Roter Wald
Der Rote Wald (ukrainisch: Рудий ліс, Rudyi lis, Russisch: Рыжий лес, Ryzhy les, wörtlich "Wald mit roter Farbe") ist ein 10 Quadratkilometer großes Gebiet westlich des Kernkraftwerks Tschernobyl innerhalb der Sperrzone von Tschernobyl in Polesien. Der Name "Roter Wald" rührt von der rotbraunen Farbe der Kiefern her, die nach der Absorption der hohen Strahlung des Tschernobyl-Unfalls am 26. April 1986 abgestorben sind.[1] Bei den Aufräumarbeiten nach der Katastrophe wurde der Rote Wald mit Bulldozern gerodet und auf "Abfallfriedhöfen" begraben.[2] Das Gelände des Roten Waldes ist auch heute noch eines der am stärksten kontaminierten Gebiete der Welt.[3]
Roter Wald | |
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Standort | Sperrzone von Tschernobyl |
Besichtigung | Nur mit Genehmigung |
Verantwortliche Instanz | Staatliche Agentur der Ukraine für die Verwaltung der Ausschlusszone |
Hinweis | Große Mengen an radioaktiver Kontaminationen |
Katastrophe und Aufräumarbeiten
Der Rote Wald liegt in der Sperrzone von Tschernobyl; dieses Gebiet erhielt die höchste Strahlendosis durch den Unfall von Tschernobyl und die daraus resultierenden Rauch- und Staubwolken, die stark radioaktiv verseucht waren. Die Bäume starben an dieser Strahlung. Die Explosion und der Brand im Reaktor Nr. 4 von Tschernobyl verseuchten den Boden, das Wasser und die Atmosphäre mit radioaktivem Material, das der 20-fachen Menge der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki entspricht.[4]
Bei den Aufräumarbeiten nach der Katastrophe wurde ein Großteil der Kiefern mit Bulldozern abgeholzt und von den "Liquidatoren" in Gräben vergraben. Die Gräben wurden dann mit einem dicken Sandteppich bedeckt und mit Kiefernsetzlingen bepflanzt.[5] Viele befürchten, dass mit dem Zerfall der Bäume radioaktive Stoffe in das Grundwasser gelangen werden. Die Menschen haben die kontaminierte Zone um den Roten Wald evakuiert.
Zufluchtsgebiet für Wildtiere
Als die Menschen 1986 aus dem Gebiet evakuiert wurden, zogen die Tiere trotz der Strahlung ein. Die Flora und Fauna des Roten Waldes wurde durch den Unfall dramatisch beeinträchtigt. Es scheint, dass die Artenvielfalt des Roten Waldes in den Jahren nach der Katastrophe zugenommen hat[6]. Es gibt Berichte über einige verkümmerte Pflanzen in dem Gebiet. Die Zahl der Wildschweine hat sich zwischen 1986 und 1988 verachtfacht.[1]
Das Gebiet des Roten Waldes ist nach wie vor eines der am stärksten verseuchten Gebiete der Welt.[7] Es hat sich jedoch als ein erstaunlich fruchtbarer Lebensraum für viele gefährdete Arten erwiesen. Die Evakuierung des Gebiets um den Kernreaktor hat ein üppigen und einzigartigen Zufluchtsort für Wildtiere geschaffen. In der BBC-Dokumentation Horizon "Inside Chernobyl's Sarcophagus" aus dem Jahr 1996 sind Vögel zu sehen, die durch große Löcher in der Struktur des ehemaligen Kernreaktors ein- und ausfliegen. Die langfristigen Auswirkungen des radioaktiven Niederschlags auf die Flora und Fauna der Region sind nicht vollständig bekannt, da Pflanzen und Tiere eine sehr unterschiedliche Strahlungstoleranz aufweisen. Von einigen Vögeln wird berichtet, dass sie verkümmerte Schwanzfedern haben (was die Fortpflanzung behindert). Störche, Wölfe, Biber, Rehe und Adler wurden in dem Gebiet gesichtet.[8][9]
Heute kann die Strahlenbelastung im Roten Wald bis zu einem Röntgen pro Stunde betragen, doch sind Werte von zehn Milliröntgen pro Stunde eher die Regel. Mehr als 90 % der Radioaktivität des Roten Waldes ist im Boden konzentriert.[5]
