Alfred Schmidt (Philosoph)
Alfred Schmidt (* 19. Mai 1931 in Berlin; † 28. August 2012 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Philosoph. Er gilt als „Pionier einer undogmatisch-emanzipatorischen Marx-Rezeption“.[1]
Leben
Alfred Schmidt studierte Geschichte sowie Englische und Klassische Philologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, später auch Philosophie und Soziologie. Der Schüler von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno kam aus einfachen Verhältnissen. Schmidts Vater war Mechaniker, was einen spürbaren Gegensatz zu dem kaufmännischen (Horkheimer) bzw. intellektuellen Familienhintergrund (Adorno) seiner Lehrer darstellte.[2]
1960 wurde Alfred Schmidt mit einer Arbeit über den Begriff der Natur bei Karl Marx promoviert, die „ein neues Kapitel der Marx-Rezeption“ aufschlug.[3] In 18 Sprachen übersetzt, wurde sie „zu einem der meistgelesenen Bücher in der europäischen Protestbewegung“ der 1960er- und 1970er-Jahre.[1] 1972 wurde Schmidt Professor für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt als Nachfolger von Jürgen Habermas auf dem Lehrstuhl von Max Horkheimer.[4] Seine „Donnerstagsvorlesung war in den 1980er Jahren legendär und zog auch viele Fachfremde an“.[5] 1999 wurde Schmidt emeritiert, hielt aber weiter Vorlesungen.
Forschung
Die Hauptforschungsgebiete von Alfred Schmidt waren die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, Geschichte des Materialismus, Religionsphilosophie, Freimaurerforschung, Ludwig Feuerbach und Schopenhauer. Ferner wurde er als Übersetzer englischer und französischer Schriften tätig.
Alfred Schmidt war Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und Ehrenmitglied der Schopenhauer-Gesellschaft. Er gehörte der Frankfurter Freimaurerloge Zur Einigkeit an.[6] Im Jahre 1989 wurde ihm die Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main und 1998 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.
Seinen Nachlass erhielt im November 2012 das Archivzentrum der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg der Goethe-Universität Frankfurt am Main, darunter zahlreiche Korrespondenzen, Manuskripte, elektronische Unterlagen von drei überlieferten Rechnern und seine umfangreiche Privatbibliothek (260 laufende Meter, rd. 8.000 Bücher) in über 600 Umzugskisten.[7]
Schriften
Bücher
- Der Begriff der Natur in der Lehre von Karl Marx. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1962, 4. Aufl. 1993, ISBN 3-434-46209-0.
- Geschichte und Struktur. Fragen einer marxistischen Historik. Hanser, München 1971, ISBN 3-446-11504-8.
- Emanzipatorische Sinnlichkeit. Ludwig Feuerbachs anthropologischer Materialismus. Hanser, München 1973, ISBN 3-446-11652-4.
- Zur Idee der Kritischen Theorie. Elemente der Philosophie Max Horkheimers. Hanser, München 1974, ISBN 3-446-11863-2.
- mit Werner Post: Was ist Materialismus? Kösel, München 1975, ISBN 3-466-40000-7.
- Die Kritische Theorie als Geschichtsphilosophie. Hanser, München 1976, ISBN 3-446-12201-X.
- Drei Studien über Materialismus. Schopenhauer. Horkheimer. Glücksproblem. Hanser, München 1977, ISBN 3-446-12460-8.
- Kritische Theorie, Humanismus, Aufklärung. Philosophische Arbeiten. Reclam, Stuttgart 1981, ISBN 3-15-009977-3.
- Goethes herrlich leuchtende Natur. Philosophische Studie zur deutschen Spätaufklärung. Hanser, München 1984, ISBN 3-446-14141-3.
- Die Wahrheit im Gewande der Lüge. Schopenhauers Religionsphilosophie. Piper, München und Zürich 1986, ISBN 3-492-10639-0.
- Idee und Weltwille. Schopenhauer als Kritiker Hegels. Hanser, München und Wien 1988, ISBN 3-446-15161-3.
- Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei. Deistische Wurzeln und Aspekte. Postum hrsg. von Klaus-Jürgen Grün und Thomas Forwe. Salier, Leipzig 2014, ISBN 978-3-943539-40-0.
- Marx als Philosoph. Studien in der Perspektive Kritischer Theorie. Hrsg. von Michael Jeske und Bernard Görlich, Zu Klampen, Springe 2018, ISBN 978-3-86674-570-4.
Vorträge und Aufsätze
- Praxis. In: Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner, Christoph Wild (Hrsg.): Handbuch Philosophischer Grundbegriffe. Studienausgabe, Band 4. Kösel, München 1973, S. 1107 ff.
- Heidegger und die Frankfurter Schule – Herbert Marcuses Heidegger-Marxismus. In: Peter Kemper: Martin Heidegger – Faszination und Erschrecken. Campus, Frankfurt am Main / New York 1990, ISBN 3-593-34372-X. S. 153–177.
