Schrittgeschwindigkeit
Unter Schrittgeschwindigkeit (umgangssprachlich auch Schritttempo) versteht man in der deutschen wie in der österreichischen Straßenverkehrsordnung eine relativ niedrige Geschwindigkeit, die nur so schnell ist, wie ein Fußgänger gehen kann.
Versuche der Festlegung der Schrittgeschwindigkeit
Schrittgeschwindigkeit ist die Geschwindigkeit, die im „Schritt“ üblicherweise erreicht werden kann, also bei der Gangart, bei der zu jedem Zeitpunkt der Boden von mindestens einem Bein (bei Zweibeinern) bzw. drei Beinen (bei Vierbeinern) berührt wird. Die Schrittgeschwindigkeit hängt demnach von der Schrittlänge und -frequenz des jeweiligen Lebewesens ab.
Beim Militär gilt – je nach Land – als schneller Marsch ein Marschtempo zwischen 100 und 120 Schritten/min bei einer Schrittlänge von 75 cm bis 100 cm, was 4,5 km/h bis 7,2 km/h entspricht. Ein solcher schneller Marsch dürfte kaum mit einer normalen Schrittgeschwindigkeit eines gewöhnlichen Fußgängers vergleichbar sein.
Neben Quellen aus der hoch spezialisierten Fachrichtung der Unfallrekonstruktion wurden sowohl themenverwandte als auch alternative Datenquellen in einer Studie über das Bewegungsverhalten von Fußgängern im Straßenverkehr untersucht. Nach Auswertungen von Eberhardt und Himbert, auf denen zahlreiche andere Studien aufbauen, bewegt sich die Geschwindigkeit beim Gehen eines gesunden, unbehinderten Erwachsenen unter Normalbedingungen (Straße ohne Steigung, kein Gegen- oder Seitenwind, normaler Fahrbahnbelag, Altersklasse zwischen 20 Jahren und 65 Jahren, männlich/weiblich, ohne Gepäck etc.) zwischen 1,35 m/s und 1,65 m/s (4,86 km/h bis 5,94 km/h), wobei die Messungen auf einer Strecke von nur 10 m Länge durchgeführt worden sind.[1] Es ist zu bezweifeln, dass diese sehr kurzen Geschwindigkeitsmessungen auf längere Wegstrecken übertragbar sind. Die Schrittgeschwindigkeit dürfte im Durchschnitt niedriger liegen.
Definition im Straßenverkehr
Die Schrittgeschwindigkeit für den Straßenverkehr ist nicht als fester Wert definiert. Sie liegt nach verschiedenen Urteilen der Oberlandesgerichte Brandenburg (Az. 1 Ss (OWi) 86 B/05), Köln (Az. VRS 68, 382) und Karlsruhe (1 Ss 159/03) bei maximal 7 km/h. Der österreichische Oberste Gerichtshof setzte „Schrittgeschwindigkeit“ für Fahrzeuge mit 5 km/h an.[2]
Abweichend davon gab es Urteile und Kommentare wie beispielsweise das des Oberlandesgerichtes Hamm, das von 10 km/h ausging,[3] das Amtsgericht Leipzig, das von 15 km/h Schrittgeschwindigkeit ausging (Az.: 215 OWi 500 Js 83213/04) oder Hentschel, der bemerkte, dass diese niedrigen Werte [4 und 10 km/h] „mittels Tacho gar nicht zuverlässig meßbar wären“, und unter Schrittgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit (im Straßenverkehr) zu verstehen sei, die jedenfalls deutlich unter 20 km/h läge.[4] Die Führerschein-Prüfungsrichtlinie bewertet unter Punkt 1.5.2. das Vorbeifahren an Schul- und Linienbussen, die mit Warnblinklicht an Haltestellen halten, mit „mehr als Schrittgeschwindigkeit aber nicht mehr als 20 km/h“, als Wiederholungsfehler.[5]
