Tytus Woyciechowski
Tytus Sylwester Woyciechowski (* 31. Dezember 1808 in Lemberg, Galizien, Kaisertum Österreich; † 23. März 1879 in Poturzyn, Weichselland, Russisches Kaiserreich)[1] war ein polnischer politischer Aktivist, Landwirt und Kunstmäzen. Er war einer der Geliebten[2][3] Frédéric Chopins.[4]
Lebenslauf
In seiner Jugend war Woyciechowski ein Schul- bzw. Studienkollege Chopins am Warschauer Lyceum, darüber hinaus häufiger Gast der Familie Chopin. Er hatte wie Chopin bei Vojtěch Živný Klavierunterricht.[5] Tytus studierte dann allerdings Jura an der Universität Warschau. Chopin sprach ihn in seinen Briefen oft mit "Mein liebstes Leben" an, schrieb ihm leidenschaftliche und zum Teil auch erotische[6] Liebeserklärungen[7][8]
„Wie immer, so auch jetzt, trage ich deine Briefe bei mir. Wie glücklich werde ich sein, wenn ich im Mai ausserhalb der Stadtmauern wandle und an meine bevorstehende Reise denke, deinen Brief hervorzuziehen und mich zu vergewissern, dass du mich liebst, – oder zumindest auf die Handschrift dessen zu schauen, den ich nur lieben kann.“
„Ich gehe mich waschen. Küsse mich jetzt nicht, denn ich habe mich noch nicht gewaschen. Du? Auch wenn ich mich mit byzantinischen Ölen einreiben würde, würdest Du mich nicht küssen, es sei denn, ich würde Dich auf magnetische Art dazu zwingen. Es gibt irgendeine Kraft in der Natur. Heute wirst Du davon träumen, dass Du mich küsst!“
Der amerikanisch-polnische Historiker Adam Zamoyski widerspricht jedoch in seiner Chopin-Biografie, dass es ein romantisches Verhältnis zwischen Woyciechowski und Chopin gegeben habe: „[...] solche Formulierungen waren - und sind [es] bis zu einem gewissen Grad auch heute noch - im Polnischen durchaus üblich, es sind simple Floskeln ohne konkrete Bedeutung. Auch die Spuren kindischer Erotik in den Briefen sind, für sich genommen, kaum von Belang. Geprägt durch die romantische Bewegung in der Kunst und Literatur, begünstigte der Geist jener Jahre extreme Gefühlsäußerungen und verherrlichte transzendente Freundschaft.“[13]
Chopin widmete Woyciechwoski eines seiner Frühwerke, die Variationen op. 2 über das Duett Là ci darem la mano aus Mozarts Don Giovanni und komponierte für ihn den Walzer Des-Dur op. 70,3.[14] Im Sommer 1830 besuchte Chopin Woyciechowski für zwei Wochen auf dessen Anwesen in Poturzyn, das dieser von seiner Mutter geerbt hatte.
„Ich will Dir ehrlich sagen, dass ich mit Freuden an das alles zurückdenke – Deine Felder haben eine gewisse Sehnsucht in mir hinterlassen, – die Birke vor den Fenstern will mir nicht aus dem Sinn. Jene Arbaletta [Armbrust]! – Wie romantisch! Ich erinnere mich an die Arbaletta, deretwegen Du mich so geplagt hast, – für alle meine Sünden.“
Woyciechowski begleitete Chopin während seiner Reise nach Österreich 1830, bis er vom Novemberaufstand erfuhr und nach Warschau zurückkehrte, um an den Kämpfen teilzunehmen. Obwohl Chopin und Woyciechowski einander nach 1830 nie mehr persönlich begegneten, setzten sie ihre Korrespondenz fort[14].
Woyciechowski widmete sich fortan primär der Landwirtschaft. Er gilt als einer der Vorreiter bei der Einführung von Fruchtfolge oder Felderwirtschaft in Polen. 1847 gründete er eine der ersten Zuckerfabriken des Landes. Von 1861 bis 1862 war er aktives Mitglied der Weißen Partei, die an dem gescheiterten Aufstand vom Januar 1863 beteiligt war.
Woyciechowski starb 70-jährig auf seinem Landsitz. Seine Sammlung von Memorabilia an Chopin wurde durch einen Brand im Jahre 1914 vernichtet, und das Herrenhaus der Familie zu Poturzyn wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört.
Literatur
- Eva Gesine Baur: Chopin oder Die Sehnsucht. Eine Biographie. C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-59056-6; Rezension[16]
Weblinks
- Tytus Woyciechowski auf der Website des Frédéric-Chopin-Instituts (polnisch)
- Chopins Briefe an Woyciechowski
Einzelnachweise
- E. G. Baur, siehe Literatur.
- Larivière, Michel.: Homosexuels et bisexuels célèbres : le dictionnaire. Delétraz, Paris 1997, ISBN 2-911110-19-6, S. 99 f.
- Spätes Outing – Chopin war schwul – und niemand sollte davon erfahren. 16. November 2020, abgerufen am 17. November 2020.
- Michel Larivière: Homosexuels et bisexuels célèbres : le dictionnaire. Delétraz, Paris 1997, ISBN 2-911110-19-6, S. 99 f.
- Fryderyk Chopin – Information Centre – Wojciech Żywny – Biography. In: Wojciech Żywny. The Fryderyk Chopin Institute, abgerufen am 14. April 2017 (englisch).
- Alan Walker: Fryderyk Chopin : A life and times. First Picador paperback edition Auflage. New York 2018, ISBN 1-250-23482-4, S. 157 f.
- Fryderyk Chopin – Information Centre – Chopin's letters. Abgerufen am 19. November 2020.
- Gesine Baur: Chopin oder die Sehnsucht. 3., durchges. Auflage. München 2009, ISBN 978-3-406-59056-6, S. 536.
- David Frick: Chopin's polish letters. The Fryderyk Chopin Institute, Warsaw 2016, ISBN 978-83-64823-19-0, S. 148 f.
- Krystyna Kobylanska (Hrsg.): Fryderyk Chopin Briefe. Henschelverlag, Berlin 1983, S. 76.
- David Frick: Chopin's polish letters. The Fryderyk Chopin Institute, Warsaw 2016, ISBN 978-83-64823-19-0, S. 174 f.
- Krystyna Kobylanska (Hrsg.): Fryderyk Chopin Briefe. Henschelverlag, Berlin 1983, S. 89.
- Adam Zamoyski: Chopin der Poet am Piano. 1. Auflage. München 2010, ISBN 978-3-570-58015-8.
- Fryderyk Chopin – Information Centre – Do Tytusa Woyciechowskiego w Poturzynie – Letters. Abgerufen am 19. November 2020.
- Frédéric Chopin: Briefe. Herausgegeben mit einem Vorwort und Kommentaren von Krystyna Kobylańska. Aus dem Polnischen und Französischen übersetzt von Cesar Rymarowicz. Henschelverlag, Berlin 1983, S. 84.
- Claudia Niebel auf info-netz-musik 10. Juli 2011; abgerufen am 5. Oktober 2014.