Ana Tijoux
Anamaría Merino Tijoux (* 12. Juni 1977 in Lille, Frankreich), besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Ana Tijoux oder Anita Tijoux (französische Aussprache: [ti'ʒu]), ist eine französisch-chilenische Rap-Sängerin. Bekannt wurde sie in Lateinamerika als MC der Hip-Hop-Band Makiza Ende der 1990er Jahre. 2006 eroberte sie mit Eres para mí den Latino-Pop in einer Kooperation mit der Mexikanerin Julieta Venegas. Tijoux wird oft gelobt für die "Ergründung sensibler, gewaltfreier Themen".[1] Breite Anerkennung wurde ihr mit ihrem zweiten Soloalbum 1977 zuteil.
Biografie
Anamaría Merino Tijoux wurde am 12. Juni 1977 in der französischen Stadt Lille als Tochter der Soziologin María Emilia Tijoux und Roberto Merino Jorquera geboren. Ihre chilenischen Eltern flüchteten vor der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet ins Exil nach Frankreich.[2][3] 1982 zog die Familie nach Paris. Erst 1983 lernte sie Chile durch einen Familienbesuch bei ihren Großeltern kennen.
1988 stieg sie als Tänzerin in den Hip-Hop ein. Nach Wiederherstellung der Demokratie in Chile kehrte sie wieder ins Land zurück und ließ sich 1993 endgültig dort nieder. Zwei Jahre später integrierte sie sich mit Hilfe einer Rappergruppe der Gemeinde Macul, Santiago in der lokalen Szene und gründete mit Zaturno ihre erste Band Los Gemelos. In 1997 stieg ihre Bekanntheit durch das Feature La Medicina mit der Gruppe Los Tetas, ihre erste professionelle Studioaufnahme.
Makiza
1997 wird sie Teil der chilenischen Rap-Band Makiza, welche in diesem Jahr in der chilenischen Musikszene debütierte. Im folgenden Jahr veröffentlichte die Band mit großem Erfolg ihr erstes Album, Vida salvaje. 1999 folgte das Album Aerolíneas Makiza, welches Tabu-Themen wie das Leben im Exil, von Teenager-Eltern und Anderem anspricht.
Im Jahr 2000 beteiligte sich Makiza am Cover Somos tontos, no pesados von Los Tres, dem letzten gemeinsamen Album der Band. Im selben Jahr trennten sich Makizas Mitglieder um individuelle Projekte zu verfolgen. So entstand Anitas Zusammenarbeit mit der Band Santo Barrio in Songs wie La persecución und La bienvenida im Jahr 2001. Noch 2001 reiste sie wieder nach Frankreich. Dort nahm sie ihren ersten Solo-Song Santiago Penando Estás auf, welcher als Teil des Tributealbums Después de vivir un siglo gewidmet Violeta Parra in Frankreich und Chile veröffentlicht wurde.
2003 kehrte sie nach Chile zurück und nahm an verschiedenen Musikprojekten teil, zum Beispiel der Band Alüzinati. Gemeinsam mit der mexikanischen Sängerin Julieta Venegas nahm sie das Stück Lo que tú me das für den Soundtrack der Filmadaption von Sub terra von Baldomero Lillo auf.[4]
Sie kehrte 2004 zu Makiza zurück und remasterten ihr erstes Album Vida Salvaje. Die dritte und letzte Scheibe Casino Royale erschien 2005. Weiters lieh sie in der Animationsserie Pulentos des chilenischen Senders Canal 13 der Sängerin Mea ihre Stimme als Synchronsprecherin. Nach persönlichen Differenzen ließ sie 2006 Makiza definitiv hinter sich und startete ihre Solokarriere.
Solokarriere
Im November 2006 wurde ihre erste Single Ya no fue fertig und sie absolvierte ihren ersten Liveauftritt. Wegen Problemen mit dem für das Release verantwortliche Label La Oreja, produziert von Erasmo Parra und Camilo Salinas, wurde das Solowerk nicht auf den Markt gebracht. Im selben Jahr arbeitete sie wieder mit Julieta Venegas mit welcher sie den Song Eres para mí aufnahm, Teil des Albums Limón y sal.
Ihr erstes Soloalbum Kaos mit dem Gitarristen Cristóbal Pérez (Pera Prezz) und produziert von Nicolas Carrasco (Foex), kam 2007 beim Label Oveja Negra auf den Markt, unter anderem mit dem ersten Single Despabílate!. Auf dem Album vermischt sie Funk, Soul und andere schwarze Rhythmen, komponiert nach Belieben traurige, fröhliche, dynamische und melodische Lieder und zeigt mit Eifer ein breites Spektrum an Emotionen.
Im Juni 2009 startete sie ihre erste Tour nach Mexiko, wo sie am 28sten diesen Monats am Festival Vive Latino auftrat und auch mehrere Auftritte in Mexiko-Stadt absolvierte.
