Einbeere
Die Vierblättrige Einbeere (Paris quadrifolia), kurz Einbeere, ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Einbeeren (Paris) innerhalb der Familie der Germergewächse (Melanthiaceae). Sie ist giftig. Die Vierblättrige Einbeere wurde von der Loki Schmidt Stiftung zur Blume des Jahres 2022 gewählt.[1]
Einbeere | ||||||||||||
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Einbeere (Paris quadrifolia), Illustration | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Paris quadrifolia | ||||||||||||
L. |
Trivialnamen
Weitere Trivialnamen sind: Augenkraut, Blatternblatt, Fuchsauge, Fuchstrauben, Krähenauge, Kreuzkraut, Sauauge, Schlangenbeere, Schwarzblattlkraut, Sternkraut, Teufelsauge, Teufelsbeere, Wolfsbeere.
Beschreibung
Vegetative Merkmale
Die Einbeere ist eine ausdauernde krautige Pflanze, die Wuchshöhen von 10 bis 30 Zentimetern erreicht. Das monopodiale (mit durchgehender Hauptachse) Rhizom dieses Geophyten verläuft waagrecht bzw. kriechend. Die Rhizome können bis zu 14 Jahre alt werden. Aus Knospen in den Achseln von Niederblättern werden an der Rhizom-Oberseite Laubsprosse ausgebildet, die nach dem Fruchten absterben. An einem Stängel stehen in einem Quirl vier Blätter, selten fünf. Die Laubblätter sind einfach und ganzrandig.
Generative Merkmale
Die Blütezeit reicht von Mai bis Juni. An jedem Stängel wird nur eine endständige Blüte gebildet.
Die zwittrige, radiärsymmetrische Blüte ist grün und vierzählig. Es ist ein sogenanntes heterotepales Perigon vorhanden, die Tepalen sind also unterschiedlich ausgebildet. Die inneren Blütenhüllblätter sind fadenförmig, die äußeren sind deutlich breiter und 2 bis 3 Zentimeter lang. Es sind acht Staubblätter vorhanden. Vier Fruchtblätter sind zu einem oberständigen Fruchtknoten verwachsen und es sind vier langlebige Narben vorhanden.
Die Früchte sind vierfächrige, vielsamige, blauschwarze, heidelbeerähnliche, aber saftlose Beeren ohne Wohlgeschmack, die einzeln stehen und einen Durchmesser von bis zu 1 Zentimeter erreichen. Die Fruchtreife tritt im Juli bis September ein.
Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 20.[2]
Ökologie
Blütenökologisch handelt es sich um geruchlose, vorweibliche „Pollen-Scheibenblumen“. Die Schauwirkung geht vermutlich eher von den Staubblättern und den glänzend-schwarzvioletten Fruchtknoten aus. Angeblich liegt eine „Fliegentäuschblume“ vor, denn der Fruchtknoten soll Fleisch vortäuschen. Die kaum klebrigen, länglichen Pollenkörner werden zum Teil auch durch den Wind ausgebreitet (Amphiphilie).
Es liegt Verdauungsausbreitung vor.
Vorkommen
Das Verbreitungsgebiet von Paris quadrifolia reicht von Europa bis zur Mongolei.[3] Man findet die Einbeere ziemlich häufig in krautreichen Eichen- und Buchenwäldern, in Auen- oder Nadelmischwäldern. Sie bevorzugt feuchte, nährstoffreiche, humose Böden und zeigt Grundwasser und Sickerwasser an. Sie wächst oft in klonalen Gruppen.
Nach Ellenberg ist sie eine Schattenpflanze mit subozeanischem Verbreitungsgebiet, ein Schwachsäure- bis Schwachbasezeiger, stickstoffreiche Standorte anzeigend und eine Ordnungscharakterart der Edellaub-Mischwälder und verwandter Gesellschaften (Fagetalia sylvaticae). In den Allgäuer Alpen steigt sie im Tiroler Teil zwischen Elbigenalp und der Hermann-von-Barth-Hütte bis zu 1820 m über Meereshöhe auf.[4]
In Österreich ist sie häufig bis zerstreut in allen Bundesländern.
Taxonomie
Die Erstveröffentlichung von Paris quadrifolia erfolgte durch Carl von Linné. Das Artepithon quadrifolia leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet „vierblättrig“, da die Blattanzahl meist vier beträgt. Himpel benannte diese Art Paris quadrifolius. Die Herkunft des Gattungsnamens Paris ist nicht geklärt. Der Name ist allerdings alt. Schon Leonhart Fuchs (1501–1566) kannte die Vierblättrige Einbeere unter dem Namen Herba Paris.[5]
Das nordamerikanische Gegenstück und Schwestergattung zu Paris ist Trillium.
