Erdüberlastungstag
Der Erdüberlastungstag (englisch Earth Overshoot Day, zunehmend seltener auch „Ecological Debt Day“, „Welterschöpfungstag“, „Weltüberlastungstag“ oder „Ökoschuldentag“) ist in einer jährlichen Kampagne der Organisation Global Footprint Network der Tag des laufenden Jahres, an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen das Angebot und die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen in diesem Jahr übersteigt. Der Erdüberlastungstag ist ein Aktionstag.
Das jeweilige Datum wird berechnet, indem der globale ökologische Fußabdruck (die menschliche Nachfrage an biologischen Ressourcen innerhalb des betreffenden Jahres) in ein Verhältnis zur gesamten globalen Biokapazität (die Menge der weltweiten Regeneration von biologischen Ressourcen innerhalb desselben Jahres) gesetzt wird; analog wird die jeweilige jährliche Ressourceninanspruchnahme auf eine entsprechende Anzahl Erden hochgerechnet. Das Ziel der Kampagne ist es, die Begrenztheit und Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und der Erde ins Bewusstsein der Menschen zu rücken und aufzuzeigen, wie das Datum in die Zukunft geschoben werden kann.
Daten und Konzept
Aus einer ökonomischen Perspektive betrachtet, befindet sich die Menschheit ab dem Erdüberlastungstag in einem Ressourcendefizit, weil sie ihr ganzes jährliches Ressourceneinkommen bereits aufgebraucht hat und sich deshalb „Geld von der Bank“ – das heißt der Erde – leihen muss. Dieser Zustand wird mit „overshoot“ bezeichnet.[1]
Das Konzept des Erdüberlastungstages wurde ursprünglich von Andrew Simms, Mitglied des britischen Think Tanks New Economics Foundation, entwickelt. Das Global Footprint Network misst die menschliche Nachfrage nach und das globale Angebot an natürlichen Ressourcen und ökologischen Dienstleistungen. Global Footprint Network stellt fest, dass mittlerweile schon nach sieben Monaten alle erneuerbaren Ressourcen und CO2-Abgaben eines ganzen Jahres verbraucht sind.[1] Die Organisation verwendet Begriffe der Ökonomie in der Hoffnung, nicht nur Wissenschaftler, sondern ein breiteres Publikum anzusprechen.
Im Jahr 2019 lag der Tag am 29. Juli. Der Trend der letzten 25 Jahre zeigt eine deutliche Vorverlegung zu einem früheren Datum. 2003 wurde der Tag für den 22. September berechnet, 1993 für den 21. Oktober,[1] wobei es aufgrund inzwischen verfeinerter Methodiken sowie neuer Erkenntnisse zu einer gewissen Schwankungsbreite z. B. aufgrund wetterbedingt unterschiedlicher Emissionen kommt.[2][3][4]
Jahr | Überlastungstag | Verbrauch in Erde-Einheiten |
---|---|---|
1961 | „15. Mai 1962“ | 0,73 (In diesem Jahr ließ die globale jährliche Ressourcen- inanspruchnahme noch Reserven übrig)[5] |
… | ||
1970 | 29. Dezember | 1,01 (Seitdem übersteigt der jährliche Verbrauch die global zur Verfügung stehenden Ressourcen)[6] |
1971 | 20. Dezember | 1,03 |
1972 | 10. Dezember | 1,06 |
1973 | 26. November | 1,10 |
1974 | 27. November | 1,10 |
1975 | 30. November | 1,09 |
1976 | 16. November | 1,14 |
1977 | 11. November | 1,16 |
1978 | 7. November | 1,17 |
1979 | 29. Oktober | 1,21 |
1980 | 4. November | 1,18 |
1981 | 11. November | 1,16 |
1982 | 15. November | 1,14 |
1983 | 14. November | 1,15 |
1984 | 6. November | 1,18 |
1985 | 4. November | 1,19 |
1986 | 30. Oktober | 1,20 |
1987 | 23. Oktober | 1,23 |
1988 | 15. Oktober | 1,27 |
1989 | 11. Oktober | 1,29 |
1990 | 11. Oktober | 1,29 |
1991 | 10. Oktober | 1,29 |
1992 | 12. Oktober | 1,28 |
1993 | 12. Oktober | 1,28 |
1994 | 10. Oktober | 1,29 |
1995 | 4. Oktober | 1,32 |
1996 | 2. Oktober | 1,33 |
1997 | 29. September | 1,34 |
1998 | 29. September | 1,34 |
1999 | 29. September | 1,34 |
2000 | 23. September | 1,38 |
2001 | 22. September | 1,38 |
2002 | 19. September | 1,39 |
2003 | 9. September | 1,45 |
2004 | 1. September | 1,49 |
2005 | 25. August | 1,54 |
2006 | 19. August | 1,58 |
2007 | 14. August | 1,62 |
2008 | 14. August | 1,62 |
2009 | 18. August | 1,59 |
2010 | 7. August | 1,67 |
2011 | 4. August | 1,69 |
2012 | 4. August | 1,69 |
2013 | 3. August | 1,70 |
2014 | 4. August | 1,69 |
2015 | 5. August | 1,68 |
2016 | 5. August | 1,68 |
2017 | 1. August | 1,71[6] |
2018 | 29. Juli | 1,74[7] |
