Oliver Rathkolb
Oliver Rathkolb (* 3. November 1955 in Wien) ist ein österreichischer Neuzeithistoriker an der Universität Wien.
Karriere
Nach den Studien der Geschichte und der Rechtswissenschaft an der Universität Wien (1978 Promotion zum Dr. iur.) absolvierte Rathkolb ein Doktoratsstudium bei Gerhard Jagschitz zum Dr. phil. ebendort (1982).[1] Von 1985 bis 2003 war er wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Bruno Kreisky Archiv; im selben Jahr wurde er von Bruno Kreisky als SPÖ-Mitglied angeworben[2]. Seit Februar 1992 umfasst seine Funktion dort auch jene des Wissenschaftskoordinators des Bruno Kreisky Forums für Internationalen Dialog. Von September 1984 bis Mai 2005 war er wissenschaftlicher Angestellter des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Gesellschaft, ab Jänner 1994 dessen Co-Leiter. Von Juni 2005 bis 2008 war er Direktor des Ludwig Boltzmann-Instituts für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit. Erika Weinzierl war seine langjährige Lehrerin und Mentorin.[3]
1993 habilitierte er sich über die „US-Großmachtpolitik gegenüber Österreich 1952/53–1961/62 im US-Entscheidungsprozeß“. Im Mai 1993 wurde ihm die Lehrbefugnis als Dozent für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte und eine Zuordnung an das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien erteilt. 1996 war er von der Bundesregierung beauftragt, als Mitglied einer Expertenkommission zu den amerikanischen Waffendepots in Österreich mitzuarbeiten, und der angeblich vom CIA finanzierten paramilitärischen Organisation von Franz Olah (OeWSGV) zu führen. Von 2005 bis 2007 hatte er eine Zeitprofessur am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien inne. Seit 1. März 2008 ist Rathkolb Universitätsprofessor an der Universität Wien. Von 1. Oktober 2008 bis 30. September 2012 war er Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität. Diese Funktion übt er seit dem 1. Oktober 2016 wieder aus.[4] 2009–2014 war er Sprecher des Initiativkollegs „Europäische Historische Diktaturen- und Transformationsforschung“ der Universität Wien und seit Februar 2009 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats für das „Haus der Europäischen Geschichte“ beim Europäischen Parlament; im Juni 2019 übernahm er den Vorsitz dieses internationalen Gremiums. Ab 2006 war er Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Theodor-Körner-Fonds zur Förderung von Wissenschaft und Kunst, 2020 folgte ihm Barbara Prainsack in dieser Funktion nach.[5]
In den Jahren 2000 bis 2001 hatte er eine Schumpeter Forschungsprofessur am Center for European Studies der Harvard University inne.[6] Im Sommersemester 2001 war er Gastprofessor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, im Sommersemester 2003 Gastprofessor am Department of History der Universität von Chicago. Lehraufträge hält er an der Diplomatischen Akademie Wien, der Universität Salzburg sowie an Wien-Programmen der Duke University und am University System of Maryland. Seit 2002 fungiert er als geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift zeitgeschichte und Mitbegründer, Mitherausgeber sowie Redaktionsmitglied der interdisziplinären Fachzeitschrift Medien und Zeit. Er verfasst laufend Expertisen zu zeitgeschichtlichen Fragen für renommierte nationale und internationale Medien. Seit 2015 ist Rathkolb Vorsitzender des internationalen wissenschaftlichen Beirats für das Haus der Geschichte Österreich; ab Oktober 2019 Mitglied des Senats der Universität Wien.
Rathkolb ist seit 1985 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Für Armin Thurnher ist er ein „in der Kreisky-Ära geprägter Sozialdemokrat“[7]; seine SPÖ-Nähe ist regelmäßig[8][9] Anlass zur Kritik seiner Positionen.
Forschungsschwerpunkte
Rathkolbs Forschungsschwerpunkte sind die europäische Geschichte im 20. Jahrhundert, die österreichische und internationale Zeit- und Gegenwartsgeschichte im Bereich der politischen Geschichte und der österreichischen Republikgeschichte im europäischen Kontext, die historische Diktatur- und Transformationsforschung sowie die Geschichte der internationalen Beziehungen, NS-Perzeptionsgeschichte, Kultur- und Mediengeschichte, Wirtschaftsgeschichte (Industrie- und Bankenbereich), der Nationalsozialismus und die Rechtsgeschichte.
Schriften
Oliver Rathkolb ist Autor von Monographien, zahlreichen Sammelwerken und etwa 220 wissenschaftlichen Beiträgen in in- und ausländischen Fachorganen sowie Sammelbänden. Im Jahr 2005 wurde er mit dem Donauland-Sachbuchpreis Danubius und dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch für Die paradoxe Republik ausgezeichnet.
- Raoul Bumballa, ein politischer Nonkonformist 1945. Fallstudie zur Funktion der O5 im Widerstand und in der Parteienrestauration, in: Rudolf G. Ardelt, Wolfgang J. A. Huber, Anton Staudinger (Hrsg.): Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl. Zum 60. Geburtstag, Geyer, Wien/Salzburg 1985, ISBN 3-85090-119-X, S. 295–317.
- Es ist schwer jung zu sein. Jugend und Demokratie in Österreich 1918–1988, J und V, Wien 1988, ISBN 3-224-10691-3.
