Reichweitenangst
Reichweitenangst (engl. range anxiety) ist die Angst von Autonutzern, dass die Reichweite eines Elektroautos zur Beendigung vieler Fahrten nicht ausreichend sein könnte und dadurch häufig zeitraubende Nachladevorgänge benötigt werden oder man gar wegen fehlender Ladeinfrastruktur mit leerer Antriebsbatterie liegenbleiben könnte.[1][2][3][4]
Der Begriff ist auch ein Schlagwort in der öffentlichen Diskussion rund um die Elektromobilität. Häufig wird der Begriff dabei verwendet, um eine spontane, emotional geprägte Sorge zu beschreiben, die rationalen Erwägungen keinen oder nicht hinreichend Raum gibt.[5][6]
Ursachen
Hintergrund der Reichweitenangst ist
- die derzeit (verglichen mit Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor) geringere typische Reichweite eines Elektrofahrzeugs,
- verbunden mit den (gegenüber dem Betanken mit Kraftstoff) häufig langen Ladezeiten, die – selbst bei vorhandener Nachlademöglichkeit – erhebliche Verzögerungen im Reiseablauf nach sich ziehen können und die Reisegeschwindigkeit senken.
Herkunft
Der Begriff wurde als range anxiety in den 1990er-Jahren in den USA von den Fahrern des GM EV1 geprägt, dem ersten modernen Elektroauto der Neuzeit, damals noch mit Bleiakkus ausgestattet.[1] In Norwegen, wo Elektroautos sehr verbreitet sind, wurde 2013 der neue Begriff rekkeviddeangst vom Rat für Norwegische Sprache auf den zweiten Platz der Liste der „Worte des Jahres“ gewählt.[7][8]
Gegenmaßnahmen
Die Bekämpfung der Reichweitenangst ist ein Anliegen der Politik, der Hersteller von Elektrofahrzeugen und von Energieversorgern. Hierzu dienen
- Aufklärung über die tatsächlichen Auswirkungen,[9]
- technische Maßnahmen zur Erhöhung der Reichweite der Fahrzeuge (Steigerung der Effizienz, Vergrößerung der Akkus, Reichweitenverlängerer[1]),[10]
- Ausbau und Vereinheitlichung der Ladeinfrastruktur[11] sowie der Transparenz über Lademöglichkeiten,
- Verkürzung der Ladezeiten durch Schnellladetechnik sowohl auf Seiten der Ladepunkte als auch der Fahrzeuge.[11][10]
Reichweite und Ladeinfrastruktur werden neben den Kosten als die drei wesentlichen Kriterien für den Markterfolg der Elektromobilität angesehen.[12]
Wissenschaftliche Einordnung
Aus wissenschaftlicher Sicht wird die Reichweitenangst überwiegend als unbegründet und stark emotional geprägt eingeschätzt.[13][6] Laut einer Studie des US-Automobilclubs AAA leiden überwiegend Leute, die kein Elektroauto haben, an Reichweitenangst; der Kauf eines Elektroautos lindere das Problem.[14] Eine Analyse des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) kommt zu dem Schluss, dass die weit überwiegende Zahl der Fahrten mit Elektroautos problemlos ohne nachzuladen bewältigt werden kann.[15] In einer internationalen Umfrage von LeasePlan und Ipsos 2019 zeigte sich, dass die Reichweitenangst in Deutschland besonders ausgeprägt ist (73 % in Deutschland gegenüber 45 % insgesamt).[16] In einer ein Jahr später durchgeführten erneuten Befragung zeigte sich ein deutlich gesunkener Anteil Personen, die die Reichweite vom E-Auto-Kauf abhält (international 34 %, in Deutschland 50 %).[17]
Weblinks
- Dennis Horn: Range Anxiety – von der Angst, mit leerem Akku am Straßenrand zu stehen, blog.wdr.de, 19. August 2015
- Uwe Jean Heuser: Tesla: Sie nennen es Reichweitenangst, Zeit Online, 1. April 2016
- Stefan Anker: Diese neuen Elektroautos werden sich durchsetzen, WeltN24, 5. Oktober 2016
Einzelnachweise
- Dr Ulrich Eberle, Dr Rittmar von Helmolt: Sustainable transportation based on electric vehicle concepts: a brief overview. In: Energy & Environmental Science. Band 3, Nr. 6, 2. Juni 2010, ISSN 1754-5706, doi:10.1039/C001674H (rsc.org [abgerufen am 4. Februar 2017]).
- Martin Gropp: Ein Elektroauto gegen die Reichweitenangst. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. November 2016, S. 26.
- Ben Schott: Range Anxiety. In: The New York Times, January 15, 2009. Abgerufen am 26. Juni 2010.
- Saqib Rahim: Will Lithium-Air Battery Rescue Electric Car Drivers From 'Range Anxiety'?. In: The New York Times, 7. Mai 2010. Abgerufen am 26. Juni 2010.
- Philipp Gunziger, Erik Linden, Andreas Wittmer: Das System Elektromobilität – Eine qualitatv-systemische Analyse der Einflussfaktoren auf die Elektromobilität in der Schweiz. In: Schweizer Jahrbuch für Verkehr 2018. IMP-HSG Institut für Systemisches Management und Public Governance, St. Gallen November 2018 (unisg.ch [abgerufen am 12. Mai 2021]).
- Wolfgang Reimann, Udo Wehner, Mirko Taubenreuther: Das Spiel mit der Reichweite Wechselwirkung von Automation und Elektromobilität. In: ATZelektronik. Band 10, Nr. 7, 1. September 2015, ISSN 2192-8878, S. 58–61, doi:10.1007/s35658-015-0580-3.
- Eric Loveday: "Range Anxiety" in 2nd Place on Norway’s "Words of the Year" List. Inside EVs.
- Årets ord: sakte-tv (in Norwegian) via Quartz, Norway is starting to have more electric cars than it can handle.
- Reichweitenangst bei Elektroauto I Blog. In: EnBW Blog. 15. Oktober 2019, abgerufen am 12. Mai 2021.
- Uwe Jean Heuser, Claas Tatje: Elektromobilität: Danke, Diesel. In: Die Zeit. 6. März 2019, abgerufen am 12. Mai 2021.
- Joachim Becker: Elektroautos: Was tun gegen die Reichweitenangst? In: Süddeutsche Zeitung. 3. März 2021, abgerufen am 12. Mai 2021.
- http://www.zeit.de/mobilitaet/2015-10/dieselmotor-alternativen-autoindustrie/seite-3 abgerufen am 4. Februar 2017
- Thomas Franke: Nachhaltige Mobilität mit begrenzten Ressourcen: Erleben und Verhalten im Umgang mit der Reichweite von Elektrofahrzeugen. 17. Februar 2014 (qucosa.de [abgerufen am 12. Mai 2021]).
- https://newsroom.aaa.com/2020/01/aaa-owning-an-electric-vehicle-is-the-cure-for-most-consumer-concerns/
- Elektromobilität: Reichweitenangst oft unbegründet. Abgerufen am 12. Mai 2021.
- Elektroauto-Studie: Vor allem deutsche Autofahrer haben Reichweitenangst. In: Elektroauto-News.net. 10. November 2019, abgerufen am 12. Mai 2021.
- Mobility Insights Report: Elektrofahrzeuge und Nachhaltigkeit. LeasePlan, Düsseldorf Februar 2021 (leaseplan.com [PDF]).