Schloss Kunrau
Das Schloss Kunrau ist das bedeutendste der wenigen noch verbliebenen Bauwerke auf dem Areal des einstmaligen Ritterguts bzw. des Gutshofs in Kunrau. Dieses Dorf bildet seit 2010 einen Ortsteil der Stadt Klötze im Altmarkkreis Salzwedel in Sachsen-Anhalt. Das Schlossgebäude steht unter Denkmalschutz (Erfassungsnummer 094 90272).[1]
Geschichte des Rittergutes bzw. des Gutshofs
Dass es in der Zeit vor dem Wüstfallen des Dorfes Kunrau, d. h. vor dem 13. Jhd., bedeutende Vorgängerbauten für ein Gutshaus gegeben hat, ist nicht anzunehmen. Über mindestens 250 Jahre ist Kunrau „wüst“, d. h. unbewohnt, verblieben.
Die Neubesiedlung hat 1559 stattgefunden: 12 Ansiedler übernahmen Ackerflächen als Lehen von Valentin von Alvensleben (Schulze, 1991a). Im weitläufigen Besitz der von Alvensleben war Kunrau ein eher weniger bedeutendes Vorwerk, das kein eigenständiges Rittergut bildete. 1697 wurde das Vorwerk Kunrau für 50 Jahre an Stefan Behrens aus Osterburg verkauft. Durch die Heirat mit der Enkelin von Behrens, Anna Katharina Kraatz, wurde 1743 der Königlich-Preußische Hof- und Gerichtsrat Friedrich Wilhelm Diterichs Besitzer des Gutes Kunrau.[2] 1824 erwarb Frh. Heinrich Conrad von Kröcher das Gut, dem zugleich der Status eines Ritterguts zugesprochen wurde.[3][4][5] Unklar ist, ob bereits in dieser Zeit ein sog. Herrenhaus auf dem Gut errichtet wurde. Ein solches "castrum nobile" war eine der Voraussetzungen, um den Status eines Ritterguts zu erlangen.
Bis in die Mitte des 19. Jhs ist der Gutsbesitz nochmals mehrfach verkauft worden und hatte somit mehrere Gutsherrschaften, über die wenig bekannt ist. Gesichert ist, dass es allein in den 23 Jahren vor der Übernahme durch Theodor Hermann Rimpau (1847) vier Besitzerwechsel für das Gut gegeben hat.[6] Grund für die Verkäufe war vermutlich die schlechte Ertragslage im landwirtschaftlichen Betrieb. Entgegen der sonstigen Gepflogenheiten ließen alle Gutsinhaber keine Guts- bzw. Patronatskirche errichten. Das Dorf Kunrau ist somit bis zum Ende des 19. Jhs. ohne Kirche verblieben. Gleiches gilt für die meisten der benachbarten Dörfer, so z. B. für Kusey, Röwitz und Steimke.
Über die Ausstattung des Wohngebäudes und der Wirtschaftsgebäude des Kunrauer Gutes in den Jahrzehnten vor der Übernahme durch Theodor Hermann Rimpau im Jahr 1847 sind keine Dokumente verfügbar.
Der in Braunschweig ansässige, wohlhabende Getreidekaufmann Johann Heinrich Arnold Rimpau, Vater von Theodor Hermann Rimpau, erwarb 1847 das Gut für seinen Sohn, um diesem einen eigenständigen Wirtschaftsbereich zu verschaffen.[7] Theodor Hermann Rimpau hatte eine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert und interessierte sich sehr für die naturwissenschaftliche Grundlagen der Agrarwirtschaft. Als Hofverwalter verfügte er bei der Übernahme des Gutes in Kunrau bereits über mehrjährige Erfahrungen.
