Synagoge Windecken
Die Synagoge Windecken war bis 1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde in Windecken, heute ein Stadtteil von Nidderau im Main-Kinzig-Kreis in Hessen.
Geschichte
König Rudolf von Habsburg gewährte am 5. August 1288 Ulrich I. von Hanau für Windecken als erstem Ort in dessen Herrschaft Hanau Stadt- und Marktrechte. Windecken nahm bis ins 15. Jahrhundert eine „Hauptstadtfunktion“ für die Herrschaft Hanau ein. Es wird angenommen, dass die erste jüdische Gemeinde in Windecken in dieser Zeit des Aufschwungs entstand. Sie war damals die größte in der Herrschaft Hanau.[1] Über deren Synagoge ist nichts bekannt. Bei einem Pestpogrom 1348/49 wurden die Juden aus Windecken ermordet oder vertrieben.[2]
Ab 1411 sind erneut Juden in Windecken nachgewiesen. 1429 ist eine Synagoge („Judenschule“) bezeugt. 1498 wird eine „neue Synagoge“ genannt, diejenige, die bis 1938 genutzt wurde. Die alte Synagoge wurde 1512 abgebrochen.[3] 1590 wurde die Synagoge – die letzte, die damals in der Grafschaft Hanau-Münzenberg noch gottesdienstlich genutzt wurde[4] – auf Befehl der vormundschaftlichen Regierung (1580–1596) für Graf Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg[Anm. 1] geschlossen, was die Vertreibung der Juden aus der Grafschaft vorbereiten sollte.[5] Unter der eigenständigen Regierung des Grafen Philipp Ludwig II., ab dem Ende des 16. Jahrhunderts, konnte die Synagoge 1603 aber wiedereröffnet werden.
Die Zahl jüdischer Einwohner entwickelte sich spätestens nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem Windecken schwer zerstört wurde, aufwärts. In der Südostecke der Altstadt befand sich das jüdische Quartier. Dort befanden sich auch die Synagoge und ein Schulhaus mit Mikwe.[6] Der Jüdische Friedhof lag westlich, außerhalb der Stadtmauer. Die Zahl jüdischer Einwohner erreichte 1850 mit 192 Einwohnern – das waren 11,2 % der Bevölkerung – einen Höhepunkt. Anschließend sank die Zahl der Bewohner durch Abwanderung in die umliegenden, sich industrialisierenden Städte. 1933 war der Anteil der jüdischen Bevölkerung auf 44 Personen (2,1 % der Gesamtbevölkerung) zurückgegangen. Mindestens 23 von ihnen kamen in der Zeit des Nationalsozialismus ums Leben. 1939 hatte die Verfolgung durch den NS-Staat dazu geführt, dass nur noch sechs jüdische Einwohner in Windecken lebten.[7]
Bauwerk
Gebäude
Die 1481 erbaute[8] spätgotische Synagoge lag in der (heutigen) Synagogenstraße 18. Sie war schon auf Grund ihres Alters ein wertvolles Kulturdenkmal, galt als eine der ältesten erhaltenen Synagogen in Deutschland.[9] Bauliche Details allerdings sind nur spärlich überliefert.[10] Den erhaltenen Zeichnungen nach wurde sie nach ihrer Errichtung noch baulich verändert. So scheinen die Fensterformen, wie sie spätere Bauzeichnungen überliefern, aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg zu stammen.[11] Die Synagoge bot Raum für 66 Männer und 34 Frauen.[12] Der Thoraschrein befand sich in einer Nische der Ostwand des Gebäudes, die nach außen vorgebaut war. An der Westwand des Innenraumes befand sich die Frauenempore. In dem Raum darunter war das Gemeindearchiv untergebracht, das Dokumente und Handschriften enthielt, die ins Mittelalter zurück reichten.[13]
Bis zu ihrer Zerstörung 1938 verfügte die Synagoge über eine reiche Ausstattung historisch wertvoller Kultgeräte: Tora-Schmuck, -Schrein, Vorhänge, Kultdecken und anderes. Bis 1937 wurde an jedem Sabbat Gottesdienst abgehalten.[14]
Zerstörung
Beim Novemberpogrom 1938 versuchten Nazis zunächst am 9. November, die Synagoge anzuzünden. Der Ortspolizist zog sich nach Rücksprache mit der SA zurück. Als die Brandstiftung misslang, versammelten sich am Nachmittag des 10. November 1938 SA und andere Nationalsozialisten vor der Synagoge, schlugen die Fenster ein, stahlen Inventar und verwüsteten den Innenraum. Erneut versuchten sie, Feuer zu legen. Ein Nachbar verhinderte das, worauf die der Mob begann die Synagoge abzureißen. Am nächsten Tag wurde das Gebäude mit Strohballen gefüllt, die mit Benzin übergegossen und in Brand gesteckt wurden. Es brannte die ganze Nacht. Eine große Menschenmenge schaute zu. In den folgenden Tagen wurden die Trümmer beseitigt, das Grundstück planiert und die Kosten der jüdischen Gemeinde auferlegt.[15] Im April 1940 eignete die Stadt sich das Grundstück an und ließ 1943 hier einen Löschwasserteich anliegen.