Das Unionsrecht definiert Schrittgeschwindigkeit als eine Geschwindigkeit von maximal 10 km/h.[6]
In den Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA) wird für die Berechnung der Räumzeit für Fußgänger an durch Lichtsignalanlagen signalisierten Knotenpunkten (Straßenkreuzungen) eine Räumgeschwindigkeit von 1,2 m/s (4,3 km/h) mit einer Schwankungsbreite von 1,0 bis 1,5 m/s (3,6 km/h bis 5,4 km/h) angenommen. In Österreich wird für die Ampelräumzeit der Fußgängerübergänge ein Wert von 1 m/s (3,6 km/h) verlangt.[7] In der Schweiz geht man von 1,2 m/s (4,3 km/h) aus. In den Niederlanden wird für langsam räumende Fußgänger ein Wert von 0,8 m/s (2,9 km/h) in Ansatz gebracht, der zur Ermittlung der Mindestgrünzeit herangezogen wird. Für schnelle Fußgänger wird mit 1,2 m/s gerechnet.[8]
Der Begriff stammt aus der Zeit der Pferdekutschen. So ist z. B. in § 34 Droschkenfuhrreglement für Berlin[9] festgelegt, dass der Kutscher bei unbesetzter Droschke (d. h. bei Leerfahrten) „stets im Schritt fahren“ muss; lediglich bei Fahrten außerhalb der Ringmauer dürfen leere Wagen „auch im Trabe fahren“. Sobald Fahrgäste in der Kutsche waren, durfte auch innerhalb der Ringmauer getrabt werden, sofern nicht ein Schild „Stets Schritt fahren“ etwas anderes gebot.
Straßenverkehrsvorschriften
In Deutschland ist im öffentlichen Straßenverkehr Schrittgeschwindigkeit in bestimmten Situationen vorgeschrieben, in anderen resultieren aus ihr bestimmte Vorschriften.
Sie ist die Höchstgeschwindigkeit für die Vorbeifahrt an auf derselben Fahrbahn haltenden Linien- und Schulbussen, die an der Haltestelle das Warnblinklicht eingeschaltet haben, unabhängig von der Fahrtrichtung.[10] An öffentlichen Verkehrsmitteln darf während des Fahrgastwechsels rechts – in Österreich auf der Seite, auf der er stattfindet –[11] nur mit Schrittgeschwindigkeit vorbeigefahren werden.[12]
Sie ist ebenso Höchstgeschwindigkeit im verkehrsberuhigten Bereich (§ 42 StVO, Zeichen 325.1). Benutzt Fahrverkehr Gehwege (§ 41 StVO, Zeichen 239) oder Fußgängerzonen (§ 41 StVO, Zeichen 242.1), beispielsweise bei Freigabe durch das Zusatzzeichen 1022-10 „Radverkehr frei“ , darf dieser höchstens mit Schrittgeschwindigkeit fahren.
Gemäß § 11 Abs. 2 ist bis zu einem Verkehrsfluss in Schrittgeschwindigkeit auf Autobahnen sowie auf Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung eine Rettungsgasse zu bilden, bei höherer Geschwindigkeit jedoch nicht mehr.
Laut § 21a Abs. 1 Nr. 3 braucht bei Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit wie Rückwärtsfahren und Fahrten auf Parkplätzen kein Sicherheitsgurt angelegt zu werden.