Die landwirtschaftliche Gesamtfläche des Gutes betrug damals 6410 Morgen (ca. 1600 ha). Ungefähr ein Drittel wurde als Ackerflur genutzt. Ein weiteres Drittel lag im Drömlingsmoor, das allenfalls nach flachem Umbruch und Brennen als Acker, zumeist aber nur als magere Viehweide genutzt worden war. Der letzte Drittel war schlechter Kiefernforst und Ödland.[7]
Da sich Rimpaus Versuche, die außerhalb des Drömlings liegenden Ackerflächen durch Mergelung und Gründüngung ertragreicher zu machen, als wenig erfolgreich herausstellten – zu gleichen Schlussfolgerungen gelangte der mit ihm befreundete und im Nachbardorf Kusey wirtschaftende Albert Schultz-Lupitz, der späterhin die erfolgreiche Kombination aus Leguminosenzwischenfruchtanbau und Kali-Phosphor-Düngung entdeckte –, verlegte sich Rimpau darauf, die bereits bekannten Methoden der Moorbodenmelioration zu verbessern.
Die nach ihm benannten Rimpau’sche Moordammkultur bestand aus einer verbesserten Entwässerung (ca. 5 m breite Verdunstungsgräben im Abstand von 25 m) und einer Sandbedeckung des aus den Gräben auf die Zwischenflächen aufgebrachten Torfes.[8] Die ca. 15 bis 45 cm mächtige Torfschicht (Anmoor) wurde im Rajolverfahren (Tiefpflügen) nach Abtragen der Deckschicht hochgebracht. Den entscheidenden Vorteil erbrachte die – im Unterschied zum bereits bekannten Sand-Misch-Verfahren – sorgfältige und dauerhafte Trennung der aufliegenden Sandschicht (ca. 12 cm) vom darunter liegenden Torf.[9] In den Jahren 1862 bis 1891 entstanden so 1400 Morgen (250 ha) Ackerflächen auf Moordämmen, die relativ hohe Erträge an Roggen, Hafer, Kartoffeln und sogar an Zuckerrüben erbrachten. In Anerkennung seiner Verdienste ist Theodor Hermann Rimpau 1875 vom Comité der Liebig-Stiftung die goldene Medaille verliehen worden.[10]
Schon bald nach der Übernahme des Gutshofes ließ Theodor Hermann Rimpau eine von Ochsen als Zugtieren bediente Feldeisenbahnstrecke vom Gutshof zu den beiden Moorkolonien Belfort und Hahnenberg verlegen, um die Feldfrüchte effizienter zu transportieren.[7] Im Jahr 1843 hatte bereits der Herzog von Ahrenberg, ein Vorbesitzer des Gutes, ein ähnliches Vorhaben realisiert. Theodor Hermann Rimpau stand in engem Kontakt mit seinem älteren Bruder August Wilhelm Rimpau. Letztgenannter ließ ab 1860 auf der von ihm gepachteten Staatsdomäne Schlanstedt eine gleichfalls im Endverlauf mobile, ansonsten feste Feldbahnstrecke (Rimpau-Bahn) verlegen, um Zuckerrüben zu der von ihm gegründeten Zuckerfabrik im nahegelegenen Neudamm zu transportieren. Er gilt zudem als einer der Pioniere der deutschen Pflanzenzüchtung. Im zu Ehren ließ Wilhelm Beseler, der Nachfolger im Gutsbesitz, 1903 auf einer Anhöhe vor Rappin einen Findling als Gedenkstein errichten.
Regelmäßige beträchtliche Einkünfte erzielte der Gutsbetrieb mit der seit 1837 betriebenen Brennerei, deren hoher Ziegelschornstein weithin sichtbar war. Die wöchentlichen Spirituslieferungen wurden bis zum Bahnanschluss 1889 über 60 km über zumeist wenig befestigte Wegstrecken nach Braunschweig transportiert;[11] Kalk, Ölkuchen und Saatgetreide bildeten die Rückfracht. In der Verwaltung des Gutes und als Förster leistete Riedel dem Gutsinhaber unentbehrliche Dienste. Die Beköstigung der Gutsmitarbeiter oblag Mamsell Scharschmidt.[7]
Im Jahr 1850 griff ein Großfeuer im Dorf Kunrau auch auf den Gutshof über. Mehrere Stallanlagen brannten vollständig aus; das Vieh konnte gerettet werden. Rimpau nutzte diese Gelegenheit, um das Areal der Wirtschaftsgebäude zu erweitern; angrenzende Ackerhofbesitzer wurden mit anderen Hofstellen abgefunden.
