Sexus (Sprache)
Der Sexus [ˈzɛksʊs] (lateinisch sexus „Geschlecht“) ist eine Kategorie der Sprachwissenschaft für das biologische Geschlecht. Der Sexus von Menschen und Tieren kann in vielen Sprachen durch ein entsprechendes grammatisches Geschlecht (Genus) und spezifische Morpheme markiert werden. Der Begriff Sexus ist nicht auf Wörter anwendbar, die sich nicht auf Lebewesen beziehen (z. B. ist das Wort „Tisch“ im Deutschen grammatisch maskulin, aber Tische sind nicht „männlich“). Das Genus von Wörtern dient dagegen der Einteilung von Wörtern in grammatische Klassen (in Genera), die eine Sprache für alle Substantive erfordert.
Komplikationen entstehen bei Bezeichnungen für Menschen und Tiere dadurch, dass es auch Oberbegriffe gibt, die sich auf männliche und weibliche Menschen oder Tiere beziehen. So kann das Wort „die Katze“ Kater einbeziehen (Oberbegriff), sich aber auch ausschließlich auf weibliche Katzen beziehen. Oberbegriffe gelten als sexusunmarkiert. Man spricht hier auch von generischen Formen, die daran erkennbar sind, dass das jeweils „falsche“ biologische Geschlecht semantisch mit einbezogen ist.
Für die Vertreter des „falschen“ Sexus gibt es in der Regel eigene Wörter, die zumeist durch Motion aus dem unmarkierten Oberbegriff ableitbar sind (Beispiel: durch das Suffix „-in“ werden in dem Wort „Lehrerin“ weibliche Lehrkräfte semantisch markiert, durch das Suffix „-rich“ männliche Tiere, z. B. in dem Wort „Enterich“).
Weitere Beispiele
Die Wörter „Hase“ oder „Gans“ sind im Deutschen nicht sexusmarkiert. Wenn also von einem „Hasen“ oder einer „Gans“ gesprochen wird, bleibt meistens offen, ob es sich um ein männliches oder ein weibliches Tier handelt; dagegen sind die Wörter „Häsin“ oder „Gänserich“ eindeutig sexusmarkiert durch die Motionssuffixe „(Häs)-in“ beziehungsweise „(Gäns)-erich“. Wird von einem „Ganter“ gesprochen, wird der Oberbegriff durch ein anderes Wort ersetzt (Suppletion) (wenn auch der Bezug zu dem Grundwort „Gans“ im konkreten Fall erkennbar bleibt). „Herr“ ist ein Wort, das sich semantisch auf Männer bezieht, mit dem Motionssuffix „-in“ kann es auf Frauen bezogen werden, da das Wort „Herr“ in seiner Grundbedeutung keine bloß stilistische Abwandlung des Wortes „Mann“ darstellt, sondern sich auf jemanden bezieht, der über Herrschaftsgewalt verfügt.
Viele Sprachen haben zumindest für manche Sexus eigene Wörter, um insbesondere bei Begriffen für Menschen und andere Tiere deren Bedeutungsinhalt gepaart mit einer Sexusangabe auszudrücken. So markiert das vermöge Movierung gebildete Wort Schauspielerin den weiblichen Sexus, und so steht dem acteur im Französischen die actrice gegenüber. In der englischen Sprache sind die meisten Wörter unmarkiert, da englische Substantive keine Genera besitzen. Aber auch im Englischen kann man eine Schauspielerin spezifisch als actress bezeichnen. Umstritten ist allerdings, inwieweit Wörter wie Schauspieler oder englisch actor den männlichen Sexus markieren. Jacob Grimm und die Feministische Linguistik bejahen dies.[1]
Sexus-neutrale Sprache
In der Sprachwissenschaft ist umstritten, ob eine Gleichsetzung von Sexus und Genus besteht und diese auf gesellschaftlichen Vorstellungen beruht – oder diese beeinflussen kann.[2] Von Seiten der Feministischen Linguistik wird gefordert, dass Personenbezeichnungen entweder beide Geschlechter „sprachlich sichtbar machen“ („Lehrerinnen und Lehrer… LehrerInnen… Lehrer_innen“) oder „geschlechtsneutral“ bleiben, ohne eine Geschlechtlichkeit anzudeuten („Lehrkräfte… Lehrpersonen… Lehrende“). Einzelne Schreibweisen wie Binnen-I oder Gender-Gap bleiben in der öffentlichen Diskussion umstritten, ebenso das Gendersternchen, das ausdrücklich auch nichtbinäre Personen einschließt (vergleiche Divers, Drittes Geschlecht).
Im November 2018 analysiert der Rat für deutsche Rechtschreibung die Vorkommen auch dieser drei Schreibweisen in Textsorten und dazu bestehende Leitlinien, gibt aber selber keine Empfehlung. Diese Formen wären von den amtlichen Regeln der Groß- und Kleinschreibung nicht abgedeckt. Zum Gendersternchen merkt der Rat an: „Mit der Frequenzsteigerung des Asterisks geht im Gegenzug die geschlechtergerechte Schreibung mit Paarformen zurück.“[3]
Siehe auch
- generisches Maskulinum/generisches Femininum (männliche/weibliche Wortform verallgemeinernd für alle Geschlechter gebraucht)
- constructio ad sensum (syntaktische Konstruktion nach dem Sinn)
Literatur
- Brigitte Scheele, Eva Gauler: Wählen Wissenschaftler ihre Probleme anders aus als WissenschaftlerInnen? Das Genus-Sexus-Problem als paradigmatischer Fall der linguistischen Relativitätsthese. In: Sprache & Kognition. Band 12, Nr. 2, 1993, S. 59–72 (Abstract).
- Ewa Trutkowski: Wie generisch ist das generische Maskulinum? Über Genus und Sexus im Deutschen. In: ZAS Papers in Linguistics. Band 59: Im Mittelpunkt Deutsch, Januar 2018, S. 83–96 (doi:10.21248/zaspil.59.2018.437).
- Martina Werner: Genus ist nicht Sexus. Warum zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht zu unterscheiden ist. (2006). In: Antje Baumann, André Meinunger (Hrsg.): Die Teufelin steckt im Detail: Zur Debatte um Gender und Sprache. Kadmos, Berlin 2017, ISBN 978-3-86599-287-1, S. 260–278.
Weblinks
- Gabriele Diewald, Damaris Nübling: Genus und Sexus: Es ist kompliziert. In: Neue Zürcher Zeitung. 17. Dezember 2020.
Einzelnachweise
- Martina Werner: Zur Verwendung geschlechtergerechter Sprache – die grammatische Kategorie Genus. Handreichung für die Frauenbeauftragte der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2007 (PDF: 84 kB, 14 Seiten auf frauenbeauftragte.uni-muenchen.de (Memento vom 29. November 2010 im Internet Archive)).
- Robert J. Pittner, Karin Pittner (Hrsg.): Beiträge zu Sprache und Sprachen. 2. Vorträge der 5. Münchner Linguistik-Tage 1995. Lincom Europa, München 1995, S. 153.
- Rat für deutsche Rechtschreibung (RdR): Bericht und Vorschläge der AG „Geschlechtergerechte Schreibung“ zur Sitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung am 16.11.2018 – Revidierte Fassung… Mannheim, 16. November 2018, S. 9–11 (PDF: 455 kB, 11 Seiten auf rechtschreibrat.com).