Theodor Avé-Lallemant
Johann Theodor Friedrich Avé-Lallemant (* 2. Februar 1806 in Magdeburg; † 9. November 1890 in Hamburg) war ein deutscher Musiklehrer, Musikkritiker und Musikschriftsteller.
Biographie
Familiärer Hintergrund
Avé-Lallemant war der Sohn des Musikpädagogen Johann Heinrich Jacob Dionysius Avé-Lallemant (1776–1852) und dessen Ehefrau Friederike Marie Canier (1783–1857), Hugenottin und Nachfahrin des Admirals Gaspard II. de Coligny, seigneur de Châtillon (1519–72) (10 Kinder, 6 Söhne 4 Töchter). Sein Onkel war der Pianist und Domorganist Friedrich Avé-Lallemant (1774–1853), der bereits mit Louis Ferdinand von Preußen musiziert hatte.[1]
Der Arzt und Südamerikaforscher Robert Christian Avé-Lallemant, der Kriminalist und Schriftsteller Friedrich Christian Benedikt Avé-Lallemant und der Pastor Friedrich Avé-Lallemant waren seine Brüder. Er war seit 1840 verheiratet mit Wilhelmine Jauch, mit der er sechs Kinder hatte. Der Sohn Carl Robert (1850–1896), der 1894 die Hilfsexpedition für das Erdbebengebiet Tovar (Mérida) in Venezuela leitete, war Patenkind von Robert Schumann, der Sohn Johannes Friedrich Bernhard (1855–1911) war Patenkind von Johannes Brahms. Die Tochter Emilie Elisabeth (1846–1921) heiratete den Assekuradeur Paul Clemens Duncker (1840–1909), Enkel von Johann Georg Kerner, Großneffe von Justinus Kerner und Cousin zweiten Grades von Wilhelm Hauff.
Ausbildung und frühe Jahre
Avé-Lallemant begann 1815 mit dem Musikunterricht. Ab 1824 wurde er in Greifswald durch den dortigen Stadtmusikus unterrichtet. In Lübeck wurde er mit den Malern Otto und Erwin Speckter bekannt, von denen Otto ihn in die Häuser des Lübecker Syndicus Curtius und des Konsuls Christian Adolf Nölting einführte. Dem Drängen, nach Hamburg umzusiedeln, entsprach er 1828. Dort verkehrte er im Haus des kunstsinnigen Großbürgers Johann Christian Jauch senior und lernte hier seine Frau, dessen Tochter, kennen.
Wirken in Hamburg
Seit 1838 war Avé-Lallemant Mitglied, in der Folge Erster Vorsitzender des Comités für die Philharmonischen Konzerte und stand „durch länger als ein Menschenleben“ (Berthold Litzmann) im Mittelpunkt der dortigen musikalischen Bestrebungen. Zuvor als Musiklehrer und Musikschriftsteller tätig – er selbst bezeichnete sich als „Tonkünstler“ und „Musikant“ –, erlaubte es ihm seine Eheschließung mit der wohlhabenden Wilhelmine Jauch, sich ab 1840 ganz dem Wohl des Hamburger Musiklebens zu widmen. 1841 war er die zentrale Figur auf dem dritten Norddeutschen Musikfest, damals das größte Musikfestival Deutschlands. 1847 gehörte er zu den Mitbegründern des Hamburger Tonkünstlervereins. Als er 1890 starb, war er ältestes Mitglied des Comités, dem er 52 Jahre lang angehört hatte, und das seiner in einer Feierstunde in der Philharmonie gedachte.
