Saudade
Saudade ist eine spezifisch portugiesische und galicische bzw. lusophone Form des Weltschmerzes, die auch in Ländern der Lusophonie verbreitet ist. Das Konzept der Saudade lässt sich mit „Traurigkeit“, „Wehmut“, „Sehnsucht“,[1] „Heimweh“,[1] „Fernweh“[1] oder „sanfte Melancholie“[1] nur annähernd übersetzen. Das Wort steht für das nostalgische Gefühl, etwas Geliebtes verloren zu haben, und drückt oft das Unglück und das unterdrückte Wissen aus, die Sehnsucht nach dem Verlorenen niemals stillen zu können, da es wohl nicht wiederkehren wird.
Geschichte
Das Wort stammt vielleicht vom lateinischen solitudo ab, doch bedeutet es mitnichten nur „Einsamkeit“, denn hierfür haben sich aus dem gleichen Wortstamm solidão bzw. soledade entwickelt. Saudade ist auch keine per se negativ bewertete Stimmung, sondern wird im Fado, dem portugiesischen Volksgesang, herbeigesehnt. Fernando Pessoa schrieb „Saudade ist die Poesie des Fado“.
Die Portugiesen sind seit Generationen stolz auf ihr „persönliches Wort“, das nur sie kennen. So besagt einer der berühmtesten Vierzeiler Fernando Pessoas:
Saudades, só portugueses |
Saudades – nur Portugiesen |
Als historisch belegbarer Ursprung des Begriffs wird auch der Verlust der Portugiesen nach der verlorenen Schlacht von Alcácer-Quibir gegen die Mauren genannt, den der König Sebastian I. 1578 erlitt. Diese verheerende Niederlage leitete den Untergang des portugiesischen Weltreichs ein, und das Phänomen des anschließend entstandenen messianischen Sebastianismus bekräftigt diese Theorie einer „nationalen Wehmut“.[2]
Verwendung im Alltag
Das Pons/Klett-Standardwörterbuch Portugiesisch nennt als Beispiele die folgenden alltagssprachlichen Verwendungen von Saudade:
- saudades de casa – Heimweh[1]
- ter saudades de alguém – jemanden vermissen[1]
- deixar saudades – vermisst werden[1]
- vou para Coimbra para matar saudades das minhas amigas – ich fahre nach Coimbra, weil ich Sehnsucht nach meinen Freundinnen habe[1]
- vou ao Brasil para matar saudades de São Paulo – ich fliege nach Brasilien, weil ich Sehnsucht nach São Paulo habe[1]
In den Ländern der Lusophonie
Der brasilianische Gitarrist und Sänger João Gilberto brachte 1958 Chega de Saudade heraus, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text), der als erster Bossa-Nova-Song gilt.[3]
Die kapverdische Sängerin Cesária Évora interpretierte das von Amandio Cabral und Luis Morais geschriebene Lied Sodade.
Weltweite Rezeption
2007 wählte eine deutsche Jury, beauftragt vom Institut für Auslandsbeziehungen e. V., Berlin, Saudade auf Platz sechs der zehn schönsten Wörter der Welt.[4] Eine britische Umfrage unter Linguisten und Dolmetschern wählte Saudade zudem in die Top-Ten-Liste der „unübersetzbaren Wörter der Welt“.[5]
Der südamerikanische Gitarrist und Komponist Agustín Barrios Mangoré (geboren 1885 in Paraguay, verstorben 1944 in El Salvador) schrieb ein Stück mit dem Namen Chôro Da Saudade für Gitarre, das heute bei vielen Konzertgitarristen zum Repertoire gehört.[6] Der britische Sänger und Komponist Chris Rea hat ein Musikstück mit dem Titel Saudade veröffentlicht, das ebenfalls eine starke Melancholie ausstrahlt. Farin Urlaub besingt Saudade auf der B-Seite von OK auf Portugiesisch.
Die US-amerikanische Funk-Metal-Band Extreme veröffentlichte am 12. August 2008 ein Album mit dem Titel Saudades de Rock.
Die Post-Punk-Band Love and Rockets vertonte auf ihrem Debüt-Album von 1985 Seventh Dream Of Teenage Heaven das sphärisch getragene Stück Saudade.
Auch der amerikanische Singer/Songwriter Stephen Bishop veröffentlichte im Jahre 2008 ein Album mit dem Titel Saudade. Hier interpretiert er einige seiner Stücke mit brasilianischen Rhythmen.
2014 veröffentlichte zudem die US-amerikanische Band Thievery Corporation ein Studioalbum mit dem Titel Saudade.
2015 erschien die Saudade-EP der britischen Poppunk-Band Boston Manor.
1991 hat Etienne Daho im Album Paris ailleurs einen Beitrag zum Thema Saudade geleistet.[7]
Siehe auch
Literatur
- Eduardo Lourenço: Die Mythologie der Saudade. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-12180-4.
- Rémi Boyer: Fado – Mystérique de la Saudade. Zéfiro/Arcano Zero, Sintra 2013; englische Ausgabe: Fado, Saudade & Mystery. Love of Portugal. Übersetzt von Howard Doe, ebenda 2013, ISBN 978-989-677-109-6, insbesondere S. 8–14, 17–22 (Saudade), 52–54, 62, 81, 92–95, 113–120 (Saudade) und öfter.
Weblinks
- Leandro Feldmann: The Aesthetics of Saudade. ProZ.com Translation Article Knowledgebase, 9. September 2016
Einzelnachweise
- Joana Mafalda, Pimentel Seixas, Antje Weber: Pons Standardwörterbuch Portugiesisch-Deutsch/Deutsch-Portugiesisch. 1. Auflage. Ernst Klett Verlag/Porto Editora, Stuttgart und Porto 2002, ISBN 3-12-517293-4, S. 370.
- Carlos A. Cunha, Rhonda Cunha: Culture and Customs of Portugal. Greenwood, 2010, ISBN 978-0-313-33440-5.
- Volker Schmidt: 50 Jahre Bossa Nova. In: Zeit Online. 17. Juli 2008, abgerufen am 24. August 2017.
- Kristian Magnani: Das schönste ABC der Welt. (PDF; 1,85 MB) (Nicht mehr online verfügbar.) In: KulturAustausch: Zeitschrift für internationale Perspektiven. 22. Oktober 2007, S. 22, archiviert vom Original am 2. Oktober 2013; abgerufen am 24. August 2017.
- Robin Young: ‘Illunga’ tops ten toughest words that leave translators tongue-tied. (Nicht mehr online verfügbar.) In: The Times. 22. Juni 2004, archiviert vom Original am 1. März 2007; abgerufen am 24. August 2017 (englisch).
- Chôro Da Saudade. Edition Zanibon, Padova 1982
Peter Päffgen: Die Gitarre. Schott, Mainz 2002², ISBN 3-7957-2355-8, S. 205 f. - Diskografie. saudadelesite.free