- Blüte
- Vierzählige Blüte bei fünfzähligem Laubblattquirl
- Frucht von oben
- Frucht von der Seite, Pflanze bereits „einziehend“
- Pflanze mit Frucht
- Auch in der Blüte fünfblättriges Exemplar, als Ausnahme
- Sechsblättriges Exemplar, sehr selten
Inhaltsstoffe und Giftigkeit
Alle Pflanzenteile sind giftig, besonders die Beeren, durch Saponine (Steroidsaponine) und die Glykoside Paridin, Paristyphnin und Pennogenin. Die Pharmakologen Georg Friedrich Walz und Friedrich Wilhelm Hermann Delffs veröffentlichten von 1841 bis 1860 die Ergebnisse ihrer Analysen der Inhaltsstoffe der Einbeerpflanze.[6][7][8][9]
Das Ausmaß der Giftigkeit der Einbeerpflanze ist umstritten. Aus dem 16. Jahrhundert berichten Conrad Gessner und Joachim Camerarius der Jüngere, dass auch größere Gaben der Einbeersamen nicht tödlich seien. Nach A. van Hasselt (1862) wurden die Beeren „von Kindern wiederholt aus Unkenntnis auch in größeren Mengen gegessen, zuweilen mit bedenklichen, doch so viel bekannt nie mit tödlichen Folgen.“[10]
Der Pharmakologe Otto Gessner (1931) begründete die relativ geringe Giftigkeit der Einbeer-Saponine mit ihrer geringen Resorbierbarkeit bei innerlicher Zufuhr. Der Genuss mehrerer Beeren kann zu Brechreiz, Magenkrämpfen, Durchfall, Kopfschmerz, Schwindel, und starker Miosis führen. Paristyphnin ruft resorptiv Miosis hervor und kann zur tödlichen Atemlähmung führen. Für Krebse, Insekten und Fische sind die Einbeerensaponine sehr giftig, am Hund erzeugen sie Lähmungserscheinungen.[11]
Geschichte
Eine Pflanzenabbildung, auf der die Einbeere sicher zu erkennen ist, finden wir erstmals 1479 im Kräuterbuch des Bayerischen Mönchs Vitus Auslasser. Die Pflanze wird darin als „Crux Christi“, „Umbilicus veneris“ und „Ainper chrawt“ bezeichnet.
Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs gaben ab 1539 genaue Beschreibungen des Habitus der Pflanze. Sie bemühten sich, die Pflanze in die Schriften der antiken Autoren (Dioskurides, Plinius und Galen) einzuordnen. So ordneten sie die Pflanze Kapiteln der antiken Autoren zu, in denen Arten beschrieben wurden, die eher als Schwarze Tollkirsche (Atropa belladonna) oder als Eisenhut-Art (Aconitum) gedeutet werden können. Entsprechend warnten sie auch vor der innerlichen Anwendung und empfahlen Kraut, Wurzel und Samen lediglich zur äußeren Anwendung als Augenarznei, als Wundheilmittel und als Mittel zum Töten von Läusen und Nissen. Die Beeren im Fleischköder versteckt sollten Wolfe töten. Bock merkte noch an: „Etlich ſprechen das diſe beer ſchlaffen machen / wann ſie geſſen werden.“
Der Zürcher Arzt und Botaniker Conrad Gessner schrieb im Oktober 1564 an seinen Augsburger Kollegen Adolph Occo, er habe auf Empfehlung eines Straßburger und eines Basler Kollegen als Schutz gegen die in Zürich herrschende Pest-Epidemie 1 Drachme (3–4 Gramm) des «Antidotum Saxonica» in Weinessig eingenommen, worauf er reichlich schwitzte und Trockenheit im Schlund empfand.[12] Dieses Antidot sei über den Augsburger Kollegen Achilles Pirminius Gasser zu beziehen. Noch in der Schöderschen Pharmacopoe aus dem Jahr 1693 wurde das «Antidotum Saxonica» unter dem Namen «Pulvis Saxonicus» aufgeführt. Es war so zu bereiten:
- Baldrianwurzel 15 Gramm, Schwalbenwurz und Nesselwurz je 30 Gramm, Engelsüß, Eibisch und Wald-Engelwurz je 60 Gramm, Arznei-Engelwurz 120 Gramm, Rinde der Kellerhalswurzel 15 Gramm. In einem glasierten Topf mit Wein-Essig übergießen, den Topf verschließen und bei gelindem Feuer den Topfinhalt kochen lassen. Nach dem Öffnen des Topfes den Essig abgießen, die Wurzeln trocknen lassen und zerstoßen. 26 Samen aus den Einbeerfrüchten hinzugeben und alles zu Pulver zerstoßen. Zur Abwehr gegen Ansteckung in Pestzeiten bis zu einer Drachme (3–4 Gramm) des Pulvers in Flüssigkeit aufgelöst einzunehmen.
