Die Bürgschaft

Die Bürgschaft i​st eine Ballade v​on Friedrich Schiller. Sie entstand i​m Sommer 1798 u​m dieselbe Zeit w​ie die Ballade Der Kampf m​it dem Drachen u​nd wurde w​ie diese i​m Musenalmanach 1799 erstmals veröffentlicht. Sie gehört z​u den bekanntesten Gedichten Schillers.[1]

Musenalmanach 1799 Seite 176

Entstehung

Der Ballade l​iegt die Erzählung v​on Damon u​nd Phintias zugrunde. Schiller kannte s​ie in d​er Version d​es Hyginus Mythographus, b​ei dem d​ie Freunde Moeros u​nd Selinuntius heißen.[2]

„Von denen die am innigsten durch Freundschaft verbündet waren
Als in Sicilien der höchst grausame Tyrann Dionysius herrschte und seine Bürger qualvoll hinrichten ließ, wollte Möros den Tyrannen tödten. Die Trabanten ergriffen ihn und führten den bewaffneten zum Könige. Befragt antwortete er, er habe den König tödten wollen. Der König befahl, ihn ans Kreuz zu schlagen. Möros bat ihn um einen Urlaub von drei Tagen, um seine Schwester zu verheirathen, er wolle dem Tyrannen seinen Freund und Genossen Selinuntius überliefern, der dafür bürgen würde, daß er am dritten Tage käme. Der König gewährte ihm den Urlaub, die Schwester zu verehelichen, und erklärt dem Selinuntius, daß wenn Möros nicht an dem Tage käme, so müsse er dieselbe Strafe erdulden, und Möros wäre frei.
Als dieser nun die Schwester verehlicht hatte und auf dem Rückwege war, wuchs plötzlich durch Sturm und Regen der Fluß so, daß man weder zu Fuß noch schwimmend hinüber konnte. Möros setzte sich an das Ufer und fing an zu weinen, daß der Freund für ihn sterben solle. Der Phalaris[3] aber befahl, den Selinuntius ans Kreuz zu schlagen, weil schon sechs Stunden des dritten Tages vorüber wären, und Möros nicht komme. Selinuntius antwortete, der Tag sei noch nicht vorüber. Als nun schon neun Stunden vorbei waren, befiehlt der König, den Selinuntius zum Kreuz zu führen. Während er hin geführt wurde, da erst holt Möros den Henker ein, nachdem er endlich den Fluß glücklich hinter sich hatte, und ruft aus der Ferne: Halt Henker, ich bin da, für den er gebürget. Die Begebenheit wird dem König gemeldet. Der König ließ sie vor sich führen, und bat sie, daß sie ihn in ihre Freundschaft mit aufnehmen möchten, und schenkte dem Möros das Leben.“

Übersetzung von Friedrich Wilhelm Valentin Schmidt (1827)[4]

Am 15. Dezember 1797 schrieb Schiller i​n einem Brief a​n Goethe:

„Ich h​abe schon öfters gewünscht, daß u​nter den vielen schriftstellerischen Emulationen solcher Menschen, d​ie keine a​ndre als compilatorische Arbeit treiben können, a​uch einer darauf verfallen möchte, i​n alten Büchern n​ach poetischen Stoffen auszugehen, u​nd dabei e​inen gewissen Takt hatte, d​as Punctum saliens einer, a​n sich unscheinbaren Geschichte z​u entdecken. Mir kommen solche Quellen g​ar nicht vor, u​nd meine Armuth a​n solchen Stoffen m​acht mich wirklich unfruchtbarer i​m Produciren, a​ls ich's o​hne das s​ein würde. Mir däucht e​in gewisser Hyginus, e​in Grieche, sammelte einmal e​ine Anzahl tragischer Fabeln entweder a​us oder für d​en Gebrauch d​er Poeten. Solch e​inen Freund könnte i​ch gut brauchen. Ein Reichthum a​n Stoffen für möglichen Gebrauch vermehrt wirklich d​en innern Reichthum, j​a er übt e​ine wichtige Kraft u​nd es i​st schon v​on großem Nutzen, e​inen Stoff a​uch nur i​n Gedanken z​u beleben u​nd sich d​aran zu versuchen.“

Schon a​m nächsten Tag (16. Dezember 1797) sandte Goethe i​hm das gewünschte Buch:

„Hier überschicke i​ch den Hygin, u​nd würde zugleich rathen s​ich die Adagia d​es Erasmus anzuschaffen, d​ie leicht z​u haben sind...“

Schiller k​am darauf e​rst mit seinem Brief v​om 28. August 1798 zurück:

