Wendeltreppe
Eine Wendeltreppe (seltener Wendelstiege), in der Schweiz und alemannisch Schnegge bzw. Schnecke, ist eine gewendelte Treppenform (von Wendel „schraubenförmige Struktur“), bei der die Wegführung einer Helix entspricht. Die Wendeltreppe windet sich schraubenförmig um ein zentrales Treppenauge (das dann auch Hohl- oder Lichtspindel genannt wird).[1] Die Treppe wird dann auch Hohltreppe genannt.
Wird die Treppe durch eine zentrale Säule (oder Spindel) getragen, spricht man von einer Spindeltreppe. Die Treppenspindel kann sich aus zylindrischen Teilen der einzelnen Stufen zusammensetzen, oder es kann sich um eine durchgehende Säule handeln, an der die Stufen im Nachhinein befestigt sind. Die meisten Spindeltreppen sind heute aus Stahl gefertigt; mögliche andere Materialien waren und sind Naturstein, Betonwerkstein, Gusseisen oder Holz.
Eine doppelläufige Wendeltreppe ist eine zweiarmige Wendeltreppe, bei der die Antritte und Austritte der Treppenarme um 180° versetzt liegen. Die Treppenläufe sind teilweise übereinander angeordnet (vgl. Doppelhelix). Die bekannteste doppelläufige Wendeltreppe befindet sich im Loireschloss Chambord. Die Erfindung dieser Treppenform wird Leonardo da Vinci zugeschrieben. Ein Beispiel aus neuerer Zeit ist die Treppe zur Aussichtsplattform des Killesbergturmes in Stuttgart.
Geschichte
Die Treppenform wurde in der Vergangenheit vor allem aufgrund des geringen Platzbedarfs gewählt. Häufig wurden Wendeltreppen bei Turmbauten eingesetzt, da sie der runden Turmgeometrie folgten. Sie kamen in Burgen und Schlössern, Kirchtürmen, Minaretten und Ehrensäulen zum Einsatz. Die ältesten bekannten Beispiele befinden sich im ca. 480 v. Chr. errichteten Tempel A der griechischen Kolonie Selinunt auf Sizilien, dessen Eingang zur Cella von zwei Wendeltreppen flankiert war.[2][3] In Burgen sind Wendeltreppen meist – von unten aus betrachtet – rechtsherum gewendelt. War die Wendeltreppe dem Gebäude vorgestellt, so wurde dieser Treppenturm auch Wendelstein genannt. Eine besondere Form einer Wendeltreppe ist die Reitschnecke, die für das Hochziehen von schweren Geschützen bzw. zum Reiten, zumeist innerhalb von Festungen, angelegt wurden.
Heute kommt der wesentliche Vorteil dieser Treppenform, die Platzersparnis, nicht mehr zum Tragen. Die Bauordnungen beschränkten die Anzahl der Stufen eines Treppenlaufes aus Sicherheitsgründen. So werden Treppenpodeste notwendig, die einen Bruch der kontinuierlichen Schraubenform darstellen. Aufgrund gestiegener Sicherheits- und Komfortbedürfnisse, aber auch aus Gründen der Rationalisierung (orthogonale Grundrisse) wird heute anderen Treppenformen der Vorzug gegeben.
Heute werden Wendeltreppen vor allem dort eingesetzt, wo sie nicht den Anforderungen an eine notwendige Treppe genügen müssen. Das ist häufig in kleineren Wohngebäuden der Fall. In repräsentativen Gebäuden, bei denen mehr Fläche zur Verfügung steht, werden große Wendeltreppen gerne als Blickfang in Foyerräumen eingesetzt.
Ein weiteres Einsatzgebiet sind Wendeltreppen in Fluchttreppenhäusern, die dem Gebäude vorgestellt werden und über Brücken mit ihm verbunden sind.
Baurechtliche Anforderungen
Wendeltreppen als Notwendige Treppen und Fluchtwege
- Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz gibt an: „Als Flucht- und Rettungswege gelten grundsätzlich nur Treppen mit geraden Läufen. Wendeltreppen und Spindeltreppen sind nur im zweiten Fluchtweg ausnahmsweise in begründeten Einzelfällen zulässig, wenn die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung deren sichere Benutzung im Gefahrenfall erwarten lassen.“
- Nach der BGI/GUV-I 561 Information Treppen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)[4] sind Wendeltreppen nicht als erster Fluchtweg zulässig. Als zweiter Fluchtweg sind sie zulässig, wenn eine Gefährdungsbeurteilung deren sichere Benutzung im Gefahrenfall erwarten lässt (siehe ASR A2.3). In Schulen und Kindertageseinrichtungen sind Spindeltreppen als notwendige Flucht- und Rettungswege nicht zulässig.
Trivia
In Augsburg gibt es im Kastenturm beim Wasserwerk am Roten Tor eine Sonderform der Wendeltreppe. Diese gegenläufige Wendeltreppe wurde vom damaligen Stadtbaumeister Caspar Walter (Amtszeit: 1701–1769) erbaut.
In der Burg von Graz gibt es eine – „Versöhnungsstiege“ genannte – Doppelwendeltreppe: Getrennte Treppenläufe führen wieder zusammen.
In Paris führen Wendeltreppen zur Station Abbesses (Métro Paris) der Linie 12.
Umgangssprachlich werden Wendeltreppen auch als spiralförmig beschrieben. Geometrisch trifft dies nicht zu, da eine Spirale durch einen stetig veränderten Radius definiert ist. Die Steigung einer Wendeltreppe ist demgegenüber kein zwingendes Wesensmerkmal einer Spirale. Es gibt nur wenige Wendeltreppen, die tatsächlich spiralförmig gestaltet sind. Eine solche Sonderform ist die Münchner Treppe, bei welcher das Treppenauge nicht zylinderförmig ist, sondern sich wie ein auf der spitzen Seite stehender Kegelstumpf nach oben aufweitet.[5]
Galerie
- Rettungstreppe mit Spindel
- Doppelläufige Wendeltreppe (Killesbergturm)
- offene Treppe im Ausstellungsbau des Deutschen Historischen Museums
- Erlöserkirche in Kopenhagen mit Wendeltreppe außen
- Reitschnecke im Munot
Literatur
- Ursula Baus, Klaus Siegele: Wendel- und Spindeltreppen. DVA, München 2006, ISBN 978-3-421-03581-3
- Friedrich Mielke: Handbuch der Treppenkunde. Verlag Th. Schäfer, Hannover 1993, ISBN 3-88746-312-9
Weblinks
Einzelnachweise
- Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur.
- Martin Beckmann: The 'Columnae Coc(h)lides' of Trajan and Marcus Aurelius. In: Phoenix. Band 56, Nr. 3/4, 2002, S. 348–357 (354).
- Stefania Ruggeri: Selinunt. Edizioni Affinità Elettive, Messina 2006, ISBN 88-8405-079-0, S. 77
- Information Treppen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), abgerufen im Juni 2016
- Baunetz Wissen: Münchner Treppe, abgerufen am 1. November 2011