Archie Shepp
Vernon „Archie“ Shepp (* 24. Mai 1937 in Fort Lauderdale, Florida) ist ein US-amerikanischer Jazzmusiker (Tenor- und Sopransaxophon, Piano), Komponist, Sänger sowie Literatur- und Theaterwissenschaftler. Er gilt als einer der wichtigsten Intellektuellen des modernen Jazz.[1]
Leben und Wirken
Shepp wuchs in Philadelphia auf, wo er zunächst das Klavierspiel erlernte, außerdem Klarinette und Altsaxophon; dann wechselte er zum Tenorsax. Er spielte in lokalen Rhythm & Blues-Bands und lernte dabei Lee Morgan, Cal Massey, Jimmy Heath und John Coltrane kennen. Shepp studierte von 1955 bis 1959 Literaturwissenschaft am Goddard College; nach seiner Graduierung zog er nach New York City. Dort begann Shepp seine professionelle Karriere als Musiker 1960 in der Band von Cecil Taylor und wirkte in dem Film The Connection mit. 1963 war er Mitglied der New York Contemporary Five, zu denen Don Cherry und John Tchicai sowie der Bassist Don Moore und der Schlagzeuger J. C. Moses gehörten; die Band war aus einer kurzlebigen Formation hervorgegangen, die Shepp gemeinsam mit Bill Dixon geleitet hatte. Mit Tchicai und Cherry tourte er 1964 in der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und in Finnland, wo sie auf dem Jazz Festival in Helsinki auftraten.
Im August 1964 nahm er eine erste Session unter eigenem Namen auf, das Album Four for Trane für Impulse!.[2]
Danach arbeitete er u. a. mit John Tchicai, Don Cherry und mit John Coltrane, mit dem er in New Yorker Clubs spielte; 1965 wirkte er dann auf Coltranes Album Ascension mit. Sein Auftritt auf dem Newport Jazz Festival wurde zusammen mit Coltranes Musik auf Impulse! veröffentlicht (New Thing at Newport); besonders durch die Unterstützung durch Coltrane etablierte sich Archie Shepp als Künstler der Jazz-Avantgarde in den USA und weltweit.[3]
In unterschiedlichen Besetzungen folgten unter eigenem Namen bahnbrechende Aufnahmen (u. a. mit Roswell Rudd, Bobby Hutcherson, Beaver Harris und Grachan Moncur III), die Shepp zu einem der wichtigsten Protagonisten der Jazz-Avantgarde und des Free Jazz in den 1960er Jahren machten.
Archie Shepp war nicht nur musikalischer Pionier, sondern auch politisches und soziales Sprachrohr eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins; so schrieb er 1965 im Down Beat: „I am an anti-fascist artist“.[4] Ein Höhepunkt des politischen Engagements des „angry young man“ war der Auftritt beim Panafrikanischen Festival 1969 in Algier.
Trotz aller neutönerischen Radikalität war Shepps Musik immer weniger abstrakt als die anderer Avantgardisten dieser Ära; so stand Shepps starke emotionale Spielweise immer in der Tradition der großen Swing-Saxophonisten wie Ben Webster oder Coleman Hawkins, die auf dem Wechselspiel rauer und zart gehauchter Töne, verschiedener Register und Lautstärkestufen beruht.
Ab Mitte der 1960er Jahre arbeitete Shepp mit eigenen Formationen; 1967 hatte er ein Oktett, mit dem er Mama Too Tight aufnahm und dabei Ellington-Einflüsse, R&B-Rhythmen, Marschmusik-Elemente einbezog; 1968 nahm er in Sextett-Besetzung mit Jimmy Owens, Grachan Moncur III und Walter Davis Jr. das Album The Way Ahead auf. 1969 arbeitete er mit dem Trompeter Cal Massey zusammen, spielte dessen Kompositionen und tourte mit ihm durch Europa und Nordafrika, wo Shepp mit dem Dichter Haki R. Madhubuti auf dem Pan-African Festival auftrat. Anfang der 1970er Jahre arbeitete Shepp erneut mit Massey bei der Produktion Lady Day: A Musical Tragedy zusammen, die in der Brooklyn Academy of Music uraufgeführt wurde. Danach schrieb Shepp noch weitere Stücke und hielt Kurse an der University at Buffalo, seit 1973 an der University of Massachusetts.
