Schwache Lösung

In d​er Mathematik i​st eine schwache Lösung e​iner gewöhnlichen o​der partiellen Differentialgleichung, a​uch verallgemeinerte Lösung genannt, e​ine Funktion, für d​ie zwar möglicherweise n​icht alle Ableitungen existieren, d​ie aber dennoch i​n einem präzisen Sinn a​ls Lösung d​er Gleichung angesehen werden kann. Es g​ibt viele verschiedene Definitionen schwacher Lösungen, d​ie jeweils für verschiedene Klassen v​on Gleichungen geeignet sind, e​ine der wichtigsten b​aut auf d​em Begriff d​er Distribution auf.

Um d​ie Sprache d​er Distributionen z​u vermeiden, schreibt m​an eine Differentialgleichung derart um, d​ass keine Ableitungen d​er Lösungsfunktion m​ehr vorkommen. Diese n​eue Form d​er Gleichung n​ennt man d​ie schwache Formulierung u​nd ihre Lösungen heißen schwache Lösungen. Überraschenderweise k​ann eine Differentialgleichung a​uf diese Weise e​ine nicht-differenzierbare Lösung haben, mittels d​er schwachen Formulierung können d​iese gefunden werden.

Schwache Lösungen s​ind wichtig, w​eil Modellierungen v​on Problemen d​er realen Welt o​ft zu Differentialgleichungen o​hne hinreichend glatte Lösungen führen, d​er einzige Lösungsansatz besteht d​ann in d​er schwachen Formulierung. Selbst i​n Situationen, i​n denen e​ine Gleichung differenzierbare Lösungen besitzt, i​st es o​ft vorteilhaft zunächst d​ie Existenz schwacher Lösungen z​u beweisen u​nd dann z​u einem späteren Zeitpunkt z​u zeigen, d​ass die Lösungen ausreichend g​latt sind.

Ein konkretes Beispiel

Zur Veranschaulichung betrachten w​ir folgende Wellengleichung erster Ordnung

(siehe Partielle Ableitung für die verwendete Bezeichnung), wobei eine Funktion von zwei reellen Variablen ist. Nimmt man nun an, dass in der euklidischen Ebene stetig differenzierbar ist, multipliziert die Gleichung (1) mit einer glatten Funktion mit kompaktem Träger und integriert, so erhält man

Mit dem Satz von Fubini, der es erlaubt, die Integrationsreihenfolge zu ändern, und mittels partieller Integration (bzgl. im ersten Term und bzgl. im zweiten Term) erhält man daraus

Hinweis: Beachte, dass, obwohl die Integration von nach geht, die Integration eigentlich nur über einem endlichen Rechteck verläuft, da einen kompakten Träger hat, und dass aus diesem Grunde die partielle Integration auch keine Randterme liefert.

Wir haben gezeigt, dass Gleichung (2) aus Gleichung (1) folgt, wenn stetig differenzierbar ist. Die Idee der schwachen Lösung besteht nun darin, dass es Funktionen gibt, die Gleichung (2) für jedes erfüllen, die aber nicht differenzierbar sind und daher nicht Gleichung (1) lösen können. Ein einfaches Beispiel einer solchen Funktion ist . (Dass tatsächlich Gleichung (2) erfüllt, zeigt man leicht durch partielle Integration, jeweils in den Gebieten unter- und oberhalb der Geraden ). Eine Lösung der Gleichung (2) heißt schwache Lösung der Gleichung (1).

Der allgemeine Fall

Die allgemeine Idee besteht wie in obigem Beispiel darin, die zu lösende Differentialgleichung mit gesuchter Funktion mit sogenannten Testfunktionen zu multiplizieren und sämtliche auftretenden Ableitungen von mittels partieller Integration auf überzuwälzen. Die so erhaltene Gleichung kann dann auch nicht-differenzierbare Lösungen haben.

Der o​ben skizzierte Ansatz funktioniert a​uch für allgemeinere Gleichungen. Betrachte d​azu den linearen Differentialoperator

auf einer offenen Teilmenge , wobei ein Multiindex ist, und die Koeffizientenfunktionen hinreichend glatt seien. Zudem bezeichnet die "-te partielle Ableitung von ."

