Puppenwagen
Der Puppenwagen ist ein Kinderspielzeug zum Transport sowie ein Schlaf- und Ruheplatz von Puppen. Ideengeber war der Stubenwagen für Säuglinge, dessen konventionelle Fertigung indes bald der Mode und Herstellung des 1880 in Großbritannien erfundenen Kinderwagens folgte. In den 1950er Jahren wurde in Westeuropa damit begonnen, von Kinderwagen-Modellen weitgehend exakte Puppenwagen-Kopien herzustellen, während der Stubenwagen unverändert weiter existiert und ebenfalls als Spielzeug erhalten blieb.
Geschichte
Kinderspielzeug
Da die Produktion von Kinderspielzeug jahrhundertelang von Handwerkern in Einzelanfertigung oder sehr geringen Stückzahlen[1], wenn nicht gleich innerhalb der Familien selbst erfolgte, ist der Nachweis schwierig, seit wann bestimmte Spielzeuge, wie Puppen und Puppenzubehör – wozu der Puppenwagen gehört – in größeren Stückzahlen und professioneller Fertigung hergestellt wurden. Lange Zeit handelte es sich bei Puppenspielzeug ausschließlich um innerhalb der Familie selbst hergestellte Objekte. Ein Großteil dieser antiken Puppen und deren Zubehör war aus leicht vergänglichen Materialien, wie Textilien, Wolle, Stroh oder Moos gefertigt und hat die Jahrtausende nicht überlebt. Holzpuppen tauchen im Fundmaterial ab dem 14. Jahrhundert auf. Industriell hergestellte Holzpuppen mit aufgemalter Kleidung sind auf den Märkten des 15. Jahrhunderts nachgewiesen und die ersten industriell gefertigten bekleideten Puppen kamen 1580 auf.[2]
Beförderung von Säuglingen und Kleinkindern
Sind Puppen schon seit Jahrtausenden beliebte Spielzeuge für Kinder, so sind Puppenwagen eine vergleichsweise junge Erscheinung, auch wenn sich nicht mehr exakt datieren lässt, wann der erste Puppenwagen hergestellt wurde. Da die Geschichte des Spielzeugs darüber hinaus in Kontext zu den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen steht und es für Kleinkinder bis in das ausgehende Mittelalter hinein keine eigens ihnen vorbehaltenen Beförderungsmittel gab, konnte sich der Puppenwagen erst entwickeln, als Säuglinge und Kleinkinder nicht mehr hauptsächlich getragen oder an den Körper gewickelt wurden. Hierbei handelt es sich zunächst um ein westliches und urbanes Phänomen; in anderen Kulturen und auf dem Land setzten sich Beförderungsmittel für Kleinkinder in der Regel erst deutlich später durch.
Zwischen 1170 und 1250 tauchte im europäischen Raum die Schubkarre auf, die bald auch für den Transport von Kindern verwendet wurde, wobei ihr Gebrauch jedoch bis zum 15. Jahrhundert relativ selten war[3] und überwiegend auf England, Frankreich und die Niederlande beschränkt blieb.[4]
Zwischen 1600 und 1800 waren in der Aristokratie, vorrangig als Statussymbol, Gefährte zum Transport von Kindern Karren, Wagen und Equipagen (kutschenartige Gespanne) in Mode, blieben indes auf diese Gesellschaftsschicht beschränkt. Ein 1733 im Nachlass des Dritten Duke of Devonshire gefundenes, reich dekoriertes Kummet-Wägelchen wurde vermutlich von dem englischen Architekten William Kent entwickelt.[5] Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem mittelalterlichen Leiterwagen kleinere Ziehwagen, die dem Transport von Kindern dienten und Ähnlichkeit mit dem heutigen Bollerwagen aufwiesen, wurden also gezogen und nicht geschoben.
