Polnischer Raum
Im Teilgebiet Topologie der Mathematik ist ein polnischer Raum ein separabler und vollständig metrisierbarer topologischer Raum.[1]
Dabei bedeutet vollständig metrisierbar, dass es eine Metrik auf gibt, die die Topologie induziert und zugleich vollständig ist, das heißt, dass jede Cauchy-Folge bezüglich konvergiert. (Eine Metrik induziert die Topologie auf , wenn wir die offenen Mengen von durch offene Kugeln bezüglich erklären können.) Man beachte, dass die Vollständigkeit von der Metrik abhängt: Ist der Raum bezüglich einer Metrik vollständig, so kann es andere Metriken geben, die dieselbe Topologie erzeugen, und nicht vollständig sind. Es wird hier gefordert, dass es wenigstens eine vollständige Metrik gibt, die die Topologie erzeugt.
Ein topologischer Raum heißt separabel, wenn es eine abzählbare und dichte Teilmenge gibt, das heißt ist gleichmächtig zur Menge der natürlichen Zahlen und es gilt . Durch diese Eigenschaft werden polnische Räume in ihrer Größe eingeschränkt, sie sind daher auch maßtheoretischen Methoden zugänglich.
Polnische Räume sind gleichwertig dadurch charakterisiert, dass sie vollständig metrisierbar sind und ihre Topologie eine abzählbare Basis hat.[2][3]
Separable und vollständig metrisierbare topologische Räume werden zu Ehren der polnischen Mathematiker, die sich als erste mit ihnen beschäftigten (Sierpiński, Kuratowski, Tarski), polnisch genannt. Die Terminologie geht auf Nicolas Bourbaki zurück.[2] Polnische Räume sind zentraler Untersuchungsgegenstand der deskriptiven Mengenlehre und spielen eine wichtige Rolle in der Maßtheorie, etwa im Zusammenhang mit Radon-Maßen.[4]
Effektive polnische Räume
Ein effektiver polnischer Raum ist ein polnischer Raum, der eine berechenbare Repräsentation besitzt. Derartige Räume sind Gegenstand der effektiven deskriptiven Mengenlehre und der konstruktiven Analysis.
Formal ist ein effektiver polnischer Raum ein polnischer Raum mit einer Metrik , so dass es eine abzählbare dichte Menge gibt, welche die folgenden zwei Relationen auf berechenbar macht:[5]
Beispiele
- Jeder endliche oder abzählbar unendliche diskrete Raum ist ein polnischer Raum.
- Für jedes ist mit seiner natürlichen Topologie ein polnischer Raum.
- Allgemein ist jeder separable Banachraum versehen mit der durch seine Norm induzierten Topologie polnisch, etwa viele Funktionenräume wie die -Räume, die Sobolev-Räume oder die Folgenräume jeweils für endliches oder gängige metrische Räume stetiger Funktionen.
- Jeder kompakte metrisierbare Raum ist polnisch.
- Allgemein ist jeder lokalkompakte, metrisierbare Raum, welcher abzählbar im Unendlichen ist, ein polnischer Raum[6].
- Das Produkt von polnischen Räumen (ausgestattet mit der Produkttopologie) bildet einen polnischen Raum, wenn die Indexmenge I endlich oder abzählbar ist.
- Das cantorsche Diskontinuum ist ein polnischer Raum.
- Die Menge der irrationalen Zahlen bildet einen polnischen Raum. In der üblichen ("euklidischen") Metrik (die durch definiert ist) sind die Irrationalzahlen zwar nicht vollständig; eine Folge von Irrationalzahlen, die gegen eine rationale Zahl konvergiert, ist zwar eine Cauchyfolge, aber hat im Raum der Irrationalzahlen keinen Grenzwert. Die Irrationalzahlen sind aber homöomorph zum Baire-Raum, dem Produkt von abzählbar vielen Kopien der natürlichen Zahlen. Explizit kann man eine vollständige Metrik auf den Irrationalzahlen so angeben: , wenn die ersten Terme der Kettenbruchentwicklung von und übereinstimmen, aber nicht der -te Term.
- Jeder abgeschlossene Unterraum eines polnischen Raums ist seinerseits ein polnischer Raum.
- Ein Unterraum eines polnischen Raums ist seinerseits ein polnischer Raum dann und nur dann, wenn er eine Gδ-Menge ist, also die Schnittmenge abzählbar vieler offener Teilmengen in der gegebenen Topologie (Satz von Mazurkiewicz)[7].
- Die polnischen Räume sind bis auf Homöomorphie genau die Gδ-Teilmengen des Hilbertwürfels [8][7].
- Jeder polnische Raum ist Bild einer stetigen Surjektion aus dem Baire-Raum. Der Baire-Raum ist ebenso wie der Cantor-Raum effektiv.
Siehe auch
Lehrbücher
- Heinz Bauer: Maß- und Integrationstheorie. 2., überarbeitete Auflage. de Gruyter, Berlin 1992, ISBN 3-11-013626-0.
- Boto von Querenburg: Mengentheoretische Topologie. Springer, Berlin u. a. 1973, ISBN 3-540-06417-6.
Einzelnachweise
- Donald L. Cohn: Measure Theory. Birkhäuser, Boston MA u. a. 1980, ISBN 3-7643-3003-1, Kapitel 8.1.
- Bauer: Maß- und Integrationstheorie. 1992, S. 178.
- Querenburg: Mengentheoretische Topologie. 1973, S. 148.
- Bauer: Maß- und Integrationstheorie. 1992, S. 178–190.
- Yiannis N. Moschovakis: Descriptive Set Theory (= Mathematical Surveys and Monographs. Bd. 155). 2nd Edition. American Mathematical Society, Providence RI 2009, ISBN 978-0-8218-4813-5.
- Querenburg: Mengentheoretische Topologie. 1973, S. 149.
- Querenburg: Mengentheoretische Topologie. 1973, S. 150.
- Oliver Deiser: Reelle Zahlen. Das klassische Kontinuum und die natürlichen Folgen. 2., korrigierte und erweiterte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2008, ISBN 978-3-540-79375-5, Korollar auf Seite 335.