Prüf- und Filtrationslager
Prüf- und Filtrationslager (russisch Проверочно-фильтрационные лагеря) waren Einrichtungen des sowjetischen Innenministeriums (NKWD), die während des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit bei der Repatriierung von Sowjetbürgern der Ausforschung von „Staatsfeinden“ dienten.
Während der Kriege in Tschetschenien betrieben die russischen Sicherheitskräfte Einrichtungen mit derselben Bezeichnung, die dazu dienen sollten, „Separatisten“ bzw. „Terroristen“ aufzuspüren. In diesem Zusammenhang wurde wiederholt von Menschenrechtsverletzungen in diesen Lagern berichtet.
Filtrationslager der UdSSR
Entstehung und Verwaltungsgeschichte
Die Lager wurden zunächst nur für Angehörige der Roten Armee aufgrund des Befehls GKO-1069ss des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR (GKO) vom 27. Dezember 1941 errichtet und unterstanden der Kontrolle des NKWD.[1] Die Durchführung wurde im NKWD-Erlass Nr. 001735 vom 28. Dezember 1941 geregelt.[2] Ziel war es, unter den Angehörigen der Roten Armee, die in feindliche Gefangenschaft geraten waren, die „Vaterlandsverräter, Spione und Deserteure“ zu identifizieren. Dazu sollten Soldaten oder Offiziere, die aus der Kriegsgefangenschaft befreit wurden oder sich selbst befreit hatten, ohne Ausnahme über sogenannte Zwischensammelstellen (russisch сборно-пересыльные пункты, SPP) im Frontbereich in Lager des NKWD zur „Filtration“ oder „staatlichen Überprüfung“ eingewiesen werden.[3] Anfangs wurden diese Lager der Hauptverwaltung für Kriegsgefangene und Internierte (GUPWI), ab 19. Juli 1944 dem GULag des NKWD untergeordnet. Mit Erlass vom 28. August 1944 wurde eine eigenständige Abteilung für Filtrations- und Prüflager innerhalb des NKWD gegründet. Am 20. Februar 1945 wurde diese in Abteilung für Sammel- und Filtrationslager (OPFL) umbenannt.[2]
Für zu repatriierende Ostarbeiter wurde am 24. August 1944 vom Staatlichen Verteidigungskomitee der UdSSR der Beschluss 6457ss „Über die Durchführung der Aufnahme von heimkehrenden Sowjetbürgern, die von Deutschen verschleppt worden waren“ gefasst und die Aufgabe dem NKWD übertragen. An den westlichen sowjetischen Grenzen wurden zu diesem Zweck Prüf- und Durchgangslager geschaffen, etwas weiter im Hinterland Prüf- und Filtrationslager.[4] Eine Vielzahl von zu repatriierenden Personen wurde jedoch noch auf deutschem und österreichischem Boden zu Demontagearbeiten und für andere Aufgaben festgehalten. Im November 1945 befanden sich noch 300.000 Personen dort.[5]
Internierte
Vom 27. Dezember 1941 bis zum 1. Oktober 1944 wurden in diesen Lagern 421.199 Internierte überprüft. Neben 354.592 ehemaligen Kriegsgefangenen befanden sich darunter auch 40.062 Polizisten.[6] Die Nahrungsmittel in den Lagern wurden nach den Normen für GULag-Häftlinge zugeteilt. Im Sommer 1945 wurden die Rationen weiter gekürzt.
Filtrationslager in Tschetschenien
In den Tschetschenienkriegen betrieben die russischen Sicherheitskräfte als Filtrationslager oder -punkte bezeichnete Internierungslager, die dem Verfahren nach den ursprünglichen NKWD-Filtrationslagern entsprachen.[7] In diesen wurde unter den zumeist willkürlich verhafteten Insassen nach „Separatisten“, „Terroristen“ oder „Terrorverdächtigen“ gesucht. Unabhängige Medien und Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch berichteten in diesem Zusammenhang wiederholt von schweren Verletzungen der Menschenrechte, die sich das Sicherheitspersonal dieser Lager zuschulden kommen habe lassen.
Diesen Berichten zufolge sei es insbesondere im zu Beginn des Zweiten Tschetschenienkriegs betriebenen Filtrationslager Tschornokosowo zur völligen Entrechtung der Insassen sowie während der Befragungen und Verhöre zu Misshandlungen und Folterungen aller Art gekommen.[8][9][10] Dieses Lager wurde später in eine Untersuchungshaftanstalt und dann in eine Strafkolonie umgewandelt.