Wilhelm Beseler[12] – ab 1898 Administrator und ab 1903, nach Eheschließung mit der Tochter Marianne Emma Auguste von Theodor Hermann Rimpau, der Nachbesitzer des Gutes – änderte die Moorflächenbewirtschaftung. Beseler wandelte ungefähr die Hälfte der bislang überwiegend als Ackerflächen genutzten Moordämme in Weideflächen um, auf denen Stiere gehalten wurden, deren in der winterlichen Stallphase anfallender Mist zweijährlich auf den Sandbodenäckern für den Kartoffel- und Zuckerrückenanbau zusammen mit anstehender Zwischenfrucht untergepflügt wurde.[11]
Auf dem Gutshof waren zu Zeiten von Beseler, d. h. zu Anfang des 20. Jhs, im Sommer ca. 300 Arbeiter beschäftigt, von denen 40 in Gutshäusern wohnende Tagelöhner, 50 in eigenen oder gemieteten Häuser wohnende freie Arbeiter und 210 fremde, in der sog. Kaserne, einem zum Gut gehörenden Wohngebäude für Saisonkräfte in der Lindenstraße, untergebrachte Arbeiter waren. Im Winter waren ca. 120 Arbeiter auf dem Gut beschäftigt.[12] Ende der 1930er Jahre sollen ca. 60 Familien vom Gutshof wirtschaftlich abhängig gewesen sein.[13]
Die von Rimpau angelegte Feldeisenbahnstrecke ließ Beseler von 5,5 auf 9 km erweitern; 1906 wurde das Dorf Rappin angeschlossen. Zudem wurde 1908 vom Bahnhof Kunrau ein Anschlussgleis zum Gutshof verlegt und auf dem Gutshof ein technisch vielbeachtetes Hebewerk installiert, über das die per Feldbahn angelieferten Zuckerrüben in die Eisenbahnwagen gekippt wurden. Nach der Enteignung des Gutsbesitzes im Jahr 1945 wurden die Gleisanlagen nicht mehr genutzt und sogar demoliert.[9]
Wilhelm Beseler modernisierte die Brennerei, in der Anbaukartoffeln zu Spiritus gebrannt wurden; den Schwerpunkt legte er auf die Saatkartoffelproduktion. Er veranlasste zudem den Bau von Arbeiterwohnungen in der Nähe der sog. Kaserne (Unterkunft für Saisonarbeiter) und die Einrichtung eines Kindergartens.[8] Die Stundenlöhne für die Gutshofarbeiter seien niedrig gewesen und vorwiegend mit sog. Deputatsleistungen (Wohnung, Heizmaterial und Landprodukte) verrechnet worden.[8] Pro Familie stellte das Gut eine Ackerfläche von 2 Morgen zur Selbstversorgung zur Verfügung.
