Thyra Danebod
Thyra Danebod, auch Thorwi (* um 880; † um 935) war durch Heirat mit dem Wikingerführer Gorm Königin von Dänemark (Jütland) und Stammmutter der bis 1378 herrschenden Jelling-Dynastie und darüber hinaus Vorfahrin der bis heute regierenden dänischen Könige. Der Beiname „Danebod“ ist eine Zusammenziehung von „Danmarkar bot“ auf dem kleinen Jellingstein. Über den auf mindestens zwei Runensteinen erwähnten Namen hinaus sind hauptsächlich Legenden über sie überliefert, wonach sie eine weise Herrscherin war.
Runeninschriften
Jelling
In Jelling, nahe Vejle an der Ostküste Jütlands, finden sich die bedeutendsten archäologischen Zeugnisse des dänischen Frühmittelalters. Sie belegen nicht nur die enge Beziehung Gorms des Alten und Harald Blauzahns zu diesem Ort („die von Gorm begründete Dynastie wird daher auch Jellinge genannt“), sondern auch die Christianisierung Dänemarks ab etwa 960. Älteste Dokumente sind die Fragmente eines Steinmonumentes in Form einer um 940 angelegten Schiffssetzung und der sogenannte kleine oder ältere Jellingstein, den Gorm zum Gedenken an seine Gattin setzen ließ und dessen Runeninschrift lautet: GōrmR kunungR gærði kumbl þǿsi æft Þōrvī, kunu sīna, DanmarkaR bōt („König Gorm machte dies Denkmal nach Thorwi/Thyra, seiner Frau, Dänemarks Zierde (oder nach anderer Deutung: Stärke))“.
Von den beiden großen kegelstumpfförmigen Grabhügeln wird der nördliche, etwas niedrigere Hügel traditionell als Thyra høj bezeichnet. Er enthält eine aus Holz errichtete große Grabkammer, die nach dendrochronologischen Untersuchungen 958/959 errichtet wurde und wahrscheinlich zur Aufnahme von Gorms Gebeinen bestimmt war. Der als Gorm angesehene Bestattete wurde aber bereits nach wenigen Jahren in eine neuerrichtete Holzkirche südlich des Grabhügels umgebettet. Skelettteilen eines Mannes mittleren Alters fanden sich unter der anstelle der Holzkirche um 1100 erbaute Steinkirche. Überreste von Thyra fanden sich nicht. An der Südseite der Kirche ließ Harald Blauzahn nach seiner Taufe im Jahr 960 einen Gedenkstein für seinen Vater und seine Mutter setzen. Dieser sogenannte große Jellingstein, „Dänemarks steinerne Taufurkunde“, ist mit einem Christusbild geschmückt und trägt die Inschrift: „Harald errichtete dieses Denkmal für König Gorm, seinen Vater, und seine Mutter Thyra, jener Harald, der ganz Dänemark und Norwegen gewann und die Dänen zu Christen machte.“ Der südliche Hügel, ohne Grablege, dürfte in den 970er Jahren aufgeschüttet worden sein, möglicherweise zur Erinnerung an Thyra, die nicht in Jelling beigesetzt wurde.[1] Die gesamte Anlage von Jelling mit Grabhügeln, Kirche und Runensteine gehört zum Weltkulturerbe.[2]
Læborgstein und Bækkestein
Es wird die Vermutung vertreten, dass es sich um die gleiche Thyra handelt, die auf dem Runenstein von Læborg (DR 26) genannt wird: Rafnunga-Tofi hio runaR þæssi æft Þorwi, drotning sina („Tofi/Tove, von Rafn abstammend, machte diese Runen zur Erinnerung an Thorwi/Thyre, seine Herrin“). Tofi/Tove stellt sich als Runenschnitzer dar.[3] Auf diesem Stein sind zu Beginn und Ende des Textes jeweils ein Thorshammer dargestellt, ein Zeichen, dass Tofi und Thyra dem alten Glauben an die germanischen Götter anhingen.
