Tintenfass
Ein Tintenfass (auch Tintenhorn) ist ein Behälter zur Aufbewahrung von Tinte für die Anfertigung von Handschriften mittels einer Schreibfeder. Das Tintenfass war jahrhundertelang bis zur Erfindung des Füllfederhalters ein unentbehrliches Utensil für handschriftliche Mitteilungen. Nach seiner Verdrängung durch andere Schreibtechniken kam das Sammeln von Tintenfässern gegen Ende des 20. Jahrhunderts in Mode. Die begehrtesten Sammlerstücke stammen aus dem Zeitraum von der Amerikanischen und der Französischen Revolution bis in die 1930er Jahre.
Geschichte
Anfänge
Mit Sicherheit wurde die Tinte vor dem Tintenfass erfunden, in Form einer Tusche aus Ruß, Gummi arabicum und Wasser bei den Chinesen und Ägyptern um 2600 v. Chr. Die auf Papyrus und Pergament licht- und luftbeständige Tinte, die sogenannte Eisengallustinte, gibt es seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. Eisengallus bestand aus dem Sud gekochter Galläpfel, der mit Eisenvitriol versetzt wurde. Alte Tintenzeichnungen sind oft an der Rückseite des Blattes erkennbar, da Eisenvitriol das Papier zersetzt.
Die Anfänge des Tintenfasses liegen im Dunkeln. Die ersten einfachen und schmucklosen Tintenfässer wie etwa Rinderhörner als Tintenhorn hatten lediglich die Aufgabe, die Tinte aufzubewahren und so lange wie möglich in flüssigem Zustand zu erhalten. Aus der römischen Antike sind verzierte Exemplare aus Bronze erhalten. Im Spätmittelalter begannen erfolgreiche Kaufleute und Handwerker, das Tintenfass zu ihrem Statussymbol zu machen.
Mittelalter
Aus dem Tintenfass wurde allmählich ein Tisch-Schreibzeug, das aus geschnitzten und reich verzierten Kassetten, kastenförmigen Behältern und den dazugehörigen Gefäßen für Tinte und Schreibgerät bestehen konnte. Wie bei vielen Gebrauchsgegenständen spiegelten die Tintenfässer in besonderem Maße Trends, Geschmack, Zeitgeist und Kultur der Menschen wider, die sie entwarfen und fertigten.
Schlichtes silbernes Schreibzeug gab es etwa seit Ende des 15. Jahrhunderts. Prachtvoll ornamentierte Tintenzeuge kamen im 16. Jahrhundert auf.
Neuzeit
Kunsthandwerker wie Silberschmiede, Töpfer, Metallwerker und Möbeltischler schufen zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen Tintenfassboom. Die Silberschmiede, die bis dahin vor allem für ihre kunstvoll gefertigten Tablette und Kerzenleuchter bekannt waren, kombinierten ihre Erzeugnisse mit aufwendig geformten und ziselierten Tintenfässern, Schreibgarnituren und Sandstreuern. Im Nordwesten der Vereinigten Staaten von Amerika entstanden zum Ende des 18. Jahrhunderts mehr als 70 Tintenfass-Manufakturen. Weltweit produzierten zu diesem Zeitpunkt mehrere Hundert Betriebe.
Die Tinte zur Unterzeichnung der Declaration of Independence der USA befand sich in einem Tintenfass aus echtem Sterlingsilber, während Abraham Lincolns Arbeitstisch ein aus Holz geschnitztes Tintenfass zierte.
Die Hochzeit der Tintenfässer: das 19. Jahrhundert
Das "goldene Zeitalter" des Tintenfasses begann allerdings erst im späten Viktorianischen Zeitalter, also in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hier dominierte das reich verzierte silberne Schreibzeug auf silbernem Tablett aus reinem Sheffield Silber. So legte etwa Admiral Lord Nelson großen Wert darauf, seine Sheffield-Plate auf Reisen zu Wasser und zu Lande stets mit sich zu führen. Auch Hofdamen und Mätressen postierten Tintenfassensembles auf ihren Toilettentischen.
Reisetintenfässer mit sicheren Verschlüssen gegen das Auslaufen der Tinte in Taschen und Reisekoffern wurden besonders von Handlungsreisenden im 18. und 19. Jahrhundert benutzt.
Die Tintenfässer begannen mit der Innovation des Füllfederhalters im Jahre 1884 vom Markt zu verschwinden. Die Erfindung des Kugelschreibers im Jahre 1932 leitete den endgültigen Niedergang des Tintenfasses ein. Aber noch in den 1950er Jahren saßen die Schüler der Grundschulen an Schulbänken, die in einer Öffnung an der Vorderkante mit einem Tintenfass aus Porzellan versehen waren.
Die heute verwendeten Tintenfässer sind eigentlich Tintenflaschen. Meist handelt es sich um einfache, unverzierte Verkaufsgebinde der Tintenhersteller aus Glas oder Kunststoff. Einige Luxusartikelhersteller wie Montblanc stellen noch richtige Tintenfässer für den Schreibtisch her. Diese haben aber vornehmlich dekorativen Charakter und werden nur zum gelegentlichen Nachfüllen des Füllfederhalters verwendet.
Schulfüller verwenden heute ausschließlich Tintenpatronen.
Galerie
- Persisches Tintenfass,
2. Hälfte des 16. Jhs. - Luxuriöses Schreibzeug aus Ludwigsburger Porzellan, um 1765
- Reisetintenfass
- Nachfüllbehälter ½ Liter,
1950er Jahre - Tintenfass mit der bekannten Tinte Pelikan 4001 und Kolbenfüllfederhalter
- Tintenfass mit Schreibablage aus Nero Portoro
- Schreibgarnitur, kombinierte Stiftablage mit einem Tintenfasshalter und Hund als Dekor, im Bestand des MEK
Trivia
- Die Burg Münzenberg wird in der Region auch Wetterauer Tintenfass genannt, da ihre Silhouette mit den zwei Türmen an ein zweiteiliges Tintenfass erinnert, wie sie ab dem 18. Jahrhundert gebräuchlich waren (das zweite "Fass" nahm den Sand auf, der vor der Erfindung des Löschpapiers benutzt wurde).
Literatur
- Dem Tintenfass wurde durch das Bildergedicht Die Geschichte von den schwarzen Buben in Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter ein literarisches und ikonographisches Denkmal gesetzt. In dieser Parabel tritt der Nikolaus als strafende Instanz auf, der kleine Jungen in ein Tintenfass steckt, weil sie einen dunkelhäutigen Jungen verspottet hatten.
- Ein mittelniederdeutsches Bittschreiben aus Bielefeld (ca. 1496) handelt von einem Schüler, der beim Streit um ein Tintenfass (‚enkethorn‘) einen Schulkameraden tödlich verletzt hat. (vgl. Eichhorn oder Tintenfass? von Meinolf Schumacher)
- In Hans Christian Andersens Märchen über den Streit von Feder und Tintenfaß[1] wird die Ursprungsfrage von Henne oder Ei variiert.
- Seit 1965 erscheint beim Zürcher Taschenbuch-Verlag Diogenes das Periodikum «Das Tintenfass» zunächst als Hauszeitschrift, dann als Verlagsalmanach. Ab 1997 wird es alljährlich anlässlich der Frankfurter Buchmesse herausgegeben.
- Claus Maywald, Das Tintenfass, FU-Berlin Geschichtswissenschaften, Dissertationsschrift auf Mikrofiche, Berlin 1998.
Weblinks
- Alte Tintenfässer
- Das Tintenfaß von Vergennes (Memento vom 6. September 2003 im Internet Archive) im Quai d’Orsay