Helene Beseler, die zweite Ehefrau des seit 1916 verwitweten Wilhelm Beseler, gründete den Hausfrauenverein im Dorf und kümmerte sich um Kranke und Wöchnerinnen unter den Tagelöhnern des Gutes. 1933 trat sie der NS-Frauenschaft bei.[8] Nach dem Tod ihres Gatten im Jahr 1925 übernahm Helene Beseler bis zur Enteignung 1945 die Leitung des Gutsbetriebs. Ihre drei Söhne verstarben in den Jahren zwischen 1937 und 1944 (zwei als Soldaten). Ihre Tochter Henriette lebte nach der Ausweisung durch die Sowjetische Militäradministration mit ihr im benachbarten, jedoch der Britisch Verwalteten Zone zugehörigen Ort Brome.[12]
1891 ist auf Veranlassung von Emma Auguste Rimpau, der Witwe von Theodor Hermann Rimpau, in den Drömlingswiesen südwestlich von Kunrau ein Gedenkstein gesetzt und eingeweiht worden; dessen Inschrift lautet: „Hier wurde von Theodor Hermann Rimpau am 1. Dezember 1862 der erste Moordamm angelegt“. Dieser Gedenkstein gilt noch heute als einer der interessierenden Punkte im Drömling. Rimpau war ein geschätztes Mitglied der Zentralen Moorkommission, die das Preußische Landwirtschaftsministerium beriet.
In selbige Kommission wurde 1899 auch Wilhelm Beseler berufen. Er war zugleich Vorstandsmitglied des Vereins zur Förderung der Moorkultur des Deutschen Reiches. 1907 wurde er Mitglied im Ausschuss für Gründüngung und Lupinenanbau. 1909 wurde er in den Vorstand der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft gewählt. 1912 wurde ihm der Titel des „Königlichen Ökonomierates“ verliehen. Er gehörte dem Kreistag Salzwedel an und wurde 1924 zum Direktor des Schauamtes für die Ohre und den Drömling ernannt.[12]
Die von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) nach 1945 durchgeführte Bodenreform[14] führte in Kunrau zur Enteignung von Helene Beseler, der Witwe von Wilhelm Beseler und Erbin des sog. Kunrauer Rittergutes (1355 ha), und des Großbauern Richard Krüger (110 ha). Die somit zur Verfügung stehenden ca. 1500 ha wurden an 317 Erwerber als „Arbeitseigentum“ und somit nicht als „Privateigentum“ verteilt, was die landwirtschaftliche Nutzung sichern und die Weiterveräußerung einschränken sollte. Mit dem sog. Modrow-Gesetz von 1990 wurde u. a. den Neubauern ermöglicht, die ihnen zugewiesenen und von ihnen bebauten Grundstücke preiswert zu erwerben.
Durchschnittlich wurden 8 ha an Landfläche zugeteilt (maximal 10, minimal 1 ha; vorwiegend Ackerland, aber auch Wiesen und Wald). Landerwerber waren Kleinbauern des Dorfes sowie Neubauern, von denen die meisten als Flüchtlinge aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reiches nach Kunrau gekommen waren. So entstanden 68 Neubauernstellen; 71 Kleinbauern erhielten zusätzliche Agrarflächen.
Im Dorf wurden Baugrundstücke auf der enteigneten Agrarfläche zwischen Bahnhofstraße und Neuferchauer Straße vergeben, auf denen die Neubauern Wohnhäuser und Scheunengebäude errichteten, was in der Nachkriegszeit aufgrund des knappen Baumaterials schwierig war. Die durch das Areal führenden Straßen wurden allesamt als „Siedlung“ benannt. So entstand in den Jahren bis 1949 eine erhebliche Erweiterung der Siedlungsfläche im Nordosten des Dorfes.
1949 wurde im Schloss und in den zugehörigen Wirtschaftsgebäuden die von der Vereinigung für gegenseitige Bauernhilfe (VfgB)[14] genossenschaftlich betriebene Maschinen-Ausleih-Station (MAS)[14] untergebracht, deren Werkstätten im angrenzenden Gutshof eingerichtet wurden. Quer über den Innenhof wurde eine Garagenzeile als Unterstand für die Traktoren errichtet. Der Maschinenpark stammte überwiegend aus den enteigneten Beständen; weitere Maschinen wurden insbesondere über Importe aus der Sowjetunion angeschafft. Die Ausleihe erfolgte an die zumeist ohne Landwirtschaftstechnik wirtschaftenden Kleinbauern.