Rafnunga-Tofi ist auch auf dem 6 km entfernt bei der Kirche von Bække gefundenen Runenstein Bækkestein 1 (DR 29), der sich ebenfalls in der Umgebung von Jelling befindet, erwähnt, wo es heißt, dass er den Hügel der Thyra errichtet habe: „Tofi, der Nachkomme Rafns, und Funden und Gnyple, diese Drei machten den Hügel für Thorwi/Thyre.“ Da Thorwi/Thyre nicht genauer identifiziert wird, geht man davon aus, dass sie eine bekannte Person war. Daraus schließt Sawyer, dass es sich um die Thyra auf dem Jellingstein handele[4] und dass Rafnunga-Tofi den Südhügel in Jelling errichtet haben könnte.[5] In Horne befindet sich ein dritter Runenstein von Rafnunga-Tofi (SJy 51) mit einer ähnlichen, unvollständig erhaltenen Inschrift: [Ra]fnunga-Tōfi gærði haug þ[annsi]/Þ[ōrvīaR(?)] („Rafnunga-Tofi machte [diesen/Thyras] Hügel“).[6]
Während aufgrund der Aufschrift auf dem kleinen Jellingstein allgemein davon ausgegangen wird, dass Thyra vor Gorm starb, rekonstruiert Birgit Sawyer die Verhältnisse anders: Thyra überlebte, wie auch Saxo Grammaticus berichtete, Gorm und heiratete nach seinem Tod Tofi. Nach Thyras Tod errichtete Harald Blauzahn in Jelling einen Hügel zur Erinnerung an seine Mutter, um zu verschleiern, dass sie von einem anderen Geschlecht begraben worden war. Außerdem errichtete er im Namen seines Vaters den kleinen Jellingstein, um sein mütterliches Erbe geltend zu machen. Als Harald sich dem Christentum zuwandte, „bekehrte“ er auch das Jelling-Denkmal, indem er eine Kirche errichten ließ und den großen Jellingstein aufstellte. Darauf bezeichnete er seinen Vater Gorm als König, was er auf dem älteren Jellingstein noch nicht getan hatte. Damit demonstrierte er seinen Machtanspruch. Diese Demonstrationen führt Sawyer auf einen innerfamiliären Konflikt zurück, in welchem letztendlich Haralds Sohn Sven Gabelbart obsiegte.[7] Diese These wird allerdings weitgehend abgelehnt, etwa von Marie Stoklund.[8]
Die Identität der Thyra auf den Runensteinen DR 26 und DR 29 einerseits mit der Thyra auf den Jellingsteinen wird aber auch bestritten. Thyra sei ein damals häufiger Name gewesen.[9]
Quellen und Legenden um Thyra
Abgesehen von den Runensteinen gibt es keine zeitgenössischen Quellen über Thyra. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts bleibt Thyra unbekannt. Adam von Bremen, der in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts lebte und schrieb, und die Roskilde-Chronik von 1138/1139, die die Königsreihen festhält, erwähnen sie nicht. Erst in der Chronik des Sven Aggesen um 1185 erscheint sie mit allerlei märchenhaften Geschichten. Saxo Grammaticus kannte Aggesens Geschichten und baute sie um 1200 aus.
Thyras Herkunft und Ehe
Sven Aggesen ist der erste, in dessen Chronik Thyra als Gorms Frau erwähnt ist. Nach seinem Bericht soll Kaiser Otto, nachdem er Dänemark unterworfen habe, als Thyras Freier und Feind zugleich aufgetreten sein. Als Ursprung dieses Motivs wurde die Beziehung zwischen Dido und Iarbas identifiziert.
Saxo Grammaticus kannte die Geschichten seines Zeitgenossens Aggesens und veränderte sie. Er entfernte das Motiv des freienden Kaisers und verband Thyras Geschichte stattdessen mit der Geschichte der angelsächsischen Königin Æthelflæd. Wie Æthelflæd bei dem älteren englischen Geschichtsschreiber Henry of Huntingdon als Tochter (und nicht, wie sonst meist berichtet als Ehefrau) des englischen Königs Æthelred dargestellt wird, so erscheint auch Thyra bei Saxo als Æthelflæds Tochter.[10] Laut Saxo soll die angelsächsische Prinzessin Thyra versucht haben, ihren Mann, einen heidnischen Wikinger, zum Christentum zu bekehren. Im Gegensatz zu Gorm, den Saxo sehr negativ schildert, scheint Thyras Tugend, Frömmigkeit und Weisheit umso heller. Dabei handelt sich nach Weibull um eine freie Dichtung, die zur Zeit des Erzbischofs Absalon von Lund entstand, als die Grenzen Dänemarks im Zentrum politischen Handelns in Dänemark standen.[11]
Während Saxo für Thyra eine angelsächsische Herkunft rekonstruiert, ist sie nach der Jómsvíkinga saga und der Heimskringla aus dem 13. Jahrhundert eine Tochter des jütischen Herrschers Harald Klak und damit Tante von Ragnhildr, der Frau des norwegischen Königs Halvdan Svarte.