In den 1970er und 1980er Jahren wurde Shepps Spiel immer stärker mit Elementen traditioneller afroamerikanischer Musik durchsetzt. Blues, Gospel und Spiritual sind für Shepp die ureigenen Ausdrucksmittel der Schwarzen in den USA. Er wollte ihnen eine Musik geben, mit der sich die diskriminierte schwarze Community in den Ghettos identifizieren konnte.
2004 erfüllte sich Archie Shepp mit der Gründung eines eigenen Labels Archieball zusammen mit seiner Partnerin Monette Berthomier in Paris einen lang gehegten Traum. Das Label soll dabei nicht nur eigenen Produktionen, sondern auch als Plattform für junge afroamerikanische Jazzmusiker dienen. Es erschienen auch Werke und Kollaborationen mit Künstlern wie Jacques Coursil, Mônica Passos, Bernard Lubat und Frank Cassenti.
Zu seinem 75. Geburtstag wurde Shepp 2012 die Ehrendoktorwürde der American University of Paris verliehen.
Auswahl-Diskographie
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Shepp wirkte außerdem an Alben von John Coltrane, Johnny Copeland, Dave Burrell, Kahil El’Zabar, Chico Hamilton, Karin Krog, Yusef Lateef, Grachan Moncur III, Abdullah Ibrahim, Buell Neidlinger und Cecil Taylor mit.
Literatur
- Christian Broecking: Der Marsalis-Faktor. Gespräche über afroamerikanische Kultur in den neunziger Jahren. Oreos, Waakirchen-Schaftlach 1995, ISBN 3-923657-48-X (Collection Jazz 25).
- Christian Broecking: Respekt! Verbrecher Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-935843-38-0.
- Ian Carr, Digby Fairweather, Brian Priestley: Rough Guide Jazz. Der ultimative Führer zum Jazz. 1800 Bands und Künstler von den Anfängen bis heute. 2., erweiterte und aktualisierte Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2004, ISBN 3-476-01892-X.
- Richard Cook, Brian Morton: The Penguin Guide to Jazz Recordings. 8. Auflage. Penguin, London 2006, ISBN 0-14-102327-9.
Weblinks
- Offizielle Homepage (englisch)
- Website des Labels Archieball (englisch, französisch)
- Maschinengewehre rosten nicht. Ein Besuch bei dem Saxofonisten und Jazz-Revoluzzer Archie Shepp, der in Paris seinen 75. Geburtstag feiert, von Stefan Hentz Die Zeit Nr. 22 vom 24. Mai 2012, S. 57
- Archie Shepp bei Discogs
- allaboutjazz.com Umfangreiche Sammlung von News, Artikeln und Interviews
- Archie Shepp bei AllMusic (englisch)
- Ashley Kahn: Archie Shepp: Memoirs of a Gunfighter. JazzTimes, 18. Mai 2020, abgerufen am 23. Mai 2020 (englisch).
Einzelnachweise
- Zit. nach Cook/Morton, S. 1182.
- Das bereits im November 1963 mit Lars Gullin, Tete Montoliu und Niels-Henning Ørsted Pedersen aufgenommene Material wurde erst später vom Steeplechase-Label unter dem Titel The House I Live in veröffentlicht. Vgl. Cook/Morton, .1183.
- Die Informationen zu den frühen Jahren entstammen Ian Carrs Shepp-Biographie im Jazz – Rough Guide, S. 581.
- Zit. nach Ian Carr, S. 581.
- Die Auswahl der Alben erfolgte im Wesentlichen anhand des Penguin Guide to Jazz; Ausgaben 1992, 2001 und 2006; sowie des Jazz - Rough Guide.