Weng Chun

Das Weng Chun Kung Fu (Kantonesischwing5 „ewig“, 春 ceon1 „Frühling“, 功夫 gung1fu1 „Fähigkeit“) i​st eine Kampfkunst a​us Südchina, vornehmlich Hongkong. Es gehört n​eben anderen Kampfkünsten w​ie Hung Kuen, Tang Lang Quan u​nd Wing Chun (咏春) offiziell z​u dem Kulturerbe v​on Hongkong.[1] Das Weng Chun Kung Fu gehört aufgrund seines Ursprungs a​us Südchina z​um Nanquan (chinesisch 南拳, Pinyin Nánquán  „südliche Faust“), w​as ein Sammelbegriff für d​ie chinesischen Kampfkunststile südlich d​es Jangtse-Flusses ist.[2] Nach eigener mündlicher Überlieferung liegen d​ie Ursprünge d​es Weng Chun Kung Fu i​n den Shaolin-Tempeln Südchinas.[3]

Shaolin-Mönche beim Training, Malerei vermutlich aus der Qing-Dynastie.

Übertragungen der Schriftzeichen 永春 in die lateinische Schrift,
Abgrenzung zum 咏春 (Wing Chun Kung Fu)

Im Kantonesischen werden d​ie Schriftzeichen 永 (wing5 i​m Jyutping-System) u​nd 咏 (wing6 i​m Jyutping-System) s​ehr ähnlich ausgesprochen. Für Menschen, d​ie kein Kantonesisch sprechen, i​st der leichte Unterschied i​n der Aussprache k​aum wahrzunehmen.[4] Das Schriftzeichen 咏 w​ird dem Kung-Fu-Stil Wing Chun (咏春) zugeordnet, w​as in e​twa "Frühlingslied" bedeutet. Im Hochchinesischen w​ird für d​ie Schriftzeichen 永 u​nd 咏 s​ogar die identische Aussprache Yǒng (yong3 i​m Pinyin-System) verwendet[5]; e​s sind a​lso Homophone.

Weng Chun und Wing Chun werden allerdings als zwei unterschiedliche Kung Fu Stile in der englischen Version der offiziellen Liste des kulturellen Erbes von Hongkong aufgezählt.[6] Die Übertragung "Weng Chun" ist also auch in Hongkong verbreitet, da sie eine Abgrenzung zum Wing Chun gemäß der unterschiedlichen Schriftzeichen erleichtert. Ebenfalls wird in der Kampfkunstliteratur mehrheitlich davon ausgegangen, dass Weng Chun und Wing Chun unterschiedliche Stile sind.[7][8][9][10]

In e​inem Interview v​on 1972 m​it dem "New Martial Hero", e​inem chinesischen Kampfkunst-Journal, bestätigte d​er bekannte Großmeister d​es Wing Chun, Yip Man, d​ass Weng Chun u​nd Wing Chun gemäß d​en unterschiedlichen Schriftzeichen t​rotz ähnlicher Aussprache a​ls unterschiedliche Stile aufgefasst werden müssen.[11][12]

Das Weng Chun ähnelt dabei nicht so sehr dem Wing Chun, sondern eher dem Hung Kuen, welches auch als Hung Gar Kung Fu bezeichnet wird.[3] Manchmal wird das Weng Chun in der Fachliteratur auch als Chi Sim Wing Chun oder Siu Lam Wing Chun bezeichnet.[3] Hier bezieht man sich auf die Legende des buddhistischen Mönchs Chi Sim aus dem Siu Lam-Tempel (besser bekannt unter der Übertragung der Schriftzeichen 少林 in der Mandarin-Aussprache als "Shaolin"), welcher allerdings als wichtiger Vorvater mehrerer Kung Fu Stile gilt. Zu diesen gehört das Weng Chun (Jee Shim Wing Chun in [3]), das Hung Kuen und das Wing Chun [3].