- Tugend und Weltlauf. Vorträge und Aufsätze über die Philosophie Schopenhauers (1960–2003). Lang, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-631-38001-1.
- Materialismus. In: Helmut Reinalter, Peter J. Brenner (Hrsg.): Lexikon der Geisteswissenschaften. Sachbegriffe, Disziplinen, Personen. Böhlau, Wien [u. a.] 2011, ISBN 978-3-205-78540-8. S. 505–512.
Übersetzer
- Robert Paul Wolff, Barrington Moore und Herbert Marcuse: Kritik der reinen Toleranz. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1966. (Enthält Marcuses Essay Repressive Toleranz.)
- Max Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. S. Fischer, Frankfurt am Main 1967.
- Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Luchterhand, Neuwied / Berlin 1967. (4. Aufl., dtv: München 2004. ISBN 3-423-34084-3.)
- Herbert Marcuse: Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie. Luchterhand, Neuwied 1962.
Herausgeber
- Max Horkheimer: Gesammelte Schriften, Bände 1–19. Herausgegeben von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr. S. Fischer: Frankfurt am Main 1985–1996.
Literatur
- Ein Hauch von Melancholie. In: Der Spiegel. Nr. 24, 1972, S. 118–119 (online). Zitat: „Hessens Kultusminister Ludwig von Friedeburg bestätigte jetzt, was für Eingeweihte längst sicher war: Alfred Schmidt, 41, ist das neue Oberhaupt der ‚Frankfurter Schule‘, der wohl einflussreichsten Philosophen- und Soziologenschule Nachkriegsdeutschlands.“
- Stefan Gandler: Materialismus heute. Alfred Schmidt und Adolfo Sánchez Vázquez. In: Zeitschrift für kritische Theorie, Lüneburg, 2013, Jg. 19, Nr. 36/37, S. 144–159.
Nachrufe
- Lorenz Jäger: Zum Tode von Alfred Schmidt: Begriffene Natur. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. August 2012. (Vorabveröffentlichung in: FAZ.Net, 29. August 2012.)
- Dieter Sattler: Drang zur Aufklärung und Liebe zur leuchtenden Natur. In: Frankfurter Neue Presse, 30. August 2012.
- Ruthard Stäblein: Zum Tod von Alfred Schmidt. (Memento vom 5. Dezember 2012 im Webarchiv archive.today) (mit Video- und Audiomaterial), hr-online.de, 30. August 2012.
- Hans-Martin Lohmann: Der Letzte in Frankfurt. Zum Tod des Philosophen Alfred Schmidt. In: Süddeutsche Zeitung, 31. August 2012.
- Rudolf Walther: Im Dienste der Aufklärung. Der Frankfurter Philosoph Alfred Schmidt ist gestorben. In: taz, 31. August 2012.
- Stefan Gandler: Alfred Schmidt, filósofo, albacea de la teoría crítica. In: El País, Madrid, 22. September 2012
- Alfred Schmidt: German philosopher who made important contributions to the development of a critical, undogmatic tradition of Marxist thought. In: The Times, London, 10. Oktober 2012
Weblinks
- Michael Jeske: Schmidt, Alfred im Frankfurter Personenlexikon
- Literatur von und über Alfred Schmidt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Ingo Elbe: „Herr S. und die Natur“. Artikel zum 75. Geburtstag von Alfred Schmidt. (Zuerst erschienen in der Zeitschrift Prodomo.; PDF; 41 kB)
- Bundesverdienstkreuz für Alfred Schmidt (idw, 16. November 1998)
- Alfred Schmidts Beiträge zur Freimaurerforschung
- Vorlesungsaufzeichnungen (Audio/Video) zur Vorlesung "Einleitung in die Geschichte der Philosophie" gehalten von Alfred Schmidt im SS 2012 an der Goethe-Universität Frankfurt
Einzelnachweise
- Rudolf Walther: Nachruf in der taz, 31. August 2012.
- „Im Briefwechsel zwischen seinen universitären Herren Theodor W. Adorno und Max Horkheimer ist gelegentlich abschätzig von ‚unserem Schmidt‘ die Rede, der für subalterne Aufgaben einzusetzen sei wie ehedem Knechte und Mägde auf Gutsherrensitzen“, schrieb Rudolf Walther in seinem Nachruf zu Schmidt in der taz.
- Hans Martin Lohnmann: Nachruf in der Süddeutschen Zeitung, 31. August 2012.
- Gesellschaftswissenschaften Fachbereich 03. Geschichte des Lehrstuhls. Johann Wolfgang Goethe-Universität, abgerufen am 11. September 2014.
- Dieter Sattler: Nachruf in der Frankfurter Neuen Presse, 30. August 2012.
- Genötigt, scharf zu denken. In: FAZ, 14. September 2011; Interview (mit Bekenntnis zur Freimaurerei).
- Pressemitteilung, 20. November 2012. Goethe-Universität Frankfurt am Main; abgerufen am 21. November 2012