Clarence Thomas
Clarence Thomas (* 23. Juni 1948 in Pin Point, Chatham County, Georgia) ist ein US-amerikanischer Jurist und seit dem Jahr 1991 Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten (Supreme Court). Er ist der einzige Afroamerikaner am höchsten Gericht der Vereinigten Staaten und gilt als Teil des konservativen Flügels des Gerichtshofs.
Persönlicher Werdegang
Clarence Thomas kam in Pin Point, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Savannah, als Sohn römisch-katholischer Eltern zur Welt. Er beabsichtigte zunächst, Priester zu werden, und besuchte kurz ein Priesterseminar, bevor er am College of the Holy Cross in Worcester Englische Literatur studierte. Er schloss seine Rechtsausbildung im Jahr 1974 an der Law School der Yale University ab.
Thomas stand an der Universität linken Positionen nahe, bevor er sich Autoren wie Ayn Rand und Thomas Sowell und deren marktliberalen Idealen zuwendete. Später identifizierte er sich auch in der Gesellschaftspolitik immer mehr mit konservativen und katholischen Positionen. Er ließ sich 1984 von seiner ersten Frau, Kate Ambush, die er 1971 geheiratet hatte, scheiden und ist seit 1987 mit Virginia Lamp verheiratet. Aus seiner ersten Ehe hat er einen Sohn.
Juristische Karriere
Thomas fungierte von 1974 bis 1977 als stellvertretender Attorney General des Bundesstaates Missouri. Zwischen 1977 und 1979 war er Unternehmensanwalt des Chemieunternehmens Monsanto und von 1979 bis 1981 Assistent des republikanischen US-Senators John Danforth. Ab 1981 diente er in der Regierung von US-Präsident Ronald Reagan: bis 1982 als Abteilungsleiter für Bürgerrechte im Bildungsministerium und ab 1982 als Vorsitzender der Regierungskommission für Gleichberechtigung im Arbeitsleben (Equal Employment Opportunity Commission). In diesem Amt folgte er auf Eleanor Holmes Norton.
1990 nominierte ihn der republikanische Präsident George Bush sr. als Richter am einflussreichen Bundesberufungsgericht für Washington, D.C. (Court of Appeals for the DC Circuit) und – nach einigen Kontroversen im Justizausschuss – bestätigte der damals von den Demokraten kontrollierte Senat diese Nominierung.
Ernennung zum Richter am Supreme Court
1991 wurde Thomas nach dem Rücktritt von Richter Thurgood Marshall von Präsident George Bush für dessen Nachfolge am Supreme Court nominiert.
In den Hearings im von den Demokraten kontrollierten Justizausschusses schlug Thomas von demokratischer Seite wegen seiner Ablehnung von gezielter Vorteilsgewährung für Minderheiten (Affirmative Action) und seiner vermuteten Opposition gegen ein Recht auf Abtreibung heftiger Widerstand entgegen. Zudem wurden seine fachlichen Qualifikationen und sein Intellekt angezweifelt. Als im Verlauf der Hearings Vorwürfe laut wurden, Thomas habe eine frühere Untergebene, Anita Hill, sexuell belästigt, wurden die Anhörungen zum Medienspektakel. Die entsprechenden Zeugenaussagen gegen Thomas vermochten den Ausschuss jedoch nicht zu überzeugen und er überwies die Nominierung – ohne Antrag pro oder contra – an das Senatsplenum. Thomas bezeichnete das Verfahren in den wiedereröffneten Anhörungen am 11. Oktober 1991 als „High-Tech-Lynching für aufmüpfige Schwarze“.[1] Vier Tage später bestätigte der Senat Thomas mit 52:48 Stimmen im Amt, dem knappsten Ergebnis bei Richterwahlen im 20. Jahrhundert.
