Operation Jubilee
Operation Jubilee war eine am 19. August 1942 durchgeführte Landungsoperation der Westalliierten – hauptsächlich kanadische Truppen – im Zweiten Weltkrieg gegen den Hafen von Dieppe im deutsch besetzten Nordfrankreich. Beteiligt waren 237 Schiffe und etwa 7500 kanadische, US-amerikanische, britische, polnische und französische Soldaten. Ziel des Angriffs war die kurzzeitige Inbesitznahme der Stadt Dieppe, die nach spätestens 24 Stunden wieder hätte geräumt werden sollen. Auf diese Weise wollte die Royal Air Force die deutsche Luftwaffe dazu bringen, mit starken Kräften bei Dieppe aktiv zu werden, die dann von britischen Jagdfliegern gestellt und vernichtet werden sollten. Außerdem sollte eine Landeoperation unter Gefechtsbedingungen geprobt und die Reaktion der deutschen Führung auf den Ausfall der bei Dieppe installierten Radaranlage getestet werden, sowie eruiert werden, ob ein zweites vermutetes Radarsystem bereits einsatzfähig war.
Die Operation wurde unter hohen alliierten Verlusten von bis zu 70 % der eingesetzten Streitkräfte vorzeitig abgebrochen. Auch das Luftgefecht resultierte in einer Niederlage der RAF, die doppelt so viele Maschinen verlor wie die Luftwaffe. Im englischen Sprachraum ist der Angriff auch als Dieppe Raid bekannt. Von der deutschen Propaganda wurde der Sieg gefeiert und in seiner Bedeutung stark übertrieben, um der Bevölkerung zu suggerieren, gegen alliierte Invasionen im Westen gewappnet zu sein.
Angriffsvorbereitung
Der Vorstoß gegen Dieppe ging maßgeblich von Admiral Lord Louis Mountbatten, Chef der Combined Operations, aus. Der Angriff sollte ursprünglich im Juli 1942 stattfinden und erhielt den Codenamen Operation Rutter. Das Ziel lag hauptsächlich in der Erprobung der Möglichkeit, einen Hafen auf dem besetzten Festland über einen kurzen Zeitraum zu halten. Zudem wünschte die Führung der RAF eine Gelegenheit, die Luftwaffe erstmals seit Ende 1940 wieder in ein größeres Gefecht zu verwickeln. Des Weiteren sollten nachrichtendienstliche Informationen gesammelt und das Verhalten der deutschen Besatzer analysiert werden. Für den Angriff wurden überwiegend kanadische Soldaten ausgewählt, die nach längerer Zeit wieder einen Kampfeinsatz bestreiten sollten.
Operation Rutter wurde im Mai 1942 genehmigt. Der Hauptangriff sollte auf den Strand von Dieppe durchgeführt werden. Mit Unterstützung der Royal Air Force (RAF) und der Royal Navy sollten in erster Linie britische Fallschirmjäger und die 2. kanadische Division das Gebiet besetzen. Allerdings verhinderte schlechtes Wetter das Unternehmen, so dass Rutter am 7. Juli abgebrochen wurde.
Nachdem der Angriff auf Dieppe zu dieser Zeit nicht ausgeführt werden konnte, und sogar General Montgomery ein solches Unternehmen auf unbestimmte Zeit verschieben wollte, arbeitete Mountbatten Pläne für einen erneuten Vorstoß aus. Der Angriff erhielt nun die Bezeichnung Operation Jubilee. Obwohl er nicht die nötige Unterstützung übergeordneter Stellen erhielt, ließ Mountbatten nicht von seinem Vorhaben ab und begann mit entsprechenden Angriffsvorbereitungen Mitte Juli des Jahres 1942. Es wurde später von alliierter Seite vermutet, dass der deutsche Geheimdienst zu jener Zeit detaillierte Informationen über den Angriff besaß, die in Großbritannien operierende Agenten geliefert hatten. Angeblich soll Hitler auf Grund dieser Berichte kampferprobte Einheiten der Wehrmacht nach Nordfrankreich verlegt haben. Weitere Indizien stützten den Verdacht einer baldigen Landung, wie beispielsweise auffälliger britischer Schiffsverkehr entlang des Kanals. Ebenfalls hielten deutsche Militärs am 17. August in Angers Planspiele bezüglich eines alliierten Angriffs auf Dieppe ab. Die Vermutung, dass die Deutschen über den bevorstehenden Angriff informiert waren, konnte allerdings bis heute nicht bestätigt werden.