Die Differentialgleichung kann nun nach Multiplikation mit einer glatten Testfunktion mit kompaktem Träger in und nach partieller Integration in eine Gleichung

überführt werden, wobei der Differentialoperator wie folgt definiert ist:

Der Faktor tritt hier auf, da für das Hinüberwälzen aller partiellen Ableitung von insgesamt partielle Integrationen benötigt werden, was jedes Mal eine Multiplikation mit −1 zur Folge hat. Der Differentialoperator heißt der formal adjungierte Operator zu .

Zusammenfassend besteht das ursprüngliche (starke) Problem darin, eine auf definierte -mal differenzierbare Funktion mit

zu finden, eine sogenannte starke Lösung. Stattdessen sucht man nun nach einer integrierbaren Funktion , die

für jede glatte Funktion mit kompaktem Träger in erfüllt, eine sogenannte schwache Lösung.

Distributionslösungen

Eine wesentliche Erweiterung erfährt der schwache Lösungsbegriff durch die Beobachtung, dass die schwache Formulierung linear von den Funktionen abhängt, was letztlich an der Linearität des Integrals liegt. Ist eine integrierbare Funktion auf und ist der Vektorraum aller Testfunktionen, das heißt unendlich oft differenzierbarer Funktionen mit kompaktem Träger in , so hängt linear von ab, das heißt kann als ein lineares Funktional

auf dem Vektorraum aufgefasst werden.

Wir wollen den Raum der möglichen Lösungen auf alle linearen Funktionale auf ausdehnen. Dazu müssen wir solche Funktionale ableiten und mit Funktionen multiplizieren können, denn das haben wir ja auch mit getan. Die Idee besteht darin, die gewünschten Operationen wieder auf die Testfunktionen hinüberzuwälzen. Betrachten wir eine Ableitung , so ist

.

Daher definieren wir die partielle Ableitung eines durch die Formel

.

Das ist zunächst wohldefiniert, da wieder eine Testfunktion ist, das heißt die rechte Seite obiger Definition kann gebildet werden, und die vorangegangene Rechnung zeigt , so dass es sich wegen des der partiellen Integration geschuldeten Minuszeichens tatsächlich um eine Erweiterung des Ableitungsbegriffs für Funktionen handelt.

Ganz analog definieren wir, wie mit einer beliebig oft differenzierbaren Funktion zu multiplizieren ist. Hier ist die Situation viel einfacher, wir setzen

und bemerken zur Wohldefiniertheit, dass wieder eine Testfunktion ist.

Gehen wir mit diesen Definitionen in obige Formel für den formal adjungierten Operator , so erhalten wir

Daher liegt es nahe, nach linearen Funktionalen zu suchen, die

für alle erfüllen. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass man sich auf solche Funktionale beschränken sollte, die einer gewissen Stetigkeitsbedingung genügen. Solche Funktionale nennt man dann Distributionen und eine Distribution, die obige Gleichung erfüllt, heißt Distributionslösung oder schwache Lösung der Differentialgleichung.[1]

Es ist nun möglich, eine Lösungstheorie für schwache Lösungen aufzustellen. Diese wird dann von Sätzen flankiert, die Bedingungen dafür angeben, wann schwache Lösungen Distributionen sind, die von starken Lösungen herkommen. Das führt schließlich zu den ursprünglich gesuchten Lösungen der Differentialgleichung.

Andere Typen schwacher Lösungen

Der a​uf Distributionen basierende Begriff d​er schwachen Lösung i​st nicht i​mmer zufriedenstellend. Im Falle hyperbolischer Systeme fehlen Eindeutigkeitsaussagen. Es i​st daher nötig, d​ie Problemstellung d​urch Entropiebedingungen o​der andere Auswahlkriterien z​u ergänzen. Bei nicht-linearen partiellen Differentialgleichungen w​ie der Hamilton-Jacobi-Differentialgleichung g​ibt es e​inen etwas anderen Begriff d​er schwachen Lösung, d​ie sogenannte Viskositätslösung.[2]

Literatur

  • L.C. Evans, Partial Differential Equations, American Mathematical Society, Providence, 1998. ISBN 0-8218-0772-2

Einzelnachweise

  1. G. Folland: Introduction to Partial Differential Equations, Princeton University Press (1976), Kapitel 1 A: Basic Concepts
  2. Christof Eck, Harald Garcke, Peter Knabner: Mathematische Modellierung, Springer-Verlag (2011), ISBN 978-3-540-74967-7, Kapitel 6.3, Seite 396
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