Clearview AI
Clearview AI ist ein US-amerikanisches Start-up, das sich mit Hilfe sehr großer Bilddatenmengen und von maschinellem Lernen auf die Gesichtserkennung mit Computersystemen spezialisiert hat. Es ist im Handelsregister eingetragen und hat seinen Sitz in New York City.[1] Die Abkürzung "AI" steht für den englischsprachigen Ausdruck für Künstliche Intelligenz ("Artificial Intelligence").
Clearview AI Inc. | |
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Rechtsform | Corporation |
Sitz | Vereinigte Staaten |
Leitung | Hoan Ton-That |
Branche | Bilderkennung |
Website | https://clearview.ai |
Das Unternehmen hat etwa drei Milliarden Porträtfotos von Personen aus Quellen im Internet wie zum Beispiel Facebook oder YouTube durch Screen Scraping gesammelt.[2][3][4] Die dabei eingesetzten Algorithmen sollen beaufsichtigt, ethisch und vorurteilslos sein, um die Menschlichkeit zu gewährleisten.
Die von Clearview AI durchgeführten Bildanalysen werden ca. 600 Kunden, zumeist Strafverfolgungsbehörden in den USA, zur Verfügung gestellt. Hauptsächlich um Personen zu identifizieren, die Straftaten begangen haben.[5][2] Auch in Belgien, Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Spanien, Schweden[6] und der Schweiz kommt die Software zum Einsatz.[2] Weltweit haben mehr als 200 Unternehmen und Organisationen Lizenzen von Clearview gekauft oder die Software kostenlos ausprobiert.[2]
Der US-amerikanische Investor mit deutscher Herkunft Peter Thiel hat das Projekt 2017 finanziell unterstützt.[5][7]
Kritik
Der US-amerikanische Senator Ron Wyden forderte, dass die Bürger der Vereinigten Staaten wissen müssen, wenn ihre Bilddaten für die Gesichtserkennung des Unternehmens eingesetzt werden.[5]
In den USA haben eine Feuerversicherung und mehrere Einzelpersonen insgesamt sieben Klagen gegen die Praktiken des Unternehmens angestrengt.[4] Die amerikanische Bürgerrechtsunion ACLU hat im Mai 2020 vor einem US-Bundesgericht Klage gegen Clearview AI wegen Überschreitung ethischer Grenzen erhoben.[8]
Laut Clearview AI dürfen nur autorisierte Behörden die Software verwenden.[9] Allerdings nutzen behördliche Kunden die App nicht nur für berufliche Zwecke, sondern auch für private Zwecke, beispielsweise um die Funktionen bei Dates oder Partys zu zeigen.[10] Zudem dürfen exklusive Unternehmer die App zu Testzwecken oder aus privaten Gründen nutzen.[11][12]
Nach Auffassung des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar verstößt Clearview AI gegen europäisches Recht. Er stellt fest, dass die DSGVO anwendbar sei, obwohl Clearview AI keine europäische Niederlassung hat und bemängelt, dass es keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der biometrischen Daten gebe.[13] Der Datenschutzbeauftragte hatte im März 2020 die Kundenliste von Clearview AI angefordert, da auch für diese datenschutzrechtliche Pflichten gelten würden.[14] Im Januar 2021 ordnete Caspars Behörde die Löschung der biometrischen Daten eines Betroffenen an. Der Datenschutzorganisation NOYB geht diese Anordnung nicht weit genug.[15]
Auch der Datenschutzbeauftragte von Kanada, Daniel Therrien, verurteilte das Geschäftsmodell von Clearview AI und bezeichnet es als Massenüberwachung und illegal.[16]
Verbreitung und Reichweite
Laut einer Recherche der New York Times vom Januar 2020 gelingt es mithilfe der Software von Clearview, die auf eine Datenbank von drei Milliarden Fotos zugreift, Menschen durch deren Gesichtsmerkmale innerhalb weniger Sekunden zu erkennen.[17][3]
Entgegen früherer Behauptungen von Clearview wurden nach Presserecherchen vom Februar 2020 die Datenbanken des Unternehmens auch bedeutenden amerikanischen Handelsketten gegen Bezahlung zugänglich gemacht. Diese suchen damit nach eigenen Aussagen nach bekannten Ladendieben und Betrügern.[18]
In Europa gehörten verschiedene Sicherheitsbehörden zu den Nutzern von Clearview. Anhand geleakter Kundenlisten wurden Anfang Februar 2020 Sicherheitsbehörden in Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Lettland, Litauen, den Niederlanden, Norwegen, Portugal, Serbien, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz und die des Vereinigten Königreichs als Clearview AI Nutzer identifiziert.[18]
Die Polizeibehörde Interpol war in den Unterlagen mit über 320 Suchanfragen gespeichert.[18] Dennoch besteht keine Geschäftsbeziehung zwischen Interpol und Clearview AI, stattdessen wurde ein kostenloser 30-Tage-Probeaccount verwendet.[19]
Im Mai 2020 verkündete Clearview AI, dass die App nur noch für Sicherheitsbehörden verfügbar ist und alle anderen Verträge, etwa Banken und Schulen, die auf der Kundenliste standen[20], aufgelöst werden.[21][22] Außerdem werden alle Verträge in Illinois gekündigt und keine Fotos oder Daten mehr verwendet von Websites, die im Zusammenhang mit Illinois oder Chicago stehen.[21][22]
Weblinks
Einzelnachweise
- Clearview AI Kontaktdaten. abgerufen am 20. Januar 2020
- DER SPIEGEL: Gesichtserkennung: Clearviews Kunden sind Banken, Schulen und europäische Behörden - DER SPIEGEL - Netzwelt. Abgerufen am 28. Februar 2020.