Die meisten der nur zum Teil maroden Wirtschaftsgebäude des Gutshofs wurden 1998 auf Veranlassung der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH Magdeburg abgerissen. Die so im Norden und Westen des Schlosses entstandene Freifläche wurde planiert und soll als Bauland verkauft werden, was auch 2021 noch nicht realisiert werden konnte. So erstreckt sich vor dem Schloss eine große, wiesenartige Freifläche.
Nach der Wende beanspruchten einige Mitglieder der LPG Kunrau die Rücknahme ihrer eingebrachten Agrarflächen. Die verbleibende Wirtschaftsfläche und die wirtschaftlichen Einrichtungen der LPG wurden 1991 in die Rechtsform der „Agrargenossenschaft Kunrau“ überführt, der die Landwirtschaftlichen Betriebsgemeinschaften Kunrau, Steimke und Jahrstedt als GmbH angehören. Die Agrargenossenschaft bewirtschaftet in Kunrau ca. 1800 ha Agrarfläche und hält ca. 540 Milchkühe.
In das ehemalige Inspektorhaus des Gutes (östlich an das Schloss angrenzend) zog eine LKW-Reparaturwerkstatt ein. Drei daneben befindliche Tagelöhnerhäuser wurden abgerissen; stattdessen wurde hier ein hohes und damit augenfälliges Werkstattgebäude errichtet. Die einstmals zur Grünfuttertrocknung genutzten Scheunengebäude im östlichen Gutshofareal wurden von der LPG zu Reparaturwerkstätten für Landmaschinen umgerüstet. Seit der Wende nutzt die Agrargenossenschaft Kunrau diese Gebäude für ihre landwirtschaftlichen Fahrzeuge.
Herrenhaus bzw. Schloss Kunrau
In den Jahren 1859 bis 1861 ließ Theodor Hermann Rimpau auf dem Gutshofareal ein von Wirtschaftsgebäuden eingefasstes Herrenhaus erbauen, das bald schon Schloss Kunrau genannt wurde. Diese immense Geldausgabe erstaunt, denn zehn Jahre zuvor war der Wiederaufbau der niedergebrannten Stallanlagen zu finanzieren und zudem hatte die große Trockenheit in den Jahren 1875 bis 1859 die Einnahmen reduziert.[7]
Der Architekt des neuen Gutshauses, ein Schüler von Karl Friedrich Schinkel, orientierte seinen Entwurf an der Villenarchitektur in Berlin-Tiergarten. So entstand ein zweigeschossiger Rechteckbau, welcher auf einen hohen Keller mit Mezzaningeschoss aufgesetzt ist. An der Südwestecke des Bauwerks wurde sich ein viereinhalbgeschossiger 22,5 m hoher quadratischer Turm mit offenen Rundarkaden als Turmabschluss errichtet.
Wilhelm Beseler,[12] ein Schwiegersohn von Rimpau, übernahm den Gutshof und ließ 1909 einen Umbau des Herrenhauses im Stil der italienischen Renaissance durchführen. Der Turm erhielt im nordwestlichen Teil eine Umbauung, in die u. a. ein großer Wintergarten eingefügt wurde. In der ersten Etage entstand ein Gartensaal mit Terrasse, von der sich ein Ausblick auf den Park im Süden des Schlosses ergab.
In der ersten Etage ließ Beseler zudem mehrere Gesellschaftszimmer (Gartensaal; Schleswig-Zimmer; Beselers Arbeitszimmer, heute: Grüner Saal; Damenzimmer; Frühstückszimmer) einrichten, die wertvolles Mobiliar und Wandteppiche enthielten sowie mit aufwändigen Stuckarbeiten verziert waren. In der oberen Etage befanden sich die Wohn- und Schlafräume der Familie.[15]
Die zweite Ehefrau von Wilhelm Beseler, Helene, geb. Zimmermann (Cousine von ihm), verstarb 1971 und ist in Brome begraben. Aus diese Ehe gingen vier Kinder hervor. Helene (genannt Lene) Beseler leitete nach dem Tod ihres Gatten (1925) bis zur Enteignung durch die Sowjetische Militäradministration im Jahr 1945 den Gutsbetrieb.[8]
Überlegungen der Britischen Militäradministration im Jahr 1945, das Schloss als Symbol feudaler Herrschaft durch Sprengung zu beseitigen, stießen auf den Widerstand der Dorfbevölkerung und wurden nicht realisiert.
