Rudolf Rößler
Rudolf Rößler (auch Rudolf Rössler) (* 22. November 1897 in Kaufbeuren; † 11. Dezember 1958 in Kriens) war ein deutscher Theaterkritiker, Verleger und Inhaber einer Nachrichtenagentur (Deckname: Lucy). Während des Zweiten Weltkrieges leitete er geheime Informationen an die Sowjetunion und nach 1945 militärische Nachrichten über die Besatzungsmächte im Westen und Material über die alliierten Maßnahmen in Deutschland an den tschechischen und den Schweizer Nachrichtendienst (Bureau Ha) weiter.
Leben
Offiziell
Rudolf Rößler soll offiziell der Sohn eines bayerischen Forstbeamten gewesen sein. Er absolvierte seine Ausbildung in Augsburg und wurde während des Ersten Weltkrieges zum Militärdienst rekrutiert. Nach dem Krieg begann er, als Journalist zu arbeiten; zuerst als Reporter in Augsburg und dann als Literaturkritiker in Berlin.
Tatsächlich
Tatsächlich war Rößler, der keineswegs als Rößler geboren worden sei, Sudetendeutscher und einer jener K. u. K.-Generalstäbler gewesen, die 1918 auf der Straße lagen. Der aus Böhmen gebürtige sogenannte Rößler sei einer derjenigen ehemaligen K. u. K. Offiziere deutscher Nationalität gewesen, mit deren Hilfe sich das Kriegsglück der Tschechoslowakei gegen Ungarn in der Slowakei wendete. Als Prag dann die Retter aus der Not abbaute, sei er in die sudetendeutsche Widerstandsbewegung und von dort in die in Sachsen stehende sudetendeutsche Legion geraten. Aus der politischen Konspiration sei er dann mit jener Folgerichtigkeit, die für Agentenschicksale so charakteristisch ist, in die geheimdienstliche Konspiration abgerutscht.[1]
Er war mit vielen Künstlern und Schriftstellern befreundet, die von den Nazis verfolgt wurden, und wurde dadurch selbst zum Nazigegner. Im Juni 1933 wurde er aus seiner Tätigkeit als Dramaturg und geschäftsführender Direktor des Bühnenvolksbundes e. V. und aus seiner Tätigkeit als Direktor der Bühnenvolksbundverlag G.m.b.H. vertrieben. Dadurch verlor er auch seine Funktionen als Vorsitzender der Aufsichtsräte der Südwestdeutschen Bühne G.m.b.H., Frankfurt, der Schlesischen Bühne G.m.b.H., Breslau, der Ostpreussischen Bühne G.m.b.H., Königsberg, sowie weiterer Bühnen. Außerdem wurde ihm seine ehrenamtlich-öffentlichen Tätigkeit als Mitglied der Film-Oberprüfstelle und als Mitglied des Kunstausschusses beim Polizeipräsidium Berlin verboten. Sein literarisches Wirken in Deutschland, das vorrangig in seiner Aktivität als Herausgeber der Theaterzeitschriften Das Nationaltheater und Deutsche Bühnenblätter und als Herausgeber und Verfasser der dramaturgischen Schriftenreihe Schauspiel der Gegenwart sowie als Herausgeber und Verleger der von ihm im Bühnenvolksbundverlag seit 1928 aufgebauten Theaterliteratur bestand, wurde dadurch beendet.
Daraufhin verließ er Deutschland und zog nach Luzern, wo er den Kleinverlag Vita Nova betrieb. Dazu baute er seinen Bekanntenkreis auch in Deutschland weiter zu einem Netzwerk aus, mit dem er sich trotz des NS-Medienmonopols Informationen über die tatsächliche Situation in Deutschland beschaffen konnte.
Unter anderem soll er der sowjetischen Führung Einzelheiten übermittelt haben über das Unternehmen Zitadelle, eine entscheidende Schlacht an der Ostfront im Kursker Bogen. Mit dieser Legende versuchten revanchistische Kreise immer wieder, eine Neuauflage der Dolchstoßlegende für den Zweiten Weltkrieg zu begründen, obwohl Der Spiegel bereits 1972 nachgewiesen hatte, dass: „Wo immer auch in Deutschland Roessler Informanten unterhielt – in militärischen Schlüsselpositionen können sie nicht gesessen haben. Das bewiesen vor allem seine unzutreffenden Berichte vor der Schlacht von Kursk im Juli 1943.“[2]
Die Quelle seiner Informationen, die mit dem Decknamen „Werther“ abgegeben wurden, blieb lange ungeklärt. Laut Rößlers Erklärungen nach dem Krieg stammten sie von hochrangigen Militärs, die gegen die Nazis eingestellt waren und die er bereits aus Vorkriegszeiten kannte. Generaloberst Alfred Jodl, Chef des Wehrmachtführungsstabes, sagte im Nürnberger Prozess aus, dass Meldungen eher in Moskau waren, als auf seinem Schreibtisch. Eine andere Erklärung ist, dass Rößler in Wirklichkeit der britischen Regierung diente, durch Ultra von den Briten entschlüsselte deutsche Funkmeldungen an Moskau zu übermitteln, ohne dass diese erkennen konnten, dass die Briten den deutschen verschlüsselten Geheimverkehr lesen konnten. Tatsächlich war den Sowjets jedoch durch ihre Spionage in Großbritannien bekannt, dass die Briten genau hierzu in der Lage waren.