- Kashmir Hill: The Secretive Company That Might End Privacy as We Know It. In: New York Times, Jan. 18, 2020
- Stefan Krempl: Gesichtserkennung: Mit dem Urheberrecht gegen Clearview vorgehen. In: heise online, 10. April 2020, abgerufen am 15. April 2020.
- Gewaltige Fotodatenbank zeigt, wie gefährlich Gesichtserkennung ist, Die Zeit vom 19. Januar 2020, abgerufen am 20. Januar 2020
- Mikael Grill Pettersson, Linnea Carlén: Polisen: Utsatt barn kunde identifieras med hjälp av omdiskuterade AI-tjänsten. In: SVT Nyheter. 11. März 2020 (svt.se [abgerufen am 3. Februar 2021]).
- Clearview AI, PitchBook, abgerufen am 20. Januar 2020
- Albtraum-Szenario: ACLU verklagt Clearview wegen illegaler Gesichtserkennung. 31. Mai 2020, abgerufen am 1. Juni 2020.
- Clearview Is Not A Consumer Application. Abgerufen am 9. Juni 2020 (englisch).
- Clearview AI: Kunden nutzen Gesichtserkennung als Party-Gag - Golem.de. Abgerufen am 9. Juni 2020 (deutsch).
- Tomislav Bezmalinovic: Clearview: Gesichtserkennung diente als Hightech-Spielzeug für Superreiche. In: MIXED | News zu VR, AR und KI. Abgerufen am 9. Juni 2020 (deutsch).
- Kashmir Hill: Before Clearview Became a Police Tool, It Was a Secret Plaything of the Rich. In: The New York Times. 5. März 2020, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 9. Juni 2020]).
- Patrick Beuth, DER SPIEGEL: Gesichtserkennung: Hamburger Datenschützer will Clearview zur Datenlöschung zwingen. Abgerufen am 3. Februar 2021.
- Patrick Beuth, DER SPIEGEL: Hamburgs Datenschützer leitet Prüfverfahren gegen Clearview ein. Abgerufen am 3. Februar 2021.
- NOYB: Clearview AIs biometrische Fotodatenbank in der EU illegal, aber nur begrenze Löschungsanordnung. 28. Januar 2021, abgerufen am 3. Februar 2021.
- Office of the Privacy Commissioner of Canada: News release: Clearview AI’s unlawful practices represented mass surveillance of Canadians, commissioners say. 3. Februar 2021, abgerufen am 3. Februar 2021.
- Jannis Brühl und Simon Hurtz: Eine App schockiert Amerika. In: Süddeutsche Zeitung, 20. Januar 2020 (SZPlus)
- Ryan Mac, Caroline Haskins, Logan McDonald: "Clearview’s Facial Recognition App Has Been Used By The Justice Department, ICE, Macy’s, Walmart, And The NBA" buzzfeednews.com vom 27. Februar 2020
- Matthias Monroy: Clearview AI - Wozu nutzt Interpol Gesichtserkennung? In: netzpolitik.org. 9. März 2020, abgerufen am 9. Juni 2020 (deutsch).
- DER SPIEGEL: Gesichtserkennung: Clearviews Kunden sind Banken, Schulen und europäische Behörden - DER SPIEGEL - Netzwelt. Abgerufen am 11. Juni 2020.
- Nick Statt: Clearview AI to stop selling controversial facial recognition app to private companies. 7. Mai 2020, abgerufen am 9. Juni 2020 (englisch).
- Clearview AI Says It Will No Longer Provide Facial Recognition To Private Companies. Abgerufen am 9. Juni 2020 (englisch).