In den vier Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Schlossgebäude als Unterkunft für Flüchtlinge; sieben Familien fanden darin Quartier. 1949 wurde im Schlossgebäude die Verwaltung der Maschinen-Ausleih-Station (MAS) untergebracht. Mit einem Umbau wurden mehrere Räume des ersten Obergeschosses 1949/50 zu einem Saal für das Kulturhaus des Dorfes zusammengelegt. Dabei wurde ein Teil der wertvollen Innenarchitektur entfernt oder umgearbeitet. Das Kunrauer Schloss ging in den Besitz der Maschinen-Ausleih-Station (MAS) und somit in Volkseigentum über; die MAS betrieb und finanzierte das Kulturhaus.[15] Die so in vielen Dörfern der DDR eingerichteten und organisierten Kulturhäuser sollten, so die Vorgabe der SED-Regierung, als „Stützpunkte der Arbeiterklasse auf dem Lande“ dienen.[14] In der Lokalzeitung (Volksstimme vom 24. Januar 1956) wurde zugleich auf die antifeudale Bodenreform verwiesen: "Im Schloss [...] lebte das Geschlecht der Beseler – eine Frau und eine Tochter – einen schönen Tag. Sie waren es gewohnt, dass andere für sie arbeiteten. [...] und die Bauern arbeiteten tagaus, tagein, ohne sich mit solchen Dingen wie Kultur beschäftigen zu können."[16] Nach der Wende entfiel die MAS- bzw. LPG-bezogene Finanzierungsgrundlage; die meisten Kulturhäuser mussten schließen, so auch jenes in Kunrau.
1964 zog der Rat der Gemeinde in den Veranstaltungssaal ein. In den 1970er Jahren wurde an die Südfassade ein breiter und hoher, den architektonischen Eindruck erheblich störender Schornstein angefügt. Während der DDR-Zeit wurde vor allem die Fassade nicht hinreichend instand gehalten, so dass die Bausubstanz verfiel.
1991 wurde das Schloss in Kommunaleigentum überführt. Im darauf folgenden Jahr konnte eine umfassende Renovierung und Sanierung der Außenfassade sowie ein partieller Rückbau (insbes. Abriss des massiven Schornsteins an der Südseite des Schlosses) durchgeführt werden. Bis 2009 wurde das Schloss für die Gemeindeverwaltung von Kunrau sowie die Verwaltungsgemeinschaft Klötze genutzt.[15]
Ungefähr seit der Mitte der 2010er Jahre sind im Schloss die Geschäftsstelle des Fremdenverkehrsvereins Jeetze-Ohre-Drömling e.V., eine Zweigstelle der Stadt- und Kreisbibliothek Klötze, die Öko-Schule Kunrau (Träger: Zweckverband Natur- und Kulturlandschaft Drömling/Sachsen-Anhalt) sowie eine Ausstellung zur Landwirtschaftsgeschichte des Drömling und somit insbesondere zur von Rimpau weiterentwickelten Moordammkultur untergebracht. An der Ostseite des Schlosses ist ein Spielplatz errichtet worden, der mit Sitzbankgruppen umgeben ist.
Neuer und alter (Schloss-)Park
Auf dem südlich des Gutshofes liegenden, bereits in die Drömlingswiesen übergehenden Areal ließ Theodor Hermann Rimpau in den Jahren nach 1847 einen ca. 8 ha großen Park im Stil eines Englischen Landschaftsgartens anlegen, in den auch einige Exemplare verschiedener Baumarten (Baumpark) gesetzt wurden, die heute als Raritäten gelten.