Danewerk
Nach Ausgrabungen geht der Ursprung des Danewerks auf das 7. Jahrhundert zurück. Es wird erstmals in den fränkischen Reichsannalen zum Jahre 808 erwähnt. Danach kam der dänische König Gudfred nach Sliesthorp und beschloss, seine Grenzen gegen das „Sachsland“ zu befestigen. Von Thyra ist im Zusammenhang mit dem Danewerk in den alten Quellen nicht die Rede. Das Chronicon Lethrense (Lejre-Chronik) schreibt noch Mitte des 12. Jahrhunderts, dass das Danewerk von König Dan gegen Kaiser Augustus errichtet worden sei.[12] Vom Ausbau des Walls durch die dänische Königin Thyra Danebod im 10. Jahrhundert erzählt zuerst Sven Aggesen um 1185 und in seiner Folge Saxo. Archäologisch ist zumindest nachgewiesen, dass die sogenannte Thyraburg vielleicht noch zu Thyras Lebzeiten um 940 und der Verbindungswall während Haralds Regierungszeit ab 964 erweitert wurde.
Während der nationalistischen Auseinandersetzungen im 19. Jahrhundert wurde seitens der Dänen die von Aggesen begründete Tradition, dass Thyra ihren Mann oder Sohn bestärkt haben, das Danewerk zu errichten, romantisch überhöht.
Abwendung einer Hungersnot
Eine weitere Legende findet sich in der Jómsvíkinga saga aus dem frühen 13. Jahrhundert. Danach soll Thyra Gorm gebeten haben, drei Nächte vor der Hochzeit allein zu schlafen und ihr von seinen Träumen zu erzählen. In der ersten Nacht träumte er von drei weißen Ebern, die aus dem Wasser stiegen und alles Gras abweideten, ehe sie wieder verschwanden. In der folgenden Nacht träumte er von drei roten Ebern und in der letzten von drei schwarzen Ebern mit großen Stoßzähnen, die bei ihrer Rückkehr ins Meer großen Lärm verursachten. Diese Träume deutete Thyra als drei kalte Winter mit Hunger, drei milde Winter und drei Kriegsjahre, nach denen die Feinde sich jedoch wieder zurückziehen würden. Daraufhin habe sie jeden Sommer Korn gesammelt, um eine Hungersnot abzuwenden. Diese Geschichte ist dem 41. Kapitel der Genesis nachgebildet, in dem Josef in Ägypten nach einem Traum des Pharaos von je sieben fetten und mageren Kühen Korn hortet, um eine Hungersnot überstehen zu können.
Auf einer der beiden Großtaten soll der Namenszusatz „bot/but“ beruht haben, der als "Stärke" gedeutet wird. Wie Lauritz Weibull 1928 nachgewiesen hat, beruhen die Geschichten um Thyra ausschließlich auf der Inschrift auf dem kleinen Jellingstein, wo sie als „tanmarkar but“ bezeichnet wird, was meist mit der „Zierde Dänemarks“ übersetzt wird. Was diese Bezeichnung „but“ tatsächlich bedeutet, ist bis heute umstritten.[13]
Nachkommen
Thyra und Gorm werden in verschiedenen, weitgehend legendären Schriften bis zu fünf Kinder zugeschrieben, wobei nur bei einem Sohn, dem späteren König Harald Blauzahn, die Abstammung durch die Inschriften der Jelling-Runensteine belegt ist.
- Der laut Saxo älteste Sohn Knut Danaast fiel 947 vor Dublin, als er zusammen mit seinem Bruder Harald einen Raubzug nach Irland unternahm. Er hinterließ einen Sohn Guld-Harald, der von seinem Onkel Harald Blauzahn die Hälfte der Kriegsbeute und des Wikingerheers als sein Erbe verlangte und sich zur Durchsetzung seiner Ansprüche mit dem Norweger Håkon Jarl verbündete, der ihn jedoch 970 zugunsten eines Bündnisses mit Harald Blauzahn im Stich ließ.
- Gunnhild, die Frau des Königs Erik I. Blutaxt von Norwegen und Northumbrien (885–954), wird von der Historia Norvegiae als Tochter von Gorm und Thyra bezeichnet, in der Heimskringla dagegen aus der Finnmark stammend.
