St. Johannis (Altona)
Die evangelisch-lutherische Kirche St. Johannis in Hamburg-Altona ist ein neugotischer Kirchenbau von 1873. Sie gehört der Kirchengemeinde Altona-Ost im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland und dient daneben als Kulturkirche.
Geschichte und Beschreibung
Im Zuge der nördlichen Stadterweiterung Altonas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in den neuen Wohngebieten Kirchenbauten benötigt. Sowohl für Hamburg als auch für Altona, das damals noch eine eigenständige und zu Schleswig-Holstein gehörende Stadt war, wurde Johannes Otzen als ausführender Architekt für viele der Neubauten verpflichtet, der mit seinen roten Backsteinkirchen in der Folgezeit ganze Stadtviertel prägte.
Trotz der starken Bevölkerungszunahme gab es jahrhundertelang in Altona neben der Trinitatiskirche nur die Heiliggeistkirche am Armenhaus. Die Gemeinde wünschte sich schon seit langem eine weitere Kirche. 1855, Altona hatte bereits mehr als 40.000 größtenteils evangelisch-lutherische Einwohner, forderte das königliche Ministerium der Herzogtümer Holstein und Lauenburg die Visitatoren der Propstei Altona auf, das Kirchspiel zu teilen. 1862 wurde die Abtrennung des Norderkirchspiels beschlossen.[1] Die Ausführung verzögerte sich bis nach dem Deutsch-dänischen Krieg. 1866 wurde mit Henning Dohrn der erste Pastor bestimmt. 1867 wurde ein Wettbewerb für den Entwurf der neuen Kirche ausgeschrieben, zu dem 33 Pläne eingereicht wurde. Die Kommission entschied sich für den Entwurf von Johannes Otzen, obwohl dieser die vorgegebenen Baukosten deutlich überschritt.[2] Otzens Entwurf entsprach weitgehend dem Eisenacher Regulativ.[3]
1868 begann man endlich mit dem Bau der neuen „Norderkirche“ neben dem Friedhof Norderreihe (heute Wohlerspark) an der Allee (heute Max-Brauer-Allee). Dieses Grundstück hatte die Gemeinde bereits 1831 erstanden.[4] Gebaut wurde eine schlichtere, kostengünstigere Form von Otzens ursprünglichen Entwurf. Am 3. April 1873 wurde die Kirche eingeweiht.
Die neogotische Kirche ist in dem für die Hamburger und Altonaer Kirchenbauten der Gründerzeit typischen gelben, glasierten Backstein als Basilika mit sehr niedrigen und schmalen Seitenschiffen und einer großen, zentralbauartigen Vierung ausgeführt. Das Innere ist vor allem durch die Verwendung von Backstein in verschiedenen Farben gegliedert und bietet Platz für bis zu 600 Menschen. Das ursprüngliche Inventar wurde passend zum Bau entworfen. Die Kirchenfenster und Ausmalung entwarf Michael Welter. Die Bildprogramm stellte die Heilsgeschichte dar.[5] Dem Zeitgeschmack entsprechend war der Gesamteindruck verhältnismäßig düster.
Der schlanke, 83 Meter hohe Turm war im Altonaer Stadtgebiet der höchste Bau. Der gemauerte Turmhelm musste wegen gravierender Baumängel 1885 abgebrochen und erneuert werden.[6] 1909 fand die erste große Renovierung unter Leitung von Otzen statt. Dabei wurde die Malerei erneuert und zum Teil verändert.
Die Johanniskirche war Pfarrkirche der Bevölkerung, aber auch Garnisonskirche. Während des „Dritten Reichs“ sammelten sich hier die Deutschen Christen,[7] weil der 1933 eingesetzte Pastor und Altonaer Propst Peter Schütt ein überzeugter Nazi war. Obwohl er Juden und Zeugen Jehovas denunzierte, blieb er bis 1946 an der Johanniskirche. Durch seinen Wechsel nach Bargteheide konnte er der Entnazifizierung entgehen.[8] Im Zweiten Weltkrieg erlitt die Kirche Schäden. Die Glasfenster wurden komplett zerstört. Reparaturen in den Nachkriegsjahren führten zu einer nüchternen Umgestaltung im Inneren. Diese Veränderungen wurden später größtenteils rückgängig gemacht und die Kirche erscheint heute wieder backsteinsichtig wie zu ihrer Erbauungszeit. Die Sanierungsarbeiten und der Umbau zur Kulturkirche erfolgte 1993 bis 1998 unter Leitung des Architekten Joachim Reinig. Die Ausmalung von 1909 wurde teilweise wieder freigelegt. Die alten Kirchenfenster wurden nicht wiederhergestellt; die heutigen modernen Fenster von 1997 gestaltete die aus Südkorea stammende Hamburger Künstlerin Eun Nim Ro.
