Nutella-Bande
Die Nutella-Bande war eine Zuhälterorganisation im Hamburger Rotlichtviertel St. Pauli, die Ende der 1970er bis Mitte der 1980er einen Großteil der Prostitution kontrollierte und in direkter Konkurrenz zur alteingesessenen GMBH[1] stand.
Namensherkunft
Die Nutella-Bande wurde so genannt, da ihre Mitglieder meist jünger als die Zuhälter (sogenannte „Jungluden“) der GMBH waren und sich ihr Revier auf der Straße zunächst mit den Fäusten erkämpfen mussten. Die neue Organisation hatte im Allgemeinen einen „jüngeren und frischeren“ Ruf als die dominierende GMBH-Gruppierung. Dies bezog sich sowohl auf ihr Auftreten und die jüngeren Prostituierten, die für sie arbeiteten.
„…und die sogenannte Nutella-Bande. Diesen Namen verdankt die Truppe junger Männer ihren älteren Rivalen. Die belächeln die Jungen und meinen, sie sollten mehr Nutella-Brote essen, um erst einmal groß und stark zu werden…“
Eine andere Version leitete diesen Namen davon her, dass zwei Mitglieder Schwarze waren.[3]
Geschichte
Gründungsmitglied der Nutella-Bande war der ehemalige Matrose Peter Töpfer,[4] der sich Mitte der 1970er Jahre mit neun weiteren Zuhältern zu einer neuen Organisation zusammenschloss, die sehr bald mehr als hundert Huren kontrollierte. In dieser Zeit war mit Prostitution noch sehr viel Geld zu verdienen. Hamburg-St. Pauli wurde in dieser Zeit vom britischen Daily Mirror als „Sex-Hauptstadt der Welt“ bezeichnet. Ausgangspunkt der neuen Geschäfte war zunächst das, für seine Drogenexzesse um Uschi Obermaier und Dieter Bockhorn berühmte, Galerie-Café Adler in Eimsbüttel, in dem die Zuhälter um Töpfer zusammenkamen, um die neue Marschroute für den Kiez festzulegen.
Einer der Anführer der Nutella-Bande, die ihr Revier um Herbertstraße und Reeperbahn absteckten, war Klaus Barkowsky. Sie konnten ihre Ziele mit Nachdruck durchsetzen, als sie den Kampfsportler und Boxer Thomas Born „Karate-Tommy“ von der GMBH als sogenannten „Stress-Manager“[5] (Enforcer, Durchsetzer) abwarben. Die Nutella-Bande gehörte zu einer neuen Generation Hamburger Zuhälter, die größten Wert auf Statussymbole wie Sportwagen, wertvolle Rolex-Uhren und dergleichen legten. Im Vergleich zur GMBH, die ihre Prostituierten teilweise misshandelt hatten, wurde ihnen ein humanerer Umgang mit den weiblichen Beschäftigten nachgesagt. Die Organisation beschäftigte überwiegend Frauen, die in dem Großbordell und Laufhaus „Eros Center“[6], auf der Reeperbahn Nr. 146, arbeiteten. Die Nutella-Bande umfasste Mitte der 1980er Jahre etwa 80 Zuhälter, davon zehn in der oberen Führungsetage, und 350 Prostituierte. Von den ehemaligen Mitgliedern sind die meisten entweder tot, verhaftet oder haben sich wie Peter Töpfer[3] oder Stefan Mitroi[7] vollständig von der Zuhälterei getrennt.
Mordopfer
- 29. September 1981. † Fritz Schroer „Chinesen-Fritz“ Zuhälter und Drogendealer[8], in der Kneipe „Zur Ritze“ erschossen, Täter unbekannt.
- 12. April 1982. † Dieter Mohr, Kneipenbesitzer[9] und Kassier der GMBH und Stellvertreter von Michael Luchting, in Kiel erschossen. Die als Polizisten verkleideten Täter klingeln an der Wohnung des Opfers.
- 31. Mai 1982. † Heinz Dieter Förster, Geldverleiher[10], genannt der „Wucherer von St. Pauli“, erschlagen in einem Audi aufgefunden.
- 3. Juni 1982. † Dieter Glocke, einflussreicher Zuhälter, stirbt nachdem er zwei Tage zuvor von einem VW Variant auf der Reeperbahn überfahren wurde.
- 11. Oktober 1982. † Hans Wenck, Wirtschafter im Eros-Center, erstochen, nachdem er sich in einen Streit zwischen Zuhältern und Prostituierten einmischt.
- 16. Oktober 1982. † Michael „Schöner Mischa“ Luchting, führendes GMBH-Mitglied, erhängt auf einem Hochsitz bei Thieshope im Landkreis Harburg, möglicherweise erzwungener Selbstmord. Als Täter kommen andere Mitglieder der GMBH, „Mucki“ Pinzner oder eine Kombinationen von Tätergruppen in Frage.