Literatur
- Vladimir Doroševič: Unbekannte Archivdokumente zu sowjetischen Kriegsgefangenen: auf der Grundlage von Materialien des Zentralarchivs des KGB der Republik Belarus. In: Gefallen – Gefangen – Begraben. Zahlen und Fakten zu sowjetischen und deutschen Opfern des Zweiten Weltkriegs. Online-Publikation, Dokumentationsstelle Dresden 2011.
- Achim Kilian: Mühlberg 1938–1948: Ein Gefangenenlager mitten in Deutschland. Böhlau, Köln 2001, ISBN 3-412-10201-6, hier insbesondere das Kapitel C: Spezialkommandantur, S. 202–206 Google Books Vorschau
- J. Otto Pohl: The Stalinist Penal System. A Statistical History of Soviet Repression and Terror, 1930-1953. McFarland, 1997, ISBN 9780786403363.
- Peter Ruggenthaler: Der lange Arm Moskaus. Zur Problematik der Zwangsrepatriierungen ehemaliger sowjetischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener in die UdSSR. In: Siegfried Mattl u. a.(Hrsg.): Krieg, Erinnerung, Geschichtswissenschaft. Böhlau Verlag, Wien 2009, S. 233, ISBN 978-3-205781-93-6.
- Alexander Solschenizyn: Der Archipel GULAG. Band I, Scherz Verlag, Bern/München, S. 88–92 Google Books Vorschau
Film
- Andreas Gruber (Regie): Stalins Rache: Die Angst der Sieger vor der Heimkehr. D, 2016, Dokumentation, MDR, 52 Min. (Auch über das Wehrmachts-Kriegsgefangenenlager Zeithain (Stalag IV H bzw. Stalag IV/Z, heute Gedenkstätte und Soldatenfriedhöfe). Enthält Interviews mit nach 1993 rehabilitierten ehemaligen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiterinnen oder deren Angehörigen. Vier repatriierte "Heimkehrer" berichten von ihrer Rückkehr in die ehemalige Sowjetunion)
Weblinks
- Verteidigungsministerium der Russischen Föderation: Enzyklopädie des Großen Vaterländischen Krieges. Великая Отечественная война 1941–1945 годов. Band 6: Тайная война. Разведка и контрразведка в годы Великой Отечественной войны. S. 765–766: Festlegung des GKO (Staatliches Verteidigungskomitee der UdSSR) zur Errichtung von Filtrationspunkten vom 27. Dezember 1941, 2013, ISBN 978-5-9950-0340-3
Einzelnachweise
- Beschluss zur Errichtung der Prüf- und Filtrationslager vom 27. Dezember 1941 (Staatliches Verteidigungskomitee der UdSSR)
- Peter Ruggenthaler: Der lange Arm Moskaus. Zur Problematik der Zwangsrepatriierungen ehemaliger sowjetischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener in die UdSSR. In: Siegfried Mattl u. a.(Hrsg.): Krieg, Erinnerung, Geschichtswissenschaft. Böhlau Verlag, Wien 2009, S. 233, ISBN 978-3-205781-93-6.
- Vladimir Doroševič: Unbekannte Archivdokumente zu sowjetischen Kriegsgefangenen: auf der Grundlage von Materialien des Zentralarchivs des KGB der Republik Belarus. In: Gefallen - Gefangen - Begraben. Zahlen und Fakten zu sowjetischen und deutschen Opfern des Zweiten Weltkriegs. Online-Publikation, Dokumentationsstelle Dresden, 2011
- Peter Ruggenthaler: Der lange Arm Moskaus. Zur Problematik der Zwangsrepatriierungen ehemaliger sowjetischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener in die UdSSR. In: Siegfried Mattl u. a.(Hrsg.): Krieg, Erinnerung, Geschichtswissenschaft. Böhlau Verlag Wien, 2009, S. 234.
- Peter Ruggenthaler: Der lange Arm Moskaus. Zur Problematik der Zwangsrepatriierungen ehemaliger sowjetischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener in die UdSSR. In: Siegfried Mattl u. a.(Hrsg.): Krieg, Erinnerung, Geschichtswissenschaft. Böhlau Verlag, Wien 2009, S. 235.
- J. Otto Pohl: The Stalinist Penal System: A Statistical History of Soviet Repression and Terror, 1930-1953. McFarland, 1997, S. 50, ISBN 9780786403363
- Urteil vom 15. Juli 2004 - B 9 V 11/02 R (deutsches Bundessozialgericht)
- the 'Hell' of Chernokozovo (The Moscow Times)
- Hundreds of Chechens Detained in "Filtration Camps" (Human Rights Watch)
- Tales of torture leak from Russian camps (The Guardian)