Während der Bauarbeiten wurden am 21. August 1994 Turm, Kirchenschiff und Orgel durch Brandstiftung eines Schülers schwer beschädigt, bzw. zerstört. Die gemeinsame Arbeit von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Religionen nach der Brandstiftung schuf Impulse für ein weit gefasstes, neues Verständnis der Gemeinde für die zukünftige Nutzung ihrer Kirche: Sie entschloss sich zur dualen Nutzung des Gebäudes. Die Kirche blieb weiterhin ein Ort des Gottesdienstes, der Kirchenmusik und anderer Gemeindeveranstaltungen der Kirchengemeinde. Die neu gegründete Kulturkirche Altona GmbH vermietet seitdem das Gebäude der Johanniskirche als Kooperationspartner der Kirchengemeinde auch für kulturelle und kommerzielle Veranstaltungen, wie z. B. Konzerte, Lesungen, private Feiern, Fotoaufnahmen und Dreharbeiten. Über diese Vermietung werden Einnahmen erzielt, die zum Unterhalt des Gebäudes beitragen und für Entlastung im Gemeindeetat sorgen bzw. so finanziellen Raum für soziale und karitative Gemeindeprojekte belassen.
Seit Januar 2011 führt die Kulturkirche Altona GmbH auch eigene Veranstaltungen (Klassik, Jazz, Weltmusik, Lesungen) in der Kirche durch. Gewinne werden an eine Stiftung abgeführt. Diese hilft bedürftigen und obdachlosen Menschen bei der Suche und Versorgung mit Wohnraum.
Im Wohnbereich der Gemeinde St. Johannis leben 12.000 Menschen; etwa 3.300 gehören zur Gemeinde. Die Kirche ist an Sonntagen auch nach dem Gottesdienst für Besucher geöffnet. Seit 2007 gehört die Gemeinde St. Johannis, neben der Christophorus-Kirche und der Friedenskirche, zur neuen Gemeinde Altona-Ost.
Orgel
Die neue Orgel wurde 1998 eingeweiht. Das dreimanualige Instrument wurde von der schweizerischen Firma Th. Kuhn im französisch-symphonischen Stil von Cavaillé-Coll gebaut. Die Orgel ist deshalb eine Besonderheit in der Hamburger Orgellandschaft und wird gern für Konzerte genutzt. Das Instrument verfügt über 48 Register auf Schleifladen. Die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch.[9]
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- Koppeln:
- Normalkoppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P
- Superoktavkoppel: III/P
- Suboktavkoppel: III/I
- Spielhilfen: 256-fache Setzeranlage
Kriegerdenkmal
St. Johannis war die Garnisonskirche des nach dem Ersten Weltkrieg aufgelösten Infanterie-Regiments „Graf Bose“ (1. Thüringisches) Nr. 31. Für die Gefallenen wurde auf dem Vorplatz ein Denkmal aufgestellt und am 4. Oktober 1925 eingeweiht: eine 8,5 Meter hohe Stele der Architekten Esselmann & Gerntke aus Backstein und farbig glasierten Terrakotten im Stil des Hamburger Backsteinexpressionismus und heldenhaft dargestellten Kriegerskulpturen des Bildhauers August Henneberger; die Bauausführung oblag John Kriegeris. Die Widmungsinschrift
„Den Gefallenen zum dankbaren Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung, den kommenden Geschlechtern zur Nacheiferung“[10]
folgt – wie bei zahllosen Kriegerdenkmälern des 19. und 20. Jahrhunderts – derjenigen des Nationaldenkmals auf dem Berliner Kreuzberg.[11]
1996 wurde die Stele durch die Kirchengemeinde St. Johannis in Zusammenarbeit mit einem studentischen Projekt des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg um ein Gegendenkmal erweitert. Es besteht aus drei großen, gläsernen Tafeln des Altonaer Künstlers Rainer Tiedje, die ausgemergelte, leidende Gestalten zeigen. Eine zerbrochene Tafel wurde 2009 von der schleswig-holsteinischen Künstlerin Wiebke Logemann ersetzt.[12] Dem Monument wurde so ein neuer Inhalt verliehen.[13]
Literatur
- F. Grundmann, T. Helms: Wenn Steine predigen – Hamburgs Kirchen vom Mittelalter zur Gegenwart. Medien Verlag Schubert, Hamburg 1993, ISBN 978-3-929229-14-1
- Andreas von Rauch, Ulrike Wendland: Die Kirche St. Johannis in Hamburg-Altona. Ein evangelisch-lutherischer Kirchenbau des 19. Jahrhunderts. Schriftenreihe Denkmalpflege der Kulturbehörde Hamburg, 1995; gemeinde-altona-ost.de (PDF; 8,8 MB); abgerufen am 25. November 2018.
