St. Marien und Andreas (Rathenow)
Die evangelische Stadtkirche St. Marien und Andreas ist eine gotische Backsteinkirche in Rathenow im Landkreis Havelland im Land Brandenburg. Sie gehört zur Kirchengemeinde Rathenow im Kirchenkreis Nauen-Rathenow der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und ist auch als Stadtkirche Rathenow bekannt. Nach schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg ist die Wiederherstellung noch nicht abgeschlossen. Sie kann nach Vereinbarung im Gemeindebüro besichtigt werden.[1]
Geschichte
Baugeschichte
Der spätromanische Vorgängerbau der heutigen Kirche stammt aus dem frühen 13. Jahrhundert und war bereits in Backstein errichtet. Es handelte sich um eine kreuzförmige Pfeilerbasilika mit einem kurzen Schiff, einem vermutlich quadratischen Chor mit Hauptapsis und einem querrechteckigen Westturm. Von diesem Bauwerk sind nur Teile des Querschiffs erhalten. Der Neubau begann in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und umfasste den Hallenumgangschor mit polygonalem Schluss aus sieben Seiten eines Zwölfecks. Zwei Kapellen am geraden Chorjoch entstammen ebenfalls dieser Bauphase. Die Grundrissgeometrie der Choranlage und die Details der Ausbildung sind wahrscheinlich am Vorbild des zur selben Zeit entstandenen Chors der St.-Nikolai-Kirche in Spandau orientiert.[2] In den Jahren 1517 bis 1562 erfolgte nach einer Inschrift am nordwestlichen Portal der Umbau des Langhauses zur spätgotischen Hallenkirche durch den Meister Andreas Lindemann, bei dem die Seitenschiffsmauern in die Flucht der ehemaligen Querhausfassaden gerückt wurden.
Der frühe neugotische Westturm wurde nach einem Entwurf von Carl Wilhelm Redtel in den Jahren 1824 bis 1828 anstelle des ursprünglichen Westbaus erbaut. Ein aufwändigerer Entwurf aus dem Jahr 1821 von Karl Friedrich Schinkel wurde verworfen.
Zerstörung und Wiederaufbau
Am 27. April 1945 brannte die durch Brandgranaten getroffene Kirche mit großen Teilen des Inventars bis auf die Umfassungsmauern aus. Der Turm wurde durch Artilleriebeschuss stark beschädigt. Die Gewölbe des Mittelschiffs, des Chores und der Marienkapelle wurden zerstört. Die Chorpfeiler sind ebenfalls verloren.
Das Langhaus wurde in den Jahren 1950 bis 1959 mit einer Flachdecke über dem Mittelschiff behelfsmäßig instand gesetzt und durch eine Mauer vom Chor abgetrennt. Die westlichen Joche der Seitenschiffsgewölbe wurden abweichend vom ursprünglichen Zustand als Kreuzgewölbe wiederaufgebaut.[3] In den Jahren 1990 bis 1998 wurde der Chor in reduzierter Form wiederhergestellt. Die Mittelschiffsgewölbe wurden 2010, das Gewölbe in der Marienkapelle 2011 wiederaufgebaut.
Das beschädigte Turmobergeschoss musste 1972 abgetragen werden. Im Jahr 2001 wurde der Turm wiederhergestellt. Im Chor sollen künftig die Gewölbe wiederhergestellt werden.[4]
Architektur
Äußeres
Das vierjochige dreischiffige Langhaus ist im Äußeren schlicht mit vierteiligen Fenstern gestaltet, in Nord- und Südwand ist im zweiten Joch von Osten jeweils ein Portal mit flankierenden Kreisblenden angeordnet. Die Stirnseiten des ursprünglichen Querhauses, die mit Kreuzbogenfries und Deutschem Band gegliedert waren, sind im Mauerwerk des ersten Jochs von Osten deutlich zu erkennen. In diesem Joch findet sich je ein rechteckig gerahmtes Stufenportal. Das nördliche ist gedrückt spitzbogig, das südliche rundbogig.
Der Chor wurde im Äußeren weitgehend wiederhergestellt und ist durch ursprünglich dreiteilige Fenster, Strebepfeiler und einen Maßwerkfries unter dem Hauptgesims gegliedert. Die Choraußenwände setzen an den ehemaligen halbkreisförmigen Nebenapsiden des Querhauses an. Diese Nahtstellen werden verdeckt durch zwei Chorwinkelkapellen. Die südliche Andreaskapelle ist ein unregelmäßiges achteckiges Polygon mit einem steilen massiven Pyramidendach und wird als Sakristei verwendet. Die nördliche Marienkapelle ist rechteckig mit einem Halbkreisschluss nach Norden und bildet eine Vorhalle mit einem gestuften Spitzbogenportal. Das Obergeschoss mit reicher Blendenarchitektur zwischen fein profilierten Pfeilern wurde 1907 weitgehend erneuert und besitzt ein ursprünglich ebenfalls massives Kegeldach. Der neugotische, quadratische Westturm zeigt spitzbogige Öffnungen und abgetreppte Eckstrebepfeiler und ein wiederhergestelltes Turmobergeschoss mit Spitzhelm.