- 20. Oktober 1982. † Jürgen „Angie“ Becker und † Klaus „SS-Klaus“ Breitenreicher[11], beide Zuhälter im Eros-Center sterben bei einer Schießerei in der Steige „Bel-Ami“. Als Täter kommen Sieghart Schmidt, Karl-Heinz Gebauer und Wolfgang Pohndorf[12] aus dem Täterkreis der GMBH in Frage.
- 25. November 1982 † Frank „Sachsen-Franky“ Schrubarz. Der mit der GMBH in Verbindung stehende Schrubarz wird von der Ex-Freundin und möglichen Mittätern in seiner Wohnung in der Potosistraße 33 in Blankenese erschossen.
- 7. Juli 1984 † Jehuda Arzi alias Hans Jenö Müller[13]. In Frankfurt am Main, Konstanz und Kiel aktiver Zuhälter und Drogenhändler wird in seiner Kieler Wohnung erschossen, nachdem er vorher damit bedroht wurde, dass man ihm einen Finger abschneiden würde.
- 13. September 1984. † Peter „Bayern-Peter“ Pfeilmeier. Bordell-Wirtschafter, Teilhaber der Bordelle „Hammer Deich“ und „MB-Club“ in seinem eigenen Pontiac Firebird mit Kopfschuss erschossen.
- 8. November 1984. † Karl-Hinrich „Charly“ Lienau. Diskobetreiber des „Jingle“ in Pinneberg, Drogenhändler und Zuhälter mit drei Schüssen getötet und in ein Ölfass betoniert[14], welches später im Osterbekkanal treibend aufgefunden wird.
- 14. November 1984. † Dietmar „Lackschuh-Dieter“ Traub. Zuhälter im „Palais d’Amour“ und Friseur, wird in einem Waldstück in Bayern erschossen aufgefunden.
- April 1985 † Waldemar „Neger-Waldi“ Dammer. Zuhälter und Drogenhändler. Geschäftspartner von Stefan Hentschel. Erschossen in seinem Haus, während er mit Komplizen über Kokaingeschäfte verhandeln wollte.
- 14. Juni 1987. † Bernd „Campari-Bernd“ Wünsch, angeblicher Freund vom Auftragsmörder „Mucki“ Pinzner. Erschossen, seine Leiche wird auf einem Komposthaufen einer Kleingartensiedlung[15] gefunden. Es bleibt unklar, ob es sich um Mord oder Selbstmord handelt.
- November 1987. Uwe „King Kong“ Bolm, Zuhälter. Bolm wird mit einer Schrotflinte erschossen[16]. Es existieren verschiedene Theorien zum Tatmotiv: 1.) Verhinderung seiner Aussage im Prozess um die Pinzner-Hintermänner; 2.) Streit mit Walter Vogeler von der GMBH oder 3.) Streit mit Geldeintreibern.
Rivalitäten
Während die Nutella-Bande hauptsächlich in und um das Eros Center aktiv war, kontrollierte die GMBH die Silbersackstraße und die Chikago-Bande um den Hans-Albers-Platz. Die Nutella-Bande musste ihrerseits gegen aufstrebende jugendliche Gangs, wie zum Beispiel gegen die „Streetboys“[17], ihr Revier abstecken und verteidigen. Beide Fraktionen beanspruchten ganze Etagen des Eros Center für sich. Zum offenen Ausbruch des Konfliktes mit der GMBH, die lange Zeit als Ordnungsmacht auf dem Kiez galt, kam es, als im Oktober 1982 die Ehefrau eines Nutella-Anführers auf einem Kontakthof des Eros Centers in eine körperliche Auseinandersetzung mit einer Prostituierten der GMBH[18] geriet. Der Streit eskalierte daraufhin später im Bel Ami und endete[19] mit der Erschießung der beiden Nutella-Mitglieder „SS-Klaus“ Klaus Breitenreicher, einem ehemaligen Kampfschwimmer, und „Angie“ Jürgen Becker. Danach kam es zu einer Großrazzia in den Bordellen der Nutella-Bande und fünf Mitglieder wurden wegen „Förderung der Prostitution“ verhaftet. Erst die Aktivitäten der neu gegründeten Ermittlungsgruppe gegen Organisierte Kriminalität (OK) des Landeskriminalamtes Hamburg leiteten das Ende der Nutella-Bande ein.