Avé-Lallemant war Freund von Johannes Brahms und Robert Schumann. 1862/63 scheiterte Avé-Lallemant mit seinem Versuch, Brahms den Direktorenposten der Philharmonischen Konzerte zu verschaffen, zumindest aber Brahms als Chormeister der Singakademie durchzusetzen. Obgleich sich Brahms um diese Stellen nie offen beworben hatte, war er tief verletzt, dass ihm Julius Stockhausen vorgezogen worden war.[2] 1863 verließ Brahms Hamburg und nahm das Angebot an, Chormeister der Wiener Singakademie zu werden. Der Vorgang belastete das freundschaftliche Verhältnis zu Avé-Lallemant jahrelang empfindlich. Pjotr Tschaikowski lernte Avé-Lallemant 1888 kennen. Tschaikowski widmete ihm sein am 15. März 1889 in Hamburg aufgeführtes symphonisches Hauptwerk, die Fünfte Symphonie e-Moll. Hans von Bülow widmete ihm 1860 seinen Chant polonais Opus 12.[3]
Drittes Norddeutsches Musikfest
- Festhalle
- Konzert in der Festhalle
- Konzert in der Michaeliskirche
- Tivolifest St. Georg
- Elbfahrt
Nachlass
Mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder hat das Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck 2001 zahlreiche Musikhandschriften bedeutender Komponisten und Briefe Theodor Avé-Lallemants aus dem Familien-Archiv Avé-Lallemant für seine Autographen-Sammlung erworben.
Weitere Handschriften und Musikdrucke aus in Familienbesitz verbliebenen Nachlassteilen wurden 2010 von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg erworben, darunter auch Briefe von Brahms, Clara und Robert Schumann, Joseph Joachim und Tschaikowsky sowie ein fragmentarischer Teil des bislang unbekannten Autographs zu Brahms’ Wechsellied zum Tanze (op. 31, 1).[4]
Zitate
„Auch in Hamburg machte ich wieder einige ebenso interessante wie angenehme Bekanntschaften. Vor allem nenne ich den Ersten Vorsitzenden der Philharmonischen Gesellschaft, den hochbetagten Herrn Avé-Lallemant. Der verehrungswürdige, über achtzigjährige Greis erwies mir eine geradezu väterliche Zuneigung. … Ich ließ es mir nicht nehmen, diesen guten alten Herrn mehrmals zu besuchen. Man merkte sofort, daß er die Musik leidenschaftlich liebt und von dem bei alten Menschen oft zu beobachtenden Widerwillen gegen alles Moderne vollkommen frei ist.“
„Man saß an kleinen Tischen; Tschaikowsky hatte den Ehrenplatz neben einem vornehmen Greis, Herrn Ave-Lallemant, erstem Vorsitzenden der Gesellschaft. Der zarte Alte gefiel ihm außerordentlich gut; ...“
„Zu Tisch bei Lallemant, der eine sehr angenehme gebildete Frau hat ...“
Literatur
- Benedikt Avé-Lallemant: Rückblicke auf das Dritte Norddeutsche Musikfest zu Hamburg. Lübeck 1841.
- Theodor Avé-Lallemant: Rückerinnerungen eines alten Musikanten. als Manuskript gedruckt. Hamburg 1878.
- Peter Avé-Lallemant (Hrsg.): Chronik der Familie Avé-Lallemant. Zusammengestellt von Hans Avé-Lallemant. Typoscript in 30 Exemplaren 1948.
- Peter Feddersen: Tschaikowsky in Hamburg. Eine Dokumentation. (= Cajkovskij-Studien. Band 8). Mainz 2006 (u. a, S. 256 Porträt Theodor Avé-Lallemant und Frau Wilhelmine geb. Jauch, S. 257 Porträt Peter Tschaikowsky von 1888 mit Widmung „an Frau Avé-Lallemant“)
- Charles Fuchs (Hrsg.): Erinnerungen an das dritte Norddeutsche Musik-Fest in Hamburg im July 1841. Hamburg 1841.
- Kurt Hofmann: Theodor Avé-Lallemant. In: Bernhard R. Appel (Hrsg.): Musikhandschriften und Briefe aus dem Familienarchiv Avé-Lallemant. (= Patrimonia. 197). (Hrsg. von der Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit dem) Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck, Berlin 2001.
- Kurt Hofmann: Johannes Brahms in Hamburg. Reinbek 1986.