- Gonnor (899–940) ∞ Ranulf de Crépon
- Einem Wikingerführer Toki Gormsson, bei dem es möglicherweise um einen weiteren Sohn von Gorm und Thyra handelte, wurde der Hällestadstein 1 (DR 295 / Sk 80) in Hällestad in Schonen von seinen Gefolgsleuten errichtet. Als Anführer stellte er sich einer Schlacht, möglicherweise der aus den Islandsagas bekannten Schlacht von Fýrisvellir, anstatt nach Uppsala zu fliehen.[14] Auch zwei weitere Steine in Hällestad (DR 296 und 297) erinnern an diesen Toki. Der sehr ähnliche Sjörupstein (DR 279) ist für einen Asbjörn Tokison aufgestellt, der ebenfalls auf die Flucht nach Uppsala verzichtete und in der Schlacht fiel. Die Chroniken und Sagas erwähnen Toki und Asbjörn aber nicht.
Rezeption
Seit Aggesen und Saxo galt Thyra als Heldin, die Dänemark gegen Bedrohung von Süden schützte. Mit der Beschreibung der Jellingsteine durch Heinrich Rantzau und Ole Worm wuchs die Bedeutung von Thyra Danebod für die dänische Geschichte. Grundtvigs Nachdichtungen der mittelalterlichen Chronisten führten zu einer weiten Verbreitung der Legenden um Thyra als nationaldänische Gründungsmythen.
Nach Thyra ist der Asteroid (115) Thyra benannt.
Literatur
- Janine Köster: Sterbeinschriften auf wikingerzeitlichen Runensteinen. de Gruyter 2014. ISBN 978-3-11-034198-0
- Marie Stoklund: Jelling § 2 Runologisches. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd. 16. de Gruyter 2000. ISBN 3-11-016782-4. S. 56–58.
- Lauritz Weibull: Tyre Danmarkar bot. In: Scandia 1, 1928, S. 227–243.
- Richard Abels: Alfred the Great. War, Culture and Kingship in Anglo-Saxon England (The Medieval World). London 1998.
- Jessica Amanda Salmonson: The Encyclopedia of Amazons. Paragon House, 1991, ISBN 1-55778-420-5.
- Hermann Grote: Stammtafeln europäischer Herrscher- und Fürstenhäuser. Reprint Verlag, Leipzig, ISBN 3-8262-0710-6.
- Lutz Mohr: Der "Kleine" und der "Große Jelling-Stein" in Jelling/ Jütland/ Königreich Dänemark – Symbol des Ruhmes und der Macht der Könige Gorm der Alte (um 900 – um 945) und Harald Blauzahn (um 945 - 986) zur Wikingerzeit. In: Steinkreuzforschung (SKF). Studien zur deutschen und internationalen Flurdenkmalforschung. Beiträge zur Runensteinforschung. Hrsg. von Rainer H. Schmeissner, Band Nr. 10 (Monographienreihe), Regensburg 1999, S. 62–77
Weblinks
- Inge Adriansen: Tyre Danebod (- ca. 935), in: Dansk kvindebiografisk leksikon
- Myten om dronning Thyra
Einzelnachweise
- Klaus Ebbesen: Jelling. Historien om Gorm den Gamle, Thyre Danebod og Harald Blåtand. Gyldendal, 2018, ISBN 978-87-02-24993-4, S. 54 f.
- Ferdinand Dupuis-Panther: Auf den Spuren von „Hamlet“ – Dänemark: Stationen des Weltkulturerbes im nördlichen Nachbarland. In: schwarzaufweiss.de. Abgerufen am 5. Oktober 2009.
- Runristare
- Köster S. 181.
- Stoklund 2000, S. 58.
- Horne-sten in der Runeninschriften datenbank der dänischen Nationalmuseums.
- Wiedergabe von Birgit und Peter Sawyer: Die Welt der Wikinger, S. 280, in Köster S. 181.
- Marie Stoklund: Tolkningen af Bække-, Læborg- og Jelling-indskrifterne og meningen med at riste runesten. In: Gunhild Øeby Nielsen: Runesten, magt og mindesmærker. Tværfagligt symposium på Askov Højskole 3.-5. oktober 2002. Hikuin 32, Højbjerg 2005, S. 37-48.
- Judith Lesch: Women in the Viking Age. Boydell & Brewer. 1991 / 2001. ISBN 978-0-85115-360-5. S. 52.
- Weibull S. 190.
- Weibull S. 190.
- Chronicon Lethrense: Erat igitur Jucia, quia periculis proxima, quodam lignorum fragore munita, ubi nunc est Danæwirchi, præ insidiis Augusti, primi Cesaris.
- N. Lund: Thyra Danabot. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd. 30. de Gruyter 2005. ISBN 3-11-018 385-4. S. 558 f.
- Hällestad-sten 1.