Wasserkunst Herrenhausen
Die Wasserkunst in Hannover-Herrenhausen ist ein historisches System zur Förderung, Hebung und Führung von Wasser, das angelegt wurde, um für den Betrieb der Großen Fontäne im Großen Garten Wasser mit dem erforderlichen Druck in der erforderlichen Menge bereitzustellen.
Hintergrund
Nachdem im Dreißigjährigen Krieg Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg 1636 die Stadt Hannover zu seiner Residenz erklärt hatte,[1] ließ er dafür im Jahr darauf in der Altstadt ab 1637 das Leineschloss errichten. Das Schloss besaß jedoch keinen eigenen Garten,[2] der aus Platzgründen ab 1645 daher zunächst außerhalb der Stadtbefestigung Hannovers angelegt wurde, auf dem Gelände der ehemaligen Quirrenburg im nördlichen Bereich des damaligen Dorfes Linden.[3] Dieser Lust- und „Küchengarten“ lag jedoch nicht in unmittelbarer Umgebung des Leineschlosses, und so bestimmte der Sohn Georgs, Herzog Johann Friedrich, nach dem Ende des Krieges durch den Westfälischen Frieden den Bau eines zusätzlichen Schlosses an der Stelle des damaligen Dorfes „Höringhusen“:[4] Die Sommerresidenz Schloss Herrenhausen erhielt ab 1675 den absolutistisch geprägten barocken Großen Garten, der unter dem Architekt und Wasseringenieur Girolamo Sartorio, dem Baumeister Brand Westermann, dem Grottierer Michael Riggus und dem Fontänenmeister Marinus Cadart erste Wasserspiele erhielt sowie die Grotte und die Große Kaskade.[5]
Vorläuferkonstruktionen
Für die Wasserspiele wie auch die Bewässerung im Großen Garten von Herrenhausen gab es zunächst große technische Probleme sowohl bei der Herbeischaffung von genügend Wasser als auch bei der Druckerzeugung: Ab 1676 legte der Fontänenmeister Marinus Cadart anfangs zwei Wasserhochbehälter an auf dem Sandberg nördlich des Pagenhauses. Die Behälter wurden durch hölzerne und bleierne Rohrleitungen gespeist, die erst vom Lindener Küchengarten herführten, seit 1687 auch vom acht Kilometer entfernten Benther Berg.[6] Die Anlagen brachten jedoch nicht die erwünschte Wirkung; im Sommer 1689 wurde Marinus Cadart entlassen.[7]
1690 entwickelte der Celler Hofbauarchitekt Johann Friedrich de Münter Pläne für ein Schöpfrad an der Leine, um das Wasser zum Großen Garten zu transportieren.[6] De Münter plante auch pferdegetriebene Göpelwerke direkt am Ort der Wasserentnahme, um den Wasserdruck zu erhöhen, erhöhte die Herrenhäuser Wasserbehälter (die bis zu ihrer Einebnung 1956 ihren Dienst versahen) und kleidete sie mit Sandstein aus, so dass ein höherer Gefälledruck die Fontänen endlich in größere Höhen brachte. De Münter erkrankte jedoch 1692 und starb im August 1693 in Celle.[8]
Erste funktionsfähige Konstruktion
Gottfried Wilhelm Leibniz, „der seiner Lieblingsgesprächspartnerin Kurfürstin Sophie oft in ihrem Lebensprojekt, den Herrenhäuser Gärten, begegnete,“ kam für die erwünschte „höchste [Fontäne] in Europa“ auf die Idee, „aus der Leine einen Kanal abzuzweigen und an dessen Beginn ein Stauwehr mit Wasserrad zu bauen“. Nach den Plan von Leibniz wurde mit dem Bau wurde begonnen, das Stauwerk wurde jedoch erst 1718 fertiggestellt.[8]
Dabei wurde das Wasser bis zu 3,20 Meter aufgestaut und bewegte fünf 9,35 Meter große Wasserräder im damaligen Pumphaus. Von dort versorgte eine 600 Meter lange Druckleitung den Wasserbedarf des Großen Gartens, die in ihm befindlichen Wasserspiele sowie die ihn umgebende Graft. Nach Korrekturen des Bleirohrsystems konnte die Große Fontäne 1720 schließlich bis zu 35 Meter hoch aufsteigen.
Damit die Leine aber trotz dieses Aufstaus schiffbar blieb, wurde ab 1718 der Ernst-August-Kanal als Umflutkanal ausgeschachtet und eine Schleuse gebaut.
