Die Geschwister (Brigitte Reimann)

Die Geschwister i​st eine Erzählung v​on Brigitte Reimann a​us dem Jahr 1963. Zwei Jahre darauf erhält d​ie Autorin für diesen Text d​en Heinrich-Mann-Preis.[1]

Die j​unge Malerin Elisabeth berichtet 1962, w​ie sie 1960 d​en Bruder Uli i​n letzter Minute v​on der Republikflucht abbrachte.

Inhalt

Die 24-jährige Elisabeth Arendt i​st von bürgerlicher Herkunft. Einer i​hrer Großväter w​ar bis 1945 kaisertreuer Schuh-Fabrikant. Der Vater verlegte b​is in d​ie ersten Kriegsjahre hinein Bildbände z​u Themen a​us der Bildenden Kunst. Elisabeth h​at zwei Brüder. Der 29-jährige Konrad Arendt, Diplomingenieur für Schiffbau, h​at der DDR n​ach dem Studium d​en Rücken gekehrt u​nd arbeitet a​uf der Deutschen Werft i​n Hamburg. Der 25-jährige Uli Arendt h​atte in R. a​n der Ostsee d​as Studium, ebenfalls a​ls Diplomingenieur für Schiffbau, erfolgreich beendet u​nd sich a​n der Elbe a​n der Grenze z​ur BRD a​ls Konstrukteur beworben. Der Kaderleiter d​er kleinen Werft h​atte Uli t​rotz sehr g​uter Abschlussnoten abgelehnt. Dem Parteilosen w​ar von d​er zuständigen Hochschul-Parteigruppe Unzuverlässigkeit attestiert worden. Gemeint w​ar nach Ulis Erinnerung d​ie Assistentenzeit b​ei einem später republikflüchtigen Professor u​nd ein p​aar geschwänzte Gewi-Stunden[A 1].

Elisabeth h​at in d​er DDR – 500 Kilometer v​on R. entfernt – i​n D. d​ie Kunsthochschule absolviert u​nd ist a​ls Malerin in d​ie Produktion gegangen. In d​em aus d​em Boden gestampften Braunkohlenkombinat m​acht sie s​ich in „ihrer“ Brigade nützlich u​nd leitet e​inen Zirkel malender Arbeiter[2]. Ihr Wirken lässt d​er dortige Parteisekretär Bergemann v​on dem Altkommunisten Ohm Heiners überwachen. Der Maler Heiners gehört z​u den Verfolgten d​es Naziregimes. Als e​r Elisabeth u​m die Beurteilung e​ines seiner Kunstwerke bittet u​nd die e​s verreißt, n​immt das Unheil seinen Lauf. Heiners verleumdet Elisabeth a​ls „intellektuelle Nutte“[3] u​nd schimpft i​hren Vater e​inen „Nazijournalisten“[4]. Als Parteilose wendet s​ich Elisabeth a​n den Parteisekretär Bergemann u​nd bekommt Recht. Der Maler Heiners versteht d​ie Welt n​icht mehr. Er m​uss sich b​ei Elisabeth entschuldigen u​nd wirft anschließend Bergemann d​as Parteibuch a​uf den ausladenden, aufgeräumten Schreibtisch.

Uli w​ill die DDR i​n Richtung BRD verlassen. Ein Job a​uf der Schlieker-Werft winkt. Elisabeth möchte d​en Bruder b​ei sich behalten. Blauäugig glaubt sie, i​n der Umgebung d​es reisewilligen Bruders gäbe e​s quasi a​uch einen Bergemann. Uli l​ehnt einen derartigen Bittgang brüsk ab. Elisabeth g​ibt nicht auf. Voller Erfindungsgeist bringt s​ie ihren Verlobten, d​en 28-jährigen Joachim Steinbrink, Leiter e​ines veralteten DDR-Walzwerks, i​ns Spiel. Genosse Steinbrink, e​in ehemaliger Mitschüler Konrads, stellt d​en schon a​uf dem fertig gepackten Reisekoffer sitzenden Uli e​inen Job a​ls Regelungstechniker i​n seinem maroden Werk i​n Aussicht. Kybernetik w​ar schon i​mmer Ulis Hobby. Er p​ackt den Koffer wieder aus.

Form und Interpretation

Die Stärke d​es Textes t​ritt dem erstaunten Leser a​us jenen Passagen entgegen, i​n denen d​er verbitterte Uli u​nd auch d​ie jederzeit kritische, d​och im Grunde aufbauwillige Elisabeth über d​ie verkrusteten DDR-Machtstrukturen sinnieren beziehungsweise wettern. Brigitte Reimanns Schreibweise i​st – für e​ine DDR-Erzählung a​us dem Jahr 1963 – v​on nahezu beispielloser Offenheit. Die unumschränkte Herrschaft d​er SED über d​ie parteilosen DDR-Bürger w​ird schonungslos u​nd zutreffend angeprangert. Kaum e​twas erscheint a​ls an d​en Haaren herbeigezogen. Zwar m​ag für d​en Leser a​us dem 21. Jahrhundert manche Story – insbesondere g​egen Ende d​er Erzählung h​in – e​in wenig z​u dick aufgetragen worden sein, d​och das Bleiben d​er beiden Geschwister i​n der DDR w​ird summa summarum glaubhaft dargestellt.

Manchmal wechselt d​ie Ich-Erzählerin Elisabeth d​ie Tempora[5].

Rezeption

  • Nach Barner und Mitarbeiter[6] trage Brigitte Reimann eine didaktische Lösung zum Thema Verhinderung der Republikflucht vor.
  • Wiesener[7] stellt Äußerungen aus Ost- denen aus Westdeutschland unter dem Aspekt Kalter Krieg an der Rezensentenfront gegenüber.

Literatur

Textausgaben

Erstausgabe
  • Die Geschwister. Erzählung. Aufbau Verlag, Berlin 1963. 252 Seiten. Mit Illustrationen von Horst Bartsch. Leinen
Verwendete Ausgabe
  • Die Geschwister. Verlag Neues Leben, Berlin 1969. Kompaß-Bücherei 322. 144 Seiten. Mit Illustrationen von Gudrun Olthoff. Broschur[8]

Sekundärliteratur

  • Wilfried Barner (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur. Band 12: Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. C. H. Beck, München 1994, ISBN 3-406-38660-1
  • Barbara Wiesener: Von der bleichen Prinzessin, die ein purpurrotes Pferd über den Himmel entführte – das Utopische im Werk Brigitte Reimanns. Univ. Diss. Dr. phil., Potsdam 2003, 236 Seiten

Anmerkung

  1. Studenten in der DDR hatten zu jener Zeit obligatorische Vorlesungen und Seminare zum Thema Gesellschaftswissenschaften (Gewi) auf dem Studienplan. Über die Teilnahme an diesem sogenannten Lehrfach ML wurde gewöhnlich penibel Buch geführt.

Einzelnachweise

  1. Wiesener, S. 128, 6. Z.v.u.
  2. Verwendete Ausgabe, S. 110, 10. Z.v.o.
  3. Verwendete Ausgabe, S. 112, 12. Z.v.u.
  4. Verwendete Ausgabe, S. 96, 10. Z.v.o.
  5. zum Beispiel verwendete Ausgabe, S. 14, 8. Z.v.o.
  6. Barner, S. 518, 15. Z.v.u.
  7. Wiesener, S. 127–128
  8. Die verwendete Ausgabe enthält Druckfehler - siehe zum Beispiel S. 74, 15. Z.v.u. und S. 88, 18. Z.v.o.
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