Mit dem Stück 1977 aus dem Jahr 2009 demonstriert Ana Tijoux ihr Können mit anspruchsvollen Rhythmen und Text und bewegt mit jazziger Stimme das Publikum. Das nach ihrem Geburtsjahr benannte Album zeichnet ein Bild ihrer Kindheit in Frankreich und zollt Tribut an den chilenischen Hip-Hop der sie Anfang der 1990er inspirierte. Im selben Jahr empfahl Thom Yorke, Sänger von Radiohead, seinen Followern sich den Song 1977 anzuhören und steigerte damit Tijouxs Popularität in Europa. Darüber hinaus vertonte das Stück eine Szene des fünften Kapitels der vierten Staffel der beliebten Serie Breaking Bad und das Computerspiel FIFA 2011. Es folgen Tourneen durch die USA und die Nominierung für einen Grammy. MTV Iggy lobte sie 2011 als eine der 12 besten MCs weltweit mit ihr an der Spitze und hob die Scheibe 1977 hervor.[5] Mit La bala, herausgegeben 2011 von Oveja Negra, lotet Anita Tijoux die Grenzen ihres Stils aus, welcher die Hip-Hop Bezüge neu organisiert und ein energisches Gemüt vermittelt. Der Sound ist nun voller Kontraste in der brillanten Triade La bala, Shock und Desclasificado, passiert dann den Humor und das Programm von Las cosas por su nombre, bis schließlich zum Soul von Mi mitad und Volver. Im selben Jahr 2011 spielt sie an der Seite von MC Lagarto diverse Toccatas in Schulen im Rahmen der chilenischen Schüler- und Studentenproteste.
Im März 2014 startete ihr viertes Soloalbum, Vengo, musikalisch produziert von Andrés Celis, in dem sie verschiedene Rhythmen und Kulturen vermischt. Die Künstlerin präsentiert darin eine Soundsammlung von 17 Liedern, von Tinku bis zu einem stark protestierenden Hip-Hop, mit Untertönen voll politischer Manifeste, Kontingenzthemen sowieso sozialen und kulturellen Problemen. Es startet mit dem namensgebenden Track Vengo, gefolgt von Somos Sur an der Seite von Shadia Mansour, Antipatriarca — produziert von Cristóbal Pérez (Pera Prezz), gewidmet der weiblichen Befreiung, Autonomie und Einforderung ihrer Rechte, sowieso der Forderung der Anzeige von Gewalt gegen Frauen[3]. Es folgt Somos Todos Erroristas, nach früheren Kooperationen wieder mit Beiträgen von Hordatoj. Im Song Creo en Ti, ko-produziert vom Gitarristen Cristóbal Pérez, zählt sie auf die Unterstützung von Juanito Ayala mit fröhlichem, positivem Text geladen mit Bewusstsein und Hoffnung, nuanciert mit Tönen aus Charango, Quena und Trommelwirbeln zeigt sie die Vielseitigkeit der vereinten Stile und schafft damit eine neue lokale Musikatmosphäre und erschließt damit auf der Suche nach Auszeichnung auch eine neue Zielgruppe. Mit diesem Album erreichte sie schließlich die Aufmerksamkeit von Größen wie Iggy Pop, welcher den Song Somos Sur in seine BBC Radioprogramm-Playlist aufnahm mit den Worten: “dieses Mädchen hat Eier”, oder auch des japanischen Komponisten und Aktivisten Ryuichi Sakamoto, welcher auf Facebook die Songs Antipatriarca und No al TPP (2013) teilte.
Mit einer größeren Anzahl an internationalen Touren etabliert sie sich 2015 als chilenische Künstlerin der Stunde, die auf ihrem Konto Auftritte in Lateinamerika, Europa und Nordamerika verbuchen kann, bekannt auf globaler und nationaler Ebene. In Chile verlieh man ihr den Preis Premios Pulsar in vier Kategorien: "bester urbaner Musikkünstler", "Lied des Jahres" (Vengo), "Album des Jahres" (Vengo) und "Künstler des Jahres" als Ergebnis von öffentlichen Abstimmungen. Die Zeitschrift Rolling Stone erwählte sie im März 2014 zur "besten spanischen Rapperin"[6] und die New York Times nannte sie "die lateinamerikanische Antwort auf Lauryn Hill".[7] Gleichzeitig schloss sich Newsweek den Schmeicheleien an und nannte Tijoux "die vermutlich bekannteste lateinamerikanische Rapperin der internationalen Szene".[8]
2019 schrieb sie mit No Estamos Solas die Titelmusik zur chilenischen Drama-Serie Die Meute (La jauría).
Frauenrechte
In ihrem musikalischen Werk und auch in öffentlichen Aussagen engagiert sich Ana Tijoux in der Verteidigung von Frauenrechten und klagt Gewalt gegen Frauen und fehlende Gleichstellung an. Weiters auch die Ungleichstellung von Künstlerinnen in der Filmwelt oder von Sängerinnen.
