Cho Oyu
Cho Oyu oder Qowowuyag („Göttin des Türkis“; tibetisch ཇོ་བོ་དབུ་ཡ Wylie jo-bo-dbu-ya; chinesisch 卓奥友山, Pinyin Zhuó'àoyǒu Shān, Nepali चो ओयु Cho Oyu) ist ein Achttausender im Himalaya. Er liegt im zentralen Himalaya nur 20 km westlich von Mount Everest und Lhotse und stellt den westlichen Eckpfeiler des Mahalangur Himal im Himalaya-Hauptkamm dar. Die Grenze zwischen China und Nepal verläuft über den Gipfel des Cho Oyu.
Cho Oyu | ||
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Die Südwand des Cho Oyu von Gokyo aus | ||
Höhe | 8188 m | |
Lage | Distrikt Solukhumbu (Nepal), Tibet (VR China) | |
Gebirge | Mahalangur Himal (Himalaya) | |
Dominanz | 29,05 km → Mount Everest | |
Schartenhöhe | 2340 m ↓ (5848 m) | |
Koordinaten | 28° 5′ 38″ N, 86° 39′ 39″ O | |
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Erstbesteigung | 19. Oktober 1954 durch Herbert Tichy, Josef Jöchler und Pasang Dawa Lama | |
Normalweg | Nordwestseite | |
Nordseite des Cho Oyu von Tingri aus gesehen |
Name
Der Name „Göttin des Türkis“ bezieht sich auf das von Tibet aus sichtbare türkise Leuchten des Gipfels im Nachmittagslicht. Der Name setzt sich wahrscheinlich zusammen aus den tibetischen Wörtern chomo („Göttin“) und yo („türkis“), diese Herleitung ist jedoch nicht belegt. Erstbesteiger Herbert Tichy erfuhr von einem Lama in Namche Bazar, der Name bedeute „Gewaltiger Kopf“. Heinrich Harrer vermutete, der Berg heiße cho-i-u („Gottes Kopf“); auf früheren Karten war der Berg phonetisch ähnlich mit Cho Uyu verzeichnet. Eine alternative tibetische Übersetzung des Namens („Kahler Gott“) deckt sich mit Harrers Version und mit einer Legende, nach der der Kahle Gott Cho Oyu der Göttinmutter Chomolungma seinen Rücken zugewendet hat, weil diese sich weigerte, ihn zu heiraten.[1]
Höhe
Der Cho Oyu ist erst dank einer neuerlichen Vermessung 1984 als sechsthöchster der 14 Achttausender anerkannt worden. Bis dahin hatte er mit einer vermeintlichen Höhe von 8153 m hinter Dhaulagiri (8167 m) und Manaslu (8163 m) den achten Platz eingenommen. Nach der Vermessung 1984 wurde seine Höhe zunächst auf 8201 m festgelegt und nach neueren Messungen in den 1990er Jahren auf 8188 m korrigiert.[2]
Besteigungsgeschichte
Erstbesteigung
Weil die Schweizer den Briten im Jahr 1952 bei der Genehmigung für den Mount Everest zuvorgekommen waren, konzentrierten sich die Briten in diesem Jahr auf den Cho Oyu, wo die Teilnehmer der für 1953 bereits genehmigten Everest-Expedition ihre Ausrüstung und Höhenanpassung erprobten. Edmund Hillary und George Lowe erkundeten dabei die Nordwestzugänge des Cho Oyu, die Südseite wurde für unangreifbar gehalten. Auf einen Besteigungsversuch von Norden wurde jedoch verzichtet, weil Expeditionsleiter Eric Shipton es nicht wagte, eine Lagerkette über die Grenze ins verbotene Tibet einzurichten.[3]
Am 19. Oktober 1954 gelang einer österreichischen Klein-Expedition unter Führung von Herbert Tichy – mit dem Tiroler Sepp Jöchler und dem Sherpa Pasang Dawa Lama – die Erstbesteigung des Berges ohne zusätzlichen Sauerstoff. Der Weg auf die Nordseite über einen Eisbruch hatte sich dabei als einfacher erwiesen, als von den Briten zwei Jahre zuvor befürchtet.[4]
Weitere Besteigungen