Inneres
Das Innere ist eine geräumige Halle mit reich profilierten Arkaden auf Rundpfeilern und dazugehörigen Wandpfeilern, die durch ansteigende Spiralbänder aus glasierten Ziegeln geschmückt sind. Die Längs- und Westwände der Seitenschiffe werden durch segmentbogige Nischen gegliedert. In der ehemaligen Ostwand des Querhauses ist noch der spätromanische Triumphbogen erhalten, der von den Nebenapsiden in den Seitenschiffen flankiert wird. Die Seitenschiffe zeigten ursprünglich in den drei westlichen Jochen Parallelrippengewölbe und im östlichen Joch Sterngewölbe, die Mittelschiffsjoche achtteilige Rippengewölbe mit Scheitelsternen. Im Chor waren ursprünglich Sterngewölbe im Mittelschiff und im Umgang Dreistrahlgewölbe eingezogen. Die Chorpfeiler und -gewölbe sind nicht mehr vorhanden. Die südliche Andreaskapelle ist mit einem Rippengewölbe auf niedrigen Konsolen geschlossen.
Ausstattung
Von der alten Ausstattung wurden der Altar des 19. Jahrhunderts mit Ausnahme des älteren Altargemäldes von Bernhard Rode, die Barockkanzel von 1709, der Orgelprospekt von 1778 und die Renaissanceemporen vernichtet.[3]
Erhalten ist ein dreiteiliger Flügelaltar aus der Zeit um 1380, der zwischen 1922 und 1925 restauriert wurde. Er zeigt im Schrein fünf edel gestaltete und komponierte Schnitzfiguren von Maria und vier weiblichen Heiligen, die als die Virgines capitales gedeutet werden. In den Zwickeln der bekrönenden Wimperge sind Engel gemalt. Auf den Innenseiten der Flügel sind in Temperamalerei sechs Apostel von einem Meister unter böhmischem Einfluss (ähnlich der Predella des Böhmischen Altars im Brandenburger Dom) dargestellt.
Ein großes Ölgemälde mit Christus vor dem Hohen Rat aus der Zeit um 1700 von einem niederdeutschen Maler ist mit einem Gemälde in der Kirche von Stölln vergleichbar. Das bereits erwähnte Altargemälde von Bernhard Rode von 1779 zeigt die Darbringung Christi im Tempel.
Eine besondere Kostbarkeit ist ein spätromanischer vergoldeter Silberkelch, der vermutlich aus einer niedersächsischen Werkstatt stammt. Die gravierten Rundschilde der Kuppa sind thematisch auf die Reliefmedaillons am Fuß bezogen.
Das Epitaph für den Stadtschreiber Andreas Nesen und Ehefrau Anna aus dem Jahr 1571 zeigt ein Tafelbild mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter und der ältesten Rathenower Stadtansicht über einer Inschriftkartusche; auf dem Predellenbild ist die Familie des Verstorbenen beiderseits neben dem Salvator mundi kniend dargestellt.
Eine Bronzeglocke mit Inschriftband wurde um 1400 gegossen. An der Nordwand der Kirche sind vier zusammengehörige Sandsteinepitaphien aus der Mitte des 18. Jahrhunderts mit reichem Rocailleschmuck und Putten erhalten.
Literatur
- Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2000, ISBN 3-422-03054-9, S. 911–913.
- Götz Eckardt (Hrsg.): Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg. Band 1. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1980, S. 170.
- Dirk Schumann (Hrsg.): Rathenow, St.-Marien-Andreas-Kirche. Fotografien Gregor Peda. Passau : Kunstverlag Peda, 2015
Weblinks
Einzelnachweise
- Informationen auf der Website des Förderkreises Alte Kirchen in Brandenburg. Abgerufen am 29. August 2020.
- Ulrike Gentz: Der Hallenumgangschor in der städtischen Backsteinarchitektur Mitteleuropas 1350–1500. Eine kunstgeographisch vergleichende Studie. Lukas Verlag, 2003, ISBN 978-3-931836-75-7, S. 86–91 (Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Götz Eckardt (Hrsg.): Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg. Band 1. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1980, S. 170.
- Informationen zur Stadtkirche Rathenow auf der Website der Gemeinde. Abgerufen am 12. Januar 2018.