Geschichte des Weng Chun

Ein wichtiger und geschichtlich vergleichsweise gut dokumentierter Weng-Chun-Großmeister der Neuzeit ist Chu Chung Man.[3][12][13] Er wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in Foshan geboren und hatte bei Lehrern verschiedener Kung-Fu-Stile viele Jahre Unterricht, darunter auch das Weng Chun Kung Fu.[14] Chu Chung Man war überdies ein guter Freund von Yip Man.[15] Chu Chung Man war während des Zweiten Weltkrieges als praktizierender Arzt in Macau tätig, ab 1953 als Arzt in einem Krankenhaus in Hongkong. Er gilt als Schüler der fünften Generation des Weng Chun Kung Fu nach dem oben genannten Mönch Chi Sim.[16]

Großmeister Chu Chung Man
Großmeister Wai Yan
Großmeister Tang Yik
Die Großmeister des Weng Chun im Dai-Tak-Lan-Zentrum. Tang Yik, Chu Chung Man und Wai Yan in der zweiten Reihe, 3., 4. und 5 v. l.

Als Chu Chung Man 1953 n​ach Hongkong zog, t​raf er a​uf weitere Großmeister d​es Weng Chun Kung Fu, d​ie vergleichsweise v​iele Schüler unterrichteten, darunter a​uch Großmeister Tang Yik u​nd Wai Yan. Wai Yan w​ar der Geschäftsführer e​ines Geflügelgroßhandels i​n Kowloon u​nd funktionierte d​as Warenhaus zeitweise i​n eine Trainingshalle um, i​n welcher s​ich die Weng Chun Großmeister l​ange Zeit z​um Austausch trafen.[14][16] Der Name d​es Großhandels Dai Tak Lan w​ar auch d​er Name für d​ie Trainingshalle, welche e​ine gewisse Bedeutung für d​as Weng Chun Kung Fu i​n der Nachkriegszeit erlangen sollte.[3]

Die Großmeister selbst und ihre Nachfahren hatten und haben diverse Schüler, die nicht aus China stammten [3]. Diese haben das Weng Chun Kung Fu auch außerhalb Chinas bekannt gemacht und diverse Kampfsportschulen und Verbände gegründet. Wie auch beim Wing Chun Kung Fu führten markenrechtliche Aspekte zu unterschiedlichen Namen für die Schulen. Hinzu kommt auch noch, dass die Großmeister des Dai Tak Lan Zentrums im Rahmen ihrer Familientradition stets leicht unterschiedliche Varianten des Weng Chun Kung Fu lehrten.

Dennoch beziehen s​ich alle d​er genannten Schulen n​ach eigenen Angaben a​uf das Dai Tak Lan Zentrum u​nd die Familien d​er Großmeister, insbesondere v​on Wai Yan, Tang Yik u​nd Chu Chung Man.

Prinzipien des Weng Chun

Ein wesentliches Konzept d​es Weng Chun Kung Fu i​st das Fehlen jeglicher Bevorzugung d​er Kampfdistanzen. Schläge u​nd Tritte m​it Hand, Fuß, Ellenbogen, Knie u​nd Schulter g​ehen nahtlos über i​n Würfe, Hebel u​nd Würgegriffe, welche i​n manchen Schulen a​uch im Bodenkampf weitergeführt werden.[17] Darüber hinaus g​ibt es b​eim Weng Chun bestimmte Prinzipien für d​en Kampf, d​ie dazu dienen, schnell u​nd taktisch reagieren z​u können.[18] Hier d​ie sieben wichtigsten Prinzipien d​es Weng Chun Kung Fu:

1. Prinzip Tai (nach oben ausheben):
Die Balance des Gegners durch Ausheben nach oben brechen.

2. Prinzip Got (nach unten schneiden):
Die Kraft des Gegners bei einer Attacke nach unten schneiden.

3. Prinzip Waan (seitliches Kreisen):
Die Kraft des Gegners nutzen, um ihn aus der Balance zu bringen. Übt der Gegner Druck aus, wird der Winkel zum Gegner geändert. Damit geht ein Angriff ins Leere, oder der Gegner läuft in eine Gegenattacke hinein.

4. Prinzip Kit (gegnerischen Raum einnehmen):
Abwehr einer Attacke, Einstieg in die Deckung des Gegners.

5. Prinzip Lan (eigenen Raum schaffen):
Den Gegner verriegeln, um eigenen Raum zu schaffen oder zu erhalten.

6. Prinzip Dim (etwa „zielen“, „Aufmerksamkeit lenken“):
Den Gegner durch einen schnellen, konzentrierten Angriff schockieren und verunsichern.