Kinderwagen
1840 wurde in England die erste Fabrik für Kinderwagen gegründet und bediente wiederum zunächst hauptsächlich die Aristokratie und den Geldadel. Die ersten Modelle waren sehr hoch und hatten drei Räder; sie waren so konstruiert, dass die Babys darin nur sitzen konnten. Für die ersten Lebensmonate waren diese Wagen daher nicht geeignet. 1855 notierte ein Beobachter: „Die Straßen von London sind voller Kinderwagen, die mir bisher unbekannt waren und in denen die Babys von ihren Kindermädchen geschoben statt gezogen werden.“[6]
1880 wurden die ersten Modelle konstruiert, in denen der Säugling liegen konnte. Der Aufsatz bestand aus einem Korb aus Weidengeflecht, das Gestell hatte nun vier Räder.[7]
Mitte des 19. Jahrhunderts gründete der Stellmacher Ernst Albert Naether in Zeitz eine Firma zur Herstellung von Kinderwagen, die zu DDR-Zeiten in den volkseigenen Betrieb Zekiwa umgewandelt wurde.
Stubenwagen
Ursprünglich waren Puppenwagen Nebenprodukte der Kinderwagenindustrie. Dabei orientierte sich der Puppenwagen aber gar nicht am Kinderwagen, sondern an seinem Vorläufer, dem Stubenwagen, der ebenfalls aus Großbritannien stammt und sich im frühen 19. Jahrhundert aus der Wiege entwickelte. Der Puppenwagen ist daher deutlich älter als der Kinderwagen, wenngleich in späteren Zeiten die Puppenwagen meist der Mode der Kinderwagen folgten.
Puppenwagen
Spätestens mit dem Aufkommen dieser Stubenwagen dürfte es auch die ersten Miniatur-Stubenwagen gegeben haben, die für die Puppe der Tochter des Hauses gedacht waren und ist davon auszugehen, dass Kinder oder Erwachsene mit dem Aufkommen des Kinderwagens und seiner Vorläufer bald auf die Idee kamen, für Puppen ebenfalls solche Wagen herzustellen.
Entwicklung des Puppenwagens
In den 1950er Jahren wurde damit begonnen, in Kinderwagenfabriken auch exakt nachgebildete Puppenwagen herzustellen.
Deutsches Zentrum der Kinder- und Puppenwagenherstellung war Zeitz in Sachsen-Anhalt, wo 1846 die erste Kinderwagenfabrik gegründet wurde und wo es 1875 bereits 13 Kinderwagenfabriken gab, aus denen 1946 die VEB ZEKIWA (ZE-itzer KI-nder WA-genindustrie) hervorging. Dort wurden neben der Hauptproduktion von Kinderwagen jährlich bis zu 150.000 Puppenwagen hergestellt. Heute ist das Unternehmen privatisiert und die Produktion größtenteils ins Ausland verlegt. Es ist aber immer noch unter den Marktführern in der Herstellung von Kinder- und Puppenwagen.[8] Ab August 1874 warb die Berliner Kinder-Spielwarenfabrik Söhlke im Kladderadatsch für „Kinderwagen zum Stoßen“.[9]
Zunächst beherrschten aber die britischen „Prams“ den Markt.[10] Diese englische Bezeichnung für Kinderwagen leitet sich von „Perambulator“ ab, womit Charles Burton seinen ersten Kinderwagen beschrieb und 1853 zum Patent anmeldete. Nur kurz danach begann Ernst Albert Naether in Zeitz mit der Fertigung erster gezogener Deichselwagen. Um 1870 wurde die Variante zum Schieben entwickelt.
Der Kinderwagenbau entwickelte sich rasch zu einem eigenen Industriezweig. Es entstanden zahlreiche Kinderwagen-Manufakturen im Raum Zeitz, das sich zum Zentrum des europäischen Kinderwagenbaus etablierte. Von hier aus wurde ganz Europa beliefert. Der Katalog der Firma Naether aus dem Jahr 1896 enthielt bereits über 100 Modelle. In den 1920er und 1930er Jahren entwickelte sich eine wirkliche Massenfabrikation von Kinderwagen zu erschwinglichen Preisen. Die hohen Räder schrumpften, tiefliegende Wagen wurden aus Korb, Holz oder Stahlblech produziert. Bis zum Zweiten Weltkrieg blieb der Raum Zeitz das Zentrum der deutschen Kinderwagen-Industrie. Nach dem Krieg formierte sich die Kinderwagenindustrie auch in Oberfranken. Betriebe, die vor dem Krieg die Zeitzer Industrie mit Körben beliefert hatten, gingen zur Fertigung eigener Kinderwagen über. Im 20. Jahrhundert war die Kinderwagenindustrie stark vom Automobilbau beeinflusst. So wiesen die Kinderwagen der 1950er Jahre oftmals Zierleisten und geschwungene Kotflügel auf.