Ab 1938/1939 hatte Rößler Kontakt über Hans Bernd Gisevius auch zu den Kreisen der Militär-Opposition in Deutschland um Hans Oster und ab 1940 auch zu Elizabeth Wiskemann von der Presseabteilung der britischen Gesandtschaft in Bern. Durch Xaver Schnieper erhielt Rößler einen Kontakt zu Hans Hausamann, was zu einer regelmäßigen Verbindung und einer Tätigkeit Rößlers für die Nachrichtensammelstelle 1 des Schweizer Militär-Nachrichtendienstes in Luzern führte.
Rößler setzte seine Tätigkeiten auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Er lieferte dabei Informationen von Westdeutschland in den Osten. Deswegen wurde er 1953 verhaftet und wegen fortgesetzten Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten vor Gericht gestellt. Das Bundesstrafgericht als höchste schweizerische Instanz verurteilte ihn am 5. November 1953 zu einem Jahr Gefängnis.[1] Nach seiner Entlassung war er ein gebrochener Mann. Er starb im Jahr 1958.
Personen der „Roten Kapelle“
Schriften
- Die Kriegsschauplätze und die Bedingungen der Kriegführung. Vita Nova Verlag, Luzern 1941.
- Schauspiel 1929/30. Bühnenvolksbundverlag, Berlin 1930.
- Schauspiel 1928/29. Bühnenvolksbundverlag, Berlin 1929.
Literatur
- Pierre Accoce, Pierre Quet: A Man Called Lucy. Coward-McCann, New York 1967.
- Alexander Foote: Handbuch für Spione. Leske Verlag, Darmstadt 1954.
- Max Huber: Rößler, Rudolf. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 751 f. (Digitalisat).
- Peter Kamber: Geheime Agentin. BasisDruck, Berlin 2010, ISBN 978-3-86163-097-5. (Internet-Anhang, PDF; 4,2 MB).
- Peter Kamber: Csatorna Berlinbe – Rachel Dübendorfer, Christian Schneider és Rudolf Roessler. [Kanal nach Berlin – Rachel Dübendorfer, Christian Schneider und Rudolf Roessler.] In: Abel Hegedüs, János Suba (Hrsg.): Tanulmányok Radó Sándorról. A Budapesten 2009. nov. 4-5-én rendezet konferencia elöadásainak szerkesztett anyaga. [Studien zu Alexander Radó. Redigierte Fassungen der Vorträge auf der am 4. – 5. November 2009 in Budapest veranstalteten wissenschaftlichen Konferenz]. HM Hadtörténeti Intézet és Múzeum [Kriegsgeschichtliches Institut und Museum des ungarischen Verteidigungsministeriums], Budapest 2010, S. 45–73.
- Peter Kamber: Rudolf Roessler. Geheimnachrichten für den Frieden. Radioessay, Süddeutscher Rundfunk, 29. Januar 1996.
- Peter Kamber: Spionage die keine war: Der Kalte Krieg und die Strafsache Rössler/Schnieper. In: Basler Magazin (Magazin der Basler Zeitung), Nr. 26, 2. Juli 1994, S. 6f.
- Anthony Read, David Fisher: Operation Lucy: Most Secret Spy Ring of the Second World War. Coward, McCann & Geoghegan, New York 1981, ISBN 0-698-11079-X.
- Margret Boveri: Der Verrat im XX. Jahrhundert - Für und gegen die Nation - Das unsichtbare Geschehen, rowohlts deutsche enzyklopädie 14, Hamburg, 1956 S. 114–123
- Xaver Schnieper: Mobilisierung des Gewissens. Porträtskizze Rudolf Rösslers. In: Freie Innerschweiz. Sozialdemokratische Tageszeitung für die Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug, Nr. 123, 28. Mai 1966.
- LUCY CONTRA OKH. In: Der Spiegel. Nr. 12, 1954, S. 20 (online – 17. März 1954).
- SCHWEIZERISCHE EIDGENOSSENSCHAFT CONTRA LUCY. In: Der Spiegel. Nr. 14, 1954, S. 29 (online – 31. März 1954).
- Rössler, Rudolf, in: Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. München : Saur, 1980, S. 609
Weblinks
- Literatur von und über Rudolf Rößler im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- virtuelles Spymuseum (Memento vom 9. März 2014 im Internet Archive)
- Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg – Geheimdienste und Widerstand (Memento vom 20. August 2008 im Internet Archive)
Einzelnachweise
- Schweizerische Eidgenossenschaft contra „LUCY“. In: Der Spiegel. Nr. 14, 1954 (online – 31. März 1954).
- Werther hat nie gelebt. In: Der Spiegel. Nr. 29, 1972 (online).