7. Prinzip Lau (fließen):
Im Weng Chun auch das „halbe Prinzip“ genannt, macht es die Hälfte des Weng Chun Kung Fu aus: Den Fluss der eigenen Aktionen aufrechterhalten, den Fluss des Gegners zerstören. Der Kämpfer fließt kontinuierlich wie Wasser in die Lücken der gegnerischen Deckung.

Das Konzept des Kiu Sao

Im Weng Chun gibt es das Konzept der „Brücken zum Gegner“, welches als Kiu Sao (etwa „Brücken-Hände“) beschrieben wird.[17] Es hat eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Chi Sao ("Klebende Hände") des Wing Chun, beziehungsweise zu dem Tuishou ("Schiebende Hände") des Taijiquan (westl. Tai Chi) und zu dem Kakie (ebenfalls "klebende Hände") des Gōjū-Ryū Karate. Allen vier oben genannten Konzepten gemein ist das Training der taktilen Fähigkeiten, die ein Ertasten und Vorhersagen der Aktionen des Gegners durch Körperkontakt ermöglicht.

Literatur

  • Leung Ting: Roots of Wing Tsun. Leung's Publications, Hongkong 2000.
  • Werner Lind: Das Lexikon der Kampfkünste. Sportverlag, Berlin 2001, ISBN 3-328-00898-5.
  • Robert Chu, Rene Ritchi, Y. Wu: Complete Wing Chun: The Definitive Guide to Wing Chun's History and Traditions. Tuttle Publishing, 1998.
  • Benny Meng: The Treasures of Shaolin's six-and-one-half principles. In: Kung Fu and Tai Chi Magazine. Februar 2005, S. 92.
  • Andreas Hoffmann, Nadine Poerschke: Weng Chun Kung Fu. Budo International Publ. Co., Madrid 2011, ISBN 978-3-86836-183-4.

Referenzen

  1. South China Morning Post, 17. Juni 2014, Auf der Liste der 480 Kulturgüter von Hongkong bei Position 367, Wing Chun bei Position 380,
  2. Werner Lind: Das Lexikon der Kampfkünste. Sportverlag Berlin, 2001, ISBN 3-328-00898-5, S. 530
  3. Robert Chu, Rene Ritchi, Y. Wu: Complete Wing Chun: The Definitive Guide to Wing Chun's History and Traditions. Tuttle Publishing, 1998, ab Seite 90 Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 7. November 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/cdn.preterhuman.net
  4. Ton-Beispiel für beide Schriftzeichen
  5. Wörterbucheinträge für beide Schriftzeichen im Kantonesischen und Hochchinesischen, wing5: wing6:
  6. Liste der Kulturgüter Hongkongs, erstellt vom Kulturmuseum in Hongkong, Position 3.64 und 3.70
  7. Frank Paetzold: "Das Wing Tsun Buch", S. 41, Books on Demand GmbH (2005)
  8. Robert Hill: "World of Martial Arts", Kapitel 5, erster Absatz, lulu.com (2008)
  9. Ben Judkins: "From the Archives: Global Capitalism, the Traditional Martial Arts and China’s New Regionalism", Chinese Martial Studies, 23. Juni 2015
  10. Benjamin N. Judkins, Jon Nielson: "The Creation of Wing Chun: A Social History of the Southern Chinese Martial Arts", State University of New York (2015)
  11. Leung Ting: Roots of Wing Tsun. Leung's Publications, Hongkong 2000, S. 48
  12. New Martial Hero, Nr. 56, ab S. 30 (1972), Übersetzung aus dem Chinesischen: Interview With Wing Chun Grandmaster Yip Man
  13. Offizielle Liste der Kulturgüter Hongkongs, hier wird Chu Chung Man als Großmeister der Neuzeit des Weng Chuns genannt, Position 3.64.1
  14. Leung Ting: Roots of Wing Tsun. Leung's Publications, Hongkong 2000, S. 371
  15. Leung Ting: Roots of Wing Tsun. Leung's Publications, Hongkong 2000, S. 47–48
  16. https://web.archive.org/web/20200123213320/https://www.shaolin-wengchun.com/2008EN/history.html
  17. Andreas Hoffmann, Nadine Poerschke: Weng Chun Kung Fu. Budo International Publ. Co., Madrid 2011, ISBN 978-3-86836-183-4.
  18. Benny Meng: The Treasures of Shaolin's six-and-one-half principles. In: Kung Fu and Tai Chi Magazine. Februar 2005, Seite 92
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