- Michael Struck: Manuskripte mit Frage- und Ausrufezeichen. Die Clara Wieck zugeschriebenen Werke aus dem Familienarchiv Avé-Lallemant. In: Bernhard R. Appel (Hrsg.): Musikhandschriften und Briefe aus dem Familienarchiv Avé-Lallemant. (= Patrimonia. 197). (Hrsg. von der Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit dem) Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck, Berlin 2001.
- Conrad Nikolaus Lührsen: Die Familie Avé-Lallemant und ihre Töchternachkommen. In: Deutsches Familienarchiv. (DFA) Band 23, Neustadt an der Aisch 1963, S. 205–243.
Siehe auch:
- Luise Avé-Lallemant: Die musikalischen Albumblätter der Luise Avé-Lallemant zu Leipzig. Eine Autographensammlung aus der Leipziger Universitätsbibliothek. Faksimile-Ausgabe anlässlich der Eröffnung des neuen Gewandhauses 1981 mit einem Geleitwort von Kurt Masur. Edition Leipzig, Leipzig 1981. (Bibliophile Ausgabe mit faksimilierten Original-Beiträgen von C. F. Becker, F. David, H. W. Ernst, R. Franz, N. W. Gade, M. Hauptmann, A. F. Hesse, F. Hiller, T. Kullak, F. Mendelssohn Bartholdy, I. Moscheles, C. Reinecke, J. C. F. Schneider, Robert und Clara Schumann u. a.)
Quellen
- Johann Hennings, Wilhelm Stahl: Musikgeschichte Lübecks. 1951, S. 142.
- Vgl. Kurt Hofmann: Brahms in Hamburg, neue Erkenntnisse zu einem alten Thema. Reinbek o. J. (1986). Die seit 1828 bestehende Philharmonische Gesellschaft, eine ausschließlich private Vereinigung, die von Anfang an mit der Hamburger Singakademie zusammenarbeitete, suchte nach 34-jähriger Tätigkeit ihres Leiters Friedr. Wilh. Grund einen Nachfolger. „Hierbei war vor allem die Persönlichkeit entscheidend, denn der eigentliche Typus des Dirigenten wurde erst später durch Hans von Bülow geprägt. Dass Hamburg nicht risikofreudig sein konnte, lag auf der Hand. Es ging schließlich nicht um Talente, sondern um die finanzielle Sicherung der Philharmonischen Konzerte. Künstlerische Experimente lagen außerhalb der Betrachtung.“ (S. 34) Brahms’ Freund und Förderer Theodor Avé-Lallement plante Anfang 1862, für Brahms zunächst den Posten des Leiters der Singakademie zu schaffen, um ihm so allmählich auch Einfluss auf die nachlassende Qualität der Philharmonischen Werke zu verschaffen und Grund zum früheren Rücktritt von seinem Amt zu veranlassen (S. 32). Gebraucht wurde eine Persönlichkeit, die Integration und Anziehungskraft auf das Publikum und die Musiker besaß. „Diese Eigenschaften verkörperte Julius Stockhausen, nicht Johannes Brahms.“ (S. 35) „Brahms war also zu dieser Zeit nicht integrationsfähig und zudem bei den Musikern nicht beliebt.“ (36) – zitiert nach: Klaus Mühlfried: Baukunst als Ausdruck politischer Gesinnung – Martin Haller und sein Wirken in Hamburg. Hamburg 2005, S. 83f, Fn. 345
- Hans-Joachim Hinrichsen: Musikalische Interpretation. Hans von Bülow (= Archiv für Musikwissenschaft. Beiheft 46). Stuttgart o. J., S. 374.
- Stabi beflügelt: Präsentation von Neuerwerbungen für das Brahms-Archiv (14.1.2011), abgerufen am 12. Januar 2011.
- Erinnerungen, S. 412f.
- Symphonie Pathétique, 1935.
- Robert Schumann: Tagebücher. Band II, hrsgg. von Gerd Nauhaus, Leipzig 1987, S. 210.