Bailò
Bailo (it. bailò, auch baylo, osmanisch بایلوس İA balyos) war der Titel des venezianischen Repräsentanten und Hauptes des venezianischen Händlerquartiers in der byzantinischen Hauptstadt Konstantinopel bzw. in Istanbul.
Geschichte
1082 wird erstmals ein Bailo in Konstantinopel erwähnt.[1] 1265 erkannte der byzantinische Kaiser den Bailo förmlich als den Leiter der venezianischen Gemeinschaft in Konstantinopel an.[2] Daraufhin wurde 1268 erstmals ein Bailo in Venedig bestimmt und nach Konstantinopel entsandt.[2]
Nur ein Jahr nach der Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen 1453, vor der die Venezianer in der Stadt diese mitverteidigt hatten, schlossen die Venezianer mit den neuen Herren am 18. April 1454 einen Vertrag, der ihnen die Wiederansiedlung ermöglichte.[3] Daher gab es von 1454 bis 1797 – in abgewandelter Form – in Istanbul wieder einen Bailo mit richterlichen und diplomatischen Aufgaben.
Bezeichnung und Bedeutung
Das Wort entspricht dem französischen Bailli, dem im deutschen Bereich der Begriff Vogt entspricht, ohne dass die Ämter einander entsprachen (vgl. die amtliche Bezeichnung Bailiwick of Jersey für den britischen Kronbesitz oder die deutsche Bezeichnung Ballei).
Wahl und Funktion
Der Bailo wurde vom Großen Rat zunächst für ein bis zwei Jahre gewählt, ab 1503 für drei Jahre. Er hatte zwei Ratgeber (consiliarii), die ebenfalls von Venedig entsandt wurden. Weitere Baili saßen in Tyros und in Ayas (Lajazzo).
Der Bailo fungierte als administratives Oberhaupt der venezianischen Handelskolonie am Goldenen Horn in Konstantinopel und als deren Vertreter gegenüber der osmanischen Regierung sowie als diplomatischer Vertreter Venedigs. Er war zugleich Konsularbeamter und Richter für Venezianer und für andere Händler, die in der Levante unter venezianischer Flagge segelten. Zu seinen Aufgaben zählten auch die Aufsicht über vier venezianische Kirchen in Konstantinopel, darüber hinaus die Bemühungen zur Freilassung versklavter Christen. Aufgabe des Bailò bzw. Baiulus war auch die Bezeichnung des Vertreters venezianischer Handelsinteressen in verschiedenen Städten und an einigen Höfen des Mittelmeerraums.
Mit Ausnahme der Konsuln von Aleppo und Alexandria (Kairo), deren Entsendung sich der Große Rat vorbehielt, bestimmte der Konstantinopler Bailo alle venezianischen Konsuln in der Levante, z. B. 1586 in Izmir, Fochie (Foça), auf Mytilene und in Anatolien, auf Chios, in Gallipoli, Silivri, Palermo oder auf Rhodos.
Alle Baili entstammten dem venezianischen Patriziat, wobei der in Frage kommende Kreis aus rund 100 Personen bestand, einer „Oligarchie innerhalb einer Oligarchie“.
Im 16. Jahrhundert, infolge der schwierigen politischen Situation Venedigs (osmanisch-venezianische Kriege, Übergang der Schutzherrschaft über die katholischen Christen an Frankreich), wurde der Bailò zum wichtigsten diplomatischen Posten der Republik. Das Amt galt als Sprungbrett für höhere kirchliche und weltliche Ämter. Die von den Baili an die Signoria gesandten Berichte (dispacci) sind historisch wertvoll. Die ältesten erhaltenen stammen aus den Jahren 1484 und 1485 und wurden von Pietro Bembo und seinem Sekretär Giovanni Dario abgefasst.[4] Die allgemeinen Erfahrungen und Vorstellungen wurden am Ende des Mandats in den Finalrelazionen dem Senat vorgetragen und schriftlich fixiert. Hier setzt die Überlieferung mit Zusammenfassungen 1496 ein.
Editionen der Berichte der Gesandten
- Eugenio Albèri (Hrsg.): Relazioni degli Ambasciatori Veneti al Senato, ser. iii: Turchia, 3 Bände. Florenz 1840–1855.
- Nicolò Barozzi, Guglielmo Berchet (Hrsg.): Le Relazioni degli Stati Europei lette al Senato dagli Ambasciatori Veneti nel secolo decimosettimo, ser. V: Turchia. Venedig 1866, 1872.
- Filippo Maria Paladini (Hrsg.) Francesco Foscari Dispacci da Costantinopoli 1757–1762. La Malcontenta, Venedig 2007.
Siehe auch
Literatur
- Maria Pia Pedani: Reports of Venetian Consuls in Alexandria (1554–1664). In: Michel Tuchscherer, Maria Pia Pedani (Hrsg.): Alexandrie ottomane. Institut Français d’Archéologie Orientale, Kairo 2011, S. 46–155.
- Maria Pia Pedani: Elenco degli inviati diplomatici veneziani presso i sovrani ottomani. (Memento vom 3. November 2005 im Internet Archive; PDF; 440 kB) In: EJOS V, 2002, Nr. 4
- Eric R. Dursteler: The Bailo in Constantinople: Crisis and Career in Venice’s Early Modern Diplomatic Corps. In: Mediterranean Historical Review, 16,2, 2001, S. 1–30.
- Alexander Kazhdan: Bailo. In: Oxford Dictionary of Byzantium, 1991, I, S. 245.
- Bertold Spuler: Bālyōs. In: Bernard Lewis, Charles Pellat, Joseph Schacht (Hrsg.): The Encyclopaedia of Islam, neue Auflage, 12 Bände. London 1986–2004, Band I, S. 1008.
- Edith Ambros: Bailo. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 1. Artemis & Winkler, München/Zürich 1980, ISBN 3-7608-8901-8, Sp. 1357.
- Peter Wirth: Zum Verzeichnis der venezianischen Baili von Konstantinopel. In: Byzantinische Zeitschrift, 54,2, 1961, S. 324–328.
Anmerkungen
- Aygül Ağır: From Constantinople to Istanbul: The Residences of the Venetian Bailo (Thirteenth to Sixteenth Centuries). In: European Journal of Archaeology, Jg. 18 (2015), S. 128–146, hier S. 130.
- Aygül Ağır: From Constantinople to Istanbul: The Residences of the Venetian Bailo (Thirteenth to Sixteenth Centuries). In: European Journal of Archaeology, Jg. 18 (2015), S. 128–146, hier S. 131.
- Aygül Ağır: From Constantinople to Istanbul: The Residences of the Venetian Bailo (Thirteenth to Sixteenth Centuries). In: European Journal of Archaeology, Jg. 18 (2015), S. 128–146, hier S. 136.
- Maria Pia Pedani, Elenco S. 17