Heutige Konstruktion
Die Ursprungskonstruktion wurde in den Jahren 1863 bis 1865 auf Geheiß König Georgs V. durch ein „Maschinenwerk von Eisen mit verstärkter Leistung“ ersetzt, das aus 8,47 Meter hohen Wasserrädern und vier von der Egestorffschen Maschinenfabrik gelieferten Pumpenmaschinen besteht, die insgesamt auf 186 PS Leistung kommen. In diesem Zuge wurde 1864 nach Plänen von Georg Heinrich Schuster und Richard Auhagen auch das Pumpenhaus mit einer markanten Dreiturmfassade neu errichtet.[9] Die Aufgabe der Wasserbereitstellung für die Fontäne wird seit 1956 durch eine elektrische Pumpe übernommen, die einen sehr viel höheren Wasserdruck erzeugt, wodurch die Höhe der Fontäne von 67 auf 82 Meter gesteigert werden konnte.[10] Nach mehrjähriger Sanierung wird die historische Pumpanlage der Wasserkunst im Frühjahr 2021 wieder in Betrieb genommen und fördert dann wieder Wasser der Leine in den großen Garten, das allerdings nur noch die den Großen Garten umgebende Graft mit Wasser versorgt.[11]
Literatur
- Irmgard Lange-Kothe: Die Wasserkunst in Herrenhausen, in: Hannoversche Geschichtsblätter, Neue Folge Bd. 13 (1959), S. 119–151
- Gerd Weiß: Fürstenhaus (Alte Herrenhäuser Straße 14), in: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen, Stadt Hannover, Teil 1, [Bd.] 10.1, ISBN 3-528-06203-7, S. 206f., sowie Herrenhausen, in der Anlage Verzeichnis der Baudenkmale gem. § 4 (NDSchG) (ausgenommen Baudenkmale der archäologischen Denkmalpflege), Stand 1. Juli 1985, Stadt Hannover, Niedersächsisches Landesverwaltungsamt - Institut für Denkmalpflege, S. 15, in: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland ...
- Bernd Adam: Die Wasserkünste in Herrenhausen, in: Marieanne von König (Hrsg.): Herrenhausen / Die Königlichen Gärten in Hannover, mit Fotos von Wolfgang Volz, mit Beiträgen von Bernd Adam, Urs Boeck, Gotthard Frühsorge, Cord Meckseper, Heike Palm, Ulrike und Hans-Georg Preißel, Uubert Rettich, Michael Rohde und Alheidis von Rohr, Göttingen: Wallstein-Verlag, 2006, ISBN 978-3-8353-0053-8 und 3-8353-0053-9, S. 43–58, teilweise online über Google-Bücher
- Helmut Knocke, Hugo Thielen: Alte Herrenhäuser Straße, in: Hannover Kunst- und Kultur-Lexikon, S. 144ff.
- Helmut Knocke: Wasserkunst, in: Stadtlexikon Hannover, S. 656
Weblinks
- Die Orte der Kanalroute: Wasserkunst Herrenhausen, auf industriewege-hannover.de, eine Arbeitsgemeinschaft des Historisches Museums Hannover, der Region Hannover (Team Regionale Naherholung, Projekt ArbeitsWelten im Fachbereich Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung), der Stadt Hannover (Projekt Fluxus im Fachbereich Bildung und Qualifizierung) und dem Medienpädagogischen Zentrum - Landesfilmdienst Niedersachsen e.V.
- Herrenhäuser Gärten / Wasserkunst: Die imposanten Wasserräder und Pumpen der Wasserkunst sind ein herausragendes technisches Denkmal auf der Seite von hannover.de
- Region Hannover: Naherholung: Station 7 - Wasserkunst, Leine und Ernst-August-Kanal: Leibniz und die Fontäne auf hannover.de
- Sanierung Wasserkunst Herrenhausen, Architektenkammer Hannover, Videobeitrag zum Tag der Architekturen 2020
- Wasserkunst in alter Pracht, Informationen auf der Webseite der Landeshauptstadt Hannover hannover.de
Einzelnachweise
- Klaus Mlynek: Residenrezess(vertrag), in: Stadtlexikon Hannover, S. 521
- Klaus Mlynek: Leineschloss, in: Stadtlexikon Hannover, S. 398ff.
- Eva Benz-Rababah: Küchengarten, in: Stadtlexikon Hannover, S. 364
- Helmut Knocke: Leineschloss, in: Stadtlexikon Hannover, S. 398f.
- Eva Benz-Rababah: Großer Garten, in: Stadtlexikon Hannover, S. 230–235
- Helmut Knocke: Wasserkunst, in: Stadtlexikon Hannover, S. 656
- Helmut Knocke: Cadart, in: Hannoversches Biographisches Lexikon, S. 83 u.ö.
- Bernd Adam: Die Wasserkünste in Herrenhausen (siehe Literatur)
- Wasserkunst, Leine und Ernst-August-Kanal: Leibniz und die Fontäne. In: hannover.de. Landeshauptstadt Hannover, abgerufen am 17. August 2020.
- Michael Mende: Strom aus technischen Denkmalen - Beispiel Niedersachsen. In: Zeitschrift Kultur und Technik. Deutsches Museum, C.H. Beck Verlag, S. 228, April 1989, abgerufen am 17. August 2020.
- Juliane Kaune: Technisches Wunderwerk: So sieht die sanierte Wasserkunst in Herrenhausen aus. In: HAZ. Madsack Verlag, 2. August 2020, abgerufen am 17. August 2020.