1958 schaffte eine indische Expedition die zweite Besteigung. Im gleichen Jahr gab es auch den ersten Todesfall am Cho Oyu. Der Sherpa Pasang Dawa Lama bestieg den Gipfel zum zweiten Mal. Die Bergsteiger Pasang und Sonam Gyaltsen wurden vom indischen Ministerpräsidenten Nehru in Neu-Delhi empfangen; auch in Kathmandu wurden sie gefeiert, denn zum ersten Mal kamen bei einer Expedition allein die Sherpa zum Gipfelerfolg.[5] Die dritte Besteigung durch eine deutsche Expedition 1964 ist bis heute umstritten, da es keine Beweise für das Erreichen des Gipfels gibt. Fritz Stammberger hatte angegeben, den Gipfel alleine erreicht zu haben, nachdem sein Sherpa 150 Meter unterhalb des Gipfels zurückblieb.[6] Die Beweiskraft des angeblichen Gipfelfotos wurde daraufhin bestritten.[7]
1978 durchstiegen die österreichischen Alpinisten Edi Koblmüller und Alois Furtner die extrem schwierige und gefährliche Südostwand zum Gipfel.[8] 1983 gelang dem Südtiroler Reinhold Messner zusammen mit Michl Dacher und Hans Kammerlander die vierte nachgewiesene Besteigung. Sie kletterten im Alpinstil über eine neue Route vom Südwestgrat durch die Südwestwand zum Gipfel.[9] Bis zu diesem Zeitpunkt waren acht Menschen, darunter 1982 der bekannte deutsche Bergsteiger Reinhard Karl,[8] bei missglückten Besteigungen des Cho Oyu gestorben.[10] 1985 schafften Maciej Berbeka und Maciej Pawlikowski aus einer polnischen Expedition unter der Führung von Andrzej Zawada die erste Winterbesteigung über den Südpfeiler, der bis heute als schwierigste Route gilt. Einige Tage später waren mit Jerzy Kukuczka und Andrzej Heinrich zwei weitere Expeditionsteilnehmer erfolgreich.[11]
Die erste Besteigung eines Frauenteams gelang der Tschechoslowakin Dina Štěrbová und der Amerikanerin Vera Komarkova zusammen mit Ang Rita Sherpa und Nuru Sherpa am 13. Mai 1984.[12]
Im Jahr 1988 durchkletterte ein slowenisches Team erstmals die Nordwand.[13] Die Südwestwand wurde 1990 erstmals von Wojciech Kurtyka, Erhard Loretan und Jean Troillet durchstiegen.[13] 1996 durchstiegen der Spanier Òscar Cadiach und der Österreicher Sebastian Ruchsteiner erstmals den Nordgrat.[13] Der Österreicher Stefan Gatt und der Franzose Marco Siffredi befuhren den Berg 1999 bzw. 2000 als erste mit dem Snowboard.[14] Den Kasachen Boris Dedeshko und Denis Urubko gelang 2009 eine direkte Route in der Südostwand. Diese Erstbegehung wurde mit dem Piolet d’Or gewürdigt.[13]
Besteigungsstatistik
Der Cho Oyu ist nach dem Mount Everest mit 2790 Gipfelerfolgen (Stand: 30. Juni 2009)[15] der meistbestiegene Achttausender. Er zählt auf seiner Normalroute zu den „leichteren“ Achttausendern mit geringen objektiven Schwierigkeiten. Daher ist er oft Ziel kommerzieller Expeditionen und weist mit einem Verhältnis von einem Todesfall auf 65 Gipfelerfolge[15] das geringste Risiko aller Achttausender auf.
Kommerzielle Expeditionsunternehmen, die eine Everest-Besteigung organisieren, empfehlen daher Kunden, die unerfahren in Extremhöhen sind, oftmals, zuvor an einer Expedition zum Cho Oyu teilzunehmen.[16] Neben dem kommerziellen Interesse bietet ein Gang auf den Cho Oyu allen Beteiligten eine Möglichkeit zur Einschätzung der individuellen Anpassungsfähigkeit an große Höhen und den Sauerstoffmangel.