„An jedem Ort, den wir besuchen, in jeder Pressenachricht, die wir sehen, bemerken wir, dass sich die Gewalt gegen Frauen wiederholt, vervielfacht und komplett normalisiert [...] Im Grunde fragen sie dich, bei wem du deine Kinder lässt, wenn du auf Tour gehst, und oft sind es Journalistinnen, die das fragen, und dann frage ich mich: ‚Wann, Mädchen, werden sie das die Väter fragen, die ihre Kinder zurücklassen, um auf Tour zu gehen?‘”[9]
„Wir müssen jung sein, wir müssen attraktiv sein, wir müssen intelligent sein, aber bitte nicht viel reden, und schön singen und möglichst gut aussehen auf der Bühne [...] als Musikerin stellt man sich Fragen und sagt: ‚Mädchen, was kann ich hier bewegen?‘, denn auch wenn am Ende einer sagt, man denke kritisch, ist man trotzdem tagtäglich damit konfrontiert.”[9]
Im Album Vengo von 2014 inkludierte Tijoux den Song "Antipatriarca" ('gegen das Patriarchat'), dessen Musikvideo 2015 Premiere feierte,[10]. Darin fordert sie die Autonomie der Frauen, damit diese ihre eigenen Entscheidungen treffen können und denunziert die Gewalt an Frauen.[11]
Preise und Anerkennung
Ana Tijoux wurde für Dutzende verschiedener Preise nominiert, zum Beispiel die Premios MTV Lateinamerika, 40 Principales in der Kategorie beste chilenische Künstlerin, Indie Music Awards. Sie ist Gewinnerin des Premios Altazor 2012 mit dem Stück Sacar la voz feat. Jorge Drexler in der Kategorie bester urbaner Song.
Sie wird als eine der besten lateinamerikanischen MCs gehandelt und wurde für die MTV Video Music Awards Lateinamerika in den Wertungen Beste neue Künstlerin und Beste urbane Künstlerin nominiert und war die zweite chilenische Künstlerin, welche für den US-Grammy in 4 Kategorien nominiert wurde: 2011 mit dem Album 1977 nominiert für bestes latin/urban/alternativ Rockalbum, selbiges 2013 mit La Bala und 2015 mit Vengo. Ebenso erhielt sie Nominierung in den Latin Grammys mit La Bala als Bestes Urban-Album (2012) und mit Sacar la voz (2013).
2014 gewann sie den Latin Grammy Song des Jahres mit Universos Paralelos gemeinsam mit Jorge Drexler und im selben Jahr nominierte man sie mit Vengo als Bester Urban-Song.
Diskografie
Singles
- 2007: Despabílate
- 2008: Gol
- 2008: A veces
- 2010: 1977 (US: )
- 2010: Partir de cero
- 2010: Crisis de un MC
- 2011: Shock
- 2012: Sacar la voz
- 2014: Vengo
- 2014: Somos sur
- 2014: Los peces gordos no pueden volar
- 2014: Todo lo sólido se desvanece en el aire
- 2016: Calaveritas
Einzelnachweise
- National Public Radio, Ana Tijoux On World Cafe (Memento vom 30. März 2014 im Internet Archive), 16. März 2011
- National Public Radio Tell Me More interview. 29. Juli 2010
- Ana Tijoux, una estrella del rap latino contra la violencia de género, ELMUNDO. 27. Mai 2016. Abgerufen am 28. Februar 2018.
- Sub Terra in der Internet Movie Database (englisch)
- The 12 Best New Female Emcees Dominating Mics Everywhere. 19. September 2011. Archiviert vom Original am 25. Juni 2014.
- BEST RAPPER EN ESPANOL: Ana Tijoux. Rolling Stone. 17. März 2014. Abgerufen am 19. Mai 2018.
- A Beating Heart, a Social Conscience and a Deluge of Ideas. The New York Times. 14. März 2014. Abgerufen am 19. Mai 2018.
- Chile's Hip-Hop heroine goes deep. Newsweek. 18. März 2014. Abgerufen am 19. Mai 2018.
- (Übersetzung aus dem spanischen) Diskussionsrunde La lucha de la mujer en Argentina y América Latina in der Fakultät für Philosophie und Geisteswissenschaften der Universität von Buenos Aires, 24. August 2016. Pressebericht: Ana Tijoux: ¿Cuándo chucha le preguntarán a los hombres con quién dejan a sus hijos cuando van de gira?. El Ciudadano (Chile). 25. August 2016. Abgerufen am 19. Mai 2018.
- Ana Tijoux - Antipatriarca. Nacional Records. 29. Mai 2015. Abgerufen am 19. Mai 2018.
- Ana Tijoux: Casi todas las mujeres han sufrido violencia pero se asume como normal. ADN. 1. Juni 2015. Abgerufen am 19. Mai 2018.
- Auszeichnungen für Musikverkäufe: US
- Ana Tijoux Announces New Album, Shares Video for New Song, Pitchfork vom 20. März 2020, abgerufen 19. Mai 2010
Weblinks
- Anita Tijoux bei Facebook
- Anita Tijoux bei Discogs