Wald-Sanikel
Der Wald-Sanikel bzw. Waldsanikel oder kurz Sanikel (Sanicula europaea)[1], auch Wundsanikel[2] und Waldklette genannt,[3][4] ist eine Pflanzenart innerhalb der Familie der Doldenblütler (Apiaceae). Sie gedeiht in Wäldern in weiten Teilen Eurasiens und Nordafrikas.
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Wald-Sanikel (Sanicula europaea) | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Sanicula europaea | ||||||||||||
L. |
Beschreibung
Der Wald-Sanikel wächst als überwinternd grüne, ausdauernde krautige Pflanze und erreicht Wuchshöhen von 20 bis 60 Zentimeter.[1] Die grundständigen Laubblätter sind dunkelgrün und am Rand gesägt. Die Zähne des Blattrands besitzen eine grannenartige Spitze. Der Stängel besitzt nur wenige Laubblätter oder er ist ganz blattlos.
Die Blütezeit reicht von Mai bis Juni, die Fruchtreife von August bis Oktober.[5] Es wird – für Doldenblütengewächse untypisch – ein nicht strikt doppeldoldiger, etwas unregelmäßiger Blütenstand gebildet. Sowohl die Dolde als auch die Döldchen sind mit Hochblättern versehen. Die Döldchen sind von mehr oder weniger halbkugeliger Gestalt. Die Blüten sind weiß (selten rosafarben[6]). Die Doppelachänen sind etwa 4 bis 5 mm lang, braunschwarz und dicht mit hakig gekrümmten Stacheln besetzt.
Die Art hat die Chromosomenzahl 2n = 16.[7]
Ökologie
Der Wald-Sanikel ist ein Hemikryptophyt.[1]
Blütenökologisch handelt es sich um „Nektar führende Scheibenblumen“. Die Bestäubung des Wald-Sanikel erfolgt einerseits durch Insekten, andererseits kommt es auch oft zur Selbstbestäubung.[5][1]
Die hakig bestachelten Doppelachänen zerfallen ohne die Fruchtträger in die beiden Teilfrüchte. Die Ausbreitung der Diasporen erfolgt als Klettfrüchte (Epizoochorie) oder durch den Wind.[1] Die Früchte sind Wintersteher.[5]
Der Wald-Sanikel kann vom Rostpilz Puccinia saniculae befallen werden.[8]
Vorkommen
Der Wald-Sanikel ist in Europa, Nordafrika, Kleinasien, Kaukasus, Iran und Sibirien weitverbreitet.[9] Er ist in Europa vom Mittelmeergebiet bis Skandinavien beheimatet. In Mitteleuropa kommt er zerstreut vor.
Der Wald-Sanikel ist in Deutschland weitverbreitet, kommt aber eher zerstreut vor. Nur in Nordwestdeutschland und kalkarmen Mittelgebirgen ist er seltener anzutreffen oder fehlt ganz. In den Allgäuer Alpen steigt die Art in Tirol zwischen Elbigenalp und Bernhardseck bis zu 1500 m Meereshöhe auf.[10]
Sanicula europaea gedeiht einzeln an beschatteten, frischen bis mäßig trockenen, meist kalkreichen, basischen Standorten, meist auf Lehm-, seltener auch auf Schluffböden. Er wächst bevorzugt in Buchen- und Hainbuchenwäldern, seltener auch in (trockenen) Auenwäldern. Er ist in Mitteleuropa eine Fagetalia-Ordnungscharakterart.[7]
Taxonomie
Der wissenschaftliche Name Sanicula europaea wurde 1753 von Carl von Linné in Species Plantarum erstveröffentlicht.[11]
Pharmakologie
Wie aus dem meist den Wald-Sanikel bezeichnenden Namen Sanikel (mittelhochdeutsch die oder der sanikel/sanickel, von mittellateinisch sanicula aus sanare „heilen“, mit Suffix -[i]cul: „die kleine Heilerin“) hervorgeht, wird diese Art schon lange als Heilpflanze genutzt.[5] Als Heildroge dienen die zur Blütezeit gesammelten und getrockneten Grundblätter (Sanicula herba).[12]
Als Wirkstoffe werden genannt: Triterpensaponine, Acylsaniculoside mit Barrigonolen als Aglyka, Laniaceen-Gerbstoffe, wie Rosmarinsäure und Chlorogensäure, Flavonoide und organische Säuren. Tannine und Allantoin konnten jedoch nicht gefunden werden, obwohl dies bisweilen noch behauptet wird.[12]
Der Wald-Sanikel, genannt auch Bruchkraut, Heil aller Schäden und Wundsanikel, wurde früher fast als „Allheilmittel“ angesehen.[13][5] Heute nutzt man überwiegend nur noch die wegen der Saponine vorhandene auswurffördernde Wirkung der Pflanzeninhaltsstoffe bei leichten Katarrhen der Atemwege.[12]
Geschichte