1586 berichtete Joachim Camerarius der Jüngere, er wisse und er habe es selbst erfahren, dass „etlichen Menschen, die durch Unholde und Zauberei ihrer Vernunft beraubt waren,“ durch die Einnahme von getrockneten und gepulverten Einbeerfrüchten geholfen wurde, jeden Tag in der Frühe 1 Quint (3–4 Gramm) in warmem Wein über drei Wochen getrunken. Außerdem werde aus den Beeren ein Öl bereitet, das zur Behandlung von Hämorrhoiden und Geschwüren nützlich sei.
Die Blätter der Einbeerpflanze wurden in der Schröderschen Pharmacopoe 1644 als Auflage zur äußerlichen Behandlung von Pestbeulen, zur Behandlung von anderen heißen Geschwüren und zur Behandlung von schlecht heilenden Wunden empfohlen.
In seiner Abhandlung über Arzneimittel aus dem Pflanzenreich beschrieb der Schwedische Arzt-Botaniker Peter Jonas Bergius 1778 die Wirkung von Drogenzubereitungen aus den Beeren, dem Kraut und der Wurzel der Einbeere als krampflösend („antispasmodica“, „sublaxans“). Ihre Anwendung sei bei Krämpfen („convulsiones“) angezeigt. Georg Friedrich Walz stellte 1860 aus der Einbeere zwei Stoffe dar, die er Paridin und Paristyphnin nannte.
Quellen
Vitus Auslasser 1479[13] – Hieronymus Bock 1539[14] – Leonhart Fuchs[15] – Mattioli/Handsch/Camerarius 1586[16] – Johann Schröder 1644[17] – Johann Schröder 1693[18] – Peter Jonas Bergius 1778/82[19] – von Schlechtendahl 1841[20] – Walz 1860[21] - August Husemann und Theodor Husemann 1871[22]
Historische Abbildungen
- Vitus Auslasser 1479
- Leonhart Fuchs 1543
- Hieronymus Bock 1546
- Mattioli/Handsch/Camerarius 1586
Literatur
- Wolfgang Adler, Karl Oswald, Raimund Fischer: Exkursionsflora von Österreich. Hrsg.: Manfred A. Fischer. Ulmer, Stuttgart/Wien 1994, ISBN 3-8001-3461-6.
- Christian Rätsch: Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen. AT Verlag, Aarau 1998, S. 37 ISBN 3-85502-570-3
Einzelnachweise
- Blume des Jahres 2022 ist die Vierblättrige Einbeere. NDR, 21. Oktober 2021.
- Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. 8. Auflage. Stuttgart, Verlag Eugen Ulmer, 2001. Seite 138. ISBN 3-8001-3131-5. Seite 138
- Rafaël Govaerts (Hrsg.): Paris quadrifolia. In: World Checklist of Selected Plant Families (WCSP) – The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew, abgerufen am 27. Juni 2018.
- Erhard Dörr, Wolfgang Lippert: Flora des Allgäus und seiner Umgebung. Band 1, IHW-Verlag, Eching bei München, 2001, ISBN 3-930167-50-6, S. 322.
- B. Baumann, H. Baumann, S. Baumann-Schleihauf: Die Kräuterbuchhandschrift des Leonhart Fuchs. Stuttgart, Verlag Eugen Ulmer, 2001, ISBN 3-8001-3538-8, Seite 222.
