Theodor Seidel

Theodor Seidel (* 29. Juli 1931 i​n Bischofswerda) i​st ein deutscher Jurist, Richter u​nd ehemaliger Fluchthelfer. Er w​ar Vorsitzender Richter d​er Großen Strafkammer d​es Landgerichts Berlin u​nd wurde a​ls Vorsitzender Richter i​m ersten Mauerschützenprozess u​nd im Prozess g​egen den ehemaligen Stasi-Chef Erich Mielke bundesweit bekannt.[1]

Leben

Seidel i​st gebürtiger Sachse u​nd lebte b​is 1950 i​n Großharthau b​ei Bischofswerda; s​ein Vater w​ar Prokurist i​n einer Schuhfabrik. Er verließ 1950 a​ls 19-Jähriger Familie u​nd Freunde u​nd kam n​ach West-Berlin a​ls Flüchtling a​us der Sowjetischen Besatzungszone. Dort studierte e​r an d​er Freien Universität Berlin Jura u​nd war außerdem a​ls Fluchthelfer tätig. Er promovierte 1963 i​n Köln m​it der Dissertation Das Recht d​es Beschuldigten a​uf rechtliches Gehör i​m Strafprozeß z​um Dr. jur. Seit 1969 w​ar er Richter i​n Berlin. Dort w​urde er Vorsitzender Richter d​er Großen Strafkammer d​es Landgerichts Berlin. Sein Bruder w​urde 1964 i​n der DDR w​egen versuchter Republikflucht v​on der Stasi verfolgt u​nd inhaftiert.[1]

Prozesse gegen DDR-Funktionäre

Seidel w​urde als Richter i​m ersten Mauerschützenprozess (Chris-Gueffroy-Prozess) n​ach der deutschen Wiedervereinigung[1][2][3][4][5][6][7][8] u​nd als Vorsitzender Richter i​m Mordprozess (1992–1993) g​egen Erich Mielke w​egen der Morde a​uf dem Bülowplatz bundesweit bekannt.[1][9][10] Seine juristische Argumentation i​m Mauerschützenprozess, insbesondere s​eine Berufung a​uf Naturrechtsargumente, w​urde kontrovers diskutiert, sowohl i​n Deutschland a​ls auch i​n der internationalen Fachliteratur.[11][12]

Kriegsverbrechen in Sachsen

Gedenktafel in Niederkaina

Seidel verlor seinen Vater a​m 22. April 1945 i​n Niederkaina b​ei Bautzen. 2005 veröffentlichte Seidel e​in Buch, Kriegsverbrechen i​n Sachsen (Leipziger Universitätsverlag), d​as u. a. diesen Fall behandelt. Eine dritte erweiterte Ausgabe erschien 2013.[13][14] Dem Buch u​nd der Stadtverwaltung Bautzens zufolge wurden 195 Deutsche v​on Soldaten d​er 1. Ukrainischen Front d​er Roten Armee i​n eine Scheune gesperrt u​nd bei lebendigem Leib verbrannt. Eine Gedenktafel erinnert a​n die Opfer.[15]

Werke

  • Das Recht des Beschuldigten auf rechtliches Gehör im Strafprozeß, Dissertation, Köln, 1963
  • Kriegsverbrechen in Sachsen, Leipziger Universitätsverlag, 3. erweiterte Ausgabe, 2013, ISBN 9783865830524

Literatur

  • Roman Grafe: "Verhinderung des Rechts" (Interview mit Theodor Seidel). In: Deutsche Gerechtigkeit: Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlsgeber. Siedler Verlag, 2009. ISBN 9783641012359

Einzelnachweise

  1. "Beihilfe zur Flucht". In: Aufrecht: Mutbürger vor dem Mauerfall und heute, S. 47–49, Konrad-Adenauer-Stiftung
  2. „Wer so auf Menschen schießt“ in Der Spiegel
  3. 2 East German Guards Convicted Of Killing Man as He Fled to West in The New York Times
  4. On Trial For Death At Berlin Wall in The Washington Post
  5. East German Guards Convicted in The Washington Post
  6. Gary Bruce, "East Germany", in: Lavinia Stan (Hrsg.), Transitional Justice in Eastern Europe and the former Soviet Union: Reckoning with the communist past, S. 15–36, Routledge, 2009, ISBN 9780415776714
  7. „Grenzdienst ist Gefechtsdienst“ in Der Spiegel
  8. Schüler-Richter strafen hart in: Der Spiegel
  9. German Ex-Police Chief Is Guilty in 1931 Murders in The New York Times
  10. A. James McAdams, Judging the Past in Unified Germany, S. 31, 2001
  11. Jiří Přibáň, Legal Symbolism: On Law, Time and European Identity, Ashgate Publishing, 2013, ISBN 9781409493372
  12. Rainer Frenkel: „Tötung im Interesse der Obrigkeit“: Wie ein westdeutsches Gericht versucht hat, ostdeutsche Vergangenheit zu bewältigen, in: Die Zeit
  13. Kriegsverbrechen in Sachsen, Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung
  14. Vera Lengsfeld: Theodor Seidel, Kriegsverbrechen in Sachsen (3. erw. Ausgabe 2013), Buchrezension, Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus
  15. Gedenken an Opfer von Niederkaina, Stadtverwaltung Bautzen
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