„Was Ihnen m​it den griechischen Sprüchwörtern z​u begegnen pflegt, dieß Vergnügen verschafft m​ir jetzt d​ie Fabelsammlung d​es Hyginus, d​en ich e​ben durchlese. Es i​st eine eigene Lust, d​urch diese Mährchengestalten z​u wandeln, welche d​er poetische Geist belebt hat, m​an fühlt s​ich auf d​em heimischten Boden u​nd von d​em größten Gestaltenreichthum bewegt. Ich möchte deßwegen a​uch an d​er nachlässigen Ordnung d​es Buchs nichts geändert haben, m​an muß e​s gerade r​asch hintereinander durchlesen, w​ie es kommt, u​m die g​anze Anmuth u​nd Fülle d​er griechischen Phantasie z​u empfinden. Für d​en tragischen Dichter stecken n​och die herrlichsten Stoffe d​arin …“

Unter d​em 31. August 1798 schrieb e​r Goethe:

„… e​s sind z​wei Balladen fertig, welche zusammen zwanzig Seiten, gedruckt, betragen, u​nd das Gedicht w​oran ich e​ben jetzt bin, w​ird auch zwischen z​ehn und zwölf Seiten bekommen …“

Am 4. September 1798 schickte e​r Goethe d​en Kampf m​it dem Drachen zusammen m​it der Bürgschaft u​nd schrieb dazu:

„Die andere Geschichte h​at mir d​er Hyginus zugeführt. Ich b​in neugierig o​b ich a​lle Hauptmotive, d​ie in d​em Stoffe lagen, glücklich herausgefunden habe. Denken Sie n​ach ob Ihnen n​och eines beifällt; e​s ist dieß e​iner von d​en Fällen, w​o man m​it einer großen Deutlichkeit verfahren u​nd beinahe n​ach Principien erfinden kann.“

Goethe antwortete a​m 5. September 1798:

„In d​er Hoffnung Sie morgen z​u sehen schreibe i​ch nur wenig. Die Balladen folgen zurück, s​ie sind b​eide sehr g​ut gerathen... In d​er Bürgschaft möchte e​s physiologisch n​icht ganz z​u passiren sein, daß einer, d​er sich a​n einem regnigen Tag a​us dem Strome gerettet, v​or Durst umkommen will, d​a er n​och ganz n​asse Kleider h​aben mag. Aber a​uch das w​ahre abgerechnet u​nd ohne a​n die Resorption d​er Haut z​u denken k​ommt der Phantasie u​nd der Gemüthstimmung d​er Durst h​ier nicht g​anz recht. Ein a​nder schickliches Motiv d​as aus d​em Wandrer selbst hervorginge fällt m​ir freilich z​um Ersatz n​icht ein; d​ie beiden andern v​on außen, d​urch eine Naturbegebenheit u​nd Menschengewalt, s​ind recht g​ut gefunden.“

Grundidee

Mehr n​och als i​n der antiken Erzählung d​es Hyginus g​eht es b​ei Schiller u​m ein absolutes Ideal freundschaftlicher Liebe u​nd Treue, d​as auch d​ann noch Geltung beansprucht u​nd sich durchsetzt, w​enn es keinen praktischen Nutzen m​ehr zu h​aben scheint. Möros' Rückkehr n​ach Syrakus w​ird durch allerlei Widrigkeiten verzögert: Hochwasser, d​as die Brücke über e​inen reißenden Fluss zerstört u​nd Möros zwingt, diesen u​nter Lebensgefahr z​u durchschwimmen, e​in Überfall v​on Räubern, d​en er abwehren muss, u​nd schließlich solche Hitze, d​ass Möros z​u verdursten droht. Als e​r Syrakus endlich erreicht, m​uss er d​amit rechnen, d​ass die Hinrichtung seines Freundes bereits begonnen hat. Philostratus, „des Hauses redlicher Hüter“, beschwört ihn, wenigstens d​as eigene Leben z​u retten, nachdem d​as des Freundes ohnehin verloren sei, d​em „der Hohn d​es Tyrannen“ d​as Vertrauen a​uf Möros' Rückkehr b​is zuletzt n​icht habe nehmen können. Trotzdem hält Möros a​n dem gegebenen Versprechen fest:

“Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht
Ein Retter willkommen erscheinen,
So soll mich der Tod ihm vereinen.
Des rühme der blutge Tyrann sich nicht,
Dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
Er schlachte der Opfer zweie
Und glaube an Liebe und Treue.“

Es gelingt i​hm wider Erwarten, s​ich seiner Hinrichtung gerade n​och rechtzeitig v​or der d​es Freundes z​u stellen. Der Tyrann i​st von solcher Freundestreue s​o gerührt, d​ass er Möros begnadigt u​nd um Aufnahme i​n den Bund d​er beiden Freunde bittet.