Gedenken
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft am Landgericht Hanau nach dem Krieg gegen die Brandstifter wurden am 27. Oktober 1945 aus Mangel an Beweisen eingestellt.[16] Der Löschwasserteich war nun überflüssig und das Grundstück, auf dem die Synagoge gestanden hatte, wurde 1950 mit einem Wohnhaus bebaut. Im November 1985 wurde in der Nähe des Standortes der früheren Synagoge eine Gedenktafel angebracht.[Anm. 2] 1986 wurde das Haus aus den 1950er Jahren abgebrochen, wobei Fundamente der Synagoge zum Vorschein kamen. 1988 wurde auf dem Grundstück eine methodistische Kirche erbaut.[17]
Literatur
- Monica Kingreen: Jüdisches Landleben in Windecken, Ostheim und Heldenbergen. Hanau 1994.
- Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrsg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Bd. 1/1. Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt. 1995, S. 219f.
- Ernst Julius Zimmermann: Hanau Stadt und Land. Kulturgeschichte und Chronik einer fränkisch-wetterauischen Stadt und ehemaligen Grafschaft. Nachdruck der 3. erweiterten Auflage, Hanau 1919. LXXXVI, Verlag Peters, Hanau 1978. ISBN 3-87627-243-2
Anmerkungen
- Es handelte sich um die Grafen Johann VI., dem Älteren, von Nassau-Dillenburg (1536–1606), Ludwig I. von Sayn-Wittgenstein (1568–1607) und Philipp V. von Hanau-Lichtenberg (1541–1599).
- Deren Inschrift lautet: Den Toten zum Gedenken – Den Lebenden zur Mahnung. An dieser Stelle standen die im Jahre 1481 erbaute Synagoge, das Judenbad, das Gemeindehaus und die Schule der Juden von Windecken und Ostheim. Die Synagoge - als Museum und Kleinod des hessischen Judentums bezeichnet - wurde am 9. November 1938 niedergebrannt und zerstört. Die jüdische Gemeinde hatte im Ersten Weltkrieg drei Gefallene: Sigmund Jacob, Siegfried Katz und Joseph Wolf. Letzter Vorsitzender der jüdischen Gemeinde war Salli Reichenberg, dem im Ersten Weltkrieg für seinen Militärdienst das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen wurde. In den zwanziger Jahren hatte Windecken 2 jüdische Stadtverordnete: Moritz Müller und Felix Schuster. Durch die nationalsozialistische Diktatur ihrer Existenzgrundlage beraubt, wanderten viele jüdische Mitbürger aus. Nicht alle konnten ihr Leben durch Flucht aus ihrer Heimat retten. Die letzten noch in Windecken verbliebenen jüdischen Mitbürger, darunter Salli Reichenberg, wurden in Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet. Wir trauern um das Leid aller Windecker und Ostheimer Juden. Schalom - Schalom.
Einzelnachweise
- Zimmermann, S. 480.
- Zimmermann, S. 481; Alemannia Judaica.
- Alemannia Judaica; Kingreen, S. 74.
- Zimmermann, S. 501.
- Zu den Einzelheiten: Kingreen, S. 46ff.
- Kingreen, S. 779f.
- Alemannia Judaica.
- So die Gedenktafel am ehemaligen Standort der Synagoge.
- Kingreen, S. 72, 79.
- Vgl. Kingreen, S. 75f.
- Vgl. entsprechende Abbildungen in Alemannia Judaica; Kingreen, S. 77.
- Alemannia Judaica.
- Vgl. Kingreen, S. 76, 79.
- Alemannia Judaica.
- Kingreen, S. 132.
- Kingreen, S. 132.
- Alemannia Judaica.