- Kulturkirche Hamburg GmbH (Hrsg.) unter Mitarbeit von Jürgen Franzke, Ulrich Hentschel, Joachim Reinig, Ilse Rüttgerodt-Riechmann: „… auf dass mein Haus voll werde“ Kulturkirche St.Johannis in Hamburg-Altona. Kirche öffnen – Profil gestalten. Lutherische Verlagsgesellschaft, Kiel 2012, ISBN 978-3-87503-153-9
Weblinks
Einzelnachweise
- Andreas von Rauch, Ulrike Wendland: Die Kirche St. Johannis in Hamburg-Altona. Ein evangelisch-lutherischer Kirchenbau des 19. Jahrhunderts, Schriftenreihe Denkmalpflege der Kulturbehörde Hamburg, 1995, S. 12
- Andreas von Rauch, Ulrike Wendland: Die Kirche St. Johannis in Hamburg-Altona. Ein evangelisch-lutherischer Kirchenbau des 19. Jahrhunderts, Schriftenreihe Denkmalpflege der Kulturbehörde Hamburg, 1995, S. 15
- Andreas von Rauch, Ulrike Wendland: Die Kirche St. Johannis in Hamburg-Altona. Ein evangelisch-lutherischer Kirchenbau des 19. Jahrhunderts, Schriftenreihe Denkmalpflege der Kulturbehörde Hamburg, 1995, S. 50f
- Andreas von Rauch, Ulrike Wendland: Die Kirche St. Johannis in Hamburg-Altona. Ein evangelisch-lutherischer Kirchenbau des 19. Jahrhunderts, Schriftenreihe Denkmalpflege der Kulturbehörde Hamburg, 1995, S. 13f
- Andreas von Rauch, Ulrike Wendland: Die Kirche St. Johannis in Hamburg-Altona. Ein evangelisch-lutherischer Kirchenbau des 19. Jahrhunderts, Schriftenreihe Denkmalpflege der Kulturbehörde Hamburg, 1995, S. 32
- Andreas von Rauch, Ulrike Wendland: Die Kirche St. Johannis in Hamburg-Altona. Ein evangelisch-lutherischer Kirchenbau des 19. Jahrhunderts. In: Schriftenreihe Denkmalpflege der Kulturbehörde Hamburg, 1995, S. 32
- Geschichte der Johanniskirche
- Benjamin Hein: Peter Schütt.
- Immo Wesnigk, Hartmut Imbt, Lüder Schmidt, Friedrich Jakob, Hans-Peter Keller, Wolfgang Zerer, Fulbert Steffensky: Die Kuhn-Orgel in der St. Johanniskirche Altona. Festschrift. Hamburg-Altona 1998.
- Kriegerdenkmal St. Johannis Altona. Denkmalprojekt.org
- Die dortige Inschrift hatte August Boeckh verfasst: „Den Gefallenen zum Gedächtnis, den Lebenden zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung“. Kathrin Chod: Nationaldenkmal auf dem Kreuzberg. In: Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke (Hrsg.): Berliner Bezirkslexikon, Friedrichshain-Kreuzberg. Luisenstädtischer Bildungsverein. Haude und Spener / Edition Luisenstadt, Berlin 2002, ISBN 3-89542-122-7 (luise-berlin.de – Stand 7. Oktober 2009). parlament-berlin.de (Memento des Originals vom 11. März 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- einbildweiter (Memento des Originals vom 5. November 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. abgerufen am 9. März 2011
- Wegweiser zu Stätten der Erinnerung an die Jahre 1933 bis 1945 (Memento des Originals vom 2. März 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. aktualisierte zweite Auflage 2008; abgerufen am 15. Oktober 2010