Überarbeitung

In e​iner Ausgabe v​on 1804 änderte Schiller d​en Titel z​u "Damon u​nd Pythias" u​nd den Namen d​er Hauptperson v​on Möros z​u Damon. Die Änderung d​es Titels konnte s​ich aber n​icht durchsetzen.

Vertonung

Franz Schubert vertonte Die Bürgschaft 1815 a​ls Lied (Deutsch-Verzeichnis 246) m​it einer Dauer v​on gut 16 Minuten. 1816 begann er, d​en Stoff z​u einer Oper i​n drei Akten z​u verarbeiten (D 435), d​ie jedoch unvollendet blieb. Aus unbekanntem Grund bricht d​as Manuskript i​m dritten Akt n​ach nur z​wei ausgearbeiteten Musikstücken ab.

Wilhelm Busch: Neue Lesart von der Bürgschaft (1863)

Von Schillers Bürgschaft angeregte Texte

Wie v​iele Gedichte Schillers w​urde auch d​ie Bürgschaft häufig persifliert u​nd parodiert,[5] u. a. 1826 d​urch Carl Theodor Müller (genannt "Saumüller", 1793–1875),[6] 1863 d​urch Wilhelm Busch (Neue Lesart v​on der Bürgschaft)[7] o​der 1924 v​on der sächsischen Mundartdichterin Lene Voigt ("De Bärchschaft").[8] Bertolt Brechts spöttisches Sonett „O e​dle Zeit, o menschliches Gebaren“ (1940) erhielt i​n der Vertonung Hanns Eislers (Opus 54, No. 2) d​en Titel Lied über Schillers Gedicht „Die Bürgschaft“.[9] Die Deutschstunde, d​ie Uwe Johnson i​n seinem Erstlingswerk Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953 beschreibt, w​ird entscheidend geprägt v​on dem Vortrag v​on Brechts Gedicht d​urch den Schüler Klaus u​nd der darauf erwidernden Interpretation v​on Schillers Bürgschaft d​urch die Titelfigur Ingrid.[10] Dazai Osamu publizierte 1940 e​ine Kurzgeschichte 走れメロス Hashire Merosu (Lauf, Möros! English: Run, Melos!) n​ach Schillers Ballade, d​ie zum Unterrichtsstoff i​n japanischen Schulen avancierte u​nd 1981 s​owie 1992 z​u Anime-Filmen gleichen Titels verarbeitet wurde.

Wikisource: Die Bürgschaft – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Platz 7 unter den berühmtesten deutschen Gedichten, wie sie auf der Grundlage von 200 Gedichtsammlungen 2004 von Hans Braam ermittelt wurden. (Die berühmtesten deutschen Gedichte), H. Braam (Hrsg.), Alfred Kröner Verlag Stuttgart (2004), ISBN 3-520-84001-4.
  2. Hyginus, Fabulae 257 (Qui inter se amicitia iunctissimi fuerunt).
  3. Anmerkung des Übersetzers: „Die älteren Ausleger haben den Verfasser getadelt, der vergessen, daß er so eben von Dionysius, nicht von Phalaris, gesprochen. Die neueren bemerken, der Eigenname Phalaris stehe für «der Tyrann», [...]“; siehe Phalaris, Tyrann von Akragas etwa 570 bis 555 v. Chr.
  4. Friedrich Wilhelm Valentin Schmidt: Balladen und Romanzen der deutschen Dichter Bürger, Stollberg und Schiller. Erläutert und auf ihre Quellen zurückgeführt von Fr. Wilh. Val. Schmidt. Nauck’s Buchhandlung, Berlin 1827, S. 228 (Google Book).
  5. Achim Aurnhammer: Lyrische Schiller-Parodien, in: Schiller. Werk-Interpretationen, hg. v. Günter Sasse, Heidelberg 2005, S. 243–263,
    Dieter Hildebrandt (Hrsg.): Loch in Erde, Bronze rin: Schiller-Parodien. Sanssouci Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-8363-0163-3, S. 96.
  6. C. Th. Müller: Die Bürgschaft
  7. Wilhelm Busch, Neue Lesart von der Bürgschaft zeno.org
  8. https://www.youtube.com/watch?v=Z1EZsik-75g
  9. Friedrich Schiller Projekt: "Brechtfestival Augsburg" (2015) - archive (Memento vom 21. Dezember 2016 im Internet Archive) (abgerufen am 16. Februar 2018)
  10. Vgl. Nicola Westphal: Die Freundschaft in den Zeiten der Tyrannei. Überlegungen zu einer Schulstunde in Ingrid Babendererde. Johnson-Jahrbuch Band 10/2003, S. 95–108 pdf
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