In den der Hildegard von Bingen zugeschriebenen Physica-Handschriften des 14. und 15. Jh. wurde der Wald-Sanikel – unter dem Namen sanicula – erstmals als Heilpflanze beschrieben. Entsprechend der Säftelehre wurde er als „warm“ eingestuft. Sein Saft wurde als angenehm schmeckend und heylsam sowie als wohltuend für den kranken Magen und die kranken Eingeweide beurteilt. Die grünende Pflanze sollte man mit der Wurzel ausreißen, in Wasser kochen und durchsieben. Zum Durchgesiebten sollten Honig und wenig Süßholz gegeben werden, sodass ein Honiggewürz entstehe. Um Schleim aus dem Magen zu entfernen und die kranken Eingeweide zu heilen, sollte dieser Trank oft nach dem Frühstück eingenommen werden. Langsam in der Sonne getrockneter und leicht pulverisierter Wald-Sanikel war für den Winter aufzuheben und wie der frisch bereitete zu verwenden. Wer durch Eisen verletzt wurde (Schnitt- und Stichverletzungen), sollte den frischen Saft der Pflanze oder das getrocknete Pulver in Wasser nach dem Frühstück einnehmen. Die Verletzungen würden so langsam von innen heraus heilen.[14]
Ein in mittelalterlichen Texten vorkommender „Wilder Sanikel“ ist möglicherweise dieselbe, früher auch „Weiße Sanikel“ genannte Art. In Betracht dafür kommen aber auch andere Pflanzen wie Buschwindröschen, Grauer Alpendost, Grüner Alpendost und eine ganze Reihe anderer Pflanzen.[15]
Im Mainzer Gart der Gesundheit (1485) bildete Erhard Reuwich den Wald-Sanikel erstmals naturgetreu ab. Im Text des „Gart“ (Kapitel CXLVIII) wurde der Wald-Sanikel neben sanickel auch ferraria maior und consolida minor sowie diapensia[16] genannt. Damit wurde auf seine wundheilende Wirkung hingewiesen. Zur Kategorie consolida minor wurde auch das Gänseblümchen gezählt. Den Physica-Text zitierte der „Gart“ – ohne Quellenangabe – fast vollständig und fügte ein Rezept zur Herstellung eines Wundtranks an, der im Körper geronnenes Blut auflösen sollte. Zur Bereitung dieses Wundtranks waren Wald-Sanikel, Rundblättriges Wintergrün und Frauenmantel in Wein zu sieden.[17]
Im Kapitel „Von sanickel wasser“ seines Kleinen Destillierbuchs vom Jahre 1500 erwähnte Hieronymus Brunschwig erstmals das Buschwindröschen.
Quellen
- Lateinisches Mittelalter: Hildegard von Bingen 12. Jh.[18] – Gart der Gesundheit 1485[19] – Hieronymus Brunschwig 1500[20]
- Neuzeit: Otto Brunfels 1532[21] – Hieronymus Bock 1539[22] – Leonhart Fuchs 1543[23] – Pietro Andrea Mattioli 1586[24] – Tabernaemontanus 1588[25] – Nicolas Lémery 1699/1721[26] – Kommission E 1986[27]
Historische Abbildungen
- Vitus Auslasser 1479
- Gart der Gesundheit 1485
- Otto Brunfels 1532
- Leonhart Fuchs 1543
- Hieronymus Bock 1546
- Mattioli / Handsch / Camerarius 1586
Quellen
Literatur
- Henning Haeupler, Thomas Muer: Bildatlas der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands. Hrsg.: Bundesamt für Naturschutz (= Die Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands. Band 2). Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 2000, ISBN 3-8001-3364-4.
- Wolfgang Adler, Karl Oswald, Raimund Fischer: Exkursionsflora von Österreich. Hrsg.: Manfred A. Fischer. Eugen Ulmer, Stuttgart/Wien 1994, ISBN 3-8001-3461-6.
- Christian Heitz: Schul- und Exkursionsflora für die Schweiz. Mit Berücksichtigung der Grenzgebiete. Bestimmungsbuch für die wildwachsenden Gefässpflanzen. Begründet von August Binz. 18. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Schwabe & Co., Basel 1986, ISBN 3-7965-0832-4.
- Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora. Unter Mitarbeit von Theo Müller. 6., überarbeitete und ergänzte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 1990, ISBN 3-8001-3454-3.
- Konrad von Weihe (Hrsg.): Illustrierte Flora. Deutschland und angrenzende Gebiete. Gefäßkryptogamen und Blütenpflanzen. Begründet von August Garcke. 23. Auflage. Paul Parey, Berlin/Hamburg 1972, ISBN 3-489-68034-0.
Weblinks
- Wald-Sanikel. FloraWeb.de
- Verbreitungskarte für Deutschland. In: Floraweb.
- Sanicula europaea L., Karte zur Verbreitung in der Schweiz In: Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora.
- Sanicula europaea L. In: Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora.
- Verbreitung auf der Nordhalbkugel aus: Eric Hultén, Magnus Fries: Atlas of North European vascular plants. 1986, ISBN 3-87429-263-0 bei Den virtuella floran. (schwed.).
- Sanicula europaea als Heilpflanze
Einzelnachweise
- Wald-Sanikel. FloraWeb.de
- Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 154 (Sanicula(us)).