Schienenbahnen
Die deutsche Fahrdienstvorschrift für nichtbundeseigene Eisenbahnen definiert die Schrittgeschwindigkeit mit 5 km/h.[13]
Durch Menschenkraft, sonstige Tiere, straßenfahrbare Geräte und Kraftfahrzeuge dürfen Schienenfahrzeuge höchstens mit Schrittgeschwindigkeit verschoben werden.[14]
Bei der Sicherung von Bahnübergängen durch den Triebfahrzeugführer oder Posten, sowie bei defekter Pfeifeinrichtung an Bahnübergängen, vor denen zu pfeifen ist,[15] darf der Bahnübergang, bis das erste Fahrzeug die Straßenmitte erreicht hat, nur mit Schrittgeschwindigkeit befahren werden.[16][17]
Wurde durch eine Heißläuferortungsanlage ein Heißläufer an einem Zug erkannt und dieser am Einfahrsignal eines Bahnhofs angehalten, darf er höchstens mit Schrittgeschwindigkeit in den Bahnhof einfahren, wenn er dort (statt direkt am Einfahrsignal) untersucht werden soll.[18]
Gestörte Rückfallweichen dürfen gegen die Spitze höchstens mit Schrittgeschwindigkeit befahren werden.[19]
In vielen Werkshallen von Eisenbahnen dürfen Schienenfahrzeuge höchstens mit Schrittgeschwindigkeit fahren, wobei ergänzend meist 5 km/h, teils auch 7 km/h oder 3 km/h, als Höchstgeschwindigkeit vorgeschrieben ist.
Bei manchen Eisenbahnverkehrsunternehmen ist als Verschärfung der bei allen Unternehmen geltenden Vorschriften vorgeschrieben, bei „unsichtigem Wetter“ beim Fahren auf Sicht höchstens mit Schrittgeschwindigkeit zu fahren.[20]
Siehe auch
Literatur
- Was ist Schrittgeschwindigkeit? Zeitschrift für Schadensrecht, 03/2018, Seite 126–130.
- Hentschel/König/Dauer: Straßenverkehrsrecht. 45. Auflage, zu § 42 StVO, Randnummer 181, München 2019, ISBN 978 3 406 72437 4.
Weblinks
Einzelnachweise
- Bettina Bartels, Christian T. Erbsmehl: Bewegungsverhalten von Fußgängern im Straßenverkehr, FAT-Schriftenreihe 267, Forschungsvereinigung Automobiltechnik. Abgerufen am 2. August 2017.
- OGH-Entscheidung 23. März 2007, Geschäftszahl 2Ob262/05a
- so OLG Hamm VRS 6, 222
- Peter Hentschel: Straßenverkehrsrecht. 38. Auflage. C.H.Beck Verlag, München 2005, ISBN 978-3-406-52996-2, S. 873.
- Prüfungsrichtlinie
- Verordnung Nr. 2658/87, Erläuterung, ABl 2005, C 1, Seite 3
- Es leuchtet Rot! ab5zig, Wiener Seniorenbund. Abgerufen am 4. August 2017
- Verbesserung der Bedingungen für Fußgänger an Lichtsignalanlagen, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrstechnik Heft V217, November 2012, S. 11–18. Abgerufen am 4. August 2017.
- F. H. Sydow (Hrsg.): Die Preussischen Polizei-Strafgesetze unter Einfügung der für den Regierungsbezirk Potsdam und die Stadt Berlin erlassenen Spezialverordnungen. Titel III., Seite 95. Berlin 1851.
- § 20 Abs. 4 StVO (DE)
- § 17 Abs. 2 StVO (AT)
- § 20 Abs. 2 StVO (DE)
- §45 Absatz 4 Nummer h FV-NE (=DB-Ril 438, Seite 67. Abgerufen am 2. August 2017.)
- §53 Absatz 13 FV-NE
- DB-Ril 408.2691 bzw. §44 Absatz 11 FV-NE
- DB-Ril 408.2671 Abschnitt 2 Absatz 7 bzw. 408.4816 Abschnitt 1 Absätze 2 und 3
- DB-Ril 408.2341A01 Abschnitt 4 Absatz 6 Nummer i „Posten“ bzw. DB-Ril 408.2341A02 Abschnitt 5 Nummer m „Posten“
- DB-Ril 408.2553 Abschnitt 2 Absatz 1
- Anlage 16 Absatz 22 FV-NE
- DB-Richtlinie 418.3312