Hersteller von Puppenwagen aus dieser Zeit sind die Firmen Hecker sowie Knorr in Michelau in Oberfranken. Heutzutage gibt es in Michelau noch die Firma Bayer Design die sowohl Puppenwagen als auch Puppen fertigt. Michelau war früher die Wiege der deutschen Korwarenindustrie, aus dieser Gegend sind viele Hersteller im Möbel-, Kinderwagen- und Puppenwagensegment entstanden.
Modelle
Auch heute werden Puppenwagen und Kinderwagen oft zusammen in einem Unternehmen produziert. Somit orientieren sich die Puppenwagen an den aktuellen Kinderwagenmodellen und folgen deren jeweiliger Mode. Es gibt die verschiedensten Puppenwagen, ob nostalgischer Holzpuppenwagen, Korbpuppenwagen, Buggy, moderner Jogger oder umbaubares Kombimodell. Aber auch manche Puppenhersteller bieten im Sortiment des für ihre Puppen passenden Zubehörs Puppenwagen mit an.
Puppenwagen gibt es in kleinen und großen Ausführungen. Für jede Puppengröße findet sich ein passender Puppenwagen. Selbst für die Puppenkinder aus einem Puppenhaus gibt es Puppenwagen.
Die Puppenwagen sind oft bis in das kleinste Detail den Kinderwagen nachempfunden und verfügen über Klappverdeck, verstellbare Griffe, Einkaufsnetz, Sonnenschirm, Tragetasche, Fußsack für Sommer oder Winter und sind „selbstverständlich“ gefedert.
Literatur
- Manfred Bachmann, Claus Hansmann: Das große Puppenbuch. Eine Kulturgeschichte der Spielpuppe. 5., veränderte Auflage, Orbis, München 1988, ISBN 3-572-06874-6 (Lizenz der Edition Leipzig)
- Antonia Fraser: Schöne Puppen. Mundus, Essen 1986, ISBN 3-88385-011-X.
- Béatrice Fontanel/Claire d'Harcourt: Baby, Säugling, Wickelkind. Eine Kulturgeschichte. Gerstenberg 1998. ISBN 3-8067-2828-3.
- Volker Kutschera: Spielzeug, Spiegelbild der Kulturgeschichte. Residenz Verlag, 1975
- Rosemarie Pohl-Weber: Spielzeug unserer Eltern. Bremen o. J.
- Heinz Sturm-Godramstein: Kinderwagen gestern und heute. BoD, 2001. ISBN 3-8311-2212-1
- Ingeborg Weber-Kellermann: Die Kindheit. Kleidung und Wohnen, Arbeit und Spiel. Eine Kulturgeschichte. Frankfurt a. M. 1979.
- Heinz Sturm-Godramstein: Kinderwagen gestern und heute (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
- Friedrich von Zglinicki: Die Wiege. Pustet, 1979. ISBN 3-7917-0622-5
Weblinks
Einzelnachweise
- Marcus Frese: Die Gartenkultur im Kinderspiel. Spielzeug und Kinderbuch als Tor zur Gartenwelt. S. 27.
- Die Weltkunst. Zeit-Kunstverlag. Bd. 61 (1991) S. 240. ISSN 0043-261X.
- M. J. T. Lewis: The Origins of the Wheelbarrow. In: Technology and Culture, Bd. 35, Nr. 3. (Juli 1994), S. 453–475.
- Andrea L. Matthies: The Medieval Wheelbarrow. In: Technology and Culture, Bd. 32, Nr. 2, Teil 1. (April 1991), S. 356–364.
- Encyclopedia of Children and Childhood in History and Society. Gale 2003. ISBN 0-02-865714-4.
- Friedrich von Zglinicki: Die Wiege. S. 128.
- Béatrice Fontanel, Claire d'Harcourt: Baby, Säugling, Wickelkind. Eine Kulturgeschichte. S. 184 ff.
- Deutsches Kinderwagenmuseum Schloss Moritzburg
- A. Hofmann: Kladderadatsch. 1848 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Heinz Sturm-Godramstein: Kinderwagen gestern und heute.