2019 | 29. Juli | 1,74[8] |
2020 | 22. August | 1,56[9][10] |
2021 | 29. Juli | 1,74[11] |
Nationale Unterschiede
Katar und Luxemburg
Katar und Luxemburg belegten weltweit 2020 die Spitzenplätze. Katar verbrauchte seine Ressourcen für dieses Jahr bereits zum 11. Februar. Bei Luxemburg fiel der Erdüberlastungstag zuletzt auf den 19. Februar 2019 und auf den 16. Februar 2020.[12]
Vereinigte Staaten
In den Vereinigten Staaten von Amerika waren am 14. März die Ressourcen für 2021 verbraucht. Das bedeutet, mit diesem Datum ist der jährliche Bedarf der Natur überstiegen, was das Ökosystem der Vereinigten Staaten im ganzen Jahr regenerieren kann.[13]
Europäische Union
Würden alle Erdbewohner so wie in der Europäischen Union leben, wären 2019 die weltweiten Ressourcen bereits am 10. Mai verbraucht gewesen.[14]
Deutschland
2017 wurde der 24. April als Datum für Deutschlands Ressourcenerschöpfung ausgerechnet; seine Lebensweise beanspruche drei Erden. Für 2018 wurde hier der 2. Mai genannt, wegen wetterbedingter Schwankungen etwas später als 2017.[15] Defizite werden infolge des fehlenden ökologischen Wandels hinsichtlich einer Energiewende und der Verkehrswende in der Mobilität sowie in den Bereichen Landwirtschaft und der Klimapolitik mit hohen CO2-Emissionen gesehen; der Flächenverbrauch wegen des externalisierten Anbaus von Futtermitteln in Südamerika für die Fleischproduktion trage dazu bei; die industrialisierte Bewirtschaftung – im Gegensatz zu traditionellen Landwirtschaftsformen – zusammen mit Versiegelung des Bodens begünstige Hochwasser. Die Bundesrepublik Deutschland überziehe am nationalen Erdüberlastungstag die globalen ökologischen Ressourcen jedoch etwas später als die Vereinigten Staaten, die auf die Erdbevölkerung hochgerechnet fünf Planeten in Anspruch nähmen.[16] 2019 fiel der Erdüberlastungstag für Deutschland auf den 3. Mai,[17] 2021 auf den 5. Mai.
Hintergrund: Entwicklung des menschlichen Ressourcenverbrauchs
Seit jeher haben die Menschen natürliche Ressourcen verbraucht, um Städte und Straßen zu bauen, um Nahrungsmittel zu gewinnen oder andere Produkte herzustellen. Mitte der 1970er-Jahre hat nach Darstellung des Global Footprint Network die Menschheit eine kritische Grenze überschritten: Die Nachfrage an natürlichen Ressourcen habe die globale Kapazität zur Reproduktion und zum Angebot neuer Ressourcen überstiegen. Die menschliche Nachfrage an erneuerbaren ökologischen Ressourcen und Dienstleistungen entspreche der Kapazität von anderthalb Erden. Bei gleichbleibender Entwicklung würden bis 2050 jährlich Ressourcen zweier Planeten beansprucht werden. Zu den entsprechenden Indikatoren dieses Phänomens werden gezählt: Treibhauseffekte, die schneller erzeugt werden, als sie von Wäldern und Ozeanen absorbiert und abgebaut werden, Abholzung der Wälder, Rückgang der Artenvielfalt, Überfischung.[1]
2020: Verzögerung infolge Corona-Lockdowns
Aufgrund weltweiter Massenquarantänen („Lockdown“) zur Bekämpfung und Eindämmung der COVID-19-Pandemie ab Februar 2020 und der damit einhergehenden Wirtschafts-, Flugverkehrs-, Tourismuseinbrüche usw. (siehe auch Wirtschaftskrise 2020) verschob sich der Welterschöpfungstag 2020 vom 29. Juli im Jahr vorher auf den 22. August.[9] Ziel des Lockdown zur Bekämpfung und Eindämmung der COVID-19-Pandemie war die Einschränkung der Kontakte um die Ausbreitung des Virus zu verringern. Das Herunterfahren von Fabriken, Stornieren von Reisen, Reduzieren des Konsums und vieles mehr trug dazu bei, dass weniger Ressourcen verbraucht wurden.[23]
Beurteilung
Das Problematisieren des weltweiten Ressourcenverbrauchs wird von anderen Umweltorganisationen begrüßt: „Die Menschheit nimmt sich mehr von der Erde, als diese jährlich an natürlichen Ressourcen erneuern und an Treibhausgasen aufnehmen kann“, so die Umweltorganisationen WWF, GLOBAL 2000 und Greenpeace.[3]
Siehe auch
- Anthropozän
- Die Grenzen des Wachstums
- Planetary Boundaries („Planetarische Grenzen“)
Weblinks
Einzelnachweise
- Earth Overshoot Day (Memento vom 29. September 2013 im Internet Archive) auf www.footprintnetwork.org, abgerufen am 26. September 2013
- Open Data Platform. Abgerufen am 1. Mai 2018.