- Eintrag im Lexikon der Arzneipflanzen und Drogen auf spektrum.de
- Waldklette auf remedia.at
- Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands und angrenzender Länder. Die häufigsten mitteleuropäischen Arten im Porträt. 7., korrigierte und erweiterte Auflage. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2011, ISBN 978-3-494-01424-1, S. 700–701.
- Vgl. auch Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 154 (Sanicula rubra: rote Abart von Sanicula europaea L.)
- Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. 8. Auflage. Stuttgart, Verlag Eugen Ulmer, 2001. ISBN 3-8001-3131-5
- Peter Zwetko: Die Rostpilze Österreichs. Supplement und Wirt-Parasit-Verzeichnis zur 2. Auflage des Catalogus Florae Austriae, III. Teil, Heft 1, Uredinales. (PDF; 1,8 MB).
- Sanicula im Germplasm Resources Information Network (GRIN), USDA, ARS, National Genetic Resources Program. National Germplasm Resources Laboratory, Beltsville, Maryland. Abgerufen am 27. Mai 2018.
- Erhard Dörr, Wolfgang Lippert: Flora des Allgäus und seiner Umgebung. Band 2, IHW, Eching 2004, ISBN 3-930167-61-1, S. 261.
- Carl von Linné: Species Plantarum. Band 1, Lars Salvius, Stockholm 1753, S. 235 (Digitalisat ).
- Ingrid Schönfelder, Peter Schönfelder: Das neue Handbuch der Heilpflanzen. Sonderausgabe. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-440-12932-6.
- Heinrich Marzell: Unsere Heilpflanzen: Ihre Geschichte und ihre Stellung in der Volkskunde. 2. Auf. (unter dem Titel Geschichte und Volkskunde der deutschen Heilpflanzen), Stuttgart 1938, S. 140–144.
- Irmgard Müller, Christian Schulze, Sven Neumann: Hildegard von Bingen. Physica. Edition der Florentiner Handschrift (Cod. Laur. Ashb. 1323, ca. 1300) im Vergleich mit der Textkonstitution der Patrologia Latina (Migne). Olms, Hildesheim 2008, ISBN 978-3-487-13846-6, S. 35.
- Heinrich Marzell: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. 5 Bände, Leipzig, ab Band 3 Stuttgart/Wiesbaden, Band 1, S. 117 f. und 290, Band 2, S. 688, und Band 5, S. 473.
- Vgl. auch Ute Obhof: Rezeptionszeugnisse des „Gart der Gesundheit“ von Johann Wonnecke in der Martinus-Bibliothek in Mainz – ein wegweisender Druck von Peter Schöffer. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018, S. 25–38, hier: S. 35 („Diapensia – sanickel“).
- Peter Riethe: Hildegards von Bingen „Liber simplicis medicinae“ im Mainzer „Gart der Gesundheit“. In: Sudhoffs Archiv. Band 89, Nr. 1, 2005, S. 117.
- Hildegard von Bingen, Physica, Buch I, Kapitel 45. Edition. Charles Victor Daremberg und Friedrich Anton Reuß (1810–1868). S. Hildegardis Abbatissae Subtilitatum Diversarum Naturarum Creaturarum Libri Novem. Migne, Paris 1855. Sp. 1146–1147: Sanicula (Digitalisat)
- Gart der Gesundheit. Mainz 1485, Kapitel 148: Diapensia, sanickel Digitalisat
- Hieronymus Brunschwig. Kleines Destillierbuch. Straßburg 1500, Blatt 103v-104r: Sanickel (Digitalisat)
- Otto Brunfels. Contrafeyt Kreüterbuch. Straßburg 1532, S. 16: Sanickel (Digitalisat)
- Hieronymus Bock. Kreuterbuch. Straßburg 1539, S. 151r (Teil I, Kapitel 173): Sanickel (Digitalisat)
- Leonhart Fuchs. New Kreütterbuch. Straßburg 1543, Kapitel 260: Sanickel (Digitalisat)
- Pietro Andrea Mattioli. Petri Andreae Matthioli medici senensis Commentarii, in libros sex Pedacii Dioscoridis Anazarbei, de medica materia. Übersetzung durch Georg Handsch, überarbeitet durch Joachim Camerarius den Jüngeren. Johan Feyerabend, Franckfurt am Mayn 1586, Blatt 353v–354r: Sanickel (Digitalisat)
- Jacobus Theodorus, Neuw Kreuterbuch. Nicolaus Basseus, Franckfurt am Mayn 1588, S. 302–306: Sanickel (Digitalisat)
- Nicolas Lémery. Dictionnaire universel des drogues simples. Laurent d'Houry, Paris, 1699, S. 684: Sanicula (Digitalisat). Übersetzung. Vollständiges Materialien-Lexicon. Zu erst in Frantzösischer Sprache entworffen, nunmehro aber nach der dritten, um ein grosses vermehreten Edition [...] ins Hochteutsche übersetzt / Von Christoph Friedrich Richtern, [...]. Johann Friedrich Braun, Leipzig 1721, Sp. 999: Sanicula (Digitalisat)
- Monographie der Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes. Bundesanzeiger vom 24.09.1986 (Digitalisat)