Wach auf, wach auf, ’s ist hohe Zeit
Wach auf, wach auf, ’s ist hohe Zeit ist ein Kirchenlied, das auf einen Text des schwäbisch-schweizerischen Reformators Ambrosius Blarer aus dem Jahr 1561 zurückgeht. Es steht mit einer Melodie von Melchior Vulpius im Evangelischen Gesangbuch (Nr. 244) und im Evangelisch-reformierten Gesangbuch der Schweiz (Nr. 789) und gehört auch zu den von der Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut erarbeiteten gemeinsamen Liedern der Christen deutscher Sprache. Das Lied ist ein Weckruf an den schlafenden Jesus Christus angesichts der „Seenot“ der Kirche (Mk 4,37–38 ).
Entstehung
Im Jahr 1562 fertigte der Verleger Gregor Mangolt in Zürich eine handschriftliche Sammlung der von ihm hochgeschätzten geistlichen Gedichte seines Freundes und Gleichgesinnten Ambrosius Blarer an, der damals in Winterthur wirkte. Darin ist Wach vff, wach vff! es ist groß zyt als einer der letzten Texte des damals fast 70-jährigen Blarer († 1564) enthalten. Hintergrund des Versgebets in 14 Paarreimstrophen sind die heftigen, auch gewalttätigen reformatorischen und gegenreformatorischen Auseinandersetzungen jener Jahre in den Schweizer Kantonen, deren Ausgang offen war. Blarer selbst hatte seine Heimatstadt Konstanz im Zuge der Rekatholisierung 1548 verlassen müssen.
In Mangolts Abschrift trägt das Lied die Überschrift „Ein spruch oder gsang vff 16 Januarij im 1561 jar“. Am 16. Januar 1561 rief der Bischof von Como und päpstliche Nuntius in der Schweiz Giovanni Antonio Volpe auf der Tagsatzung in Baden die Eidgenossen im Namen des Papstes Pius IV. zur Teilnahme an der Fortsetzung des seit zehn Jahren unterbrochenen Konzils von Trient auf.[1]
Rezeption
Blarers Hilferuf zu Christus wurde nicht zum Gemeindegesang und blieb 300 Jahre lang weitgehend unbekannt. Erst der Hymnologe Philipp Wackernagel, der Ambrosius Blarer in seiner Sammlung Das deutsche Kirchenlied, von Martin Luther bis auf Nicolaus Herman und Ambrosius Blaurer (Stuttgart 1841) einen bedeutenden Platz einräumte, druckte dort auch Wach auf, wach auf im Originalwortlaut der Mangolt-Handschrift ab. Damit begann die „Entdeckung“ des Textes und die bearbeitete Übernahme in verschiedene evangelische Gesangbücher.
Friedrich Spitta gab 1899 das Gesangbuch für die evangelischen Gemeinden in Elsaß-Lothringen heraus, darin Wach auf, wach auf als Lied zum Reformationstag mit allen 14 Strophen Blarers und der Melodie von Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort. Im Deutschen Evangelischen Gesangbuch (1915) fehlt das Lied, aber in den landeskirchlichen Liederteil für Frankfurt (1928) wurde es aufgenommen (Rubrik Die Kirche und die Gnadenmittel). Im landeskirchlichen Liederteil für Rheinland und Westfalen (1929, 7 Strophen) ist ihm erstmals die Melodie Der Tag bricht an und zeiget sich von Melchior Vulpius zugeordnet, die seitdem mit ihm verbunden blieb.
1932 erschien das von Otto Riethmüller redigierte Jugendgesangbuch Ein neues Lied. Es bietet Wach auf, wach auf in einer achtstrophigen Version (Bearbeitungen von Blarers Strophen 1–3, 7–9, 13 und 14, Rubrik Sammlung und Sendung der Kirche).
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Wach auf, wach auf in Liederbüchern sowohl der Bekennenden Kirche als auch der Deutschen Christen abgedruckt, dort im Kontext des Kirchenkampfs, hier als Ausdruck des „nationalen Erwachens“, wobei Christus mit Blarers 13. Strophe als „Hauptmann“ verstanden wurde und alle Schuld- und Bußaussagen wegfielen.
Dieses Thema findet sich in der 11-strophigen EKG-Fassung (Nr. 204, Rubrik Psalmen, Bitt- und Lobgesänge – Die Kirche) mit Blarers Strophe 10; dagegen sind seine Strophen 6–8 ausgelassen.
Die EG-Fassung (Rubrik Gottesdienst – Sammlung und Sendung) bietet Bearbeitungen von Blarers Strophen 1–6, 8 und 9. Die EG-Strophe 7 ist eine Neuschöpfung, die den Bußgedanken vertieft. Die EG-Strophe 8 beschreibt die Bedrohung der Kirche noch deutlicher als Blarers Strophe 8 als einen Konflikt um die Geltung von Gottes Wort. Die EG-Strophe 10 klingt nur in der zweiten Hälfte an Blarers Schlussstrophe an; die erste Hälfte formuliert die (bei Blarer fehlende) Bitte, dass der „Feind“ zu Christus bekehrt werden und gemeinsam mit „uns“ ihn loben möge.[2]
Dass das Lied auch von der Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut rezipiert wurde,[3] setzt eine Deutung voraus, die nicht mehr den konfessionellen Gegensatz im Blick hat, sondern die – durch Mangel an „Zucht und Ehrbarkeit“ (Strophe 6) von Christen mitverursachte – Ablehnung von christlichem Glauben und Kirche überhaupt.
Text im Evangelischen Gesangbuch
1. Wach auf, wach auf, ’s ist hohe Zeit, |
6. Haben das Widerspiel verschuld’t, |
Literatur
- Christa Reich: 244 – Wach auf, wach auf, ’s ist hohe Zeit. In: Martin Evang, Ilsabe Seibt (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Nr. 19. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 978-3-525-50342-3, S. 25–33 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Weblinks
Einzelnachweise
- Karl Fry: Nunzius Giovanni Antonio Volpe und die Konzilsverhandlungen mit den III Bünden. In: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 26, 1932, S. 34–58 (Digitalisat); zum 16. Januar 1561: S. 43
- Die Verfasserangabe für den Text lautet „Ambrosius Blarer 1561“. Im Verzeichnis der urheberrechtlich geschützten Stücke (Nr. 960) ist das Lied nicht aufgeführt.
- Im Gotteslob fehlt es.