Künstlerische Rezeption
Im September und Oktober 2001 bestieg der norwegische Bergsteiger und Ambient-Künstler Geir Jenssen den Berg und fertigte während des Aufstiegs Feldaufnahmen der Natur- und Umgebungsgeräusche an. Die Aufnahmen wurden 2006 unter dem Titel Cho Oyu 8201m – Field Recordings From Tibet veröffentlicht.[17]
Literatur
- Herbert Tichy: Cho Oyu – Gnade der Götter. Ullstein, Wien 1955.
- Toni Hiebeler: Berge unserer Erde. Süddeutscher Verlag, Stuttgart 1974.
- Karl Ziak: Der Mensch und die Berge. Verlag Das Bergland-Buch, Salzburg 1983.
- Fritz Rudolph: Chomolungma und ihre Kinder. Sportverlag, Berlin 1986, ISBN 3-328-00125-5.
- Steve Razzetti, Victor Saunders: Nepal. Trekking and climbing. Interlink Pub, London 1998.
- Reinhold Messner: Cho Oyu – Göttin des Türkis. Malik, München 2012, ISBN 978-3-89029-417-9.
- Hans Dieter Sauer: Die Herausforderung – Im Alleingang auf den Cho Oyu, Bruckmann Verlag, München 2004, ISBN 3-7654-4144-9.
Einzelnachweise
- Richard Sale, John Cleare: On Top of the World. Die 14 Achttausender: Von den Erstbesteigungen bis heute. BLV, München 2001, S. 102.
- Cho Oyu auf www.8000ers.com, abgerufen am 17. November 2012.
- Günter Oskar Dyhrenfurth: Der dritte Pol. Die Achttausender und ihre Trabanten. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1961, S. 64.
- Günter Oskar Dyhrenfurth: Der dritte Pol. Die Achttausender und ihre Trabanten. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1961, S. 76–78.
- Günter Oskar Dyhrenfurth: Der dritte Pol. Die Achttausender und ihre Trabanten. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1961, S. 88.
- O.V.: Cho Oyu. In: American Alpine Journal. 1965, S. 463 (AAJO), abgerufen am 17. November 2012.
- O.V.: False or Doubtful Claims of Ascents in 1964. In: American Alpine Journal. 1966, S. 199, abgerufen am 17. November 2012.
- Rollo Steffens: Cho Oyu - Die Göttin des Türkis (Memento vom 11. Februar 2013 im Webarchiv archive.today) auf: www.rollo-steffens.de, abgerufen am 17. November 2012.
- Michael J. Cheney, Elizabeth Hawley: Cho Oyu. In: American Alpine Journal. 1983, S. 243, abgerufen am 17. November 2012.
- Fatalities – Cho Oyu. auf: www.8000ers.com, abgerufen am 17. November 2012.
- Andrzej Zawada: The First Winter Ascent of Cho Oyu (1984–1985). In: Alpine Journal. 1988–1989, S. 41–47. (PDF; 3,1 MB), abgerufen am 17. November 2012.
- Vera Kormanova: Cho Oyu. In: American Alpine Journal. 1985, S. 89–93 (AAJO) (PDF; 961 kB), abgerufen am 17. November 2012.
- Reinhold Messner: Überlebt – Meine 14 Achttausender Malik / National Geographic, München 2013, S. 288.
- Trey Cook: The Disappearance Of Marco Siffredi. snowboarding.transworld.net, 8. September 2013, abgerufen am 16. August 2017 (englisch).
- Siehe Nations statistics und Fatalities table Englisch, abgerufen am 12. Februar 2010.
- Zum Beispiel der Expeditionsanbieter Alpine Ascents, abgerufen am 17. November 2012.
- Geir Jenssen: Cho Oyu 8201 m – Field Recordings From Tibet. Rezension auf www.ikonen-magazin.de, abgerufen am 17. November 2012.
Weblinks
- Cho Oyu auf Peakbagger.com (englisch)
- Cho Oyu auf GeoFinder.ch
- Cho Oyu bei himalaya-info.org
- Fotos von der Erstbesteigung des Cho Oyu (Memento vom 1. November 2014 im Internet Archive)