Nottaufe
Die Nottaufe (auch Taufe in der Not) ist in mehreren Konfessionen eine Taufe, die bei Lebensgefahr des Täuflings abweichend von der üblichen Praxis nicht von einem Geistlichen, sondern einem Laien ausgeführt wird. Die genaue Definition und Anwendung unterscheidet sich in den verschiedenen Konfessionen; Grundlage ist jedoch stets, dass ein ordentlicher Taufspender nicht rechtzeitig herbeigeholt werden kann, um die Taufe beispielsweise im nahenden Todesfall zu vollziehen. Nottaufen finden unter anderem in der römisch-katholischen Kirche, in orthodoxen, lutherischen, evangelisch-unierten, anglikanischen und altkatholischen Kirchen, seltener in reformierten und methodistischen Kirchen statt.
Wird die Taufe dagegen in einem solchen Notfall von einem ordentlichen Taufspender ausgeführt, wird dies auch als „Jähtaufe“ bezeichnet.
Geschichte
Alte Kirche und Katholizismus
Bis zum 3. Jahrhundert gab es keine Nottaufe. Eine Taufe war in dieser Zeit nur durch den Bischof möglich. Auf der Synode von Elvira (305) wurde die Nottaufe durch einen beliebigen Christen im Angesicht des Todes legitimiert, nur nicht dann, wenn eine Kirche im näheren Kreis vorhanden ist. Auf dem Konzil von Basel/Ferrara/Florenz (1431–1445) wurde erstmals auf einem Konzil die Nottaufe durch einen frommen Mann oder eine fromme Frau bestätigt. Trotzdem musste nach einer erfolgten Nottaufe der Täufling nach seiner Genesung noch einmal in einer Kirche getauft werden. Das Konzil ging davon aus, dass durch die Nottaufe das Kind aus den Händen des Teufels gerissen und von Gott aufgenommen werde.[1] Bis zum Konzil von Trient (1545–1563) war die Nottaufe eng mit der Kindertaufe verbunden bzw. eins, da in Basel/Ferrara/Florenz nur der Zusatz gemacht wurde, dass eine Nottaufe erfolgen kann.
Erst auf dem Tridentinum wurde eine klare Abgrenzung zwischen Kinder- und Nottaufe vorgenommen. Auch wurde die Heilsnotwendigkeit der Taufe durch die Lehre von der Erbsünde in den Vordergrund gestellt. Demnach ist nur derjenige, der auf Jesus Christus getauft ist, frei von dieser Sünde.
Am 20. April 2007 (AP) genehmigte Papst Benedikt XVI. die Ergebnisse der Internationalen Theologenkommission[2] und ermöglichte damit die Abwertung der Lehre vom Limbus puerorum zu einer älteren theologischen Meinung, die nicht vom kirchlichen Lehramt unterstützt wird.[3] Damit ist die Befreiung von der Erbsünde und der Verdammnis als Begründung für eine Nottaufe von sterbenden Kindern entfallen.[4]
Reformation
Im Gegensatz zu Martin Luther, der seinem Kleinen Katechismus eine Anleitung zur Nottaufe beifügte, lehnten Johannes Calvin (Inst. IV, 15, 20) und Heinrich Bullinger (Confessio Helvetica Posterior XX) Nottaufen ab. Noch 1818 wurde festgestellt, dass von den reformierten Gemeinden in Bayern sowie der unierten Kirche der Pfalz die Nottaufe „unbedingt verworfen wird“[5]. Auch die Methodisten verwiesen im Dialog mit den Lutheranern darauf, dass sie die Taufe nicht in derselben Weise als heilsnotwendig sähen wie die Lutheraner und die Nottaufe deshalb bei ihnen selten sei.[6]
Nottaufe in der römisch-katholischen Kirche
Voraussetzungen
Die Taufe muss unter Verwendung von Wasser und der trinitarischen Formel „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ erfolgen. Dabei ist der Täufling mit Wasser zu übergießen. Soweit nach den Umständen möglich, sollen Zeugen hinzugezogen werden. Das Kirchenrecht sieht vor, dass die Taufe „außer im Notfall“ in einer Kirche oder Kapelle gespendet werden soll.
Durchführung
Besteht akute Lebensgefahr, so kann die Taufhandlung auf das Sprechen der Taufformel „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ reduziert werden. Beim Sprechen dieser Taufformel wird der Täufling dreimal mit Wasser übergossen.[7] Steht mehr Zeit zur Verfügung, soll die Nottaufe in eine kurze liturgische Feier eingebettet werden. Insbesondere ist dabei durch den Täufling oder dessen Paten oder Eltern der Glaube zu bekennen, z. B. durch Beantwortung der Tauffragen oder durch Sprechen des Glaubensbekenntnisses. Auf die Benutzung von Weihwasser und ausdeutende Riten wie die Salbung mit Katechumenenöl und Chrisam kann verzichtet werden.[8]
Taufe ungeborener Kinder
Auch an noch nicht geborenen Kindern wurden Nottaufen von Hebammen „bei dringender Lebensgefahr“ vorgenommen. Wenn das Ungeborene für die taufenden Hände der Hebamme noch nicht sicher erreichbar war, wurde eine Taufspritze genutzt. Zur Wirksamkeit der Taufe musste die dabei zu sprechende Taufformel von der Hebamme korrekt beherrscht werden. Dazu gab es entsprechende Taufprüfungen durch den Pfarrer.[9] Für ungetauft verstorbene Kinder gab es u. a. „Traufkindbestattungen“.[10]
Gültigkeit
Wenn kein ordentlicher Spender zugegen ist, darf nach Lehre der römisch-katholischen Kirche im Notfall jeder Mensch taufen, der die richtige Absicht hat, das heißt, er muss tun wollen, was die Kirche tut, wenn sie tauft. Für die Erlaubtheit der Taufe muss im „dringenden Notfall“ „nur das beachtet werden, was zur Gültigkeit des Sakramentes erforderlich ist“ (850 CIC) (die rechte Intention, trinitarische Formel, Übergießen mit oder Eintauchen in Wasser). Der Spender einer Nottaufe muss nicht einmal selbst Christ sein, sondern die Taufe kann im Notfall nach 861§2 CIC von jedem „von der nötigen Intention geleiteten Menschen“ gespendet werden.[11] Den Gläubigen soll durch den örtlichen Pfarrer oder einen Seelsorger von vornherein die richtige Art und Weise der Taufe vermittelt und beigebracht werden. Die erfolgte Taufe muss zeitnah dem Pfarrer bekannt gegeben werden, damit dieser sie in das Taufregister eintragen kann.