Die Grablege von Theodor Hermann Rimpau, seiner Gattin Emma Auguste, geb. Lüders (Nichte von ihm) und von Wilhelm Beseler und seiner Gattin Marianne Emma Auguste, geb. Rimpau (verstorben bereits 1916; Kusine seiner Mutter) sowie von weiteren Mitgliedern der Großfamilie Beseler findet sich südwestlich des Schlosses im sog. alten Park. Die Grablege ist 1883 eingerichtet worden.
Zur Zeit der DDR wurde die Grablege im alten Park nicht gepflegt und verwilderte. Im Jahr 1997 rekonstruierte die Gemeinde Kunrau mit finanzieller Unterstützung von Henriette Beseler, der Tochter von Lene und Wilhelm Beseler, dieses Areal. Henriette Beseler stiftete auch die hier eingebrachten Gedenktafeln.[12]
Der südlich des Schlosses gelegene, neue Park wurde von der Besitzerfamilie Beseler bis 1939 der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. Der kleinere, südwestlich angrenzende, sogenannte alte Park war hingegen öffentliches Terrain. Nach der Enteignung des Gutshofs durch die sowjetische Militäradministration wurde die Umzäunung des Schlossparks entfernt. Von 1945 bis 1949 wurde der Schlosspark von der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) und nachfolgend von der Maschinen-Ausleih-Station (MAS) verwaltet. 1949 fand die Überführung des alten Parks in das Gemeindeeigentum statt.
Im neuen Park, dem ehemaligen Schlosspark, legte 1949 die MAS einen Sportplatz an. Einige Jahre später kam eine 400 m-Kampfbahn dazu. Diese Sporteinrichtungen fügten sich nicht in das Bild eines Landschaftsgartens. 1955 ließ der Kulturhausleiter einige Blumenrabatten im Park anlegen, die jedoch schon im Jahr darauf verwahrlosten. 1957 wurde der Park über einen Gemeindevertreterbeschluss unter Landschaftsschutz gestellt. Auf dem Sportplatz fanden in den 1950er und 60er Jahren etliche große Sportveranstaltungen statt; seinerzeit war Kunrau eine Handballhochburg in der DDR.[15]
Im Frühjahr 1960 erbauten der Gemeindeparkarbeiter und der Hausmeister des Schlosses sowohl einen Springbrunnen als auch ein 10 × 10 m großes Wasserplanschbecker für Kinder im neuen Park. In den Folgejahren engagierten sich mehrfach Schüler der POS Kunrau für die Parkpflege.
Nach der Wende übernahm 1991 ein Planungsbüro die Rekonstruktion des Schlossparks als Landschaftsgarten. Dazu wurden die Sportanlagen und das Wasserbecken entfernt; windgefährdete Bäume wurden entnommen, neue Büsche und Bäume angepflanzt. Die ummauerte Sitzecke wurde wiederhergestellt. 1999 wurde eine zweite Sanierung der Parkanlagen vorgenommen.
Literatur
- T. H. Rimpau: Die Bewirtschaftung des Rittergutes Cunrau insbesondere des Niederungsmoores durch Moordammkultur und Kultur des leichten Sandbodens. Parey, Berlin 1887.
- W. Zahn, M. Ehlies: Heimatkunde der Altmark. 2., verb. und erw. Auflage. Verlag Salzwedeler Wochenblatt, Salzwedel 1928.
- H. Beseler: Es war einmal … . Über das Rittergut Kunrau. (= Bromer Schriften zur Volkskunde. Bd. 6). Museums- und Heimatverein Brome e. V, Brome 2006.
- A. Bauerkämper: Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945–1963. (= Zeithistorische Studien. Bd. 21). Böhlau, Köln 2002.