Thomas ist bekannt dafür, bei Verhandlungen keine Fragen zu stellen, was er damit begründet, dass er seine Aufgabe darin sehe, den Anwälten zuzuhören. So hatte er zwischen Februar 2006 und Februar 2016 keine Nachfragen gestellt.[2]
Rechtsprechung
Am Obersten Gerichtshof ist Thomas’ Rechtsprechung (wie auch die des verstorbenen Richters Scalia) vor allem durch seine streng originalistische Auslegung der Verfassung der Vereinigten Staaten gekennzeichnet. Thomas ist der Auffassung, die Verfassung sei ausschließlich so auszulegen, wie die Gründerväter dies beabsichtigt hätten. Damit geriet er in der Vergangenheit in Konflikt mit seinen liberaleren Richterkollegen, die die Verfassung namentlich im Bereich der Bundeskompetenzen und der Bürgerrechte weit auslegen und auch die gesellschaftlichen Änderungen in der Rechtsprechung berücksichtigen wollen. Nach Thomas’ und Scalias Auffassung stellt diese liberale Vorstellung einer „lebenden Verfassung“ bloßen richterlichen Aktivismus dar, bei dem sich nicht vom Volk gewählte Richter die Befugnisse des Gesetz- und Verfassungsgebers anmaßen. Doch ruft auch Thomas oft dazu auf, vom Common-Law-Prinzip des stare decisis abzuweichen und auch die längst gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Gunsten seiner „originalistischen“ Verfassungsauslegung abzuändern. Er ist derjenige Richter, der sich am Gerichtshof in den meisten Fällen in der Minderheit findet.
Im Ergebnis führen Thomas’ Auslegungsprinzipien ihn meist zu gesellschaftspolitisch konservativ geprägten Rechtsmeinungen, vereinzelt schließt er sich aber auch dem liberalen Flügel an. Im Einzelnen vertritt er folgende Hauptauffassungen:
- Der Schutz des ersten Verfassungszusatzes für freie Meinungsäußerung sei weit auszulegen.
- Der zweite Verfassungszusatz vermittle ein persönliches Grundrecht auf das Tragen von Waffen.
- Das Verbot „grausamer und ungewöhnlicher Strafen“ im achten Verfassungszusatz sei eng auszulegen. Selbst das Verprügeln eines Häftlings durch Aufseher sei, wenngleich verurteilenswert und wohl anderweitig rechtswidrig, nicht verfassungswidrig. Auch die Todesstrafe sei verfassungsmäßig zulässig.
- Die Kompetenzen des Bundesgesetzgebers unter der traditionell weit ausgelegten so genannten commerce clause der Verfassung seien eng auszulegen. Dies würde dazu führen, dass große Teile des ganzen Bundesrechts als verfassungswidrig aufzuheben wären.
- Die bevorzugte Behandlung von Minderheiten, namentlich Schwarzen (affirmative action) sei verfassungswidrig, weil sie die Rechtsgleichheit verletze.
- Gesetze, die einverständliches (z. B. homosexuelles) sexuelles Verhalten unter Erwachsenen mit Strafe belegen, seien zwar dumm („silly“), aber nicht verfassungswidrig.
- Die Kompetenzen der Exekutive, vor allem in Kriegszeiten, seien sehr weit auszulegen, z. B. im Zusammenhang mit der Verhaftung von Terrorismusverdächtigen.
- Die Bundesgesetze zum Verbot des Marihuanabesitzes seien möglicherweise veraltet.[3]
Literatur
- Corey Robin: The Enigma of Clarence Thomas. Henry Holt, New York 2019, ISBN 978-1-62779-383-4.
- Samuel A. Marcosson: Original Sin: Clarence Thomas and the Failure of the Constitutional Conservatives. NYU Press, New York 2002, ISBN 978-0-8147-5640-9.
Weblinks
- Biografie beim Obersten Gerichtshof (englisch)
- Clarence Thomas in der Notable Names Database (englisch)
Einzelnachweise
- Hearing of the Senate Judiciary Committee on the Nomination of Clarence Thomas to the Supreme Court (Protokoll der Anhörung im Justizausschuss des US-Senats zur Nominierung von Clarence Thomas als Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika) (Memento vom 13. September 2013 im Internet Archive), Electronic Text Center, University of Virginia Library, October 11, 1991.
- Oberster Gerichtshof: US-Richter stellt erste Frage - seit zehn Jahren. In: Spiegel Online. 1. März 2016, abgerufen am 8. Januar 2017.
- Annika Kim Constantino: Supreme Court Justice Clarence Thomas says federal marijuana laws may be outdated. CNBC, 28. Juni 2021, abgerufen am 30. Juni 2021 (englisch).