Nottaufe in den anglikanischen und altkatholischen Kirchen
Die Kirchen der Anglikanischen Gemeinschaft und die Altkatholische Kirche praktizieren ebenfalls die Nottaufe. In der Church of England genügt es dazu, dass das Haupt des Täuflings mit Wasser übergossen wird und dazu die Taufworte „N.N., ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ gesprochen werden. Auch in anglikanischen Kirchen kann die Nottaufe von einem Laien durchgeführt werden, wenn kein Bischof, Priester oder Diakon zur Stelle ist. Nach dem Vollzug ist die Taufe der für die Seelsorge am Neugetauften verantwortlichen Person mitzuteilen. Zu einem späteren Zeitpunkt können andere Elemente des Taufgottesdienstes, wie z. B. die Salbung mit Chrisam, nachgeholt werden.[12]
Evangelische Kirchen
In den Kirchen der EKD kann eine Nottaufe durchgeführt werden, wenn ein Ungetaufter sehr krank ist und zu sterben droht. Eine solche Nottaufe kann von jedem Christen und jeder Christin vorgenommen werden.[13]
Andere Konfessionen
In anderen Konfessionen kann die Nottaufe ähnlich vollzogen werden. In allen Kirchen darf jeder Mensch taufen, allerdings nicht ohne Zustimmung des Erkrankten oder der Sorgeberechtigten. Die Einführung in die Gemeinde muss nicht nachgeholt werden, sondern die Nottaufe wird nur in das Taufregister eingetragen. In den orthodoxen Kirchen wird das Taufritual im Notfall auf die essentiellen Gesten beschränkt, sie kann durchgeführt werden, auch wenn kein Priester zugegen ist.[14]
In Kirchen, die die Taufe nicht als heilsnotwendiges Sakrament ansehen und (hauptsächlich) die Gläubigentaufe als Bekenntnisakt praktizieren, findet keine Nottaufe statt.
Literatur
- Mark Searle: Infant Baptism Reconsidered. In: Maxwell E. Johnson (Hrsg.): Living Water, Sealing Spirit. Readings on Christian Initiation. Collegeville 1995, S. 365–409.
- Hans Paarhammer: Die Nottaufe als kirchenrechtliches und pastorales Problem – kanonische Anmerkung zur Rolle des Spenders bzw. einer Spenderin „in casus neccessitatis“. In: Georg Ritzer (Hrsg.): Mit euch bin ich Mensch. Tyrolia-Verlag, Innsbruck – Wien 2008, S. 501–528.
- Evangelisches Gesangbuch (Regionalausgabe Niedersachsen-Bremen; Regionalausgabe Anhalt, Berlin-Brandenburg etc.), Nr. 791.
Weblinks
- Martin Luther: Anhang 6. Anleitung zur Nottaufe. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Kleiner Katechismus. Evangelisch-Lutherische Freikirche, 1529, archiviert vom Original am 31. August 2011; abgerufen am 14. Mai 2014.
- Taufriten (katholisch)
Einzelnachweise
- Mark, Searle: Infant Baptism Reconsidered. In Maxwell, Johnson: Living Water, Sealing Spirit. Readings on Christian Initiation. Collegeville 1995, S. 365–409.
- The Hope of Salvation for Infants Who Die Without Being Baptized (englisch)
- spiegel.de: Kirchen: Vatikan schafft Vorhölle ab
- Christian Modehn Ohne Erbsünde glauben, Publik-Forum Nr. 11, 9. Juni 2017, S. 42ff
- Marion Stadlober-Degwerth: (Un)Heimliche Niederkunften: Geburtshilfe zwischen Hebammenkunst und medizinischer Wissenschaft. Böhlau Verlag, Köln – Weimar 2008, S. 174
- Dokumente wachsender Übereinstimmung. Band II, S. 244f
- Katechismus der Katholischen Kirche, §1284:
- Anleitung zur Nottaufe
- Nottaufe Ungeborener durch die Hebamme
- Alte Regelungen für Taufen und Bestattungen
- Catholic Encyclopedia
- The Church of England: Emergency Baptism. Abgerufen am 22. Mai 2015 (englisch).
- Was ist eine Nottaufe?, aufgerufen am 29. Juli 2015
- Susanne Hausmann, Sergius Heitz (Hg.): Christus in euch: Hoffnung auf Herrlichkeit. Orthodoxes Glaubensbuch für erwachsene und heranwachsende Gläubige. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2002, S. 116