Geschäftsgebaren
Zum Auftreten eines Nutella-Zuhälters gehörte stark maskulin geprägtes Imponiergehabe von „Hamburger Vollkaufleuten“, so die Eigenbezeichnung. Bis in die 1980er Jahre wurden Rivalitäten und Konflikte mit Boxkämpfen oder gewaltlos mit entsprechenden Zahlungen gelöst. So wurde der Wechsel einer Prostituierten zu einem anderen Zuhälter in der Regel durch die Zahlung des Verdienstausfalls in Höhe einer Abstecke beglichen. Waffengebrauch und die Kooperation mit der Hamburger Polizei waren lange Zeit verpönt. Streitigkeiten im Milieu wurden durch eine Art Tribunal geschlichtet. Erst nach dem Einbruch der Geschäfte durch die AIDS-Welle, das hohe Aufkommen von Kokain („die weiße Dame“) und dem massiven Auftreten ausländischer Gangs wurde damit begonnen, Revier- und Verteilerkämpfe auch mit Schusswaffen auszutragen. Die Gewaltwelle begann am 28. September 1981 mit dem bisher ungeklärtem Mord an dem Zuhälter Fritz Schroer[20] „Chinesen-Fritz“ im Boxlokal „Zur Ritze“.[21]
Bekannte Mitglieder
- Peter Töpfer[22]
- „Schöner Klaus / Lamborghini-Klaus“ Klaus Barkowsky
- „Karate-Tommy“ Thomas Born
- „Klatscher vom Kiez“ Stefan Hentschel (Zuordnung unsicher)[23]
- „Neger-Waldi“ Waldemar Dammer
- Siegfried Träger
- Ralf „Corvetten-Ralf“ Kühne
- „Bongo“ Horst Reinhardt
Siehe auch
Literatur
- Herzlich schlechtes Kintopp auf St. Pauli. Der Schlachter kann nicht klagen. Krieg der Zuhälter Nur eine Szene am Rande. In: Die Zeit. Online. 12. November 1982 (zeit.de).
- Die lenkenden Hände vom Kiez. In: Der Spiegel. Nr. 34, 1986 (online).
- Ariane Barth: Die Reeperbahn. Der Kampf um Hamburgs sündige Meile. Spiegel-Buchverlag, Hamburg 1999, ISBN 3-455-15028-4.
- Ariane Barth: Im Rotlicht. Das explosive Leben des Stefan Hentschel (= Ullstein. 36769). Ullstein Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-548-36769-0.
- Cem Gülay, Helmut Kuhn: Türken-Sam. Eine deutsche Gangsterkarriere (= dtv. 34769). Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2012, ISBN 978-3-423-34769-3.
Weblinks
Anmerkungen und Einzelnachweise
- Reeperbahn – Ludenkartelle.
- Ada von der Decken: Als die Killer auf den Kiez kamen. In: NDR. 15. April 2016, abgerufen am 21. Juni 2018.
- Peter Töpfer spricht im Göttinger Bullerjahn über seinen Sinneswandel. In: Göttinger Tageblatt. 6. Juni 2014 (goettinger-tageblatt.de).
- Prostitution. Der Paulus von St. Pauli. In seinem früheren Leben war Peter Töpfer Herr über hundert Huren. Heute predigt er Gottes Wort und möchte alle Bordelle schließen. In: Frankfurter Rundschau. 6. Mai 2009 (fr.de)
- Paulsens St. Pauli: Der Aufstieg der Nutella-Bande.
- Hans-Jürgen Schmitz: „Ich bin ein Strolch.“ „Es gab die Nutella-Gang im Eros-Center.“ In: Die Zeit Online (zeit.de).
- Kiez-Boss kämpft um Lappen. In: Bild. Regionalausgabe Hamburg. 23. Oktober 2010 (bild.de).
- Morde. Schnee auf dem Strich. Der Spiegel. 27. April 1986
- Als rund um die Ritze der Kiezkrieg tobte. Hamburger Abendblatt. 28. Oktober 2015
- Als rund um die Ritze der Kiezkrieg tobte. Hamburger Abendblatt. 28. Oktober 2015
- Berufskiller, Bandenkriege, Blutbäder. Hamburger Abendblatt. 12. November 2015
- St. Pauli-Millieu vor Gericht. Die scharfen Schüsse im Salon Bel Ami. Die Zeit. 20. Mai 1983
- „Jeder ist Gott...Ich bin Gott“. Die Zeit.
- Mord-Rekonstruktion. Die Zeit. 29. Oktober 2015
- Leichen pflasterten ihren Weg. TAZ-Archiv
- Kriminalität. Unter Strom. Der Spiegel. 13. Dezember 1987
- Kriminalität. Alle am Hals. Jugendliche Straßenbanden boxen sich ins Zuhälter Geschäft. Der Spiegel. 8. Juni 1986
- Die lenkenden Hände vom Kiez. In: Der Spiegel. Nr. 34, 1986 (online – 18. August 1986).
- Die scharfen Schüsse im Salon Bel Ami. In: Die Zeit. Online. 20. Mai 1983 (zeit.de).
- Einige Quellen schreiben Fritz Schöer.
- Der Paulus von St. Pauli Frankfurter Rundschau vom 6. Mai 2009.
- Der Paulus von St. Pauli Frankfurter Rundschau vom 6. Mai 2009.
- nach anderen Angaben, soll Hentschel weder zur GMBH noch zur Nutella-Bande gehört haben, sondern ging seinen Geschäften auf eigene Rechnung nach (spiegel.de).