Für Jubilee wurde erneut die 2. kanadische Division unter Leitung von Major General J. H. Roberts ausgewählt. Nach ihrer Landung bei Pourville und Puys sollte sie einen Frontalangriff auf Dieppe durchführen. Verteidigungsstellungen im Westen bei Varengeville-sur-Mer und Quiberville sowie im Osten bei Berneval sollten zuvor durch Kommandoeinheiten ausgeschaltet werden. Bodenunterstützung sollten 30 Kampfpanzer des Typs Churchill leisten. Von Seeseite her gaben 252 britische Schiffe Feuerschutz, und die RAF und die 8th Air Force boten 74 Flugzeugstaffeln auf. Insgesamt sollten 6100 alliierte Soldaten – darunter 5000 Kanadier – an der Küste abgesetzt werden.
Auf deutscher Seite stand die 302. Infanterie-Division, insbesondere das Infanterie-Regiment 571 mit etwa 1500 Soldaten, zur Verteidigung des Abschnitts bereit.
Verlauf
Am Abend des 18. August 1942 verließen etwa 240 Schiffe mehrere englische Kanalhäfen. Den ersten Zwischenfall gab es, als ein Schiffsverband, der den 3. Kommandotrupp transportierte, am frühen Morgen des 19. August auf einen deutschen Konvoi stieß. Dieser konnte zwar schnell aufgerieben werden, er alarmierte zuvor jedoch noch die Küstenverteidigung. Nach dem Zwischenfall waren die Einheiten zerstreut, weswegen nur 18 Kommandosoldaten die Küste bei Berneval erreichten, wo sie die Mannschaften einiger Verteidigungsstellungen überwältigen konnten. Obwohl es ihnen nicht möglich war, die Anlagen zu sprengen, hielten sie die Stellungen anderthalb Stunden lang. Die Soldaten des 4. Kommandotrupps unter Lord Lovat landeten vollzählig bei Varengeville, wo sie die Küstenbatterie zerstörten und sich wieder einschifften.[1]
Die alarmierten deutschen Einheiten des Infanterie-Regiments 571 der 302. Infanterie-Division unter Oberstleutnant Hermann Bartelt hatten sich inzwischen bei den gefährdeten Küstenabschnitten positioniert. Ein kanadisches Regiment landete nach 5:00 Uhr – später als erwartet und damit nicht mehr im Schutze der Dunkelheit – bei Puys, wo es sofort unter Beschuss genommen wurde. Innerhalb einer Stunde fielen 225 von 600 kanadischen Soldaten; 264 wurden gefangen genommen und nur 33 konnten nach England zurückkehren. Um 4:50 Uhr waren die South Saskatchewan und die Cameron Highlanders bei Pourville gelandet. Auch sie konnten ihre Ziele auf Grund starken deutschen Widerstands nicht erreichen und mussten sich zurückziehen.
Um 5:20 Uhr landeten Soldaten der Royal Hamilton und Essex Scottish am Strand von Dieppe, wo sie sofort starkem Maschinengewehrfeuer ausgesetzt waren. Die zur Unterstützung bereitgestellten Churchill-Panzer wurden zu spät abgesetzt und blieben in Sperren stecken; sie wurden größtenteils zerstört. Wegen gestörter Nachrichtenübermittlung war die alliierte Führung nicht über die Vorgänge an den Landungszonen informiert und entschied, weitere Einheiten abzusetzen. Die bereits hoffnungslose Lage am Strand vermochten auch die Verstärkungstrupps nicht zu ändern.
Um 10:50 Uhr gab die alliierte Führung den Rückzugsbefehl. Bis dahin hatte sie 4359 Mann an Verlusten zu beklagen, darunter 1179 Gefallene und 2190 Gefangene.
