufgrund der Phasenlage nicht durch die Erdschlusslöschspule kompensiert werden. Der Wirkreststrom kann 5 % bis 10 % des Erdschlussstromes betragen und soll so gering sein, dass eine selbstständige Löschung des Lichtbogens am Erdschlusspunkt stattfinden kann.
Ein Problem des Verfahrens ist die resonanzbedingte Spannungsüberhöhung u. a. bei Schaltvorgängen auch im intakten Netz. Um dies zu verbessern, ist eine gewisse Dämpfung erwünscht (sie entsteht zum Beispiel durch Koronaentladungen der Freileitung oder auch die endliche Güte der Spule) und zudem wird leicht (5 %) überkompensiert. Beides sowie die Netzausdehnung erhöht den verbleibenden Fehlerstrom. Er wird durch die Lichtbogen-Löschgrenze limitiert und beträgt im Mittelspannungsnetz zum Beispiel maximal 60 Ampere.[5]
Lichtbogenfehler
Die Erdschlusskompensation dient auch dazu, Lichtbogenfehler gegen Erde zu vermeiden und den Lichtbogen ohne Spannungsunterbrechung zu löschen. Der Lichtbogenfehler ist wegen seiner extremen Hitzeentwicklung besonders gefährlich. Er zeichnet sich nicht durch einen satten elektrischen Kurzschluss aus. Durch eine entsprechend abgeglichene Erdschlusskompensation wird dem Lichtbogen der notwendige Strom für die Aufrechterhaltung der Ionisierung der umgebenden Luft entzogen, wodurch er selbstständig erlischt. Aus dieser Eigenschaft resultiert die Bezeichnung Erdschlusslöschspule.
Alternative Verfahren
Auf Spannungsebenen mit Höchstspannung ab 220 kV aufwärts, in einigen Fällen auch schon bei 110 kV, kann die Petersen-Spule wegen des verbleibenden Erdschlussreststroms, bestehend aus ohmschem Wirkanteil und der Verstimmung, nicht mehr eingesetzt werden. Weiter ist hierbei wegen der im Erdschlussfall auftretenden Spannungserhöhung in den gesunden Leitern eine erhöhte Isolierung nicht wirtschaftlich. In oberen Netzebenen wird daher der Transformatorsternpunkt starr geerdet (SSPE). Im Fehlerfall wird dann durch den Netzschutz die Leitung innerhalb von 100 ms abgeschaltet. Ein Lichtbogenfehler wie bei einem Erdschluss erlischt dann in der spannungslosen Pause von etwa 400 ms. Eine Automatische Wiedereinschaltung (AWE) sorgt für eine Wiedereinschaltung der Leitung nach dem Lichtbogenfehler. Liegt ein metallischer Kurzschluss vor, kommt es zur definitiven Ausschaltung der Leitung (erfolglose AWE) und vom Distanzschutzrelais kann automatisch die Position der Fehlerstelle an der Leitung bestimmt werden.
Die Versorgungssicherheit wird im Bereich der oberen Spannungsebenen und in vermascht aufgebauten Verbundnetzen durch Redundanz in Form der N-1-Regel sichergestellt. Diese besagt vereinfacht, dass zu jeder Zeit ein elektrisches Betriebsmittel, wie Transformator oder Leitung, ausfallen darf, ohne dass es zu einer Überlastung eines anderen Betriebsmittels oder zu einer Unterbrechung der Energieversorgung kommen darf.
Netze
Das gemeinsame[6] 16,7-Hz-110-kV-Bahnstromnetz der DB und ÖBB, 1995 geringfügig auf die Frequenz von 16,7 Hz angehoben und im selben Jahr mit dem Netz der ehemaligen DDR wiedervereinigt ist nach Autor Schossig längen- und flächenmäßig das weltweit größte gelöscht betriebene Hochspannungsnetz.[7][8]
Literatur
- Réne Flosdorff, Günther Hilgarth: Elektrische Energieverteilung. 8. Auflage. Teubner, 2003, ISBN 3-519-26424-2.
- Clemens Obkircher: Ausbaugrenzen gelöscht betriebener Netze. Dissertation, Technische Universität Graz, 2008 (ifea.tugraz.at [PDF; 1,2 MB]).
- R. Willheim: Das Erdschlußproblem in Hochspannungsnetzen. Verlag von Julius Springer, Berlin 1936
- Leitfaden zum Einsatz von Schutzsystemen in elektrischen Netzen. VDE-FNN / VEÖ, Ausg. September 2009, vde.de und Anhang für die Schweiz. VSE/AES. Ausgabe vom 17. November 2011 strom.ch (Memento vom 26. Februar 2015 im Internet Archive) (PDF)
Einzelnachweise
- Skriptum Sternpunkterdung, Vorlesung Elektrische Energieversorgung II, Universität Hannover
- SfB-Schiedsstelle für Beeinflussungsfragen (Hrsg.): Richtlinie für Schutzmaßnahmen an Tk-Anlagen gegen Beeinflussung durch Netze der elektrischen Energieübertragung, -verteilung sowie Wechselstrombahnen. 2005, S. 52–55 (sfb-emv.de [PDF]).
- Patent DE304823A mit dem Titel "Einrichtung zur Unterdrückung des Erschlußstromes von Hochspannungsnetzen", Patentinhaberin: Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG), Berlin, patentiert im Deutschen Reich ab 24. Januar 1917, Patentschrift ausgegeben am 12. April 1918.
- Olaf Lotter: Minimale Zustandsform asymmetrischer dreiphasiger Energieversorgungsnetze, Cuvillier Verlag 2005, 232 Seiten, Seite 202
- https://www.schutztechnik.com/posts/sternpunktbehandlung-das-kompensierte-netz Das kompensierte Netz, Mitteilung der SAREX Communications, abgerufen am 12. SEP 2021
- Die Kopplung zwischen DB- und ÖBB-Netz erfolgt an 2 Stellen (Murnau/Kochel am See (Walchenseekraftwerk)–Zirl und Traunstein–Steindorf) galvanisch, beide zusammengenommen können daher technisch als ein Netz betrachtet werden. Das Bahnnetz der Schweiz weist hingegen 132 kV Spannung und ist daher nur über Transformatoren gekoppelt.
- Walter Schossig: 40-jährige Unterbrechung beendet : 10 Jahre elektrische Wiedervereinigung Deutschlands. (Memento des Originals vom 8. Oktober 2007 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF) In: EW, Jg. 104, 2005, Heft 21–22, S. 80–83 – "Mit dem Verbund des österreichischen Bahnnetzes stellt das 110-kV-Netz DB/ÖBB aufgrund der Stromkreislänge von 19 100 km und der flächenmäßigen Ausdehnung das größte, gelöscht betriebene Hochspannungsnetz der Welt dar."
- Andere Quellen nennen 7900 oder 7959 km für Deutschland und etwa 2100 km für Österreich.