- S. Sperling (Hrsg.): In the middle of nüscht – go west: Die westliche Altmark entdecken. Omnino, Berlin 2020.
Weblinks
Einzelnachweise
- Kleine Anfrage und Antwort Olaf Meister (Bündnis 90/Die Grünen), Prof. Dr. Claudia Dalbert (Bündnis 90/Die Grünen), Kultusministerium 19.03.2015 Drucksache 6/3905 (KA 6/8670) Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt. (PDF) Landtag von Sachsen-Anhalt, abgerufen am 10. September 2020.
- Otto-Werner Schulz: Der erste Lehrer war ein Schneider. 260 Jahre Schulbetrieb in der Gemeinde Kunrau. In: Altmark Zeitung. 8. April 2006.
- Otto-Werner Schulz: Wissenswertes über Kunraus Geschichte: Ortshistorie. In: Altmark Zeitung. 9. September 1991, S. 20.
- Karl-Friedrich Rauer: Hand-Matrikel der in sämmtlichen Kreisen des Preussischen Staats auf Kreis- und Landtagen vertretenen Rittergüter. Reinhold Kühn Verlag, Berlin 1857, S. 128.
- Peter Rohrlach: Historisches Ortslexikon für Brandenburg. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2018, S. 1292–1295.
- Peter Rohrlach: Historisches Ortslexikon für Brandenburg. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2018, S. 1292–1295.
- Otto-Werner Schulz: Theodor Hermann Rimpau: Rittergutsbesitzer auf Kunrau. In: Altmark-Blätter. (Heimatbeilage der Altmark-Zeitung). Band 13, Nr. 3, 2002, S. 9–15.
- Henriette Beseler: Es war einmal … . Über das Rittergut Kunrau. In: Bromer Schriften zur Volkskunde. 5., erw. Auflage. Band 6. Museums- und Heimatverein Brome e. V., Brome 2012, S. 7.
- Otto-Werner Schulz: Interessenten aus aller Welt bestaunten Kunrauer Feldbahn. Techniker erdachten geniale Lösung. In: Klötzer Volksstimme. 27. August 1992.
- Otto-Werner Schulz: „Wer Deutschland hob aus dem Sumpf und Moor …“. Theodor H. Rimpau, Begründer der Moordammkultur, für hervorragende Verdienste um die Landwirtschaft geehrt. In: Altmark-Zeitung. 30. November 1992, S. 3.
- Hermann Blattmann: Vortrag über das Rittergut Kunrau und die Rimpau’sche Moordammkultur. In: Henriette Beseler (Hrsg.): Es war einmal … . Über das Rittergut Kunrau. 5., erw. Auflage. Museums- und Heimatverein Brome e. V., Brome 2012, S. 28–35.
- Otto-Werner Schulz: Kgl. Ökonomierat Wilhelm Beseler, Rittergutsbesitzer auf Kunrau. In: Altmark-Blätter. (Heimatbeilage der Altmark-Zeitung). Band 14, Nr. 9, 2003, S. 33–39.
- Wilhelm Hartmann: Kindheitserinnerungen – Eine Fahrt mit dem Essenwagen. (PDF; 92 kB) In: Ahnenforschung in der Altmark. Kindheitserinnerungen. Wilhelm Hartmann, Januar 1998, abgerufen am 1. Dezember 2021.
- Arnd Bauerkämper: Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945-1963. Böhlau, Köln 2002.
- Otto-Werner Schulz: Das Kunrauer Schloss. Zur Geschichte eines Baudenkmals im italienischen Renaissance-Stil. In: Altmark-Blätter. (Heimatbeilage der Altmark-Zeitung). Band 5, Nr. 13, 1994, S. 49–51.
- Henriette Beseler: Es war einmal … . Über das Rittergut Kunrau. In: Bromer Schriften zur Volkskunde. 5., erw. Auflage. Band 5. Museums- und Heimatverein Brome e. V., Brome 2012, S. 43.