- Führertreu und Gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich, ÖBV, Wien 1991, ISBN 3-215-07490-7.
- Washington ruft Wien. US-Großmachtpolitik gegenüber Österreich 1953–1963, Böhlau, Wien 1997, ISBN 3-205-98197-9.
- Die paradoxe Republik. Österreich 1945–2005, Zsolnay, Wien 2005, ISBN 3-552-04967-3; aktualisierte und erweiterte Neuausgabe: Die paradoxe Republik. Österreich 1945–2015, Zsolnay, Wien 2015, ISBN 978-3-552-05723-4.
- Negative Campaigning. In: Thomas Hofer, Barbara Tóth (Hrsg.): Wahl 2017. Loser, Leaks & Leadership. ÄrzteVerlag, Wien 2017, ISBN 978-3-9503276-4-9, S. 153–163.
- Die Macht der Bilder: 50 Jahre Rundfunkreform, gemeinsam mit Andreas Novak, Kral-Verlag, Berndorf 2017, ISBN 978-3-99024-710-5.
- Schirach. Eine Generation zwischen Goethe und Hitler, Molden Verlag, Wien 2020, ISBN 978-3-222-15058-6.
Herausgeberschaften
- mit Barbara Coudenhove-Kalergi: Die Beneš-Dekrete. Czernin, Wien 2002, ISBN 3-7076-0146-3.
- Außenansichten: Europäische (Be)Wertungen zur Gegenwartsgeschichte im 20. Jahrhundert. Studien-Verlag, Innsbruck/Wien/Bozen/München 2003, ISBN 3-7065-1816-3.
- 250 Jahre. Von der Orientalischen zur Diplomatischen Akademie in Wien. Studien-Verlag, Innsbruck/Wien/Bozen/München 2004, ISBN 3-7065-1921-6.
- mit Theodor Venus und Ulrike Zimmerl: Bank Austria Creditanstalt. 150 Jahre österreichische Bankengeschichte im Zentrum Europas. Zsolnay, Wien 2005, ISBN 3-552-05356-5.
- mit Maria Wirth und Michael Wladika: Die „Reichsforste“ in Österreich 1938–1945. Arisierung, Restitution, Zwangsarbeit und Entnazifizierung. Böhlau, Wien 2010, ISBN 978-3-205-78482-1.
- als Projektleiter, mit Birgit Nemec, Peter Autengruber und Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht Straßennamen Wiens seit 1860 als „Politische Erinnerungsorte“. erstellt im Auftrag der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wien 2013 (online).
- mit Hannes Heer und Christian Glanz: Richard Wagner und Wien. Antisemitische Radikalisierung und das Entstehen des Wagnerismus. Hollitzer Verlag, Wien 2017, ISBN 978-3-99012-306-5.
Auszeichnungen
- 2005: Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch (Hauptpreis)[10] für das Buch Die paradoxe Republik
- 2011: Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse
- 2012: Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaften
- 2015: Goldenes Ehrenzeichen des Landes Wien[11]
- 2016: Großes Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich[12]
Weblinks
- Literatur von und über Oliver Rathkolb im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Oliver Rathkolb: „Musste mir alles erkämpfen“ (Memento vom 24. Juni 2013 im Internet Archive)
- Archivaufnahmen mit und über Oliver Rathkolb im Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek
Einzelnachweise
- Dissertation: Politische Propaganda der amerikanischen Besatzungsmacht in Österreich 1945 bis 1950: ein Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges in der Presse-, Kultur- und Rundfunkpolitik.
- Leila Al-Serori: Historiker über Ibiza-Affäre in Österreich. Abgerufen am 8. September 2021.
- Friedrich Stadler: Von Salzburg nach Wien: A Sentimental Journey. Persönliche Erinnerungen anstatt einer Laudatio. In: Lucile Dreidemy u. a. (Hrsg.): Bananen, Cola, Zeitgeschichte. Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2015, ISBN 978-3-205-20091-8, S. 42–45, hier S. 42 f.
- Rathkolb Oliver – Institutsvorstand. Institut für Zeitgeschichte, abgerufen am 3. Dezember 2017.
- Barbara Prainsack als neue Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirat des Theodor Körner Fonds bestellt. In: univie.ac.at. Abgerufen am 21. November 2020.
- Personal Details: Rathkolb, Oliver, „Public History Weekly“.
- Armin Thurnher: Österreich allein zu haus. In: Falter. 9. November 2005, archiviert vom Original am 15. Juni 2014; abgerufen am 7. August 2018.
- Die FURCHE: Musikinstrumente-Sammlung: Der Größenwahn des Oliver Rathkolb. Abgerufen am 8. September 2021 (österreichisches Deutsch).
- https://twitter.com/heimolepuschitz/status/1158734678897115136. Abgerufen am 8. September 2021.
- Bruno-Kreisky-Preis für das Politische BuchPreisträgerInnen 1993-2018, renner-institut.at, abgerufen 1. Dezember 2019
- Rathauskorrespondenz vom 12. November 2015: Goldenes Ehrenzeichen für Oliver Rathkolb: „Leidenschaftlicher Historiker und Citoyen“, abgerufen am 13. November 2015.
- 16.09.2016: Mitterlehner überreicht hohe staatliche Auszeichnungen für wissenschaftliche Leistungen. Abgerufen am 2. März 2017.