Die britische RAF und die kanadische RCAF verloren 119 Flugzeuge, vor allem Spitfires; die deutsche Luftflotte 3 verlor am 19. August 1942 74 Flugzeuge (davon 49 Totalschäden): 5 Aufklärer, 29 Jagdflugzeuge und 40 Bomber. 109 Mann betrugen die Personalverluste der Luftwaffe, davon 25 Verwundete und 37 Vermisste.[2] Die Wehrmacht hatte insgesamt mindestens 311 Gefallene und 280 Verwundete zu beklagen.
Folgen
In Großbritannien verfestigte sich nach der Niederlage die Erkenntnis, dass die von Stalin geforderte zweite Front in Westeuropa 1942 noch nicht aufgebaut werden konnte. Des Weiteren lieferte der Dieppe-Angriff wichtige Erkenntnisse für die spätere Operation Overlord.
Insgesamt zeigte sich, dass die deutschen Truppen sehr schnell reagierten und eine starke und konsequente Gegenwehr organisieren konnten, der die alliierten Angreifer noch nicht gewachsen waren. Die deutsche Propaganda übertrieb das Ausmaß der Kämpfe und die Anzahl der beteiligten Truppen allerdings dramatisch und bezeichnete den alliierten Vorstoß in der Deutschen Wochenschau (Nr. 628) als den lange erwarteten großangelegten Invasionsversuch, um eine zweite Front zu errichten; er habe aber gegen jegliche militärische Logik verstoßen und rein politischen Zwecken gedient.
Die Wehrmacht zog viele Lehren aus dem Dieppe-Unternehmen. Die 302. Infanterie-Division ordnete die Küstenartillerie im Bereich von Dieppe neu. Die Division entwickelte auch neue Ausbildungsmethoden, um die Wirksamkeit des alliierten künstlichen Nebels zu verringern.[3] Darüber hinaus führte die Luftwaffe neue Taktiken ein. Oberbefehlshaber West Gerd von Rundstedt bestand darauf, dass die Deutschen aus der Schlacht lernen müssen. Er schrieb in einem Befehl im September: "Ebenso wie wir aus dem Tag von Dieppe wertvollste Erfahrungen gesammelt haben, genau so hat sie der Feind gesammelt. Ebenso wie wir die Erfahrungen nun für die Folgezeit auswerten, genau so wird es der Feind tun, vielleicht sogar noch mehr, da er seine Erfahrungen teuer erkauft und sehr bitter bezahlt hat".[4]
Soldatenfriedhof
Die Wehrmacht legte einen Friedhof für die gefallenen Soldaten an. Dieser heißt heute Dieppe Canadian War Cemetery.[5] Die Gräber wurden nach deutschem Muster in Reihen, mit Grabsteinen Rücken an Rücken angelegt – unüblich für alliierte Soldatenfriedhöfe.
Nachspiel
Am 1. September 1944 marschierte die kanadische 2. Infanteriedivision (diesmal auf dem Landweg) kampflos in Dieppe ein; die Wehrmacht hatte sich am Tag zuvor zurückgezogen.[6] Bernard Montgomery hatte dafür gesorgt (Befehl vom 20. August 1944), dass genau diese Division Dieppe einnahm.[7] Im Hafen von Dieppe landeten am 7. September die ersten alliierten Versorgungsschiffe.[6]
Weblinks
Einzelnachweise
- Max Harper Gow/Louis Jebb: Lord Lovat. Nachruf in The Independent, 20. März 1995, abgerufen am 4. März 2020
- Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg, Verlustlisten RL 2/III
- James Shelley: Dieppe: a German Learning Experience - James Shelley. In: media.kcl.ac.uk. King's College London. Abgerufen am 23. Juni 2021.
- James Shelley: The Germans and Air Power at Dieppe: The Raid and its Lessons from the ‘Other Side of the Hill’. In: War in History. 2021. doi:10.1177/0968344521995867.
- http://ca.france.fr: Dieppe Memorial, Commonwealth War Graves Commission Cemetery Details
- The Victory Campaign. In: Official History of the Canadian Army. S. 300, abgerufen am 12. Januar 2016.
- Terry Copp: Return to Dieppe: September 1944. In: Canadian Military History. Band 1, Nr. 1,2, 1992, S. 71–78 (scholars.wlu.ca [abgerufen am 12. Januar 2016]).