- „Welterschöpfungstag“ fällt heuer auf den 22. August. In: Der Standard, 21. August 2012. Abgerufen am 25. August 2012.
- Earth Overshoot Day. Ab heute geht es an die Substanz. In: TAZ, 23. August 2012. Abgerufen am 25. August 2012.
- stuttgarter-nachrichten.de: Die Erde ist am Limit
- Anna Parrisius: „Earth Overshoot Day 2017“: Rohstoffe ab jetzt auf Pump. In: Die Tageszeitung: taz. 2. August 2017, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 20. November 2017]).
- Erdüberlastungstag: Rest des Jahres lebt Menschheit auf Pump. 28. Juli 2019, abgerufen am 28. Juli 2019.
- Past Earth Overshoot Days. In: Earth Overshoot Day. Abgerufen am 21. Juni 2019 (amerikanisches Englisch).
- David Lin, Leopold Wambersie, Mathis Wackernagel, Pat Hanscom: Calculating Earth Overshoot Day 2020. Hrsg.: Global Footprint Network. 5. Juni 2020, S. 10 (englisch, overshootday.org [PDF]).
- https://www.overshootday.org/newsroom/past-earth-overshoot-days/
- 2021 How the Date of Earth Overshoot Day Was Calculated. In: Earth Overshoot Day. Abgerufen am 11. Juli 2021 (amerikanisches Englisch).
- Ressourcen / Nach uns die Sintflut: „Overshoot Day“ in Luxemburg wurde am Sonntag erreicht. 17. Februar 2020, abgerufen am 14. April 2020.
- Berechnung auf overshootday.org
- Europa hat fertig. In: wwf.de. 9. Mai 2019, abgerufen am 21. Oktober 2019.
- Deutschland lebt ab Mittwoch auf Pump. deutschlandfunk.de, 1. Mai 2018, abgerufen am 2. Mai 2018.
- Ökologischer Fussabdruck: Alle Ressourcen für 2018 aufgebraucht. In: ZDF. 1. Mai 2018, archiviert vom Original am 27. Oktober 2019 .
- 03.05.2019: Ab heute leben wir auf Pump. In: solarify.eu. 3. Mai 2019, abgerufen am 3. Mai 2019.
- Country Overshoot Days 2019. Abgerufen am 28. Juli 2019 (englisch).
- Welterschöpfungstag zeigt dramatischen Handlungsbedarf auf. 28. Juli 2019, abgerufen am 28. Juli 2019.
- WWF Schweiz: Earth Overshoot Day: Am 1. August sind alle Erdressourcen aufgebraucht. wwf.ch, 30. Juli 2018, abgerufen am 31. Juli 2018.
- Überbeanspruchung der Umwelt – «Die Schweiz liegt im internationalen Vergleich auf Platz 38». In: srf.ch. 7. Mai 2019, abgerufen am 7. Mai 2019.
- WWF Schweiz: Swiss Overshoot Day: Wir leben, als ob es kein Morgen gäbe wwf.ch, 7. Mai 2020, abgerufen am 23. August 2020.
- Earth Overshoot Day. In: Uponmylife. 22. August 2020, abgerufen am 9. September 2020 (deutsch).