- Georg Friedrich Walz. Beitrag zur chemischen Untersuchung der Familie der Asparagineen. In: Jahrbuch für practische Pharmacie. Ludwigshafen, 4. Jahrgang (1841), S. 3–7 (Digitalisat) 5. Jahrgang (1842), S. 284–291 (Digitalisat) 6. Jahrgang (1843), S. 10–21 (Digitalisat)
- Friedrich Wilhelm Hermann Delffs. Analyse des Paridins’s und Digitalin’s. In: In. Neues Jahrbuch für Pharmacie. Speyer, Band 9, Heft 2, Februar 1858, S. 25–27 (Digitalisat)
- G. F. Walz. Über Paris quadrifolia und deren Bestandteile, besonders das Paridin und Paristyphnin. In: Neues Jahrbuch für Pharmacie, Band 13 (1860), S. 355–362 (Digitalisat)
- August Husemann und Theodor Husemann: Die Pflanzenstoffe in chemischer, physiologischer, pharmakologischer und toxikologischer Hinsicht. Für Aerzte, Apotheker, Chemiker und Pharmakologen. Springer, Berlin 1871, S. 1042–1043 (Digitalisat)
- J. B. Henkel (Übersetzer). Alexander Willem Michiel van Hasselt. Handbuch der Giftlehre für Chemiker, Ärzte, Apotheker und Gerichtspersonen. Vieweg, Braunschweig 1862, Teil I Allgemeine Giftlehre und die Gifte des Pflanzenreichs, S. 210 (Digitalisat)
- Otto Gessner. Gift- und Arzneipflanzen von Mitteleuropa. 3. Auflage, herausgegeben und bearbeitet durch Gerhard Orzechowski. Carl Winter, Heidelberg 1974, S. 162–163.
- Epistolarum medicinalium, Conradi Gesneri … Libri III. Froschauer, Zürich 1577, S. 53r (Digitalisat)
- Vitus Auslasser: Kräuterbuch 1479, Abb. 36 (Digitalisat)
- Hieronymus Bock: Kräuterbuch 1539, Teil I, Kapitel 102: Wolffsbeer. Sternkraut (Digitalisat)
- Leonhart Fuchs: New Kreuterbuch. 1543, Kapitel 30: Wolffswurtz (Digitalisat)
- Pietro Andrea Mattioli: Commentarii, in libros sex Pedacii Dioscoridis Anazarbei, de medica materia. Übersetzung durch Georg Handsch, bearbeitet durch Joachim Camerarius den Jüngeren, Johan Feyerabend, Franckfurt am Mayn 1586, Blatt 382v: Einbeer. Herba Paris (Digitalisat)
- Johann Schröder: Pharmacopoeia medico-chymica … Ulm 1644, S. 117 (Digitalisat)
- Johann Schröder. Vollständige und nutzreiche Apotheke … J. Hoffmann, Nürnberg 1693, S. 377: Pulvis Saxonicus (Digitalisat); S. 1085–1086: Paris (Digitalisat)
- Peter Jonas Bergius: Materia medica e regno vegetabili … Stockholm 1778, Band I, S. 311–313 (Digitalisat) 2. Aufl. 1782, Band I, S. 327–329 (Digitalisat)
- J. G. J. von Schlechtendahl. Paris. In: Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften. Herausgegeben von den Professoren der medicinischen Facultät zu Berlin: Dietrich Wilhelm Heinrich Busch, Johann Friedrich Dieffenbach, Ernst Horn, Johann Christian Jüngken, Heinrich Friedrich Link, Joseph Müller (1811–1845), Emil Osann. Veit, Berlin, Band 26, 1841, S. 380 (Digitalisat)
- Georg Friedrich Walz: Über Paris quadrifolia und deren Bestandteile, besonders das Paridin und Paristyphnin. 13 (1860), S. 355–362 (Digitalisat)
- August Husemann und Theodor Husemann: Die Pflanzenstoffe in chemischer, physiologischer, pharmakologischer und toxikologischer Hinsicht. Für Aerzte, Apotheker, Chemiker und Pharmakologen. Springer, Berlin 1871, S. 1042–1043: Paridin, Paristyphnin (Digitalisat)
Weblinks
- Einbeere. FloraWeb.de
- Einbeere. In: BiolFlor, der Datenbank biologisch-ökologischer Merkmale der Flora von Deutschland.
- Steckbrief und Verbreitungskarte für Bayern. In: Botanischer Informationsknoten Bayerns.
- Paris quadrifolia L. In: Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora.
- Verbreitung auf der Nordhalbkugel aus: Eric Hultén, Magnus Fries: Atlas of North European vascular plants 1986, ISBN 3-87429-263-0 bei Den virtuella floran. (schwed.)
- Thomas Meyer: Datenblatt mit Bestimmungsschlüssel und Fotos bei Flora-de: Flora von Deutschland (alter Name der Webseite: Blumen in Schwaben).
- Paris quadrifolia bei Plants For A Future
- Die Einbeere als Giftpflanze. bei botanikus.de