Wissenschaftler planen, die nahe gelegene radioaktive und verlassene Stadt Pripjat und die umliegende Gegend als einzigartiges Labor zu nutzen, um die Ausbreitung von Radionukliden durch die Detonation einer schmutzigen Bombe oder einen Angriff mit chemischen oder biologischen Stoffen zu modellieren. Das Gebiet bietet eine einmalige Gelegenheit, den Durchgang radioaktiver Trümmer durch ein städtisches und ländliches Gebiet vollständig zu verstehen.[10]
Die Natur in diesem Gebiet scheint nicht nur überlebt zu haben, sondern auch zu gedeihen, da der Einfluss des Menschen erheblich reduziert wurde. Das Gebiet ist zu einem "radiologischen Reservat" geworden, einem klassischen Beispiel für einen unfreiwilligen Park. Derzeit besteht Besorgnis über die Kontamination des Bodens mit Strontium-90 und Cäsium-137, die eine Halbwertszeit von etwa 30 Jahren haben. Die höchsten Cäsium-137-Werte finden sich in den Oberflächenschichten des Bodens, wo sie von den Pflanzen und den heute dort lebenden Insekten absorbiert werden. Einige Wissenschaftler befürchten, dass die Radioaktivität das Land für die nächsten Generationen beeinträchtigen wird.[11][12]
Waldbrände
Im April 2015 näherte sich ein großer Waldbrand mit einer Fläche von fast 400 Hektar bis auf zwanzig Kilometer an das stillgelegte Kernkraftwerk heran, was die Befürchtung aufkommen ließ, dass die Flammen Büsche und Wälder in der Umgebung des Katastrophengebiets verbrennen würden, wodurch radioaktives Material in die Atmosphäre hätte gelangen können. Im April 2020 wurde der Wald erneut von einem Waldbrand heimgesucht, der Schäden in unbekannter Höhe verursachte.[13]
Siehe auch
Belege
- Wildlife defies Chernobyl radiation. 20. April 2006 (bbc.co.uk [abgerufen am 22. Dezember 2021]).
- Chernobyl's continuing hazards. 25. April 2006 (bbc.co.uk [abgerufen am 22. Dezember 2021]).
- Chernobyl diary - Part One. 4. April 2006 (bbc.co.uk [abgerufen am 22. Dezember 2021]).
- Wayback Machine. Abgerufen am 22. Dezember 2021.
- Mary Mycio: Wormwood Forest: A Natural History of Chernobyl. ISBN 0-309-09430-5.
- Robert J. Baker, Ronald K. Chesser: The chornobyl nuclear disaster and subsequent creation of a wildlife preserve. In: Environmental Toxicology and Chemistry. Band 19, Nr. 5, 2000, ISSN 1552-8618, S. 1231–1232, doi:10.1002/etc.5620190501 (wiley.com [abgerufen am 22. Dezember 2021]).
- Chernobyl diary - Part One. 4. April 2006 (bbc.co.uk [abgerufen am 22. Dezember 2021]).
- News Center : In Focus : Chernobyl, Chernobyl disaster, Chernobyl accident. 27. März 2006, abgerufen am 22. Dezember 2021.
- Chernobyl: The True Scale of the Accident: Wayback Machine, by International Atomic Energy Agency/World Health Organization/United Nations Development Programme, 5 September 2005. Abgerufen am 22. Dezember 2021.
- Stone, R.: NONPROLIFERATION: A Radioactive Ghost Town's Improbable New Life. Mai 2005, abgerufen am 22. Dezember 2021 (englisch).
- Hintergrund und Umweltexposition durch Cäsium in den Vereinigten Staaten. Abgerufen am 22. Dezember 2021 (englisch).
- B. C. Bostick, M. A. Vairavamurthy, K. G. Karthikeyan, J. Chorover: Cäsiumadsorption an Tonmineralen: Eine EXAFS-spektroskopische Untersuchung. In: Umweltwissenschaft und -technologie. 36, Nr. 12, 2002, S. 2670–2676. doi:10.1021/es0156892. PMID 12099463.
- A. B. C. News: Ukraine says wildfires close to Chernobyl are extinguished after rain falls. Abgerufen am 22. Dezember 2021 (englisch).